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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 17, 576 Seiten

Reihe: Ein Dave Robicheaux-Krimi

Burke Keine Ruhe in Montana

Ein Dave Robicheaux-Krimi, Band 17

E-Book, Deutsch, Band 17, 576 Seiten

Reihe: Ein Dave Robicheaux-Krimi

ISBN: 978-3-86532-772-7
Verlag: Pendragon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Nach dem erschütternden Hurrikan Katrina braucht Detective Dave Robicheaux eine Auszeit. Gemeinsam mit seiner Frau Molly und seinem besten Freund Clete will er sich auf einer Ranch in Montana beim Fischen erholen.
Doch die vermeintliche Idylle wird schnell durchbrochen, als zwei Studenten brutal ermordet und bei der Ranch aufgefunden werden. Robicheaux wird unmittelbar in den Fall hineingezogen, in die Machtspiele derer, die in Montana den Ton angeben. Clete hat währenddessen allerhand eigene Probleme und wird schon bald von seiner kriminellen Vergangenheit heimgesucht.
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1
Menschen, die traumlos schlafen, kannte Clete Purcel nur vom Hörensagen. Vielleicht lag’s an der Zeit und Umgebung, in der er aufgewachsen war, vielleicht war’s das Resultat von Erlebnissen, die sein späteres Leben geprägt hatten, er konnte es jedenfalls nicht. Schlaf war für ihn immer ein unkontrollierter Abstieg in die Krater seines Bewusstseins, wo die abscheulichsten Fratzen so ungeniert über die Stränge schlugen, als seien sie Zwerge in der Zirkusmanege. Manchmal träumte er von seinem Vater, einem Milchmann, der morgens um Viertel nach drei aus dem Bett sprang und mit einem alten Lieferwagen losratterte, aus dem das schmelzende Eis durch die Hintertür tropfte. Wenn sein Vater mittags mit klirrenden Flaschen zurückkam – sie wohnten gleich in der Nähe der Magazine Street –, brachte er Clete und seinen beiden Schwestern gerne mal einen Beutel Eis-Lollis mit. An anderen Tagen, wenn sein Gesicht bereits vom frühmorgendlichen Alkohol verschwitzt und verschmiert war, brachen aber emotionale Blessuren und eine frühkindliche Grausamkeit aus ihm heraus, die er bevorzugt an den wehrlosesten Mitgliedern seiner Familie abreagierte. Manchmal sah Clete in seinen Träumen eine vietnamesische Mamasan, die in der Tür ihres strohbedeckten Häuschens steht. Von einem Flammenwerfer entzündet, geht das Haus plötzlich in flüssigem Feuer auf, das sich wie ein glühender Bogen um die Frau schmiegt. Er sah einen 17-jährigen Bordschützen, der auf einer Hochzeitsparty in der Free Fire Zone sein M60 rausholt, es an einem elastischen Gummiband befestigt und dann so lange abdrückt, bis die letzten Hülsen zu Boden fallen. Er sah einen Navy-Sanitäter mit einem Helm voller Gummispinnen, der mit bloßen Händen die Gedärme eines Soldaten in den Bauch zurückzudrücken versucht. Und manchmal sah er sich auch selbst, wie er im Feldlazarett liegt, den Nacken mit schwarzer Pigmentierung übersät, den Körper durch endlose Plasmatransfusionen dehydriert, die Splitterschutzweste mit den Wunden auf seiner Brust bereits zu einem blutigen Konvolut verklebt. Er sah sein heimatliches New Orleans, das – wie einst Atlantis – spurlos in den Wellen versinkt. Der einzige Unterschied bestand darin, dass New Orleans, das Chinesische Meer und ein Land im Mittleren Osten, das er nie besucht hatte, einen fiktiven Ort vor seinem inneren Auge erschießen ließ, dessen visuelle Bruchstücke keinerlei logischen Sinn ergaben. Er sah Blut, das über einen Dünenkamm zurück ins blaue Meer schwappt. Er sah Soldaten mit Gesichtern, die ihm merkwürdig vertraut waren, die stumm einen Hügel zu stürmen versuchten, von dem aus mit ebenso stummen Maschinengewehren zurückgeschossen wurde. Wenn er aufwachte, hatte er den Eindruck, für Organisationen gearbeitet zu haben, die für künftige Generationen keinerlei Wert mehr besaßen, doch genau aus diesem Grund bis in alle Ewigkeit Bestand haben würden – koste es, was es wolle. Ein Psychiater hatte ihm erklärt, dass er an manischen Depressionen leide, die wiederum psychoneurotische Angstzustände auslösen. Clete seinerseits hatte den Arzt gefragt, wo zum Teufel er in den letzten 50 Jahren eigentlich gelebt habe. Seine Träume klebten auf seiner Haut wie Spinngewebe und verfolgten ihn selbst am hellichten Tag. Wenn er sie mit Alkohol betäubte, verzogen sie sich an den Ort, wo Träume gewöhnlich überwintern, nur um zwei, drei Tage später neu aufzublühen. Wie Gespenster, die sich am dunklen Waldrand herumtreiben, irrlichterten sie durch seinen Kopf und winkten einladend zu ihm hinüber. An diesem speziellen Morgen aber hatte sich Clete vorgenommen, seine Vergangenheit komplett auszublenden. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend wollte er in vollen Zügen den Sonnenschein genießen, um dann endlich den Schlaf des Gerechten zu schlafen. Es war kalt, als er den Reißverschluss seines Schlafsackes öffnete. Für einen Moment kauerte er fröstelnd in dem Polyethylen-Zelt, das er an einem Bach im westlichen Montana aufgeschlagen hatte. Sein rostbraunes Caddy Coupé mit dem weißen Hardtop, von ihm selbst restauriert, parkte unter den Bäumen und war mit Frostflecken übersät. In der Entfernung sah er, wie die aufsteigende Sonne gerade den Neuschnee erreichte, der über Nacht auf den Gipfeln der Berge gefallen war. Das Ende der Schneeschmelze hatte den Bach anschwellen lassen und das schäumende Wildwasser in einen dunklen, stetig fließenden Strom verwandelt. Das Geröll an seinen Rändern warf Schatten, die auf den Kieseln des Flussbettes zu tanzen begannen. Er hörte das leise Rauschen der Kiefern und Tannen, gelegentlich unterbrochen vom dumpfen Klackern der Steine, die von der Flut vorwärtsgeschoben wurden. Für einen Moment glaubte er auch, am Ende des Feldweges ein Motorgeräusch gehört zu haben, schenkte ihm aber keine weitere Beachtung. Er rollte ein paar Steine zu einem Kreis zusammen, legte trockene Zweige und Zapfen hinein und zündete ein Feuer an, das schon bald Funken und gelben Rauch zur Mitte des Wassers schickte. Als die Steine heiß genug waren, stellte er die Pfanne darauf und machte sein Frühstück. Der Platz war nicht nur fürs Campen perfekt, sondern lieferte auch den idealen Ausgangspunkt, um Canyon Country zu entdecken. Er konnte von hier aus den Bach hinaufwaten, zwischendurch immer wieder mal seine Flugangel auswerfen und zusehen, wie die Fliege auf dem Wasser langsam zu ihm zurücktrieb. Er hatte den Ort nicht gezielt gesucht, sondern war zwangläufig hier gelandet, nachdem ihm die Schneeschranke auf der zweispurigen Landstraße keine andere Wahl gelassen hatte. Die Bergformationen waren majestätisch, die Klippen, nur auf den Spitzen mit kargen Ponderosa-Kiefern bewachsen, erstrahlten in ihrer nackten Schönheit, die Hänge schwammen bereits in einem Meer wilder Blumen. Die einzigen Fußabdrücke, die man im weichen Kies links und rechts des Flüsschens sah, stammten von Rehen und Elchen. Clete atmete eine Luft, die nach Holz schmeckte, nach feuchten Farnen, kalten Steinen und einem Humus, der noch nie von der Sonne berührt worden war – eine Luft vor allem, der die chemischen Keulen des industriellen Zeitalters bislang erspart blieben. Sie schmeckte so, wie sie wahrscheinlich am ersten Tag nach der kosmischen Schöpfung geschmeckt haben musste. Er holte seine Hüftstiefel aus dem Caddy, streifte sie über, befestigte die Gummischlaufen am Gürtel und legte sich Netz und Reuse über die Schultern. Als er von einem Felsvorsprung ins Wasser watete, rutschte er auf einem bemoosten Stein aus und konnte nicht verhindern, dass Wasser in seine Stiefel schwappte. Er holte mit seinem Rutenarm aus – einmal, zweimal, dreimal – und verfolgte, wie die Schnur eine perfekte Acht bildete und dann wieder mit einem stumpfen Geräusch an seinem Ohr vorbeizischte. Beim vierten Anlauf versteifte er das Handgelenk und ließ die Fliege vorsichtig auf dem Wasser landen. Wieder hörte er den Motor eines Trucks, der inzwischen nähergekommen war. Anscheinend nahm er gerade eine Steigung zwischen zwei kieferbewaldeten Hügeln in Angriff. Clete ließ sich nicht ablenken, sondern verfolgte die Fliege, die langsam in seine Richtung driftete. Plötzlich sah er einen länglichen Schatten, der sich vom Ufer löste und ins hellere Wasser schoss. Eine dunkelgrüne Flosse durchtrennte die Oberfläche, klatschte einmal kurz auf das Wasser und hinterließ in der Luft einen silbrigen Spritzer. Im nächsten Moment hatte die Regenbogenforelle die Fliege geschnappt und war wieder in die Sicherheit des schattigen Ufers abgetaucht. Aus einer Ecke seines Auges sah Clete, wie ein hellroter Diesel-Pick-up mit dem verlängerten Fahrerhaus langsam die Böschung hochfuhr und auf felsigem Boden zum Halten kam. Der Fahrer stellte den Motor nicht ab, stieg aber auch nicht aus. Von Felswänden umgeben, ratterte die Maschine wie ein vom Erdbeben erschütterter Schrottplatz. Clete versuchte, die Leine zu spannen, als sich die Forelle davonmachen wollte, rutschte aber wieder auf den bemoosten Steinen aus. Die Spitze seiner Fenwick krümmte sich Richtung Wasser und das Zwei-Pfund-Monofil-Vorfach hielt dem Druck nicht mehr stand. Die Fenwick lag mit einem Mal wieder so leicht und nutzlos in seiner Hand, als sei sie aus Luft. Er schaute die Böschung hinauf. Der Truck, Scheinwerfer an, stand im Schatten. Die Reflektionen auf der dunklen Windschutzscheibe machten es unmöglich, ins Innere des Wagens zu sehen. Clete ging durchs flache Wasser zurück zu der Stelle, an der er wieder festen Boden betreten konnte, streifte seine Anglerweste ab und hängte sie an einen Felsen. Angel, Netz und Reuse legte er auf den Boden. Er griff nach seinem Porkpie-Hut, lüftete ihn und zog ihn etwas tiefer in die Stirn. Ein Blick auf seinen Wagen erinnerte ihn daran, dass seine .38er Smith & Wesson vorne im Handschuhfach lag. Clete ging zu dem kleinen Lagerfeuer, hockte sich nieder und schenkte dem dröhnenden Truck demonstrativ keine Beachtung. Er nahm die Kaffeekanne von der...


James Lee Burke wurde 1936 in Houston / Texas geboren und wuchs in Louisiana auf. Aus der Dave-Robicheaux-Reihe wurden zwei Krimis verfilmt: »Mississippi Delta« (»Blut in den Bayous«) mit Alec Baldwin in der Hauptrolle und »Mord in Louisiana« (»Im Schatten der Mangroven«) mit Tommy Lee Jones.


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