E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Reihe: Küsten Krimi
Burmann Nordseesturm
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-96041-511-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Küsten Krimi
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Reihe: Küsten Krimi
ISBN: 978-3-96041-511-4
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein brutaler Mord an einer Frau erschüttert die Bewohner in Dithmarschen.
Mitten in Heide wird eine erstochene Frau in einem Brunnen gefunden. Kommissar Nolde und seine Kollegen stehen vor einem Rätsel: Der Ehemann der Toten wird seit einem Segelunfall vor zwei Jahren vermisst. Hängen die beiden Fälle zusammen? Die Ermittlungen führen bis nach Dänemark, wo die Beamten auf einen weiteren Mord stoßen, der schon Jahrzehnte zurückliegt. Ist die Lösung so weit in der Vergangenheit zu suchen?
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»Hey, Sie haben Ihr Wechselgeld vergessen!«, rief die junge Frau an der Kasse ihm aufgeregt nach. »Schon in Ordnung. Behalten Sie’s einfach«, murmelte Kriminalhauptkommissar Andreas Nolde gedankenverloren, ohne sich noch einmal umzudrehen, und verließ mit einer abwinkenden Handbewegung das Tankstellengebäude. Draußen vor der Tür blies ihm der mächtige Sturm entgegen. Schnell lief er zu seinem alten Opel Rekord. Das Kölner Kennzeichen verriet, dass das 1962er-Coupé nicht hier aus der Gegend stammte. Das Nummernschild drückte nicht nur Noldes Verbundenheit zu seiner rheinländischen Heimat aus, sondern erinnerte ihn auch an seinen Vater. Dieser war vor einem Jahr gestorben und hatte ihm den bildhübschen weißen Oldtimer mit dem blauen Dach vererbt. Der gut erhaltene Wagen, den sein Vater stets penibel gepflegt hatte, war vermutlich der einzige Ort auf der Welt, an dem er sich niemals eine Zigarette angezündet hätte. Hätte er mehr von seiner Lebenszeit in dem Wagen verbracht, würde er jetzt unter Umständen noch leben, dachte Nolde. Genau wie zuvor schon sein Großvater und ein Onkel, war sein alter Herr an Krebs gestorben. Nachdenklich betrachtete Nolde die Zigarettenpackung, die er eben an der Tankstelle gekauft hatte. Im Grunde hatte er sich fest vorgenommen, endlich mit dem Rauchen aufzuhören, um nicht der Nächste in der Familie zu sein, dem seine Sucht zum Verhängnis wurde. Schon in seiner frühen Teenagerzeit war er diesem Laster verfallen. Das war nun fast dreißig Jahre her. Die hartnäckige Bronchitis, von der er sich nur langsam erholte, zeigte ihm, dass er nicht ewig weiterhin dieses giftige Zeug inhalieren sollte. Sicher würde er dann auch etwas vitaler aussehen. Beim Klassentreffen vor zwei Wochen in Köln hatte ihn ein ehemaliger Mitschüler auf seine tiefen Augenringe angesprochen und mit ironischem Unterton gefragt, ob der Polizeijob in der norddeutschen Provinz so anstrengend sei. »Dithmarschen ist halt nichts für Weicheier«, hatte er geantwortet und sich dabei so etwas wie ein Lächeln abgerungen. Er hatte sich fremd gefühlt auf der Veranstaltung, bei der sich alle gegenseitig Handybilder von ihren perfekten Familien unter die Nase gehalten hatten. Bei ihm selbst lief es in dieser Hinsicht derzeit alles andere als gut. Entsprechenden Fragen wich er an jenem Abend aus, so gut er konnte. Er erzählte nicht, dass viele seiner Augenränder daher kamen, dass er seit Wochen kaum noch eine Nacht durchgeschlafen hatte. Der Grund dafür war, dass es zwischen ihm und seiner Freundin Daniela derzeit mächtig kriselte. Bis vor eineinhalb Jahren hatten sie noch eine Fernbeziehung geführt. Dann hatte er den Job bei der Kripo Heide angenommen und war von Köln zu ihr an die Westküste gezogen. Inzwischen bereute er diesen Schritt, denn er musste sich eingestehen, dass ihre Liebe, die so innig und leidenschaftlich begonnen hatte, unter den Banalitäten des Alltags erschreckend schnell an Glanz verloren hatte. Nach all den gegenseitigen Vorwürfen und unnötigen Streitereien der vergangenen Monate wusste Nolde, dass ein klärendes Gespräch zwischen ihnen unausweichlich war. Allerdings fürchtete er sich vor dem, was danach kam. Würde es ihnen gelingen, das Ruder noch einmal herumzureißen, oder würde ihnen anschließend alles mit einem riesigen Knall um die Ohren fliegen? Bevor er weiter über die Konsequenzen einer solchen Aussprache nachdenken konnte, klingelte das Telefon in seiner Jackentasche. Er zog es heraus, tippte auf das Display und wusste augenblicklich, dass ein Anruf von dieser Nummer zu so später Stunde nichts Gutes bedeutete. Er wollte etwas sagen, wurde jedoch von einem hartnäckigen Hustenanfall übermannt. Es dauerte eine Weile, bis er einigermaßen normal sprechen konnte. »Das hört sich aber gar nicht gut an. Bist du wirklich wieder fit?«, hörte er seinen Chef, Kriminalrat Norbert Bornhövel, fragen. »Ja, kein Problem. Das klang vorige Woche noch viel schlimmer«, antwortete Nolde kurzatmig und mit heiserer Stimme. »Der Arzt hat jedenfalls gesagt, dass ich wieder arbeiten kann.« »Na, du musst es ja wissen. Bist du zu Hause?« »Ich komme von der Bandprobe. Was gibt’s denn?« »Wenn ihr bei dem Wetter im Proberaum rumhängt, müsst ihr’s ja wirklich nötig haben. Also, da du anscheinend arbeitsfähig und sowieso unterwegs bist, kannst du gleich weiter zum Südermarkt fahren. Im Geschichtsbrunnen liegt eine tote Frau. Die Spurensicherung und Christians Vertretung sind schon da.« »Vertretung, warum das denn? Ist der etwa auch krank?« »Nein, aber seine Tochter Clarissa ist drei Wochen zu früh auf die Welt gekommen. Deshalb hat er seine Elternzeit bereits jetzt angetreten. Direkt nach der Geburt hat er sich mit Kind und Kegel ins Ferienhaus auf die Hallig Hooge zurückgezogen.« »Kann ich verstehen. Unser letzter großer Fall war für die gesamte Familie Ehlers eine ziemliche Belastung. Aber das Timing für seine Auszeit ist echt ungünstig. Bei uns liegt doch momentan die halbe Truppe mit Grippe im Bett.« »Ja, hier geht echt die Seuche um. Deswegen habe ich ja auch bei den Kollegen in Itzehoe um Unterstützung gebeten«, sagte Bornhövel. »Und wir haben Glück. Solange wir hier so stark unterbesetzt sind, wird dir eine fähige Ermittlerin zur Seite stehen. Sie hat in Itzehoe eine ziemlich beeindruckende Laufbahn hingelegt, und ihre Vorgesetzten sind voll des Lobes. Ich habe sie letzte Woche kennengelernt. Sie macht einen sehr engagierten Eindruck.« »Klingt ja nach einer echten Powerfrau.« Nolde gab sich wenig Mühe, seinen abwertenden Unterton zu unterdrücken. »Was ist denn bloß mit dir los?«, fragte Bornhövel gereizt. »Nörgelst hier rum, anstatt dich über die Unterstützung zu freuen. Hast du ein Problem mit Karrieretypen? Oder jagen dir alle starken Frauen Angst ein?« Nolde wollte etwas zu seiner Verteidigung erwidern, doch Bornhövel ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Egal, was es ist. Solche Sperenzchen können wir uns hier momentan echt nicht leisten. Ich erwarte also, dass du vernünftig mit der neuen Kollegin zusammenarbeitest. Das ist sicher auch in Christians Sinn.« Nolde merkte, dass sich das Gespräch mit seinem Vorgesetzten in keine gute Richtung entwickelte. Deshalb antwortete er in versöhnlichem Ton: »Ja, schon gut. Mach dir keine Sorgen. Wir werden schon miteinander klarkommen.« »Das will ich auch hoffen. Und jetzt sieh zu, dass du zum Südermarkt kommst. Du willst doch nicht, dass unsere neue Vertretungskraft den Fall im Alleingang löst, während wir hier quatschen.« *** Keine zehn Minuten später traf Nolde in der Altstadt von Heide ein. Die Spurensicherung hatte um den Fundort der Leiche bereits großräumig ein Absperrband gespannt, das nun wild im Sturm umherflatterte. Außerdem parkten einige große Polizeifahrzeuge direkt neben dem Brunnen, um den Tatort gegen neugierige Blicke der Anwohner abzuschirmen. Nolde setzte sich eine Wollmütze auf und zog sie über die Ohren. Während er aus dem Wagen stieg, fischte er die Zigarettenpackung aus seiner Jackentasche. Er zog einen Glimmstängel heraus und versuchte, ihn anzünden. Doch jedes Mal, wenn er sein Feuerzeug benutzen wollte, blies eine Orkanbö die Flamme wieder aus. Da es in dem alten Opel Rekord keinen Zigarettenanzünder gab, steckte er die Packung fluchend wieder ein und ging hinüber zum St.-Georg-Brunnen, der von zwei hellen Scheinwerfern erleuchtet wurde, die von der Spurensicherung aufgestellt worden waren. Das bekannte Denkmal mitten im Herzen der Stadt wurde auch »Geschichtsbrunnen« genannt, denn unterhalb der markanten Drachentöter-Figur waren acht große Relieftafeln angebracht. Auf diesen hatte der Bildhauer die erfolgreiche Schlacht der Dithmarscher Bauern im Jahr 1550 und weitere bedeutende historische Ereignisse der Region dargestellt. Als Nolde näher kam, konnte er sehen, dass die Beine der Toten über den steinernen Rand des Brunnenbeckens hinausragten. Der leblose Oberkörper war nach hinten gekippt und lag nun rücklings im Wasserbecken des Brunnens. Nolde nickte kurz den Kollegen von der Spurensicherung zu und sah sich dann den Fundort der Leiche genauer an. Zunächst fiel ihm auf, dass im Brunnen deutlich weniger Wasser war, als er erwartet hätte. Er wandte sich an einen Mann im weißen Overall. »Habt ihr hier eben das Wasser abgestellt und den Brunnen geleert?« Der Kollege, der sich als Thorsten Borchard vorstellte, schüttelte den Kopf. »Nein, das wird doch immer im Herbst gemacht, damit der Frost die Leitungen nicht sprengt. Dass die Leiche trotzdem total durchnässt ist, liegt an dem ganzen Regenwasser, das sich im Brunnen gesammelt hat.« »Aber das Wasser steht nicht so hoch, dass man darin ertrinken würde. Also ist die Frau vermutlich an ihren zahlreichen Stichverletzungen gestorben«, stellte Nolde fest. Der Oberkörper der Leiche war von Einstichen geradezu übersät. Große Mengen von Blut hatten den dünnen Stoff des T-Shirts vollkommen durchtränkt. Auch an den Armen und Händen befanden sich einige tiefe Schnitte. Nolde vermutete, dass es sich dabei um Abwehrspuren handelte. Die Frau hatte sich wohl gegen den Angriff gewehrt. Die genauen Einzelheiten des Tathergangs würden sie später gemeinsam mit der Rechtsmedizin versuchen zu rekonstruieren. Nolde schätzte das Alter der Frau auf Anfang vierzig. Sie war relativ groß, schlank und hatte lange dunkelbraune Haare, die nass und strähnig in einer Wasserpfütze auf dem Boden des Springbrunnens lagen. »Könnt ihr schon sagen, ob wir es hier auch gleichzeitig mit dem Tatort zu tun haben?«, fragte er. »Nein, die Frau ist mit Sicherheit woanders getötet worden....