E-Book, Deutsch, 268 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm
Ein Lehrbuch für die Ausbildung zur Pflegefachfrau/zum Pflegefachmann
E-Book, Deutsch, 268 Seiten, Format (B × H): 170 mm x 240 mm
ISBN: 978-3-7486-0362-7
Verlag: Vincentz Network
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Das Lehrbuch „Lebensweltorientierte Pflege“ orientiert sich an neuen bundeseinheitlichen Rahmenlehrplänen für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. Es macht mit der curricularen Einheit 09 vertraut und hilft sie umzusetzen. Mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis und Antworten auf viele Alltagsfragen. Die Themenpalette reicht von rechtlichen Fragen über die Leistungen medizinischer und pflegerischer Systeme bis zur Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt.
Ein ideales Arbeitshandbuch für Lehrende wie Lernende.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 3
Das Gesundheits-wesen der Bundesrepublik Deutschland – strukturelle Merkmale 3.1 Die Rolle des Staates
Gesundheit ist für die Lebenslagen der Menschen ein sehr hohes Gut. Ihr Erhalt oder ihre Wiederherstellung sind für die Menschen von großer Bedeutung. Ein gewisses Maß an Gesundheit ist die Voraussetzung dafür, dass man am gesellschaftlichen, am sozialen Leben teilhaben kann, eigene Lebensvorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse realisieren, sich selbst verwirklichen kann. Über diese individuelle Bedeutung von Gesundheit hinaus sind Gesundheit und medizinische Versorgung mit der Entstehung der Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert auch zu einem bedeutsamen politischen Thema geworden. Mit der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Bismarck wurde der Staat in Bereichen tätig, für die er sich zuvor nicht zuständig sah. Seitdem aber gestaltet der Staat Gesundheitspolitik aktiv, u. a. durch Gesetze, durch Festlegung von Zuständigkeiten, Gründung von Institutionen. Das ausgeprägte Engagement des Staates in der Gesundheitspolitik steht auch in direktem Zusammenhang mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes, mit der durch das Grundgesetz gegebenen Verpflichtung, „… durch die Ausgestaltung des Rechts die Bedingungen für eine ausreichende soziale Sicherung und Versorgung seiner Bürger im Krankheitsfall zu schaffen.“ (1) In der Praxis bedeutet dies, dass der Staat durch die Gesetzgebung(skompetenz) den gesetzlichen/rechtlichen Rahmen im Gesundheitswesen vorgibt/bestimmt. Da die Bundesrepublik Deutschland ein föderalistischer Staat ist, in dem die staatliche Macht aufgeteilt ist zwischen dem Bund und den Ländern, können Gesetze im Gesundheitswesen nicht nur auf der Ebene des Bundes, sondern auch auf der Ebene der 16 Bundesländer verabschiedet werden. Damit es hier nicht zu widersprüchlichen Gesetzen oder Blockaden zwischen dem Bund und den Ländern kommt, regelt das Grundgesetz, die Verfassung unseres Staates, welche Gesetze nur der Bund erlassen darf und welche die Länder. Vielfach aber sind Landesgesetze („nur“) solche, die die Umsetzung und Konkretisierung von Bundesgesetzen beinhalten wie z. B. die Landeskrankenhausgesetze oder Landespflegegesetze. Auch im Bereich der Verwaltung sind die Aufgaben zwischen dem Bund und den Ländern geteilt. Oberste Verwaltungsbehörde für das Gesundheitswesen ist das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Seine Aufgabe ist die Vorbereitung und Erarbeitung von Gesetzen, von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften im Gesundheitswesen und die Dienstaufsicht über Gesundheitsbehörden des Bundes, wie das Robert-Koch-Institut, das zuständig ist für die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von gefährlichen Krankheiten, insbesondere solchen, die einen hohen Verbreitungsgrad aufweisen (Pandemien), das Paul Ehrlich-Institut, das zuständig ist für die Arzneimittelsicherheit und Zulassung von Impfstoffen, das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information, das insbesondere zuständig ist für medizinische Klassifikationen, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die zuständig ist für gesundheitliche Aufklärung und Prävention, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das die Aufgabe hat, Arzneimittel zuzulassen, Risikobewertungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten vorzunehmen, das Bundesversicherungsamt, das u. a. die Aufsicht über die Kranken- und Pflegekassen hat. Oberste Verwaltungsbehörden auf der Länderebene sind in den 16 Bundesländern die jeweiligen Sozial- und Gesundheitsministerien. Sie müssen die Durchführung der Bundes- und Landesgesetze überwachen, ihnen sind die Landesgesundheitsämter sowie andere Landesbehörden unterstellt. Im Bereich der Krankenhausversorgung sind die Länder zum einen selber Träger von Krankenhäusern (Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern) und zum anderen gehört es zu ihren Aufgaben, „eine staatliche Krankenhausplanung durchzuführen und regelmäßig fortzuschreiben“ sowie Investitionsförderprogramme für die in den Krankenhausplan aufgenommenen Krankenhäuser zu entwickeln (2). 3.2 Die Rolle der Verbände
Wenn auf Bundesebene Gesetze verabschiedet werden, ist es in der Regel die Aufgabe der Länder und/oder ihr nachgeordneter staatlicher Organe, solche Gesetze auszugestalten. Im Bereich des Gesundheitswesens gibt es in unserem Staat die Besonderheit, dass diese Aufgabe eben nicht staatliche Organe übernehmen, sondern die Verbände, sprich, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen. Nach eigener Aussage (3) nimmt die KBV, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Interessen der in ihr organisierten rund 172.000 freiberuflichen, in Praxen ambulant tätigen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen wahr, gibt sie diesen gegenüber Politik und Öffentlichkeit eine Stimme und bringt ihren Sachverstand in die gesundheitspolitische Diskussion ein. Mit den gesetzlichen Krankenkassen verhandelt sie über das Honorar der Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen, Arzneimittelbudgets und Versorgungsverträge. Sie prüft auch die Abrechnungen der niedergelassenen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen und verteilt das von den Krankenkassen gezahlte, zur Verfügung stehende Honorar. Niedergelassene Ärzt:innen sind solche Ärzt:innen, die von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung ermächtigt wurden, ambulante ärztliche Behandlungen durchzuführen, sog. Vertragsärzt:innen. Ärzt:innen können auch außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung tätig sein, dann allerdings nur als Privatärzt:innen, die auf private Rechnung behandeln. Privatpatienten können die Rechnungen dann bei den privaten Krankenversicherungen einreichen. Vertragsärzt:innen der gesetzlichen Krankenversicherungen behandeln auch Privatpatient:innen, die ihre Rechnung aber privat begleichen. Mitglieder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind die Kassenärztlichen Vereinigungen der 16 Bundesländer, wobei das Land Nordrhein-Westfalen zwei Vereinigungen hat, die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe und die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland. Innerhalb der Krankenkassen unterschiedet man zwischen den gesetzlichen Krankenkassen, in denen fast 90 % der Bevölkerung versichert sind, und den privaten Krankenkassen, in denen nur Beamte, Selbstständige sowie Angestellte ab einem bestimmten Jahreseinkommen Mitglied sein können. Nur die Vertretungen der gesetzlichen Krankenkassen (105 insgesamt im Jahr 2020) sind Verhandlungspartner der Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder bzw. des Gesamtverbandes auf Bundesebene. Einerseits sind die Kassenärztlichen Vereinigungen also Interessenvertretungen ihrer Mitglieder, andererseits übernehmen sie als öffentlich – rechtliche Körperschaften – zusammen mit den Krankenkassen – Aufgaben, die ihnen durch Gesetz übertragen wurden, sind sie mittelbare Staatsverwaltung. Für den Staat ist diese Form der Einbindung der Verbände in hoheitliche Aufgaben, die Auslagerung von staatlichen Verwaltungsaufgaben, insofern von Vorteil als er Personal und Sachmittel für diese Aufgaben nicht (aus Steuermitteln) finanzieren muss, die Verbände dafür selber Sorge tragen müssen. Für die Verbände besteht der Vorteil darin, einen besonderen Einfluss auf die Ausgestaltung des Gesundheitssystems nehmen zu können. Eine weitere, eine andere Besonderheit, die die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems prägt, ist die sogenannte gemeinsame Selbstverwaltung der Verbände (die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft) und der Kostenträger (Spitzenverband Bund der Krankenkassen). (4) Eines der wichtigsten Gremien dieser Selbstverwaltung ist der Gemeinsame Bundesausschuss (5). Er ist zuständig für den Erlass von Richtlinien für die medizinische und pflegerische Versorgung, die Bewertung des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit von Behandlungsmethoden (und damit die Definition des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung), die Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dem Beschlussgremium des Bundesausschusses gehören nach § 91 SGB V an: ein unparteiischer Vorsitzender, zwei weitere unparteiische Mitglieder, einem von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, jeweils zwei von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und fünf von dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen benannten Mitgliedern. Weil seine Beschlüsse für alle, für die Krankenkassen, die Leistungserbringer und die Versicherten, bindend sind, er also eine sehr einflussreiche Position hat, wird er häufig auch „kleiner Gesetzgeber“ genannt (6) Anmerkungen zu 3: (1) Simon, Michael, Das Gesundheitssystem in Deutschland, Bern 2017, S. 70; vgl. auch Einführung zu diesem Kapitel. ... (2)