Predigten
E-Book, Deutsch, 120 Seiten
ISBN: 978-3-290-17224-4
Verlag: TVZ Theologischer Verlag Zürich
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Herausgeber/-innen Niklaus Peter, Dr. theol., Jahrgang 1956, ist Pfarrer am Fraumünster in Zürich und Vizedekan des Pfarrkapitels Zürich. Gottfried W. Locher, Pfr. Dr. theol. Dr. h. c., Jahrgang 1966, ist Präsident des Rates des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes SEK. Simon Butticaz, Pfr. Dr. theol., Jahrgang 1980, ist Projektleiter Predigtpreis beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund SEK und Dozent für Neues Testament an der Theologischen und Religionswissenschaftlichen Fakultät der Universität Lausanne. Line Dépraz, Pfr., Jahrgang 1967, ist Mitglied der Jury Predigtpreis und Synodalrätin der Waadtländer reformierten Kirche.
Autoren/Hrsg.
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|13| Niklaus Peter, Präsident der Jury für die deutschen und rätoromanischen Predigten Zu den prämierten deutschsprachigen Predigten
Ein Anliegen des «Schweizer Predigtpreises» war es zu zeigen, dass es hierzulande eine lebendige Predigtkultur gibt. Keineswegs sollte es darum gehen, eine Superpredigerin oder einen Superprediger aufs Podest zu heben, gewissermassen eine theologische «Voice of Switzerland» zu küren, vielmehr darum, die Vielfalt dieser Predigtkultur sichtbar zu machen: Deshalb dieses Buch mit dem schönen Titel «Ausgesprochen reformiert». Ein Wettbewerb schliesslich, in dem es nicht um die Einführung unguter «Rating»-Moden gehen sollte, sondern um Gespräche über gute Predigten. So wie Literaturwettbewerbe das Gespräch darüber fördern, was gute Literatur ist. Wertungen sind unabdingbar, aber auch heikel. Deshalb braucht es Transparenz. Die vom SEK berufene Jury – wir sprechen hier nur von der Jury für die deutschen und rätoromanischen Predigten – war folgendermassen zusammengesetzt: Ralph Kunz und David Plüss, beide Professoren für Homiletik, die Studierende in die Kunst des Predigens einführen; Chatrina Gaudenz, Religionswissenschafterin/ Radiojournalistin, und Walo Deuber, Germanist/Filmemacher – zwei Nichttheologen, die sich professionell mit dem Thema sprachlicher Kommunikation befassen; schliesslich zwei Pfarrpersonen, Ivana Bendik und Niklaus Peter, die selber regelmässig predigen. Alle 181 eingesandten Predigten deutscher Sprache wurden uns, das war unser expliziter Wunsch, vom SEK vollständig anonymisiert auf Papier zugeschickt, und das heisst: |14| alle Hinweise auf Orte, Gemeindespezifika und Personen, die Rückschlüsse erlaubt hätten, waren auf den Kopien verdeckt. In drei mehrstündigen Sitzungen haben wir uns zuerst auf Kriterien für eine Beurteilung verständigt, danach die zum Teil abweichenden Bewertungen diskutiert und revidiert. So haben wir uns schliesslich einstimmig auf einen Hauptpreis, auf den Sonderpreis und auf die acht weiteren preiswürdigen Predigten geeinigt, die hier ex aequo zusammen mit den fünf von der französisch-/italienischsprachigen Jury ausgewählten und übersetzten Predigten publiziert sind. Die sechs für uns leitenden und auf einem Blatt ausführlicher beschriebenen Kriterien waren folgende: a) Ist die Predigt gut gebaut? b) Spricht sie persönlich und aktuell an? c) Eröffnet die Predigt neue Perspektiven, lernt man etwas? d) Ist der Bibeltext ernstgenommen, wird er ausgelegt? e) Hat die Predigt eine prägnante, theologische Botschaft? f) Bringt die Predigerin, der Prediger sich authentisch ein? Als die Zahl der Einsendungen kontinuierlich auf schliesslich 181 anwuchs, wurde uns etwas mulmig zumute. Berichtet nicht Jacob Burckhardt in seinen «Weltgeschichtlichen Betrachtungen» von jenem englischen Historiker, der über dem Lesen schottischer Puritaner-Predigten eine akute Gehirnlähmung bekommen habe? Nun, diesbezügliche Befürchtungen legten sich schnell, denn die Lektüre der eingesandten Predigten war über weite Strecken eine schöne und erfreuliche Sache, die Schwierigkeit eher, nur 10 preiswürdige auszuwählen. Der Schweizer Predigtpreis 2014 geht an Caroline Schröder Field für ihre Elia-Predigt, die uns durch ihre klare narrative Linie, durch ihre theologische Prägnanz und seelsorgerliche Tiefe beeindruckt hat, mit der die Geschichte Elias, des kämpferischen Propheten, erzählt wird. Wie dieser sich mit seiner ganzen Existenz für die Achtung des ersten Gebotes einsetzt. Wie er dabei aber eine Grenze überschreitet, jene zwischen Gottesgewissheit und Machtmissbrauch, und dann in eine Krise gerät. |15| Mit feiner Aktualisierung beschreibt Schröder Field diese als eine Erschöpfungsdepression, als ein Zusammenbrechen aller Gewissheiten und alles Gotteseifers, als einen Gang in die Wüste (1Kön 19,4–13a), wo der Prophet mit sich und Gott alleine ist, ihm nun auf eine andere, berührende, geheimnisvolle Weise im Gebet neu nahekommt. Und dann Stück für Stück zurück auf den Lebenspfad geführt wird bis zu dem Punkt, wo Elia Gott selbst in einem zärtlichen Flüstern, in einer «Stimme verschwebenden Schweigens» (so Bubers Übersetzung) begegnet. Bewegend, wie die Predigerin dann ganz persönlich fortfährt: «Darum glaube ich von Elia her dies: Gott ist da am dichtesten bei uns, wo unser zerbrochenes Herz zwischen Leben und Tod schwebt. Denn da – im Schwebezustand zwischen Leben und Tod – wird es empfindlich für eine ganz feine Berührung, abseits vom Lärm der Rechthaberei und abseits vom triumphierenden Gefühl, Gottes Willen zu vollstrecken.» Und eindrucksvoll, wie sie zum Schluss eine Brücke zum Abendmahl und zur Verklärungsgeschichte schlägt, und damit zum Kern dessen, was in einer evangelischen Kirche bedacht und gefeiert wird. Biblische Texte auslegen heisst nicht über sie zu dozieren, sondern ihrem Erzählsinn vertrauen, bei ihren Bildern verweilen, deren Kraft und Tiefe sichtbar und auf Lebenserfahrungen hin transparent machen. Das ist Manuela Liechti-Genge in ihrer Predigt über die Begegnung Jesu mit der Samaritanerin (Joh 4,4–19) besonders gut gelungen, weshalb ihr der Spezialpreis Radiopredigt zugesprochen wird. Gedanklicher Ausgangspunkt ihrer Predigt ist ein oft überlesener Halbsatz im Text «Herr, du hast kein Schöpfgefäss», bei dem die Predigerin verweilt, weil dieser Krug in der Hand der Frau ihr zum Bild für den Lebensdurst der Samaritanerin wird, für jene Sehnsucht nach erfülltem Leben und gestilltem Lebensdurst, nach wirklichem Lebenswasser. So gelingt es der Predigerin, diesen johanneischen Text mit seiner vielschichtigen Symbolik in einer ruhigen, klaren Sprache lebendig werden zu lassen, diesen Brunnen mit seiner Quelle gleichsam zum Sprudeln zu bringen. |16| Stefan Wellers Predigt packt einen zivilreligiös durch Bettags-Übernutzung gefährdeten Text («Suchet das Wohl der Stadt» Jer 29,7) so überraschend neu an, dass seine lebenspraktische Botschaft zum Leuchten kommt. Nach einem Einstieg bei Alltagskrisen, wie wir sie alle erleben, vermittelt er anschaulich, welch extreme Krisenerfahrung und Glaubensverunsicherung das Babylonische Exil im Jahr 587 gewesen sein muss, wie Verzweiflung, Verdrängung und illusorische Heilsversprechungen die Gemeinschaft jüdischer Exilierter damals geschüttelt haben müssen, wie überraschend deshalb die Botschaft Jeremias an sie: «Verschiebt euer Leben nicht auf ein illusionäres Morgen […] Bleibt nicht auf den Koffern sitzen, packt sie aus und lebt euer Leben im Exil.» Weller deutet dann eine weltgeschichtliche Linie von Jeremias Brief bis zur heutigen Diaspora der Juden an, und zieht darauf eine gegenwartsdiagnostische Linie zur «provisorischen Daseinshaltung» (Viktor Frankl) vieler heutiger Menschen. Eine lebendig geschriebene Predigt, in der man einiges lernt und zugleich auf eine positive Weise nachdenklich wird. Die Briefe des Apostels Paulus, seine Worte und Sprachbilder sind oft schwer verständlich. Was soll etwa seine Aussage «Ihr seid ein Brief Christi» (2Kor 3,2–9) genau bedeuten? Martin Dürr wählt einen humoristischen Einstieg und führt vor Augen, was aus der Kombinatorik von 26 Buchstaben so alles entstehen kann, vom Telefonbuch hinauf bis zum Sonett und hinunter bis zum blöden SMS, um dann deutlich zu machen, welche Form liebevoller Zuwendung ein Brief sein kann. Und darauf entfaltet er die paulinische Aussage mit der Pointe, dass Christen sich – trotz aller Fehler – als Liebesbriefe Gottes verstehen sollten, und was sich verändern könnte, wenn man diese nicht mit Tinte, sondern mit dem heiligen Geist uns eingeschriebene Botschaft wirklich lebt, sie brieflich oder sonst wie an andere Menschen weitergibt. Dogmatische Kernaussagen wie die Botschaft von der Auferstehung werden gepredigt selten aussagekräftig, sie bleiben |17| oft im Modus der Behauptung. Deshalb setzt Pascale Rondez mit ihrer Predigt über das Wort «Wach auf, der du schläfst, und steh auf von den Toten» (Eph 5,14) bei der Erfahrung des Aufwachens ein, wie der Bibeltext sie selbst evoziert, um dann zu einer ruhigen, klaren Meditation einzuladen, was ein «Aufwachen ins Leben» bedeuten könnte. Dabei reflektiert sie sehr behutsam, welche Kraft, aber auch welche Gefahren darin stecken, dass der Text uns als «der Finsternis Entrissene» anspricht: Gefahren eines christlichen Moralismus, der nur in schwarz-weiss denken kann und deshalb diskreditiert ist; welch gute Zumutung trotzdem darin liege, über Moral, über Leiden und Ungerechtigkeit in offener Weise zu sprechen, und so als unvollkommene, aber hoffende Menschen «wieder und wieder aufzuwachen ins Leben und aufzustehen aus Tod und Gleichgültigkeit.» Das Wort Hochdeutsch suggeriert, dass der gesprochene Dialekt niedriger einzustufen sei, dass er weniger tauge und deshalb für Gottesdienste und Predigten zu meiden sei, genauso wie man von einer Beiziehung volkstümlicher Märchen doch bitte absehen möge. Verena Salvisbergs Dialektpredigt über das Wort «Trachtet zuerst nach seinem Reich und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch das alles dazugegeben werden» (Mt 6,33) widerlegt beide Vorurteile. Sie schreibt in einem kraftvollen, anschaulichen Berndeutsch, und sie zieht auf eine erhellende Weise das bekannte Grimm’sche Märchen vom Fischer und seiner Frau bei, um über Lebensfülle und Mangel, über Gier und Unersättlichkeit, über Prioritäten im Leben und über politische Zusammenhänge nachzudenken. So gelingt es ihr, das bekannte Jesuswort aus moralischen Fehllektüren zu befreien. Dabei fällt nicht nur auf das Bergpredigtwort, sondern auch auf das Märchen ein überraschendes Licht, das plötzlich von...