Claußnitzer | Der Ringeltaubenmantel | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 432 Seiten

Claußnitzer Der Ringeltaubenmantel

E-Book, Deutsch, 432 Seiten

ISBN: 978-3-7557-4546-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein Kirchendieb wird auf frischer Tat ertappt, schweigt jedoch über seine Motive. Ardeija, der Hauptmann der Hochgerichtswachen, nimmt die Ermittlungen auf. Aber wem kann er dabei trauen, wenn der langjährige Gerichtsschreiber gefährliche Geheimnisse hat, die bescheidene Nachbarin auf einmal einen verdächtig kostbaren Mantel besitzt und selbst auf die ortsansässigen Geister nur bedingt Verlass ist? Ein neues Abenteuer in Aquae Calicis beginnt.

Maike Claußnitzer ist Germanistin und lebt als freie Übersetzerin in Hamburg.
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1. Kapitel
Ein grauer Seidenmantel ES LEHNTE SICH gut an Theodulfs Schulter, daran hatte sich nichts geändert. Manchmal wunderte Asri sich darüber, wie schnell sie sich wieder an ihn gewöhnt hatte. Schließlich war sie mehr als ein halbes Leben lang sehr gut ohne ihn ausgekommen und hatte ihn erst seit knapp vier Jahren wieder um sich. Sie hatten einander einiges zu verzeihen gehabt, und auch ganz abgesehen davon stellte sich die Frage, ob es eine weise Entscheidung gewesen war, sich ein zweites Mal auf einen Mann einzulassen, der immer noch nicht gelernt hatte, dass es den Geschmack von Tee verdarb, wenn man ihn zu sehr süßte. Aber in der wohligen Wärme dieses Frühsommernachmittags wollte sie nicht allzu lange darüber nachgrübeln. In der römischen Totenstadt vor dem Südtor von Aquae Calicis war es ruhig und friedlich. Irgendwo sang ein Rotkehlchen, und zwischen den alten Steinen blühten Akeleien. Zu ihrem Leidwesen verschob sich die bequeme Unterlage unter ihrem Kopf, aber damit war zu rechnen gewesen. Auf langes Stillsitzen verstand Theodulf sich genauso schlecht wie auf Tee, das gehörte ebenfalls zu den Dingen, die seit ihrer Jugend gleich geblieben waren. »Das war ein Marcus Valerius, nicht wahr?«, fragte er nun und deutete auf den Grabstein gegenüber von dem, an dessen Rückseite sie im Gras saßen. »Und der Sohn eines anderen Marcus. So weit bin ich auch«, stimmte Asri ihm zu, und sie lächelten einander an, bevor sie sich wieder ihrer schwierigen Lektüre zuwandten. Sie hatten beide nicht sonderlich früh Lesen gelernt, aber wenn man eine kluge Enkelin hatte, die mittlerweile sogar Latein konnte, wollte man selbstverständlich zumindest ein klein wenig mithalten können, auch wenn es Mühe kostete, die Buchstaben zu Wörtern und die wiederum zu Sätzen und längeren Zusammenhängen aneinanderzureihen. An schlechten Tagen behauptete Theodulf sogar, es sei damit bestimmt wie mit dem Schwertkampf, und wer nicht in seiner Kindheit mit dem Lesen begonnen habe, würde es nie wirklich gut beherrschen. Doch immerhin gab es einen Ort in Aquae, der einen schier unerschöpflichen Vorrat an Übungsmaterial bot, das allerdings seine Tücken hatte. Die alte Nekropole war voller Inschriften, und an einem Sonntag wie heute hatte man die nötige Muße, ein oder zwei davon zu entziffern und, wenn man Glück hatte, wenigstens die Namen darin zu verstehen. Sie hatten schon im letzten Sommer aus einer Laune heraus damit begonnen und nach einer längeren Pause über das Winterhalbjahr seit dem März damit weitergemacht. Angefangen hatten sie drüben an der Straße, wo die prächtigeren Grabmale standen, und sich später tiefer zwischen die Sarkophage und Gedenksteine vorgearbeitet. Ihren heutigen Platz im Westteil des Gräberfelds hatten sie vor allem aus dem Grund gewählt, dass er angenehm in der Sonne lag. Marcus Valerius hatte ihre Neugier deshalb geweckt, weil die Nische mit seinem Bild, das über die Inschrift hinwegspähte, noch gut erhalten war. Wenn die gemeißelten Gesichtszüge ihm ähnelten, dann war er ein ernster, aber hübscher Mann gewesen, doch was neben seinem Namen und seiner Abstammung noch über ihn vermerkt war, entzog sich Asris Verständnis. Einige formelhafte Wendungen, die sich wiederholten, hatte sie mittlerweile erkennen gelernt, doch nach allem anderen musste sie Rambert fragen, wenn sich das Mädchen einmal mit hierherschleifen ließ. Aber in ihrem Alter brachte man seine Sonntage lieber mit vergnüglicheren Dingen als Friedhofsbesuchen zu. So blieb es vorerst dabei, dass Marcus Valerius der Sohn des Marcus gewesen war und weiter unten noch irgendetwas von »Secunda« erwähnt wurde, aber ob sich dahinter eine Frau oder etwas anderes verbarg, ließ sich mit Asris bruchstückhaften Kenntnissen nicht einschätzen. Sie wandte den Kopf wieder zu Theodulf, um festzustellen, ob er besser zurechtkam, und vermutete einen Herzschlag lang tatsächlich, dass er etwas erkannt hatte, das ihr entgangen war. Wenn in seinen klaren blauen Augen dieser Ausdruck stand, hatte er immer etwas entdeckt, ob nun eine Einzelheit in einer Inschrift oder einen Vogel, der gut versteckt irgendwo im Laub sang. Dass er weder die lateinischen Worte deuten konnte noch das Rotkehlchen aufgespürt hatte, begriff sie erst, als er unverhofft aufstand und in drei Schritten an Marcus Valerius vorbei war, um sich über das hohe Gras zu beugen, das zwischen den Gräbern wucherte. »Nun sieh dir das an«, sagte er, und als Asri mit Bedauern ihren bequemen Platz aufgegeben hatte und zu ihm hinübergegangen war, musste sie eingestehen, dass das, wovon er eben durch Zufall einen Zipfel erspäht hatte, die Mühe mehr als wert war. Gleich neben dem Stein lag, eher zusammengeknüllt als ordentlich gefaltet, ein leichter Umhang aus grauer Seide. Der zugehörige Besitzer war nicht zu sehen, doch wer seinen Mantel nur ablegte, um den schönen Sommertag zu genießen, wäre gewiss nicht derart achtlos mit solch einem teuren Kleidungsstück umgegangen. Asri nahm es sich selbst übel, nicht diejenige gewesen zu sein, die diese Kostbarkeit gefunden hatte. Es war keine Entschuldigung, dass Theodulf rechts von ihr gesessen und damit einen etwas günstigeren Blickwinkel gehabt hatte; sie war schließlich die Seidenstickerin in der Familie und überzeugt, sich mit allem auszukennen, was sich aus Garn herstellen ließ. Ob das allerdings auch auf diesen Umhang zutraf, würde sich noch erweisen müssen, denn bei näherer Betrachtung war einiges daran seltsam. Asri scheute sich nicht, sich ins Gras zu kauern und den Mantel nach einer kurzen Frist des stummen Musterns aufzuheben. Theodulf würde sie vor drohenden Gefahren schon warnen, und das Fundstück verdiente einen zweiten Blick. Trotz der groben Behandlung schien es unversehrt zu sein. Es war kein hiesiger Stoff, so viel stand fest, aber – was erst genaueres Hinsehen ergab und noch sonderbarer war – auch keiner aus Asris Heimat in den östlichen Steppen oder den Ländern jenseits davon, womit man bei Seide doch immer rechnen musste. Das eingewebte Muster, das sie an zarte Vogelfedern erinnerte, war ihr unvertraut und musste entsetzlich aufwendig in der Herstellung sein; sie wusste nicht, ob sie sich zugetraut hätte, es nachzuarbeiten. Zu empfindlich, um von einer gewöhnlichen Fibel oder Nadel gehalten zu werden, hatte der Mantel eine ebenso unauffällige wie zierliche Silberschließe am Kragen, doch dieser selbst war eigenartig gewölbt, als wäre er mit etwas ausgestopft, fast wie ein Daunenkissen. Dem Mangel an Abnutzungsspuren nach zu urteilen, war der Umhang noch sehr neu, vielleicht gar ungetragen, aber wenn dem so war, musste die Mode, der er entsprach, Aquae Calicis oder vielmehr ganz Austrasien wohl erst noch erreichen. »Das ist ein wunderliches Ding«, murmelte Asri und fand keine Beachtung, weil Theodulf ihr fast gleichzeitig mitteilte, da sei jemand auf dem Weg zu ihnen. Gleich darauf hörte auch sie die nicht um große Heimlichkeit bemühten Schritte und kurz danach gedämpfte Stimmen, die einer Frau und die eines Kindes. Sie richtete sich, den Mantel immer noch in den Händen, gerade zur rechten Zeit auf, um aus Richtung der Straße eine ihrer Nachbarinnen – Faustina, die Kerzenzieherin – und deren kleinen Sohn zwischen den Grabsteinen hervorkommen zu sehen. Das war noch ein gutes Stück eigenartiger als der Mantelfund, denn in der römischen Totenstadt waren außer Grabräubern und heimlichen Liebenden zumeist nur harmlose Verrückte wie Theodulf und sie zu finden, die es auf die Inschriften abgesehen hatten, aber keine ehrbaren Handwerker auf Sonntagsspaziergang. Faustina schien zu stutzen, als sie erkannte, wen sie vor sich hatte, und der sechs- oder siebenjährige Junge an ihrer Hand sah misstrauisch drein. Dann aber setzte die Kerzenzieherin ein etwas zu fröhliches Lächeln auf, beschleunigte ihre Schritte und zog ihren widerstrebenden Sohn geradewegs auf Asri und Theodulf zu. »Wie schön, Ihr habt meinen Mantel gefunden, Frau Asri!«, rief sie anstelle einer Begrüßung. »Ich habe ihn vorhin versehentlich hier liegen lassen.« Damit hatte sie schon die Hand ausgestreckt und nach dem unbezahlbaren Umhang gegriffen. Asri ließ ihn los, wenn auch nur aus Achtung vor der Kunstfertigkeit, die in die Herstellung des Stoffs geflossen war, den man wahrlich nicht zum Tauziehen missbrauchen durfte. Den so munter vorgetragenen Besitzanspruch hielt sie nicht unbedingt für gerechtfertigt. »Das ist also Eurer?« Faustina nickte mit Nachdruck. »Danke, dass Ihr ihn aufgehoben habt. Nicht auszudenken, wie leicht er hier hätte verschwinden oder zu Schaden kommen können! Entschuldigt, wenn ich mich nun gleich wieder verabschiede. Ich bin sehr in Eile; wenn der Mantel nicht gewesen wäre, dann wäre ich nicht noch einmal umgekehrt. – Komm, Hildebrand, wir können uns nicht lange aufhalten.« Sie nickte zum Abschied, wandte sich dann um und machte sich, den Umhang über dem Arm, so schnell davon, wie ihre kurzen, rundlichen Beine sie trugen. Klein-Hildebrand, der die Statur und das...


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