Fachlich fundiert pädagogisch handeln
E-Book, Deutsch, 152 Seiten
ISBN: 978-3-17-043629-9
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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3 Umgang mit Hinweisen auf eine depressive Entwicklung
Im pädagogischen Alltag kann auf unterschiedlichen Wegen der Verdacht auf eine depressive Entwicklung bei einer Schülerin oder einem Schüler entstehen. So können Hinweise von Gleichaltrigen, das Gespräch mit Kolleginnen oder Kollegen, die eigene tägliche informelle Verhaltensbeobachtung, mündliche oder schriftliche Äußerungen ein Auslöser für einen Klärungsbedarf sein. Als Grundlage für eine mögliche pädagogische Initiative (? Kap. 3.1 Dokumentation) sollten zunächst die wichtigsten Informationen zur Lebenssituation einer betreffenden Person sowie zu möglicherweise depressionsbedingten Auffälligkeiten betrachtet werden: Informationen zur Lebenssituation: Es sollten Informationen zur bisherigen Schullaufbahn, zum familiären Hintergrund und zu den aktuellen Lebensumständen der Schülerin bzw. des Schülers vorliegen. Von Bedeutung sind auch schulische sowie familiäre bzw. andere außerschulische Belastungsfaktoren. Gleichzeitig sollten mögliche Ressourcen erhoben werden, die vorhandene Belastungen kompensieren können, wie z.?B. soziale Beziehungen, Kompetenzen und Interessen. Informationen zu Auffälligkeiten: Auffälligkeiten, die Hinweise auf eine depressive Entwicklung geben (? Kap. 2 Pädagogisches Basiswissen), können: im Verhalten liegen, wie z.?B. soziales Rückzugsverhalten, Reizbarkeit, Motivations- und Interesseverlust, verbunden mit schulischen Fehlzeiten (auch entschuldigten), im Denken auftreten, wie u.?a. durch negativ verzerrte Kognitionen, kognitive Einbußen in der Konzentration, Merk- und Planungsfähigkeit verbunden mit reduzierten schulischen Leistungen und sich im emotionalen Erleben zeigen durch z.?B. auffällige Traurigkeit. Für den Fall, dass Hinweise auf Suizidalität vorliegen, muss dies zuerst vollständig abgeklärt werden (? Kap. 4.7 Umgang mit Verdacht auf Suizidalität)! 3.1 Bestandteile einer pädagogischen Dokumentation
Der Prozess der Erhebung von Informationen und die hierauf folgenden Schritte sollten dokumentiert werden, um die dabei getroffenen Entscheidungen nachvollziehen und begründen zu können. Eine sinnvolle pädagogische Dokumentation hält nur die wesentlichen Informationen fest. Sie unterstützt im Klärungsprozess die Planung und Organisation und erleichtert eine begleitende Evaluation des pädagogischen Handelns (? Kap. 4.8 Qualitätssicherung und evaluative Perspektive). Ausgangspunkt dieser Dokumentation sind die vorhandenen Hinweise, die auf eine depressive Entwicklung hindeuten. Diese werden zunächst kurz zusammengefasst. Insbesondere werden Auffälligkeiten im Verhalten, im Denken und im emotionalen Erleben festgehalten. Es werden relevante Informationen zur bisherigen Schullaufbahn beschrieben sowie zum familiären Hintergrund und zur aktuellen Lebenssituation. Von Bedeutung für die Einordnung der bisherigen Erkenntnisse ist zudem die Frage nach schulischen und außerschulischen Belastungsfaktoren und Ressourcen. In allen Fällen wird dokumentiert, ob Hinweise auf Suizidalität vorliegen und in welcher Weise darauf pädagogisch reagiert wurde (? Kap. 4.7 Umgang mit Verdacht auf Suizidalität). Auf der Grundlage der beschriebenen Belastungen, Ressourcen und erhobenen Auffälligkeiten werden die im weiteren Verlauf formulierten pädagogischen Ziele festgehalten, wie z.?B. das Überwinden negativen Denkens oder die Reduktion von Passivität und Rückzugsverhalten, die durch pädagogische Initiativen erreicht werden sollen. Deren Planung wird ebenso innerhalb der Dokumentation festgehalten, d.?h. wer wann welche Schritte durchgeführt hat. Es finden sich dort zudem Notizen, die die Umsetzung der geplanten Schritte betreffen. In Form einer deskriptiven Ergebnisdarstellung werden abschließend evaluative Informationen festgehalten. Tab. 1:Pädagogische Dokumentation Pädagogische
Dokumentation Anlass
Informationen zur
schulischen Entwicklung Familiärer Hintergrund
Aktuelle Lebenssituation
Belastungsfaktoren
(schulisch/außerschulisch) Ressourcen
(schulisch/außerschulisch) Hinweise auf Suizidalität
Auffälligkeiten im
Verhalten Auffälligkeiten im Denken
Auffälligkeiten im
emotionalen Erleben Pädagogisches
ZIEL 1: Pädagogische
Initiative ZIEL 1:
WER macht WANN,
WAS? Ergebnisdarstellung
ZIEL 1: Diese für die pädagogische Arbeit wesentlichen Informationen können u.?a. im Kontakt mit den Betroffenen, durch eine Verhaltensbeobachtung, im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen oder mit Bezugspersonen erhoben werden. Die Dokumentation sollte durch die verantwortliche pädagogische Ansprechperson erfolgen, wie z.?B. Klassenlehrkraft, Schulsozialarbeiterin bzw. Schulsozialarbeiter oder Sonderpädagogin bzw. Sonderpädagoge. 3.2 Verhaltensbeobachtungen
Bei der Identifikation von Hinweisen auf depressive Symptome kommt Lehrkräften eine besondere Rolle zu: Sie stehen in engem Kontakt zu ihren Schülerinnen und Schülern, erleben sie über einen längeren Zeitraum in formellen sowie informellen Situationen und können auffällige Veränderungen daher oft als Erste bemerken. Dieser Vorteil kann genutzt werden: Ist ihnen bewusst, wie sich depressive Verstimmungen im Denken und Verhalten betroffener Schülerinnen und Schüler äußern können, können sie Anzeichen frühzeitig erkennen und pädagogische Initiativen in Gang bringen. Gerade für das Erkennen von Auffälligkeiten ist es also bedeutsam, Schülerinnen und Schüler zu beobachten und Auffälligkeiten zu dokumentieren (? Kap. 3.1 Dokumentation). Dabei kann unterschieden werden zwischen Alltagsbeobachtungen, die eher beiläufig und ohne ein vorher definiertes Ziel ablaufen (informelle Beobachtungen), und systematischeren Beobachtungen, die geplant und zielgerichtet erfolgen. Im Schulalltag haben beide Varianten bestimmte Vorteile und daher ihre Berechtigung: Informelle Beobachtungen eignen sich, um Auffälligkeiten auch spontan, d.?h. ungeplant zu beobachten und zu dokumentieren. Zudem lassen sie sich in beliebigen Kontexten anwenden (z.?B. im Unterricht, auf dem Pausenhof, im Schulkorridor etc.). Sie sind oft die Grundlage für die Bildung von Annahmen (z.?B. wenn eine Lehrkraft wiederholt Traurigkeit bei einer Schülerin oder einem Schüler feststellt, ohne diese bzw. diesen gezielt beobachtet zu haben, und daraus die Fragestellung entsteht, ob dies möglicherweise ein Hinweis auf eine depressive Entwicklung sein könnte). Das Vorgehen ist dabei nicht näher definiert: Auffälligkeiten im Denken und Verhalten können nach eigenem Ermessen notiert werden. Systematische Beobachtungen eignen sich insbesondere dann, wenn bereits ein Verdacht auf eine depressive Entwicklung besteht. Dann ist es sinnvoll, eine Beobachtung zu planen und sowohl Verhalten als auch Äußerungen betroffener Schülerinnen und Schüler wiederholt und systematisch zu dokumentieren. Dafür sollten vorab einige Kriterien festgelegt werden (vgl. Ingenkamp & Lissmann, 2008). Zur Orientierung bei systematischen Beobachtungen dient dabei die Leitfrage: Was soll wann wie und von wem beobachtet werden? 1. WAS? Das Ziel der Beobachtung ist es, Auffälligkeiten im Verhalten einer Schülerin bzw. eines Schülers zu bemerken und zu dokumentieren. Dafür ist es wichtig, mögliche Anzeichen einer depressiven Entwicklung zu kennen (? Kap. 2 Pädagogisches Basiswissen). Werden diese beobachtet, sollten sie möglichst konkret notiert werden. Dazu gehören beispielsweise: wiederholt auftretendes Rückzugsverhalten (z.?B. »Schülerin bzw. Schüler steht allein auf dem...