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E-Book, Deutsch, Band 4, 480 Seiten

Reihe: Ein Dave Robicheaux-Krimi

Burke Flamingo

Ein Dave-Robicheaux-Krimi, Band 4

E-Book, Deutsch, Band 4, 480 Seiten

Reihe: Ein Dave Robicheaux-Krimi

ISBN: 978-3-86532-737-6
Verlag: Pendragon
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Der Albtraum eines jeden Polizisten: Als Dave Robicheaux zwei Mörder in den Todestrakt eines Staatsgefängnisses von Louisiana überführen soll, gelingt den beiden die Flucht. Dave wird dabei schwer verwundet und sein Partner erschossen.
Das Verlangen nach Vergeltung und der unbändige Wille, sich zu rehabilitieren, treiben Dave aus der Idylle der Bayous in die Schattenwelt von New Orleans und mitten in das Zentrum des organisierten Verbrechens.
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1 Wir parkten den Wagen vor dem Bezirksgefängnis und lauschten dem Regen, der auf unser Dach trommelte. Der Himmel war schwarz, und die hohe Luftfeuchtigkeit hatte die Wagenfenster beschlagen lassen. Blitze pulsierten wie weiße Adern in den Gewitterwolken über dem Golf. „Tante Lemon wartet sicher schon auf dich“, sagte Lester Benoit, der Fahrer. Er war, genau wie ich, ein Kriminalbeamter im Dienste des örtlichen Sheriffs. Er trug lange Koteletten und einen Schnauzbart und ließ sich regelmäßig in Lafayette eine modische Lockenfrisur machen. Seine gleichmäßige Sonnenbräune das ganze Jahr über verdankte er seinen Winterurlauben in Miami Beach, wo er sich jedes Mal neu einkleidete. Obwohl er, abgesehen von seiner Zeit beim Militär, sein ganzes Leben in New Iberia verbracht hatte, sah er immer aus wie ein Neuankömmling, der hier eben aus dem Flugzeug gestiegen war. „Du bist nicht besonders scharf drauf, ihr über den Weg zu laufen, stimmt’s?“, fragte er mit einem Grinsen. „Nein.“ „Wir können den Seiteneingang nehmen und sie mit dem Lastenaufzug runterbringen. Da merkt sie nicht mal, dass wir da waren.“ „Ist schon okay“, sagte ich. „Hey, mein Problem ist es nicht. Wenn dir bei der Sache nicht wohl zumute ist, hättest du nur verlangen müssen, dass sie’s eben einen andern machen lassen. Warum stellst du dich überhaupt so an?“ „Ich stelle mich nicht an.“ „Dann sag ihr, dass sie sich zum Teufel scheren soll. Ist doch bloß ’n altes Niggerweib.“ „Sie sagt, Tee Beau hat es nicht getan. Sie sagt, er war am Abend des Mordes bei ihr und hat Krebse geschält.“ „Ach komm, Dave. Meinst du etwa, sie würde nicht lügen, um ihren Enkel zu retten?“ „Vielleicht.“ „Du bist gut, vielleicht.“ Er wandte sich ab und blickte in Richtung des Parks am Bayou Teche. „Schöne Scheiße, das mit dem Regen beim Feuerwerk. Meine Ex war mit den Kindern da. Es ist jedes Jahr dasselbe. Ich muss hier weg.“ Durch die regenverschmierte Scheibe fiel das Licht einer Straßenlaterne und ließ sein Gesicht fahl erscheinen. Das Fenster auf seiner Seite war einen Spalt geöffnet, damit der Zigarettenrauch abziehen konnte. „Bringen wir’s hinter uns“, sagte ich. „Nicht so schnell. Ich hab keine Lust, die ganze Strecke in nassen Klamotten zu fahren.“ „Das hört nicht auf zu regnen.“ „Jetzt lass mich mal meine Zigarette zu Ende rauchen, und dann sehen wir weiter. Ich werd nicht gerne nass. Hey, mal ganz ehrlich, Dave, macht es dir so zu schaffen, dass du Tee Beau da abliefern musst, oder geht’s in Wirklichkeit um was ganz anderes?“ Das Licht der Laterne warf Schatten auf sein Gesicht, die sich wie kleine Regenrinnsale kräuselten. „Bist du schon mal dabei gewesen?“, fragte ich. „Bis jetzt war’s noch nie nötig.“ „Und würdest du es tun?“ „So wie ich es sehe, weiß der Typ, der auf den Stuhl kommt, was ihn erwartet.“ „Würdest du hingehen?“ „Yeah, das würde ich.“ Er drehte den Kopf und sah mir scharf ins Gesicht. „Diese Erfahrung kann dich teuer zu stehen kommen“, sagte ich. „Aber alle wussten sie, was sie erwartet. Stimmt’s, oder hab ich recht? Wenn du in Louisiana einen umlegst, bekommst du eine echte Elektroschock-Therapie verpasst.“ „Dann sag mir mal den Namen von einem einzigen reichen Mann, den sie hier in diesem Staat gegrillt haben. Oder auch in irgendeinem anderen Staat.“ „Tut mir leid. Diesen Typen weine ich keine Träne nach. Oder meinst du etwa, sie hätten Jimmie Lee Boggs mit lebenslänglich davonkommen lassen sollen? Willst du, dass er in zehneinhalb Jahren wieder frei hier rumläuft?“ „Nein, das will ich nicht.“ „Das hab ich mir gedacht. Und ich sag dir noch was. Wenn dieser Typ bei mir irgendwas versucht, verpass ich ihm eine direkt ins Maul. Und dann geh ich zu seiner Mutter und beschreib es ihr auf ihrem Totenbett bis ins kleinste Detail. Wie gefällt dir das?“ „Ich geh jetzt rein. Willst du mit?“ „Sie wartet sicher schon“, sagte er, wieder mit einem Grinsen. Sie wartete tatsächlich. Ihr gemustertes Baumwollkleid, von der Sonne und vom vielen Waschen völlig ausgebleicht, klebte ihr wie triefend nasses Küchenpapier am knochigen Körper. Ihr Mulattenhaar sah aus wie ein graugoldenes Drahtknäuel, und ihre hellgelbe Haut wirkte, als sei sie mit braunen Zehncentstücken gemustert. Sie saß allein auf einer Holzbank vor einer Arrestzelle, gleich neben dem Fahrstuhl, aus dem in wenigen Minuten ihr Enkel, Tee Beau Latiolais, den sie alleine großgezogen hatte, und Jimmie Lee Boggs treten würden, beide mit Ketten um Hüfte und Beine. Ihre blaugrünen Augen waren vom Grauen Star gezeichnet, aber sie wichen nicht von meinem Gesicht. In den Vierzigerjahren hatte sie in einem von Hattie Fontenots Läden an der Railroad Avenue gearbeitet; dann hatte sie ein Jahr im Frauengefängnis zugebracht, weil sie einen weißen Mann, der sie verprügelt hatte, in die Schulter gestochen hatte. Später arbeitete sie in einer Wäscherei und machte Hausarbeit für zwanzig Dollar die Woche, was bis weit in die Sechziger der Standardverdienst eines Schwarzen in Südlouisiana war, welche Stellung er oder sie auch immer bekleidete. Tante Lemons Tochter hatte eine Frühgeburt; das Baby war so klein, dass es in der Schuhschachtel Platz hatte, in der sie es versteckte, bevor sie es tief unten in eine Mülltonne stellte. Als Tante Lemon am nächsten Morgen zum Plumpsklo ging, hörte sie das Kind schreien. Sie zog Tee Beau auf, als sei er ihr Sohn, fütterte ihn löffelweise mit cush cush, damit er ein kräftiger Junge wurde, und band ihm eine Münze an einem Faden um den Hals, um Krankheit von ihm fernzuhalten. Sie lebten in einem ungestrichenen, primitiven Holzhaus, dessen Veranda sich in ihre Einzelteile aufgelöst hatte, sodass die Treppen aussahen, als führten sie in einen sperrangelweit aufgesperrten, zerstörten Mund, in einem Teil der Stadt, den die Leute „Niggertown“ nannten. Mein Vater, der mit Fallenstellen und Angeln sein Geld verdiente, stellte Tante Lemon jedes Frühjahr dazu an, Krebse für ihn zu putzen, obwohl er sich ihr mageres Gehalt vom Munde absparen musste. Immer, wenn er in seinen Netzen Seebarben oder Hornhechte fing, nahm er sie aus und brachte sie ihr. „Die ess ich doch eh nicht“, sagte er dann immer zu mir. Ich hörte, wie der Aufzug kam. Ein Wärter in Uniform saß an einem kleinen Tisch und machte die nötigen Papiere für den Transfer zweier Gefangener vom Bezirks- ins Staatsgefängnis Angola fertig. „Mr. Dave“, sagte Tante Lemon. „Ihr könnt den Jungs da oben sagen, dass die beiden heut schon gegessen haben“, sagte der Wärter. „Sie sind auch sonst gut in Schuss. Der Arzt hat beide durchgecheckt.“ „Mr. Dave“, sagte sie erneut. Sie sprach mit gesenkter Stimme, als befände sie sich in der Kirche. „Ich kann nichts tun, Tante Lemon“, sagte ich. „Er war in meinem kleinen Haus. Er hat den Redbone nich umgebracht“, sagte sie. „Irgendjemand wird sie nachher heimbringen“, sagte der Wärter. „Ich hab’s ihnen allen gesagt, Mr. Dave. Aber die hören nich auf mich. Warum sollen sie auch ’ner alten Nigger frau glauben, die früher für Miss Hattie angeschafft hat? Das haben sie gesagt. Eine alte Nigger-putain, die für ihren Tee Beau lügt.“ „Sein Anwalt wird Berufung einlegen. Da ist noch viel drin“, sagte ich. Ich wartete darauf, dass die Lifttüren endlich aufgingen. „Sie werden den Jungen auf’n elektrischen Stuhl setzen“, sagte sie. „Tante Lemon, ich kann nichts dagegen tun“, sagte ich. Ihre Augen wichen nicht von meinem Gesicht. Sie waren klein und feucht und blickten starr wie die eines Vogels. Ich sah Lester vor sich hinlächeln. „Ein Wagen wird Sie heimbringen“, sagte der Gefängnisbeamte zu ihr. „Weshalb soll ich denn heimgehen? Damit ich allein in meinem kleinen Haus rumsitze?“, antwortete sie. „Machen Sie sich was Heißes zu trinken und ziehen Sie die nassen Klamotten aus“, sagte der Wärter. „Und morgen reden Sie dann mit Tee Beaus Anwalt, genau wie Mr. Dave gesagt hat.“ „Mr. Dave weiß es besser“, sagte sie. „Sie werden meinen Jungen hinrichten, dabei hat er doch gar nix getan. Dieser Redbone hat immer auf ihm rumgehackt, ihn vor anderen Leuten lächerlich gemacht, ihn so hart rangenommen, dass er nich mal mehr essen kann, wenn er heimkommt. Ich mach ihm Hühnchen und Reis, ganz lecker, genau wie er’s mag. Er setzt sich ungewaschen an den Tisch und starrt es an, stopft es in den Mund, als wären es nur trockene Bohnen. Ich sag ihm, er soll doch gehn und sich Gesicht und Hände waschen, damit er dann in Ruhe essen kann. Aber er sagt immer nur: ‚Ich bin so müde, Gran’maman. Ich kann nich essen, wenn ich so müde bin.‘ Ich sag ihm: ‚Morgen ist doch Sonntag, da kannst du ausschlafen, du kannst ja dann morgen essen.‘ Er sagt: ‚Er holt mich morgen früh ab. Wir müssen wieder auf die Felder.‘ – Wo waren denn alle, als mein kleiner Junge Hilfe gebraucht hat? Als dieser Redbone-Mischling ihn mit ’ner zusammengerollten Zeitung geschlagen hat wie ’ne streunende Katze? Wo waren sie denn da, die Polizisten, die Anwälte?“ „Ich komme morgen bei dir vorbei, Tante Lemon“, versprach ich ihr. Lester zündete sich eine Zigarette an und lächelte versonnen in den aufsteigenden Rauch. Ich hörte, wie der Liftmotor stoppte; dann glitten die Türen auf, und zwei Dep utys in Uniform führten Tee Beau Latiolais und Jimmie Lee Boggs in...


James Lee Burke, 1936 in Louisiana geboren, wurde Ende der 1960er Jahre als neue Stimme aus den Südstaaten gefeiert. Mitte der 1980er Jahre begann er Kriminalromane zu schreiben, in denen er die unvergleichliche Atmosphäre von New Orleans mit starken Geschichten verbindet.


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