E-Book, Deutsch, 440 Seiten
Reihe: Megan Crespi-Krimi
Ein Megan Crespi-Krimi
E-Book, Deutsch, 440 Seiten
Reihe: Megan Crespi-Krimi
ISBN: 978-3-99012-876-3
Verlag: Hollitzer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
manche Parallele zur heutigen Kunst- und Kulturszene erahnen. Hier fällt ein Schuss, dort werden unliebsame Zeitgenossen im Rhein
versenkt. Die Schauplätze und Tatorte sind weltweit verstreut: etwa wenn am Bonner Münsterplatz direkt beim Beethoven-Denkmal eine brisante Demo stattfindet, oder wenn die Orion, ein Kreuzfahrtschiff der Luxusklasse, am Hafen der chinesischen Metropole Tsingtao anlegt. Und die Morde gehen weiter – aber warum? Dabei fängt alles so harmlos an: Das quicklebendige Alter Ego der Autorin, die amerikanische Kunstgeschichteprofessorin Megan Crespi aus Dallas, Texas, ist wieder einmal zu einem Symposium in Deutschland eingeladen.
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31 „He, Leo, Alter, wir kommen gerne mit“, verkündete einer der Kumpels des jungen Mannes aus Österreich. Das Grüppchen gleichgesinnter Studenten saß draußen auf der Terrasse des Café Midi vor Hähnels Beethoven-Denkmal, und lauschte bewundernd den rassistischen Tiraden ihres altklugen Anführers Leopold Weissknab. Sie alle trugen gleich bedruckte weiße T-Shirts, die er extra für sie organisiert hatte. Beethovens Konterfei, nach einem bekannten Porträt von Ferdinand Schimon aus dem Jahr 1818, prangte auf der Vorderseite. Darüber standen groß drei Worte: Beethoven war weiß. Leo hatte seinen Jungs gerade von seinem Plan erzählt, die abends im Beethoven-Haus angesetzte Sonderveranstaltung zu stören. „Na, es ist wohl besser, wenn ich das allein mache“, antwortete er in breitem Wiener Dialekt, als einer aus der Gruppe sich anbot, ihn zu begleiten. „Ich werde den Leuten einfach sagen, dass ich ein Musikwissenschaftler aus Wien bin, und dass man dort die ganze Idee eines schwarzen Beethovens nicht nur für falsch hält, sondern auch als Beleidigung auffasst, schließlich hat er fast sein ganzes Leben in Wien verbracht, war Ehrenbürger der Stadt. Es gibt überhaupt keine historischen Hinweise von seinen Wiener Bekannten, Gönnern und Freunden, dass er schwarzer Abstammung gewesen wäre. Dass er einen etwas dunkleren Hautton hatte, ja, dass er eine flache, breite Nase hatte, ja, aber dass er ein richtiger Schwarzer gewesen wäre, nie und nimmer!“ „Nein, da hast du sicher recht … Aber, he, Alter, wir könnten doch einfach unauffällig im Publikum rumsitzen und wenn du deine Meinung entsprechend kundtust, könnten wir ja schon mal applaudieren. Du weißt schon, Zustimmung von verschiedenen Seiten im Publikum. Da würden sich wahrscheinlich eine Menge Leute anschließen, so bekloppt wie diese Theorie vom schwarzen Beethoven ist.“ „Hm. Ich verstehe, was du meinst. Also gut, aber ihr dürft euch keinesfalls anmerken lassen, dass ihr mich kennt. Oder dass ihr euch untereinander kennt. Ihr werdet getrennt dort ankommen und euch dann einfach wie ‚kultivierte‘ Menschen verhalten, die sich für Beethoven interessieren. Und zieht euch auf jeden Fall ordentlich an. Nix da mit diesen Spezial-T-Shirts. Ihr tragt heute Abend Anzüge und Krawatten.“ „Das ist doch mal ’ne Abwechslung“, feixte einer der jungen Männer. Er hatte die Beine provokant auf den Stuhl am leeren Nebentisch gelegt, sehr zum offenkundigen Missfallen des Kellners. „Unser Ziel ist es, die ungeheuerlichen Behauptungen dieses abgedrehten ‚Reverend‘ Balthasar Bridgetower anzufechten und ihn lächerlich zu machen.“ deklamierte Weissknab mit Inbrunst. Dann fügte er grinsend hinzu: „He, wisst ihr, Jungs, ich wette, dieser Typ war derselbe, der gestern diese elendigen Kanaken zum Demonstrieren auf den Münsterplatz gelotst hat. Und wenn dem so ist, dann ist er erst recht selber ein Korinthenkacker!“ Die Gruppe lachte prustend über den respektlosen, unsinnigen Witz und bestellte die nächste Runde Bier. 32 „Warum sagt uns niemand, was hier los ist?“ Will sah Megan fragend an, während sie, wie alle anderen im Saal, auf eine Erklärung von Herrn Lauter warten mussten. Fünfzehn Minuten zuvor war ein Polizist vorn an der Bühne erschienen und hatte dem Auktionator bedeutet, ihm zu folgen. Dann hatte er sich an die beunruhigte Menge im Saal gewandt und sie aufgefordert, an ihren Plätzen zu bleiben, bis er zurückkäme. „Keine Ahnung, aber die Polizei war wirklich schnell da!“ Megan sah sich im Raum um. Li Shutong hatte sich wieder an seinen Platz gesetzt. Sein Gesichtsausdruck war undurchdringlich. Auf der anderen Seite sah sie Takuto Nisemono, der die Beine nervös ein ums andere Mal übereinanderschlug, dann wieder löste und sich die Ellbogen rieb. Was wohl in dem Japaner vorging? Schließlich hatte er nicht den Zuschlag für das Objekt seiner Begierde erhalten. Womöglich hoffte er jetzt auf einen Widerruf der ganzen Auktion, dass sie für null und nichtig, für ungültig erklärt werden würde. Und da er nun wusste, zu welchem Preis der Zuschlag gefallen war, würde er dann seine Reserven locker machen und nochmals einen Versuch starten, den anderen zu überbieten? Wenn ja, dann musste er verdammt betucht sein, dachte Megan. Hunderttausend Euro waren schließlich keine Kleinigkeit. Sie spähte ein paar Sitzreihen weiter und ihr Blick fiel auf Oskar Schnösel. Der Inhaber des Wiener Beethoven und Du Museums wirkte völlig unbeteiligt als ginge ihn das alles nichts an. Megan und Will schauten in dieselbe Richtung, als Heike Musenberg in ihrer Reihe erschien. „Na, wie läuft es denn so bei Ihnen, werte Kollegen aus den USA? Und was sagen Sie zu diesem Bonner Theater?“, fragte sie mit einem gerade noch höflichen Ton. „Ich würde mal sagen, man spannt uns gerade auf die Folter“, antwortete Will. „Es muss das erste Mal sein, dass etwas aus diesem altehrwürdigen Auktionshaus entwendet wurde.“ „Da haben Sie recht. Bei Von Zwengen gab es noch nie einen Anlass für einen Polizeieinsatz“, erwiderte Musenberg. „Und schon gar nicht wegen eines Exponats wie dem verschwundenen Beethoven-Brieffragment. Solche Dokumente werden während der Auktion immer unter Verschluss gehalten. Eine Aufsichtsperson für den Ausstellungsraum hat immer gereicht. Die Vergrößerung auf den Projektionswänden erzeugt genug Spannung, um das Kaufinteresse der Bieter am Laufen zu halten.“ Zügige Schritte im vorderen Teil des Saals veranlassten die drei, ihr Gespräch zu unterbrechen. Ein rothaariger Polizeibeamter in Zivil begleitete Herrn Lauter zurück zum Rednerpult und griff zum Mikrofon. „Meine Damen und Herren, ich bedaure die Unannehmlichkeiten. Leider muss ich Ihnen mitteilen, dass die Beethoven-Handschrift in der Tat abhandengekommen ist.“ Er schwieg kurz. „Bedauerlicherweise kam es zu einem Todesfall.“ Das Auktionspublikum war sprachlos. Hauptkommissar Jäger fuhr fort: „Der Aufseher, ein langjähriger Mitarbeiter des Auktionshauses, wurde offensichtlich von dem Dieb oder der Diebsbande getötet, die den Beethoven-Brief erbeutet hat.“ Jäger verzichtete auf die grausigen Details. Es genügte, den Leuten mitzuteilen, dass in dem Haus ein Mord begangen worden war, damit sie die Relevanz begriffen und die nun folgende Prozedur mitmachten. „Aufgrund dieser Entwicklungen müssen wir Ihre Personalien überprüfen, bevor Sie das Haus verlassen, und zwar durch einen Abgleich Ihrer Namen und Kontaktdaten mit Ihren heutigen Angaben im Auktionsregister. Wir stellen natürlich niemanden unter Generalverdacht.“ Ein unwilliges Murren erfüllte den Saal. „Ich glaube nicht, dass wir länger als eine Stunde dafür brauchen werden, höchstens eineinhalb Stunden“, versuchte Jäger zu beschwichtigen. Will und Megan sahen einander an und seufzten. Ihr Nachmittagstermin mit zwei ihrer Kollegen vom Symposium stand bevor, denn sie wollten sich um halb drei mit ihnen treffen um vorab die aberwitzige Theorie eines Referenten, des Hamburger Kardiologen Dr. Otto Hartnacken, zu diskutieren. „Unser Termin!“, mahnte Megan leise in Wills Richtung, „wegen diesem Mediziner, der behauptet, dass Beethoven an einer unerkannten Herzrhythmusstörung gestorben sei. Auch einen ‚musikalischen Beweis‘ dafür hat er in Aussicht gestellt.“ „Junge, Junge, diese Beethoven-Direktorin weiß wirklich, wie man neben uns bescheidenen Beethoven-Gelehrten auch noch publikumswirksame ‚Experten‘ anschleppt“, antwortete Will und blickte Musenberg nach, die zu ihrem Platz zurückkehrte. „Tja. Da siehst du mal, warum sie dort die Chefin ist“, flüsterte Megan. „Ich habe allerdings läuten gehört, dass einige im Vorstand mit ihrer Arbeit nicht besonders glücklich sind.“ „Das ist doch lächerlich“, sagte Megan entrüstet, denn wenn es darum ging, eine Kollegin zu verteidigen, stellten sich ihre feministischen Nackenhaare immer ganz von alleine auf, „Schau dir nur an, wie viel Aufmerksamkeit sie dem Museum allein im letzten Jahr verschafft hat.“ „Entspann dich, liebste Megan. Schieß nicht auf den Boten. Ich überbringe nur ein Gerücht.“ „Aber genau auf diese Weise werden Gerüchte aufgebauscht, durch ständiges Wiederholen.“ Will tätschelte seiner Reisegefährtin besänftigend den Arm. Er war an ihre feministischen Aufwallungen gewöhnt, und die meisten davon waren berechtigt. Mit diesem Thema brauchten sie beide keine weitere Zeit zu verschwenden. Megan schien Wills gute Absichten zu spüren, denn im nächsten Moment lächelte sie ihn wieder an, ihre zuvor finstere Miene hatte sich aufgehellt. Dann vertieften sich die beiden in stillschweigendem Einvernehmen in ihre Handys, um sich die Wartezeit produktiv zu vertreiben. Will sah nach seinen E-Mails und Megan entdeckte eine Webseite, auf der sie das fand, was sie schon die ganze Zeit gesucht hatte: eine detaillierte Landkarte von Nordchina, die sich schön vergrößern ließ, auf der sowohl Tianjin als auch Qingdao eingezeichnet waren – jene beiden Städte, die sie nach den Tagen in Bonn am Ende der Woche besuchen wollten, weil sich dort Chinas bedeutendste Beethoven-Denkmäler befanden. Wie gebannt las sie über die beiden gegensätzlichen Städte und ihre Vergangenheit. 33 „Die unsterbliche Geliebte!“ „Aber kann das wirklich sein?“, fragte Nikolaus seine höchst erstaunte Ehefrau. Sie stand immer noch über die Opernpartitur gebeugt und starrte auf das von Beethoven eigenhändig geschriebene Blatt mit der Auflistung der einzelnen Opernpartien. Sie las die Rollen und Namen laut vor. Mit einer Ausnahme lauteten...