Die englischen Jahre
E-Book, Deutsch, 203 Seiten
ISBN: 978-3-446-25340-7
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Aus England
Ich bin in Verwirrung über England, es war ein ganzes Leben, eingefügt in ein Früher und Später und im Grunde ausreichend für alles. Ich muß nach dem Chaos überlegen, was aus dieser scheinbaren Ordnung zu gewinnen ist. Ach, welche Ordnung. Man war nahe daran zu glauben: eine Ordnung für ewig. Kaum war der Krieg gewonnen, die Siegesfeier, das Feuer auf der Heath, begann der Zerfall. Eine Weile noch hielt man sich in der Ordnung des Krieges. Vieles war rationiert, man trug es diszipliniert. Murren ist in diesem Lande nie gefährlich – so schien es. Es muß einmal gefährlich gewesen sein, als die biblischen Streitigkeiten ausbrachen, in jenem fernen 17. Jahrhundert. An diese Zeit vermag ich noch immer nicht zu glauben. Es kommt mir wie eine sehr aufgeregte Geschichte vor, mit wunderbaren Berichten. Eine Sprache, die noch gar der Bibelübersetzung entstammt oder dem großen Drama. Wie dicht war England damals? Schottland war noch Schottland und Irland erst scheinbar erobert. Aber Engländer tummelten sich schon auf allen Meeren, plünderten Spanier, führten gegen Holländer Krieg, köpften ein Jahr nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges ihren König. Wie hing das zusammen? Wurde dieser Krieg auf die Insel verlagert, kaum war er auf dem Festland endlich beschlossen? Ich denke an die großen Dichter seit Shakespeare, die noch in dieses 17. Jahrhundert hinüberreichen: ein Ben Jonson, John Donne, Milton, Dryden, und an den jungen Swift. Welche Prosa in der ersten Hälfte! Burton, Sir Thomas Browne, John Aubrey, nie werde ich genug von ihnen gelesen haben. Bunyan, George Fox. Hobbes, dieser allein schon unermeßlich. Wie kümmerlich Deutschland damit verglichen! Spanien mehr. Frankreich genug, aber die größte Literatur von allen in diesem Jahrhundert ist die englische. Sie ist auch im nächsten mehr als die aller andern. Im 19. Jahrhundert immer noch. Was ist ihr in diesem Jahrhundert geschehen! Ich hatte in England gelebt, als sein Geist zerfiel. Ich war Zeuge des Ruhmes eines Eliot. Wird man sich je genug dessen schämen? Ein Amerikaner bringt einen Franzosen mit aus Paris, der jung verschwand (Laforgue), träufelt seinen Lebensekel auf ihn, lebt wahrhaftig als Bankangestellter, während er alles Frühere taxiert, verringert, was immer mehr Atem hat als er, läßt sich von seinem verschwenderischen Landsmann, der die Größe und Spannung eines Verrückten hat, beschenken und rückt mit dem Ergebnis heraus: seiner Impotenz, die er dem ganzen Lande mitteilt, ergibt sich jeder Ordnung, die alt genug ist, sucht jeden Elan zu verhindern, ein Wüstling des Nichts, Ausläufer Hegels, Schänder Dantes (in welche Höllenregion würde ihn dieser sperren?), dünnlippig, kaltherzig, frühalt, Blakes unwürdig wie Goethes und jeder Lava, erkaltet bevor er heiß war, weder Katze noch Vogel noch Kröte, schon gar nicht Maulwurf, gottgehorsam, nach England gesandt (als wäre ich zurück nach Spanien), mit kritischen Spitzen statt Zähnen, von einer mannstollen Frau gequält – seine einzige Entschuldigung –, so sehr gequält, daß ihm die »Blendung« eingegangen wäre, wenn er sich an sie gewagt hätte, einen höflichen Tom in Bloomsbury, von der edlen Virginia erlaubt und eingeladen, allen, die ihn zu Recht gerügt haben, entronnen, und schließlich durch einen Preis ausgezeichnet, den nicht Virginia, nicht Pound, nicht Dylan, den niemand, der ihn verdient hätte – außer Yeats – bekam. Von dem Ruhm dieser erbärmlichen Figur war ich Zeuge. Ich hörte von ihm zuerst – ich kannte nicht seinen Namen –, als ich – in der allerersten Zeit – in Hyde Park Gardens wohnte. Jasper Ridley, ein junger Mann, der Oxford hinter sich hatte und ganz wenige Monate vor Kriegsausbruch der Mann der Cressida Bonham-Carter wurde, nannte ihn freundlich belehrend als den Neuen, den eigentlichen Dichter und machte mir zur »Einführung« seine »Elizabethan Essays« zum Geschenk. Wenige Jahre später fiel er blutjung im Krieg und Cressida, seine Witwe blieb mit einem kleinen Sohn von ihm zurück. Diesem freundlichen, eifrigen, offenen, heiteren, schwachen Mann, dem ich das beste Andenken bewahre, verdanke ich den Namen der trockensten Figur des Jahrhunderts, von der ich später, zum Kriegsende, als er sich der Religion seiner Vorfahren zuwandte, um sie für die der Könige aufzugeben, mehr und mehr hörte, so viel, daß beinahe nichts anderes übrig blieb. An dieser Figur hätte ich erkennen müssen, was mit England geschieht. Aber der Krieg kam dazwischen, in dem England der Welt als letztes sein Bestes gab, den ersten Widerstand gegen den Wahn, der alles zu verschlingen drohte. Man ist diesem Land für vieles dankbar, aus der wahren Geschichte der Menschheit läßt es sich so wenig auslassen wie Florenz und Venedig, Athen und Paris. Aber daß ich in dieser selben Zeit des Krieges das Glück seiner . . . . . empfing, machte mich unempfindlich für den Geruch der Entkräftung, der von Eliot ausging. Ich kann nicht maßvoll sein, über England schon gar nicht. Sklavenhalter waren überall, aber wo außer in den Pflanzungen Englands kam es zu einer Unerbittlichkeit der Freiheit. Wo kam es zur Verweigerung, die schon bei den Quäkern begann. Wo kam es zu mehr als Begrifflichkeiten, nicht zu Hegel, aber auch nicht zu den erbarmungslosen Gefühlsüberschwemmungen Wagners und Nietzsches. Das Schlimmste an England sind die Vertrocknungen, das Leben als gesteuerte Mumie. Es ist nicht, wie man meint, das Viktorianische (die Maske der Heuchelei läßt sich abreißen und es ist etwas dahinter), es ist die empfohlene Vertrocknung, die mit Maß und Gerechtigkeit beginnt und in Gefühlsimpotenz endet. Um wahrhaftig zu sein, müßte man jede überflüssige Demütigung finden, die einem in England bereitet wurde, sie so mit Leben wieder erfüllen, daß sie als Pein besteht; und dann jede Zartheit, die einem Demütigung zu ersparen suchte: sie gegeneinanderhalten, abwägen und wieder zur Auflösung bringen, die sie in einem erfahren haben. Das Eine wie das Andere und beides ineinander wäre die Wahrheit. Einzelnes, das wieder zu beleben wäre: Mai 1945: das Ende des Krieges. Die Art der Siegesfeier. Die Feuer auf Hampstead Heath. Die Tanzenden in Downshire Hill. Staunen, Ekel, Entzücken. Hetta und William Empson. Ihre Parties, die nie wie andere Parties waren, schon weil Empson nicht schwieg, ununterbrochen sprach, Klügstes und nie einen anderen hörte, der nicht dieselbe höchst kultivierte Sprache sprach. In allen Jahrzehnten, da ich Hetta und ihn kannte, ich wohnte in nächster Nähe von ihnen, hat dieser sehr gescheite Mann, einer der besten und eigenwilligsten Kenner der englischen Literatur, der sie in Japan und China unterrichtete und lange im Osten lebte, nicht einen Satz an mich gerichtet, der eine Antwort erfordert hätte. Bis zum heutigen Tage weiß ich nicht, ob er irgendeine Vorstellung von mir hatte. Als nicht lang nach dem Krieg eine Schule von Dichtern sich von ihm herzuleiten begann (als Reaktion gegen den Überschwang von Dylan Thomas), traf ich welche von ihnen auf seinen Parties, die »Auto-da-Fé« gut kannten, ernstnahmen und diskutierten. Er selbst hat nie ein Wort darüber zu mir verloren, er müßte es gelesen haben, er war ein Freund Arthur Waleys, der aus seiner Bewunderung dafür nie ein Hehl machte. Ich weiß nicht, ob er auch nur eine Ahnung davon hatte. Er verschlang Tag und Nacht Bücher, ein durch und durch geistiger und literarischer Mann, Literatur-Professor in Sheffield, für seine Bücher über literarische Dinge so berühmt wie für seine Gedichte. Ich hörte ihn oft sprechen, er hatte Witz und Schärfe, war äußerst rasch, unablenkbar, in Strömen von deutendem Wissen, persönlichster Meinung und exakter Gelehrsamkeit, vielleicht der flüssigste, inspirierteste, äußerst klare Sprecher, den ich unter Dichtern in England erlebt habe. Je länger schon, da Thatcher nicht mehr am Ruder ist, so friedlicher und freundlicher wird meine Erinnerung aus England. Da fallen mir plötzlich Dinge ein, die ich dort mit Lust erlebt habe und Dinge, die mir an Menschen gefielen, die Rücksicht und Charakter hatten. Die eigentlich heftigen Abneigungen werden nicht geringer, mit jeder Erinnerung steigern sie sich, ich kann den Namen Eliot nicht unter den Bleistift bringen, ohne gegen ihn wieder losziehen zu müssen. Vielleicht war es die eine Einrichtung dieses Lebens, was mich am meisten an ihm irritierte, seine frühe Bereitschaft zum Leben in einer Bank, und später die selbstverständliche Leitung eines sehr angesehenen Verlags, die ihm Macht über Dichter gab. Zuletzt die Entscheidung, Altersdramen zu schreiben, durch deren Aufführung er Geld verdienen konnte, er hat daraus nie ein Hehl gemacht, daß dies sein Ziel war. Nun habe ich nie persönlich mit ihm etwas zu tun gehabt. Ich kannte ihn nur ganz flüchtig. Wohl aber traf ich während einiger Jahre des öftern bei der Kathleen Raine seinen Wachhund John Hayward, der in Chelsea mit ihm zusammenwohnte und durch dessen Zimmer Eliot hindurchgehen mußte, um in sein eigenes zu gelangen. John Hayward war gelähmt und war an den Rollstuhl gefesselt, von selber konnte er sich nicht fortbewegen, immer mußte jemand seinen Wagen schieben. Sein Gesicht war entstellt durch eine enorme Unterlippe, deren rotes Fleisch nie zu verbergen war, das gab seinem Gesicht einen etwas tierischen Ausdruck, das aber im Gegensatz zu den voll ausgebildeten Sätzen stand, deren er sich zu jeder...