Carofiglio | Trügerische Gewissheit | E-Book | sack.de
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E-Book, Deutsch, 140 Seiten

Carofiglio Trügerische Gewissheit

Kriminalroman

E-Book, Deutsch, 140 Seiten

ISBN: 978-3-99037-055-1
Verlag: Folio
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Bari - eine Leiche wird mit durchschnittener Kehle aufgefunden. Der Fall ist eindeutig: Der junge Mann, der beim Verlassen des Tatorts gesehen wird, wird sofort überführt - er schweigt beharrlich. Doch weder gibt es ein Motiv noch eine Verbindung des Täters mit dem Opfer. Der Zweifel lässt Maresciallo Pietro Fenoglio nach Indizien suchen. Dabei stößt er auf die dunkle Vergangenheit des Opfers, die eine neue komplexe Schuldfrage aufwirft. Eine perfekt komponierte Story à la Sherlock Holmes, mit einem sympathischen Ermittler: melancholisch, musisch, mit Spürsinn.

Gianrico Carofiglio, geboren 1961 in Bari, war viele Jahre Antimafia-Staatsanwalt in Bari, 2007 Berater des italienischen Parlaments im Bereich organisierte Kriminalität, 2008-2013 Senator. Autor zahlreicher preisgekrönter Krimis, die in 27 Sprachen übersetzt wurden. Auf Deutsch bei Folio: Carlotto/Carofiglio/De Cataldo: Kokain. Crime Stories (2013).
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Zwei
Der Amtsarzt bestätigte Fenoglios These: Der Tod war, grob geschätzt, ein paar Stunden zuvor eingetreten; nach der Autopsie könnte er Genaueres sagen. Die Tatwaffe war eine scharfe, nicht gezackte Schneide, das ließen die zwei sauberen, nicht ausgefransten Schnitte am Hals erkennen. Das Opfer hatte versucht sich zu schützen – auf der Hand war eine Abwehrverletzung, aber vermutlich war sie das Ergebnis eines ersten Angriffs. Der Staatsanwalt, Doktor Catacchio, war ein altgedienter Beamter. Fenoglio kannte ihn gut und in der Vergangenheit hatte er gerne mit ihm zusammengearbeitet. Er war eine ehrliche Haut, ein tüchtiger Ermittler und obendrein ein sympathischer Mensch. Doch dann musste ihm etwas zugestoßen sein oder vielleicht war er von seinen sechzig Jahren einfach nur überrascht worden. Jetzt sollte er an die Generalstaatsanwaltschaft des Berufungsgerichts versetzt werden – ein nutzloses Amt, so etwas wie ein Altenheim für höhere Justizbeamte – und fortan kümmerte ihn rein gar nichts mehr. Nachdem er einen Blick auf das Opfer und in die Küche geworfen und die Worte des Gerichtsmediziners zwar gehört – ihm aber nicht zugehört – hatte, genehmigte er den Abtransport des Leichnams. Dann drückte er Fenoglio mit einem verwaschenen Lächeln, das fast wie eine Entschuldigung anmutete – ich bin nicht mehr der von früher, aber ich kann da nichts machen –, die Hand und ging. »Ist gut, Sportelli, du bleibst hier«, sagte Fenoglio, »warte auf die Leute vom Bestattungsunternehmen, begleite sie ins Leichenschauhaus, kontrolliere, ob alles seine Ordnung hat, und komm dann wieder zu uns. Wir bringen unterdessen die Putzfrau in die Kaserne und nehmen das Protokoll auf. Dann besprechen wir das weitere Vorgehen.« In dem Augenblick kam Pellecchia auf seiner Zigarre kauend und schniefend in die Wohnung zurück und zeigte, soweit sein ausdrucksloses Gesicht das zuließ, eine gewisse Aufregung. »Da ist eine, die vielleicht etwas gesehen hat.« »Wer?«, fragte Fenoglio. »Eine Alte, die drunter wohnt.« Pellecchia hatte mit einer aus dem ersten Stock gesprochen, die ein paar Stunden zuvor vor dem Haustor einem jungen Kerl begegnet war, den man bislang noch nie im Haus gesehen hatte und der mit Karacho davonlief. »Wo finden wir die Alte jetzt?« »In ihrer Wohnung. Ich sag’s dir aber gleich: Sie ist ein bisschen seltsam. Offenbar nicht ganz klar im Kopf.« »Gehen wir und hören sie mal an.« Die Frau musste mindestens fünfundsiebzig Jahre alt sein, vielleicht sogar älter. Sie war klein und übergewichtig: eine Art weiblicher Buddha, aber mit misstrauisch blickenden Knopfaugen und einem Gesichtsausdruck voll unerklärlichem Groll. Ihre Behausung roch nach Mottenkugeln und Staub, überall lagen Stapel alter Skandalzeitschriften mit schwarzweißem Deckblatt, Plastikbeutel mit wer weiß was gefüllt und Haufen von Kleidungsstücken, Decken, Lappen. Sie strebten dem Wohnzimmer zu, wo die Anhäufungen von Gegenständen und Plastiksäcken weniger dicht an dicht waren. Fenoglio und Pellecchia nahmen Platz auf einem durchgesessenen Sofa, das früher rot gewesen sein musste. »Wären Sie so freundlich, mir Ihren Namen zu wiederholen, Signora?«, sagte Fenoglio. »Lattarulo Graziella heiße ich. Also Lattarulo ist der Nachname meines Mannes, der ist aber tot. Mit Mädchennamen heiße ich Cassano Graziella.« Sie ließ einige Sekunden verstreichen und entschied dann, aus welchem Grund auch immer, dass es notwendig war, ein paar zusätzliche Informationen über das nicht zeitnahe Ableben des Signor Lattarulo zu liefern. »Mein Ehemann ist vor sieben Jahren gestorben, als sie ihn in die Poliklinik einlieferten und er dort eine Infektion kriegte, wo er doch nach drei Tagen wieder entlassen werden sollte. Stattdessen haben sie ihn mit den Füßen voran hinausgetragen.« »Ist gut, Graziella. Es tut uns leid um deinen Mann, aber jetzt wiederholst du für den Maresciallo, was du mir gesagt hast«, sagte Pellecchia ungeduldig. Sie blickte eine Weile um sich und in ihren Augen stand die Frage, ob es Sinn machte, etwas dagegen zu sagen. Sie fand offenbar nichts und so begann sie schließlich zu erzählen. »Ich kam gerade nach Hause, ich war beim Obst- und Gemüsehändler einkaufen gewesen, dort hab ich Artischocken und Kartoffeln geholt, weil ich dann eine tiella* gemacht hab. Kennen Sie die tiella aus Kartoffeln und Artischocken?« Pellecchia wollte schon wieder eingreifen, doch Fenoglio hielt ihn mit einer Handbewegung zurück. »Ausgezeichnet, die tiella mit Kartoffeln und Artischocken. Geben Sie auch Zitrone hinein?« »Aber sicher doch! Soll ich die etwa ohne Zitrone machen?« »Gewiss, klar doch. Ohne Zitrone macht es gar keinen Sinn. Also, Sie erzählten uns gerade, dass Sie einkaufen waren und mit den Artischocken und den Kartoffeln heimgekommen sind. Ist Ihnen jemand begegnet?« »Das hab ich dem dort doch schon gesagt«, sie machte eine fahrige Bewegung in Richtung Pellecchia, »ich hatte gerade das Haustor geöffnet und da war dieser junge Mann, der sich dann blitzschnell verdrückt hat.« »Konntest du das Gesicht von diesem jungen Mann gut sehen?«, fragte Pellecchia, sich von den kaputten Sprungfedern des Sofas erhebend. »Absolut, und sehr gut hab ich den gesehen.« »Und wie war er?« »Groß, ein bisschen, als hätte er Sonne abgekriegt. Da hab ich zu ihm gesagt: Wer seid Ihr, junger Mann? Was sucht Ihr in diesem Haus?« »Und der?« »Der hat nur Scheiße von sich gegeben, verzeiht den Ausdruck.« »Und was genau?« »Er hat gesagt, dass er ein Paket abgeben sollte, aber sich in der Adresse geirrt hat. Er sagte, dass er zu einem anderen Haus gehen muss. Aber das war Schwachsinn.« »Warum war das Schwachsinn? Hatte er denn keine Pakete bei sich?« »Doch, ein Päckchen hatte er. Es war nicht groß, aber … es war wie … er hielt etwas eingewickelt, so war es. Es war eigentlich gar kein Paket.« »Und warum sagst du dann, dass es Schwachsinn war?«, fragte Pellecchia. »Weil er es weggeschmissen hat. Wenn er es hätte jemandem zustellen müssen, warum hat er es dann weggeworfen?« »Und woher weißt du das?« »Ich hab mit eigenen Augen gesehen, wie er es in den Müllcontainer geschmissen hat, und dann ist er zum Auto gegangen und weggefahren und so.« »Langsam, nur mit der Ruhe. Sonst begreifen wir es nicht, Signora. Sie haben behauptet, gesehen zu haben, wie er das eingewickelte Ding entsorgt hat. Richtig?« »Ja, er hat’s in den Müllcontainer geschmissen.« »Und dann ist er ins Auto gestiegen und davongefahren?« »Jawohl.« »Aber waren Sie da nicht bereits im Hausinnern?« »Nein, an dem Punkt wollte ich mit eigenen Augen sehen, was der junge Herr da macht. Ich hab die Einkäufe auf dem Boden abgestellt und hab mich schön in Position gebracht, also halb drinnen, halb draußen, ohne mich zu zeigen, und ich hab gesehen, wie er das Päckchen weggeworfen hat und dann zum Auto gegangen ist.« »Und ist er sofort weggefahren?« »Gleich ist er gestartet, der Wagen.« »Und was für ein Auto war das?« »Ich kenn mich da nicht aus mit den Automarken und so.« »War es groß, klein, welche Farbe?« »Normal war es, hellblau.« »Und ist Ihnen noch etwas anderes aufgefallen?« »Nein, aber ich weiß das Kennzeichen.« Fenoglio schluckte. Pellecchia zog die Nase hoch. »Wie haben Sie gesagt, Signora? Sie erinnern sich an das Autokennzeichen?« »Nein, ich weiß das doch nicht auswendig.« »Ja, also …« »Ich hab’s aufgeschrieben.« »Sie haben es aufgeschrieben?« »Wenn hier ein Auto steht, das nicht zum Haus gehört, schreib ich mir das Kennzeichen auf. Viele Male handelt es sich nämlich um einen Dieb, der zum Klauen hier ist, oder um einen anderen Übeltäter. Zum Beispiel waren da eines Abends zwei, die trieben es, ich weiß nicht, ob Ihr mich versteht, sie war halbnackt. Eine echte Sauerei, sodass ich die Polizei gerufen hab. Aber als die dann kam, waren die zwei Schweinepriester schon weg, ich weiß nicht, was die für eine Kinderstube hatten. So hab ich denen, den Polizisten, das Kennzeichen gegeben, aber dann hab ich nichts mehr gehört, nicht ob sie sie verhaftet haben und so.« »Signora, Sie wollen also sagen, dass Sie einen Zettel haben, auf dem das Kennzeichen von diesem Auto vermerkt...


Gianrico Carofiglio, geboren 1961 in Bari, war viele Jahre Antimafia-Staatsanwalt in Bari, 2007 Berater des italienischen Parlaments im Bereich organisierte Kriminalität, 2008-2013 Senator.
Autor zahlreicher preisgekrönter Krimis, die in 27 Sprachen übersetzt wurden.
Auf Deutsch bei Folio: Carlotto/Carofiglio/De Cataldo: Kokain. Crime Stories (2013).


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