E-Book, Deutsch, Band 2, 400 Seiten
Reihe: Die Soul-Sisters-Reihe
Carlan No Distance Between Us
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-641-29086-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, Band 2, 400 Seiten
Reihe: Die Soul-Sisters-Reihe
ISBN: 978-3-641-29086-3
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Addisons Leben war noch nie einfach. Als Neugeborene wurde sie in einem Wäschekorb vor einer Feuerwehrstation ausgesetzt und wuchs in verschiedenen Pflegefamilien auf. Erst ihre Ankunft im Kerrighan House – einem Ort der Liebe und des Zusammenhalts – ändert alles. Jahre später läuft Addisons Karriere als Model gut, und ihre Schwestern geben ihr ein Gefühl von Sicherheit. Bis sie sich einem Mann anvertraut, der sich als Monster herausstellt. Gerade als sie versucht, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen, trifft sie auf den Fotografen Killian. Er scheint ihren Schmerz zu verstehen und hilft ihr, Licht zu sehen, wo vorher nur Dunkelheit war. Doch kann er Addison vor dem beschützen, was auf sie lauert?
Audrey Carlan ist eine international erfolgreiche Bestsellerautorin. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre prickelnden Romance-Reihen Calendar Girl, Trinity und Dream Maker. Ihre Bücher wurden weltweit in über 30 Sprachen übersetzt.Audrey Carlan lebt gemeinsam mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern im California Valley. Wenn sie nicht schreibt, gibt sie Yoga-Unterricht, trinkt mit ihren »Seelenschwestern« Wein oder steckt mit ihrer Nase in einem sexy Liebesroman.
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Kapitel 1
»Kinn hoch, Brust raus, Rücken gerade, Kopf gerade. Ich schaff das«, sprach ich mir selbst Mut zu und zog tief und schnell die Luft ein, während ich mein Konterfei im Flurspiegel meines Elternhauses betrachtete.
Des Kerrighan House.
Einem Zuhause für verwaiste Mädchen. Na ja, das war es jedenfalls früher. Heute war es bloß noch ein Zuhause. Jener Ort, an dem wir »Schwestern« regelmäßig zusammenkamen – wie ganz normale Geschwister, die ihre Eltern besuchten. In unserem Fall war es jedoch nur ein Elternteil – Singular. Aber die Liebe, die Mama Kerri jeder einzelnen von uns schenkte, war tausendmal mehr wert als die jedweder Familie, die ich je erlebt hatte oder in der ich vor meiner Ankunft vor beinahe zwei Jahrzehnten untergebracht gewesen war. Damals war ich acht gewesen, ein verängstigtes, verstörtes kleines Mädchen. Heute, mit sechsundzwanzig, wohnte ich wieder in meinem alten Zimmer, war genauso durch den Wind wie damals und zudem halb wahnsinnig vor Angst.
»Er ist tot«, sagte ich zu meinem Spiegelbild. »Er kann dich nicht mehr kriegen.« Ich beobachtete mein Mienenspiel, zwang mich, das Kinn zu lockern, meine Züge zu entspannen und in den Spiegel wie in eine Kamera zu schauen. Genauso pflegte ich mich auf Shootings vorzubereiten. Als Model musste ich meine Gefühle unter Kontrolle behalten. Und normalerweise beherrschte ich diese Kunst meisterlich. Aber als ich jetzt in den Spiegel blickte, sah ich nicht nur die unzähligen Narben an den Innenseiten meiner Unterarme, sondern auch die Furcht, die ich selbst nach drei Monaten noch nicht hatte abschütteln können.
Von meinen Eltern, die ich nie kennengelernt hatte und deren Bekanntschaft ich selbst irgendwann nicht machen würde, hatte ich das dunkelbraune Haar mit den wunderbaren natürlichen karamellfarbenen und rötlichen Akzenten geerbt, das mir bis zur Mitte des Rückens hinabfiel. Smaragdgrüne Augen, die ein wenig ins Blaue spielten, starrten mich an. Volle Lippen in einem herzförmigen Gesicht, das Frauen und Männer auf der ganzen Welt gleichermaßen bewunderten. Ich fuhr mit den Händen über meine großen Brüste, dann weiter an der Taille entlang bis hinab zu meinen Hüften, die früher einmal sehr üppig gewesen waren. Meine beneidenswerte Sanduhrfigur hatte ein wenig gelitten, denn nach jenem Martyrium hatte ich zunächst ziemlich abgenommen, immerhin aber danach durchaus wieder ein wenig zugelegt. Als Plus-Size-Model für Bademoden und Unterwäsche bevorzugte mich meine Kundschaft in Kleidergröße 42 bis 46. Nachdem ich drei Monate lang körperlich gesundet war, aber seelisch die Hölle durchgemacht hatte, saß Größe 42 immer noch ein wenig locker. Doch ich wusste, dass mein Körper umso heißer und sinnlicher aussah, je fülliger er war. Natürlich hatte ich deshalb noch lange nichts gegen schmal gebaute Frauen. Jede einzelne meiner sieben Pflegeschwestern wog weniger als ich, aber trotzdem waren alle äußerst attraktiv und fühlten sich wohl in ihrer Haut. Genauso war es mir früher auch gegangen, bis ein Teil ebenjener Haut bis zur Unkenntlichkeit verbrannt worden war.
»Addy! Kleines, bist du endlich fertig?«, fragte meine Pflegeschwester und beste Freundin Blessing, während sie auf ihren schwindelerregend hohen Stilettos die Treppenstufen hinabstolzierte.
Ich warf meinem deprimierten Spiegelbild noch einen letzten Blick zu. Ich konnte nur hoffen, diesem neuen Auftrag gewachsen zu sein. Das Honorar würde sehr großzügig ausfallen, obwohl ich eigentlich gar nicht darauf angewiesen war. Dennoch beruhigte mich der Gedanke, eine beträchtliche Summe auf der hohen Kante zu haben, falls ich selbst oder eine meiner Schwestern mal in der Patsche saß. Bevor ich im Kerrighan House aufgenommen wurde, hatte ich nie gewusst, woher ich meine nächste Mahlzeit kriegen sollte. Damals musste ich mich stets fragen, ob ich mich in den zahllosen Pflegefamilien, in denen ich untergebracht gewesen war, gegen andere hungrige Kinder würde zur Wehr setzen müssen oder nicht. Das hatte sich erst an jenem Tag geändert, an dem Mama Kerri und meine neuen Schwestern mich mit offenen Armen empfangen hatten. Nach meiner Ankunft im Kerrighan House gab ich mir selbst das Versprechen, eines Tages etwas ganz Besonderes aus mir zu machen. Genug Geld zu verdienen, um für mich selbst und für alle, die ich liebte, zu sorgen. Also vor allem für Mama Kerri, die weltbeste Pflegemutter aller Zeiten, und für meine sieben Pflegeschwestern: Blessing, Sonia, Simone, Liliana, Genesis, Charlie und die vor Kurzem verstorbene Tabitha.
Tabby.
Meine Augen füllten sich mit Tränen, und mein Herz pochte wie eine laute Basstrommel gegen meine Brust, denn plötzlich zuckten mir Bilder von Tabby durch den Kopf. Wie sie mich neckte, wie sie mich fotografierte, wie sie lachte.
»Hey, Süße, ich habe dich gefragt, ob du bereit bist? Das sind wichtige Kunden von mir und jetzt auch von dir. Wenn du dem Auftrag noch nicht gewachsen bist, hätten sie sicher Verständnis, aber dann müssten sie ein anderes Model buchen. Du weißt, dass ich am liebsten dich in meinen Klamotten und meiner Unterwäsche sehe, aber dieser Kunde ist so einflussreich, dass er meine Entwürfe in die großen Kaufhäuser bringen kann. Wir reden von Macy’s, Nordstrom, Dillard’s und so weiter. Im Augenblick verkaufe ich eher an hochpreisige Boutiquen, doch auf lange Sicht will ich so richtig absahnen. Du weißt, was ich meine.«
Ich schloss die Augen, schluckte und nickte. »Ja, klar, Blessing. Ich verstehe dich, und ich bin bereit. Ganz bestimmt. Trotzdem macht es mir Angst, zum ersten Mal wieder vor der Kamera zu stehen.«
Blessing legte mir einen Arm um die Schultern und betrachtete uns beide im Spiegel. Sie war ein paar Zentimeter kleiner als ich, aber durch die High Heels überragte sie meine eins achtzig heute durchaus. Ihre schwarzen, perfekt gestylten Afrolocken wippten um ihren Kopf herum. Ihre seidige schwarze Haut schimmerte wie Flusskiesel und fühlte sich auch genauso weich an. Wie üblich duftete sie nach einer Mischung aus Kokosöl und einem großzügig aufgetragenen leichten, beschwingten Parfüm, das mich an den Frühling am Kiesstrand von Cannes in Südfrankreich erinnerte. Dort hatten bereits häufiger Shootings von uns stattgefunden.
»Ich bin an deiner Seite. Rund um die Uhr. Du wirst nie allein sein, okay?«, versicherte mir ihr Spiegelbild, und ihre espressofarbenen Augen musterten mich mit eindringlichem Ernst. Seit jenem Tag, da Simone und ich den Anschlag eines Verrückten überlebt hatten, ließ sie die große Schwester raushängen. Selbst an guten Tagen war Blessing stets bestrebt, ihre Wahlfamilie, bestehend aus uns Pflegeschwestern und Mama Kerri, zu behüten. Aber nachdem unser Leben in Gefahr gewesen war und wir Tabby verloren hatten, hatte ihr Beschützerinstinkt extreme Ausmaße angenommen. Ein schiefer Blick reichte, und schon machte sie den Betreffenden nach Strich und Faden fertig. Leider war das im Hinblick auf die Paparazzi nicht sonderlich hilfreich.
Nachdem durchgesickert war, dass Simone, die leibliche Schwester von Senatorin Sonia Wright-Kerrighan, ebenso in den Backseat-Strangler-Fall verwickelt gewesen war wie zwei ihrer Pflegeschwestern, spielte die Presse verrückt. Ich selbst war gekidnappt worden, Tabitha war sogar gestorben. Als dann auch noch meine Identität ans Licht kam – Addison Michaels-Kerrighan, internationales Haute-Couture-Model für Übergrößen – und sich herausstellte, dass ich in meiner Branche durchaus über einen gewissen Bekanntheitsgrad verfügte, wurde es noch schlimmer. Die Paparazzi gaben überhaupt keine Ruhe mehr. Sie kampierten sogar vor dem Kerrighan House in der Hoffnung, einer von uns aufzulauern, wenn sie das Haus verließ, um ihren täglichen Aufgaben nachzugehen. Inzwischen wohnten bloß noch Blessing und ich bei Mama Kerri. Unsere restlichen Schwestern waren in ihr jeweiliges Domizil und ihren Alltag zurückgekehrt und kamen nur zu unserem allwöchentlichen Familiendinner zu Besuch.
Ich biss die Zähne zusammen und schnappte mir meine riesige Sonnenbrille vom Tisch unter dem Spiegel, wo ich auch meine Tasche abgestellt hatte. Dann setzte ich sie auf. Blessing tat es mir gleich – die ihre war modisch rund mit Goldrand und passte perfekt zu ihrem atemberaubenden blauen Pullover und dem goldenen Gürtel, der ihre zierliche Taille umspannte. Ihr Hintern hingegen war wohlgerundet und prall wie ein Medizinball. Blessing trainierte beinahe genauso viel wie Sonia, aber vornehmlich, um ihren geradezu unstillbaren Appetit auszugleichen. Letzterer gehörte zu den Gemeinsamkeiten, auf denen unsere innige Verbundenheit beruhte und die uns sofort auffielen, als Mama Kerri mich vor all den Jahren im selben Zimmer wie sie einquartierte.
»Wollen wir danach zusammen zum Mittagessen gehen?« Ich schlang mir die Tasche über die Schulter und legte die andere Hand auf den Türknauf.
Ihre Lippen verzogen sich zu einem schwachen Grinsen. »Klaro. Und jetzt gönnen wir diesen Aasgeiern einen tollen Schnappschuss, was? Zeigen wir ihnen, wie gut es uns geht. Vielleicht hauen sie dann ab und lassen uns endlich in Ruhe.«
»Man soll die Hoffnung nie aufgeben.« Ich lachte leise und öffnete die Tür.
Sofort blitzten unzählige Kameras auf, und man bestürmte uns mit lauter Fragen.
»Ms. Michaels, wie fühlt es sich an, den Backseat Strangler überlebt zu haben?«
»Wie steht die Senatorin zu den Ereignissen?«
»Können Sie uns irgendetwas über Wayne Gilbert Black sagen?«
Blessing packte mich fest am Ellbogen und führte mich zu dem von...




