E-Book, Deutsch, 260 Seiten
ISBN: 978-3-7445-0927-5
Verlag: Herbert von Halem Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Internationale Beziehungen Konflikt- und Friedensforschung, Rüstungskontrolle, Abrüstung
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Militärwesen Theorie der Kriegsführung und Militärwissenschaft
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtliche Themen Bürgerkriege
- Sozialwissenschaften Politikwissenschaft Politische Gewalt Revolutionäre Gruppen und Bewegungen, Bewaffnete Konflikte
- Interdisziplinäres Wissenschaften Wissenschaften Interdisziplinär Friedens- und Konfliktforschung
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2 Wut
Wut treibt die Menschen auf die Straße und an die Waffen. Gewalt entspringt aus einer Verletzung oder Gefährdung der eigenen Identität als Gruppe. Viele Theorien, die – letztlich nur retrospektiv – dem sogenannten grievance-Ansatz zugesprochen werden, operieren mit dem Argument, kollektive Gewalt entspringe der realen oder imaginierten Verletzung oder Gefährdung einer Gruppenidentität, sei sie ethnisch, politisch oder religiös konstituiert. Allen Theorien ist damit der Bezug auf eine wütende Identität gemein. Als es im Anschluss des Kalten Krieges entgegen aller Erwartungen nicht zu einem Ende der bewaffneten Konflikte und Bürgerkriege kam, sondern in weiten Teilen sogar zu ihrem Erstarken (vgl. Hegre 2004; Sarkees 2014), wurde nach Ursachen der Gewalt gesucht, die nicht dem Kalkül eines Stellvertreterkrieges folgten und anhand derer sich die allgemein angenommene Intensivierung und Brutalisierung der Konflikte erklären ließ. Die Gewalt schien den Beobachtern nicht mehr kühl und weltpolitischinstrumentell. Sie war nunmehr heiß, lokal und blind. Sie sahen keinen Klassenkampf, keinen Kampf der politischen Systeme und großen Ideologien, sondern vielmehr einen Kampf der Ethnien, Kulturen und Religionen. Während einige Ansätze eine irrational-archaische Wut am Werke sahen, knüpften andere vermehrt an ältere Theorien politischer Gewalt von Edward Azar und Ted Gurr an und stellten eine reale oder perzipierte Ungerechtigkeit als Ursache für die Wut in den Vordergrund – Konflikte zielen ihrer Ansicht nach auf die (Wieder-)Herstellung von Gerechtigkeit ab (justice-seeking). Die staatliche, soziale und/oder ökonomische Dominanz einer (ethnisch oder religiös definierten) Gruppe beraubt anderen Gruppen lebenswichtige sozioökonomische und politische Güter, gefährdet damit vielleicht sogar ihr Überleben (oder wird zumindest von den jeweiligen Gruppen so wahrgenommen), weswegen Individuen zum Schutze der Gruppe und ihrer kulturellen, ethnischen, religiösen oder politischen Identität zu den Waffen greifen. Während die Wut hier einen leicht verortbaren gesellschaftlichen Grund hat, erschien sie zu Beginn noch archaisch, ethnisch motiviert und nicht selten auch unlösbar. Ansätze dieser ersten ‚Generation‘ nach dem Kalten Krieg verstanden Ethnien als urzeitlich und bereits in ihrem Wesen konfliktiv, ihr Wut ist blind, irrational und grundlos. Sie ist blind, weil sie nur sich selbst und ihre Wut sieht und keinen anderen Grund für die Gewalt kennt. 2.1 Blinde Wut
Für den einflussreichen Journalisten Robert D. Kaplan brodelte schon lange unter der Oberfläche einer Kalten Kriegslogik heiße, archaische Wut. Mit dem Ende des Kalten Krieges trat nun ein bereits seit Jahrhunderten währender Hass zurück an das Licht der Öffentlichkeit – und er kam, um zu bleiben. Er kam, um seiner blinden Wut zu fröhnen. Der starre Blick auf die beiden Großmächte hat uns die irrationalen und uralten Rassekonflikte übersehen lassen, die nun ohne die Tarnkappe des Kalten Krieges nackt vor uns stehen, sich immer wieder neu entfachen und in ihrer tiefen Verwurzelung unlösbar scheinen. Denn das Problem mit dieser Wut ist, dass sie kaum zu überblickende, geradezu urzeitliche Ursprünge hat, und im Hier und Jetzt bestenfalls stillgestellt, nie jedoch vollständig beseitigt werden kann. Einem Vulkan gleich kann diese urzeitliche Wut nur temporär herunterkochen, während sie jederzeit aus scheinbar belanglosen Anlässen heraus erneut auszubrechen droht. Ungefähr so würde es zumindest Robert Kaplan formulieren. Mit Blick auf die seiner Ansicht nach zunehmend brutaler werdenden Konflikte im Anschluss an den Kalten Krieg sah er – wie nicht wenige andere auch – ethnische Konflikte aufkommen, in denen keine politische Logik mehr erkennbar ist, sondern in denen sich vielmehr archaisch-anarchischer, tief in den Ethnien verwurzelter Hass Bahn bricht. Keine (internationale) Intervention vermag es, diesen Hass zu beenden. Es sind dies die Geister der Vergangenheit, die immer wiederkehren – wie er es etwa mit Blick auf den Balkan in seinem Buch Balkan Ghosts (1993) formuliert. Zuvor konnte der Hass noch an die Logik des Kalten Krieges andocken, doch nun steht er alleine da, ohne sein weltpolitisches Alibi. Kaplans Buch war insbesondere in Zirkeln der US-Regierung von hohem Einfluss und prägte dabei die Politik der 90er im Umgang mit Bürgerkriegen und Konflikten – vor allem in Jugoslawien und Ruanda. Er stand mit seiner Analyse allerdings bei weitem nicht allein. Nicht nur er beschwor „eine aufkommende Anarchie“ (Kaplan 2001), in der zunehmend grausame von Hass getriebene ethnische Konflikte in den Vordergrund treten. Für viele Beobachter wurden unter dem Deckmantel des Kalten Krieges ethnische Scharmützel ausgetragen – der politökonomische Klassenkampf wurde zum chaotischen Pandämonium des Rassenkampfes (bspw. Crefeld 1991; Moynihan 1993). Aus Sicht dieser Autoren haftet den Konflikten dabei etwas Unlösbares an, da es sich um primordiale, also um uranfängliche, nahezu zeitlose ethnische und nationale Identitäten handelt. Der Konflikt liegt in der Natur mancher Ethnien, um die herum sich eine gemeinsame Sprache, Religion, Geschichtsschreibung und Kultur gebildet hat, quasi als Abbild und logische Konsequenz aus einer geteilten Biologie (Smith 1981; Horowitz 1985; Ignatieff 1993; Gat 2006). Das Ende des Kalten Krieges hinterließ nicht Frieden, sondern öffnete nun einen Raum für die Rückkehr noch viel älterer ethnonationalistischer Konflikte, in denen Ehnien – auch wenn sie nicht unter Repressalien der Regierung oder sozioökonomischer Marginalisierung leiden – für einen eigenen Staat kämpften (Connor 1994). Lediglich auf den ersten Blick im Kontrast hierzu formierten sich instrumentalistische Theorien, denen zufolge ethnische Kategorien als Instrument eingesetzt werden, um die ökonomischen und politischen Ziele einer Interessensgruppe in der politischen Elite durchzusetzen (Bates 1983; Lake und Rothchild 1998; Dawisha 2002; Glaeser 2005; Petersen 2011). Aus Sicht dieses Ansatzes bedienen die Anführer der mobilisierten Gruppen jedoch ebenso urzeitlichen Hass in der Bevölkerung, reaktivieren uralte bis hierin schlummernde Feindschaften und setzen diese dann instrumentell für ihre eigentlichen politökonomischen Ziele ein. Der Primordialismus beschränkt sich hier zwar auf die mobilisierte Gefolgschaft, wird jedoch gleichsam als gegeben vorausgesetzt. Er bildet gewissermaßen eine Klaviatur, auf der die jeweiligen Anführer nach Belieben spielen können. Auch in marxistischen Theorien war diese Argumentation äußerst willkommen, um die nicht-ökonomische Kategorie der Ethnizität in ihr Modell der Rebellion von Ausgebeuteten zu integrieren (Hobsbawm und Ranger 1983). Auf diese Weise bleibt das Primat in der polit-ökonomischen Auseinandersetzung und Ethnizität beschränkt sich auf ein Dasein als Instrument herrschender Klassen. Andere wiederum propagierten ebenso ein Erstarken von Konfliktlinien entlang nationalistischer und ethnischer Identitäten (Brubaker und Laitin 1998; Wimmer 2002; Toft 2003). Diese Autoren betonten jedoch verstärkt die soziale Konstruiertheit ethnischer Kategorien, die sich mit der Zeit wandeln, und deren Ursprünge nicht selten in kolonialen Diskursen lagen, sozusagen als Import der Kolonialherren (Cerulo 1997; Fearon und Laitin 2000, 2003). Erst die westlichen Mächte führten sie als Unterscheidung ein, die im Laufe der Zeit dann auch einen Unterschied für die lokale Bevölkerung machte. Hutu und Tutsi beispielsweise gab es als Kategorien zwar schon vor der belgischen Kolonialisierung Ruandas, jedoch relevant als vorwiegend ethnische Kategorien wurden sie erst durch die Kolonialverwaltung und die sie begleitenden Diskurse, Institutionen und Praktiken (Amselle und M’Bokolo 1999). Vor allem die Grenzziehung – geradezu im wörtlichen Sinne – durch Kolonialmächte formte Ethnien zu ‚imaginierten Gemeinschaften‘, welche sich nun zunehmend als zeitlose Einheiten mit gemeinsamer Herkunft verstanden und in Konkurrenz zu anderen traten (Hintjens 2001; Anderson 2005). Ethnische Identitäten sind im Konstruktivismus ständig im Wandel, symbolisch konstituiert und entstehen erst im Prozess sozialer, ökonomischer und politischer Auseinandersetzungen (Chandra 2001: 7). Identitäten sind emergent. Der Konflikt um sie ebenso. Ob nun sozial konstruiert oder nicht, die Frage, ob ethnische Diversität auch zu einem Mehr an Konflikten führt, wurde viel besprochen und häufiger noch statistisch geprüft. Sollte Ethnizität für sich genommen tatsächlich ein Faktor sein, der das Auftreten von Konflikten wahrscheinlicher macht, müsste es hier einen klaren Zusammenhang geben. Das Ergebnis statistischer Vergleiche war jedoch durchgehend, dass es keine robust signifikante Korrelation zwischen der ethnischen Fragmentarisierung in einem Staat und dem Auftreten von Konflikten gibt – unabhängig davon, wie in den Datensätzen das schwierige Konzept Ethnizität operationalisiert wurde (Fearon und Laitin 2003; Sambanis 2004; Collier und Hoeffler...