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E-Book

E-Book, Deutsch, 64 Seiten

Canetti Hochzeit

E-Book, Deutsch, 64 Seiten

ISBN: 978-3-446-25343-8
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



"Die Sprache der Menschen in diesem Stu?ck ist so, dass sie Verwirrung jeder Art ausdrückt, dass eine Figur nicht wirklich versteht, was die andere meint, jede nur sich selbst ausdrückt … Es ist so, wie wenn Menschen in fremden Sprachen zueinander sprechen würden – ohne sie zu kennen; nur glauben sie, dass sie die Sprache kennen, wodurch eine neue Dimension des Nichtverstehens entsteht." Elias Canetti über sein Theaterstück "Hochzeit"
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Die Hochzeit
Von der Decke des länglichen Festraumes hängt ein ungeheurer Kronleuchter herab. Drei breite Fenster, in einer Reihe, gehen wohl auf die Straße. Ein Tisch davor steht beinahe leergegessen und verlassen da. Rechts und links öffnen sich Türen. Eine bald lärmende, bald anmutige Musik flutet aus einem Nebenraum herüber. Die Hochzeitsgesellschaft, in kleine Gruppen aufgelöst, befindet sich bereits wohl. Brautvater Segenreich, Johanna die Brautmutter, Direktor Schön ein Freund. Segenreich: Ich bin der Vater! Schön: Ist das auch wahr? Johanna: Ich kann es beeiden! Er ist der Vater. Der glückliche Vater. Schön: Das sagt jede. Johanna: Vater, Vater, der Direktor Schön glaubts nicht. Segenreich: Der Glaube macht selig. Ich bin der Vater. Ich bleib der Vater und da können hundert Schwiegersöhne kommen. Ich sag, das ist mein Fleisch und Blut. Ich hab auch das Haus gebaut. Jetzt soll mir einer die Vaterschaft abstreiten. Am Polterabend bin ich erst recht der Vater. Wenn ich am Polterabend nicht der Vater bin, wann bin ich dann sonst der Vater? Ich war immer der Vater. Drei hab ich auf die Welt gesetzt, ich Karl Christian Segenreich persönlich. Zwei Mädeln, einen Buben, sie sollen aufmarschieren! Christa! Christa! Steh stramm, wenn der Vater dich aufruft! Christa! Christa! Wirds bald! Johanna: Laß sie gehn! An ihrem süßen Tag! Bleich schaut sie aus, mein Käsepupperl! Wenn sie nur nicht so jung wär! Sie wird ihn nicht verstehn. Hat sie ihn auch zum Fressen gern? Er ist so schrecklich fein, wie kusselig er ausschaut. Mit den Wuschelaugen und dem treuherzigen Haar. Ich hab ihn zu zu gern. (Segenreich geht auf die Suche) Goldig find ich ihn, goldig und süß, wie der Frack ihm steht, wie angegossen, und gescheit ist er, er redet nicht leicht was, er verbrennt sich nicht den Mund, ich finde, er ist noch gescheiter wie mein Mann. Schön: Aber schön ist er nicht. Johanna: Schön ist überflüssig. Sind Sie vielleicht schön, Schön? Schön: Dafür heiß ich so. Johanna: Für den Namen kauf ich mir nichts. Was hab ich vom Namen? Schön: Jetzt gefällt Ihnen der Bräutigam besser wie ich. Johanna: Geschieht Ihnen recht, warum tun Sie gar so mit der Zart? Ich kann die Zart nicht leiden. Zwei Jahre ist ihr Mann erst unter der Erd und sie amüsiert sich schon. Einen Freund hat sie und auf dem Polterabend meiner eigenen Tochter kommt sie her und kokettiert mit meinem Freund. Schön: Hab ich nur kokettiert gesagt? Johanna: Also noch schöner! So gut bist du schon mit ihr. Schau sie dir an, das Stecken! Schön: Aber ich kenn sie doch aus dem ff. Eine Mimose! Johanna: Mimose? Mimose? Damit jeder sie anrührt! Das kann ich auch. Schau sie dir an, das magere Stecken, ich würd mich ja schämen, so unter die Menschen zu gehen! Warum geht sie nicht als Mann verkleidet? Sie hat keinen Busen, sie hat keine Hüften, sie hat keine Waden, nichts hat sie, was zu einer Frau gehört. Ich hab alles. Bitte, du weißt es. Ich ruf dich zum Zeugen an! Hab ich alles, was zu einer Frau gehört, oder hab ich es nicht? Schön: Pst, dein Alter! Segenreich: Sie kommen nicht. Marie! ruf ich. Sie hat keine Zeit. Karl! Er ist kein Junge mehr, sagt der Flegel, kein Bub, aber ein Bube ist er, was, Mutter, und wir sind der Vater und haben unseren großen Tag. Morgen gleich muß die Christa kleine Enkeln kriegen, für uns zwei, die Familie Segenreich blüht und das geht ewig so weiter. Alte, auf wieviel Enkel tippst du? Ich sag acht. Johanna: Lieber neun. Schön: Nie hat sie genug. Segenreich: Direktorchen, halts Maul. Von meiner Alten verstehst du nichts. Schön: Jetzt kenn ich euch zwölf Jahr. Segenreich: Mit dem Kennen ist es nicht getan. Aufs Wetter da kennst du dich aus. Du spürst gleich den Wind, von wo er kommt. Das will ich dir zugeben. Schön: Ich hab eine Nase. Segenreich: Das will ich dir zugeben. Die Wahrheit bestreit ich nicht. Ich hab eine Vorliebe für die Wahrheit und für die Klarheit noch von früher her, das war mein Beruf. Meine Häuser hab ich alle grad gebaut. Ich bitte sich in figura zu überzeugen. Das sind Mauern. Da nützt keinem seine Nase was, vor solchen Mauern scheißt der Wind in die Hosen, und was ein intelligenter Sturm ist, sagt gleich pardon. Ich bin so. Ich bleib so. Ich bin der Brautvater. Aber von Weibern verstehst du nichts, lieber Freund, das beweise ich dir, schwarz auf weiß, oder weiß auf schwarz, wie du lieber willst, ich bin nicht so genau mit den Farben. Schön: Wie willst du das beweisen? Johanna: Ich hab bei dem Schön immer das Gefühl, man erfährt einmal etwas recht Dreckiges über ihn, so etwas ekelhaft Dreckiges, ich kann gar nicht kosten wie dreckig, so eine uneheliche Liebschaft oder so. Segenreich: Bei meiner Alten rappelts Schön: Du lieber Gott, die lange Dienstzeit … Segenreich: Und das hohe Alter und die kolossale Figur. Johanna: So. Ich denke, du hast das gern. Segenreich: Das ist schon mehr als orientalisch. Du und die Witwe Zart, ihr könnt beide einpacken. Ihr seid nichts. Ein richtiger Mann spuckt euch nicht an. Johanna: Sie helfen mir nicht, Schön? Schön: Wie dürfte ich es wagen? Sonst glaubt der Herr Gemahl, ich hab bei Ihnen Erfahrung. Er wird schon wissen, warum er so redet. Jetzt seid ihr doch verheiratet – ich weiß nicht einmal – Beide: Siebenundzwanzig Jahre. Schön: Doch so viel. Meine Reverenz euch beiden, Herrschaften, ich haltete das nicht aus. Segenreich: Was du schon aushaltst! Du verstehst nichts von den Weibern. Und jetzt kommt der Beweis. Ich halt das nicht länger aus, der drückt mich, wenn ich sagen soll. Ich frage dich, Schön! Schön: No? Segenreich: Auf Ehr und Gewissen! Schön: Auf Ehr und Gewissen? Gut, gut, was willst du denn? Segenreich: Auf Ehr und Gewissen. Schau in dein Herz hinein! Tief schau hinein, ganz tief, zu allertiefst im Keller, wo es stockdunkel ist! Schön: Ja gut, hör auf, ich sags schon, was willst du, red doch, du machst mich nervös. Segenreich: Hast du Kinder? Schön: Ja woher soll ich Kinder haben? Ich bin doch nicht verheiratet. Segenreich (lacht dröhnend): So, Alte, jetzt siehst du selbst. Der weiß nicht einmal, daß es ehelose Kinder gibt! Er weiß es nicht! Er weiß nicht, wie man die Kinder macht! Er weiß es nicht, Mutter, ich ersticke! Klopf mir mal auf den Rücken, Schön, ich ersticke, du weißt es nicht, ich ersticke, lieber Junge, ich ersticke, du weißt es nicht! Schön (klopfend): Wo weiß ich es?   Johanna, Michel der Bräutigam.   Johanna: Wirst du auch immer lieb zu ihr sein, Junge? Michel: Aber Mutter! Johanna: Du meinst, das versteht sich von selbst. Du hast recht, mein Junge. Michel: Aber Mutter! Johanna: Weißt du auch, wie man ein junges Mädchen behandelt, mein Junge. Da muß man sehr sehr vorsichtig sein. Ich fürchte, ich fürchte, du bist nicht reif genug dazu. Du darfst meinem Kind nicht weh tun, Michel, tu ihr nicht weh, sie ist meine Älteste, ich hab sie empfangen, ich hab sie geboren, ich will sie nicht umsonst empfangen haben. Kennst du dich aus? Michel: Aber Mutter! Johanna: Du bist so ein reizender Junge mit deinen Wuschelaugen und dem treuherzigen Haar. Als Schwiegersohn hab ich dich zum Fressen gern. Weißt du überhaupt, wem du die Christa verdankst? Michel: Dir Mutter. Johanna: Du reizender Kerl du, mir, deiner...


Canetti, Elias
Elias Canetti wurde 1905 in Rustschuk/Bulgarien geboren und wuchs in Manchester, Zürich, Frankfurt und Wien auf. 1929 promovierte er in Wien zum Dr. rer. nat. 1930/31 erfolgte die Niederschrift seines Romans Die Blendung, der 1935 erschien. 1938 emigrierte Canetti nach London, wo er anthropologische und sozialhistorische Studien zu Masse und Macht (1960) aufnahm. Ab den 1970er Jahren lebte er vorwiegend in der Schweiz und erlangte weiterreichende Berühmtheit mit seinen Theaterstücken, den Aufzeichnungen und den autobiographischen Büchern, darunter Die gerettete Zunge. 1981 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur verliehen. 1994 starb er in Zürich.


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