E-Book, Deutsch, 160 Seiten
Burkhard Was ich ihr nicht schreibe
1. Auflage 2019
ISBN: 978-3-947106-37-0
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 160 Seiten
ISBN: 978-3-947106-37-0
Verlag: SATYR Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie oft denkt man hinterher "Hätte ich das doch besser gesagt ..."? Es auf Papier zu bringen, ist immer leichter, und so versammelt Alex Burkhards viertes Buch alles, was bislang ungesagt geblieben ist: Persönliches, Anklagendes, Verständnisvolles. Burkhard lässt seiner überbordenden Fantasie freien Lauf: Er schreibt als Ludwig II. und als Seefahrer, als Jugendlicher, Überforderter und Verliebter, als Kritiker, Melancholiker und Schwede. Er reist mit Sir Francis Drake um die Welt und ist dabei, wenn Max und Moritz ihre Streiche in der heutigen Zeit spielen; er erzählt von Mexiko und Athen, Hunden, Katzen und dem leisen Schnee einer Stockholmer Silvesternacht. Alex Burkhard schreibt alles, was er sonst oft nicht sagt.
Dieses Buch versammelt, was Alex Burkhard in den letzten Jahren seinen Mitmenschen nicht geschrieben oder gesagt hat – und das betrifft längst nicht nur Frauen. Er verarbeitet seine feinen Beobachtungen zu Prosa und Slampoesie. Sein Stil ist leicht, oft humorvoll und stets von einer poetischen Dringlichkeit geprägt. Unausgesprochen meisterhafte Texte.
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Ich stehe auf dem Sprungturm des Landsberger Freibads. Zwei Scheinwerfer sind auf mich gerichtet, ansonsten ist es dunkel. Das Metall des Geländers fühlt sich rau an, aber es ist das Einzige, was ich gerade habe. Unter mir fünf Meter Nacht, dann einige Zentimeter Nebel, dann vielleicht Wasser. Dreihundert Menschen fläzen sich im nachtfeuchten Rasen und schauen mich an. Wie konnte es nur so weit kommen? 1993 – Was es heißt, jung zu sein
Ich stehe schlotternd am Beckenrand und bete, dass ich nicht noch mal muss. Dreimal bin ich schon hin- und hergepaddelt, das reicht. Ich bin fünf Jahre alt und habe panische Angst unterzugehen. Wenn mein Kopf unter der Wasseroberfläche ist, rauscht es und sprudelt und macht Geräusche, die ich noch nie gehört habe. »Dann halte deinen Kopf über Wasser«, sagt die Frau, die uns das Schwimmen beibringt, aber die hat leicht reden: Ihr geht das Wasser nur bis knapp über den Bauch. Fast genau bis zu dem Bauchnabel, der ziemlich verdreht aussieht. Ganz anders als meiner. Die Schwimmflügel beißen in meine Oberarme. Ich weiß nicht, was die bringen sollen. Wenn ich im Wasser bin und mich nicht bewege, gehe ich unter. Da helfen mir die Schwimmflügel auch nichts. In meinen Büchern gehen alle Kinder im Sommer ins Freibad und planschen rum und rutschen ins Wasser und so. Und alle sehen froh aus, genau wie hier. Jeder will noch mal schwimmen; die können das alle schon total gut. Ich weiß nicht, warum die überhaupt hier sind. Ich bin der Einzige mit Schwimmflügeln. Ich bin der Einzige, der es nicht kann. Wir stehen dicht gedrängt an der Kante. »Alexander, du bist dran«, sagt die Frau, und ich schüttle den Kopf. »Ich kann nicht mehr«, sage ich. »Komm, einmal schaffst du noch.« Sie kommt auf mich zu, ich stehe vollkommen unbeweglich da. Noch bevor mich die Frau mit ihrem knubbeligen Bauchnabel erreicht, schubst mich Markus ins Wasser. Es tut weh, als ich aufpralle, meine Füße spüren den Boden, ich bin ganz unten, okay, wie komm ich hoch, ich schlage um mich, atme ein, mache die Augen auf, wo ist oben, alles wirbelt, in meiner Brust sticht es, zwei Hände um meinen Bauch, ich will husten, aber kann nicht, meine Augen brennen, ich liege am Beckenrand, Wasser läuft mir aus dem Mund, aus der Nase, ich keuche, versuche, alles rauszukriegen, Schläge auf meinem Rücken, gleichmäßig, mir ist kalt, ich zittere, fange an zu weinen. »Wir machen für heute Schluss«, sagt die Frau zu den anderen Kindern und wickelt mich in ein Handtuch. Sie rubbelt mich trocken, und ich versuche, sie nicht anzuschauen. Als meine Mama mir später die Haare föhnt, geht es mir gut. Sie streichelt mir über den Kopf, der ganz warm ist. Alles ist warm und riecht nach Hallenbad. Ich mag den Geruch, hinterher. »Wie war’s heute?«, fragt meine Mama. »Gut«, sage ich. Ich werde sicher nie mit ins Freibad gehen. 2001 – Aus endloser Menge
In der siebten Klasse haben wir in der Schule einmal die Woche Schwimmen. Es ist kein Unterricht mehr: Man geht davon aus, dass jemand, der die lateinische Vokabel für »Schwimmbecken« lernen kann, auch des Schwimmens mächtig ist. Es gibt auf dem bayerischen Land so ein paar Dinge, die sind in Stein gemeißelt: Du weißt, wie du an deinem Haus werkelst, zum Achtzehnten kriegst du ein Auto, im Winter fährst du verdammt noch mal Ski, und im Sommer haust du dich ins Freibad! Nun sollen wir nach Ringen tauchen. Als ich das erste Mal dran war, hielt ich mich am Überlauf des Beckens fest, brustschwamm über das hässliche gelbe Gummiteil, das mich aus der Tiefe boshaft anlächelte, holte tief Luft, ließ meine Beine senkrecht nach unten fallen und versuchte, es mit meinen Füßen nach Gefühl aufzuspießen, während der Kopf steif an die Hallendecke gerichtet war. In der Lindenberger Dreifachturnhalle, in der ich immer bin, um meiner Schwester Kathi und meinem Freund Seba beim Handballspielen zuzuschauen, gibt es unter der Hallendecke ein wahres Sammelsurium an Sportequipment und Bällen. Die unterschiedlichsten Gegenstände liegen auf den massiven Querbalken oder haben sich in irgendwelchen Seilen oder Fenstergittern verheddert. Ich frage mich immer, wie oft man einen Fußball zwölf Meter unter die Decke dreschen muss, bis er in einem Winkel unter der Hallendecke stecken bleibt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass diese Dinge alle zufällig dort gelandet sind. Vielleicht hat sich ganz am Anfang mal eine Jonglierkeule in einer Holzkonstruktion verfangen, und alle anderen Gegenstände hat man beim Versuch verloren, sie wiederzukriegen. An der Schwimmbaddecke erkannte ich nur Spinnennetze und dicke Lüftungsrohre. »Fang mich doch, Eierloch!«, ruft der Ring bei meinem zweiten Anlauf aus eins achtzig Tiefe. Den Spruch haben ihm bestimmt meine drei kleinen Schwestern beigebracht. Ich wedle mit den Armen und stochere nach dem Ring, aber ich bin ungefähr eins fünfundsechzig groß und in Mathe zumindest so fit, dass ich weiß, dass ich keine Chance auf den Ring habe, solange mein Kopf über Wasser bleibt. Ich hole also tief Luft, lasse mich nach unten plumpsen, versuche, in meiner Panik dieses gelbe Scheißteil am Beckenboden zu ertasten, wickle es um meinen Knöchel, stoße mich unten ab und pflücke, schräg im Wasser treibend, mit einer Hand den Ring von meinem Fuß. Es muss für alle anderen ein ergreifender Anblick sein, wie ich prustend an die Oberfläche platze, den Ring triumphal in meiner Rechten. »Du sollst nach dem Ring tauchen«, sagt Herr Rädler. Die Mädchen kichern. »Piscina«, sage ich. »Eins minus«, sagt er. Nach dem Duschen sammeln wir uns im Vorraum, wo es einen kleinen Kiosk gibt. Die Betreiberin zieht uns mit ihren Leckereien unser Taschengeld ab, und ein paar Minuten später sitzen wir in Mathe bei Frau Rentschler, unter allen Bänken Servietten, in denen Weingummicolaflaschen und irgendwelche sauren Schnüre eingewickelt sind. Statt kleiner Nachrichtenzettel tauschen wir Süßigkeiten aus, während Frau Rentschler stoisch Lösungsformeln linearer Gleichungen an die Tafel schreibt und so tut, als merke sie nicht, was ihre Schülerinnen und Schüler hinter ihrem Rücken machen. Das ist vielleicht der größte Irrtum, dem Kinder aufsitzen: dass Lehrerinnen und Lehrer nicht mitkriegen, was heimlich in ihrer Klasse passiert. Frau Rentschler verarbeitet das Los, eine siebte Klasse nach dem Sportunterricht zu haben, auf ihre Weise: »Alexander gibt die Hälfte seiner Colaflaschen an Konstantin ab. Anschließend hat er noch dreimal so viele wie Rebekka, nachdem sie eine gegessen hat. Wie viele Colaflaschen hatte Alexander ursprünglich, wenn die Kioskfrau heute insgesamt vierundsechzig Colaflaschen verkauft hat?« 2007 – Auf schwankenden Brettern
»Alex, magst du noch was trinken?« Ralph steht über mir, seine blonde Mähne hängt ihm nass um die Ohren. Ich blinzle in die Jahrhundertsommersonne hinter ihm. »’ne Spezi, danke.« »Tanja?« »Bringsch mir a Wasser mit?« »Sarah? Robert?« Die beiden grunzen etwas Schlaftrunkenes. Ralph dreht sich um und verschwindet in Richtung Wasserwacht-Raum. Sein Gang ist gleichzeitig ein Federn und ein Schlurfen. Seit Tagen liegen wir träge am Waldsee, einem Moorsee am Stadtrand von Lindenberg. Ein Hotel aus der Zeit der Sommerfrischler thront an einem Ende, das andere verläuft sich in Tümpeln und wildem Gestrüpp. Im Sommer werden die Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums beim Sportunterricht immer um den See gejagt, doch die Schule ist gerade eine weit entfernte Sache. Wir liegen im sumpfigen Gras in einem versteckten Winkel, der fast nicht mehr zur Badeanstalt gehört. Wenn ich aufschaue, sehe ich nur dunkle Bäume und glitzerndes Wasser. Und Tanja. Ich vertiefe mich wieder in meinem Textbuch: »Romulus der Große« von Friedrich Dürrenmatt. Aber ich kann mich nicht konzentrieren, überfliege die Passagen nur. Die Wörter tanzen auf der blendend hellen Seite, vermischen sich mit dem Textmarker. Also komm, in einer Woche ist Premiere. Konzentration! Ich bin Romulus, der letzte Kaiser Roms, ich warte mit meiner Frau Julia seelenruhig auf die Ankunft der Germanen. Und Action! JULIA Du bist direkt germanophil, Romulus. ROMULUS Unsinn, ich liebe sie noch lange nicht so wie Tanja. JULIA Romulus! Wie meine Hühner! Oh Mann. Wie meine Hühner. Ich höre ein Platschen. Drei aus der Gruppe sind ins Wasser gesprungen. Sie kraulen auf die Holzplattform im...