Büchner DSA 42: Blutopfer
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95752-435-5
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Schwarze Auge Roman Nr. 42
E-Book, Deutsch, Band 42, 300 Seiten
Reihe: Das Schwarze Auge
ISBN: 978-3-95752-435-5
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Einer uralten Prophezeiung zufolge zieht ein friedlicher Lowanger Bürger ins finstere Orkland, um dem Volk der Nachtwandler beizustehen. Am Ende des Wegs erwartet ihn eine grauenhafte Feindin: ein menschenfressendes Ogerweib, das in den Tiefen des Firunwalls haust. Eine abenteuerliche Reise durch das Orkland
Die Wienerin Barbara Büchner (*01.02.1950) schreibt seit 1997 Geschichten und Romane, die Aventurien spielen, der Hintergrundwelt des erfolgreichsten und bekanntesten deutschsprachigen Fantasys-Rollenspiels 'Das Schwarze Auge'. Sie arbeitet darüber hinaus als Übersetzerin und freie Journalistin und hat für ihre Kinderbücher schon mehrere Preise erhalten.
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Die Reise ins Orkland Roisin kauerte am Rand des breiten Floßes, das aus Steineichenbohlen gefertigt war und die Reisegesellschaft nach Tiefhusen bringen sollte. Außer ihnen waren noch sechs weitere Personen an Bord, Kaufleute aus Lowangen, die geschäftlich nach Svellmia, Tiefhusen, Hilvalla oder sogar bis ins ferne Norhus und Tjolmar unterwegs waren. Roisin warf einen abschiednehmenden Blick auf die Stadt, die sich grau und trutzig hinter ihnen erhob. Dann glitten auf beiden Seiten des Flusses die Kuhweiden dahin, die Lowangen umgaben. Neulowangen zog vorbei. Die Straße, die bislang neben dem Fluß verlaufen war, wandte sich scharf nach Westen und führte nach Ansvell. Bald kamen die letzten Ausläufer des Finsterkamms ins Blickfeld, und der wilde Finstere Svellt ergoß sich in seinen großen Bruderfluß. Der erste Streit zwischen Tyndal und Fiana brach bereits aus, als sie noch keine drei Stunden unterwegs waren. Da sie sich bei der eintönigen Floßreise langweilten, hatten die Passagiere angefangen, Paschok zu spielen, und die Söldnerin erwies sich als überaus geschickt dabei. Man spielte das Würfelspiel in der Svellttaler Variante, bei der es nicht nur auf Glück, sondern mindestens ebenso auf Ausstrahlung und Überzeugungskraft ankommt: Dabei würfelte jeder verdeckt und sagte seinen Wurf an, dessen Höhe von den anderen bezweifelt werden konnte; doch wer zu voreilig Zweifel anmeldete, mußte Strafe zahlen oder auch das Spiel verlassen. Es dauerte nicht lange, da hatte Fiana alle ihre Partner um mehrere Dukaten erleichtert. Tyndal, der sich über den Verlust des Geldes (noch mehr aber über die Geschicklichkeit der Frau) ärgerte, zahlte sie aus und bemerkte spitz: »Hoffentlich kämpft Ihr so gut, wie Ihr Würfel spielt.« Fiana sah auf und musterte ihn mit einem hochmütigen Blick. »Keine Sorge, schöner Magier. Bei mir seid Ihr sicher.« »Ich weiß mich selbst zu schützen«, knurrte Tyndal und griff nach seinem Magierflorett. »Ja«, sagte sie und zeigte lachend die weißen Zähne, »man sagt, die Schwerter der Magier seien behext und kämpften von selbst, nicht wahr? Denn daß Ihr damit kämpfen könnt, das nehme ich Euch nicht ab.« Tyndal, der sich einiges auf seine Fechtkünste einbildete, sprang empört auf die Füße. »Und ob ich damit kämpfen kann! Wollt Ihr es ausprobieren?« Sie lachte ihn aus, und er wurde so zornig, daß er das Florett aus der Scheide riß. »Auf«, rief er, »zieht blank!« »Ach wo«, meinte Fiana gelassen. »Es wäre doch schade um Euch. Da habt Ihr eine so feine glatte Haut, die will ich Euch nicht aufritzen.« Die anderen sprangen auf und bemühten sich, den Streit zu schlichten, denn Tyndal war jetzt ernsthaft wütend. Seine Wangen brannten, und der flaumige Bart schien sich zu sträuben. Es dauerte eine Weile, bis er sich beruhigen ließ, und selbst dann wandte er seinen Freunden brüsk den Rücken und zog sich an das rohe hölzerne Geländer zurück, wo er stand und mürrisch über das Wasser hinaus starrte. Jule setzte sich neben Fiana. »Ihr solltet ihn nicht ärgern«, mahnte sie freundschaftlich. »Er ist jähzornig und ... nun, und außerdem kann er wirklich mit dem Florett umgehen. Ihr müßtet schon sehr gut sein, um seine Attacken zu parieren.« Die Söldnerin warf ihr einen Seitenblick zu. »Ich bin sehr gut, sonst wäre ich nicht mehr am Leben. Und ich habe nun einmal keine sehr hohe Meinung von Magiern.« »Tyndal ist unser Freund.« »Euer Freund, ja. Für mich ist er ein Auftraggeber. Außerdem war er bloß wütend, weil er drei Dukaten an mich verloren hat.« Sie klimperte herausfordernd mit dem Geld in der Jackentasche und stand auf. »Sagt ihm, er soll nicht mehr schmollen. Dann ärgere ich ihn auch nicht mehr.« Roisin mißfiel die Flußfahrt aufs äußerste. Er hockte verdrossen auf den Bohlen des Floßes und starrte die eintönige sumpfige Gegend zu beiden Seiten des Flusses an, die man die Altsvellsümpfe nannte. Ihnen schloß sich weiter im Norden die Große Öde an, die ihren Namen nicht umsonst trug – eine Steppe, auf der nur niedriges Gras und Buschwerk wuchsen, kaum genug, einem Tier Nahrung zu bieten. Dann tauchte ein Wäldchen auf, das Roisins Aufmerksamkeit auf unbehagliche Weise fesselte. So klein dieses Wäldchen auch war, so düster war die Atmosphäre, die es umgab. Die Bäume standen so dicht nebeneinander, daß man nur wenige Schritt weit zwischen ihnen hindurchsehen konnte. Schößlinge und Unterholz, Stechpalmen und Efeu wucherten so dicht, daß alles zu einem einzigen Gestrüpp verstrickt war. Undurchdringlicher Nebel schien sich in dem Wald festgesetzt zu haben. Roisin wandte sich an einen der Floßleute. »Was ist das? Dort – das Wäldchen, meine ich. Es sieht so unheimlich aus.« Der Mann nickte und warf einen Blick hinüber. »Ich möchte ihm auch nicht näher als nötig kommen. Man nennt es den Grauen Wald, und er hat keinen guten Ruf.« Roisin nickte und kauerte sich wieder auf seinem Platz zusammen. Er war erleichtert, als Jule an ihn herantrat und ihm von hinten die Ohren kraulte. »Wie geht es meinem Schweinchen?« fragte sie zärtlich. »Ist es nicht herrlich hier? Riech nur, die frische Luft! Und wie das Sonnenlicht auf dem Wasser glänzt!« Roisin knurrte nur. Er fand, daß die frische Luft nach Sumpf roch, und das Sonnenlicht brannte ihm auf den unbehüteten Kopf. Er wagte jedoch nichts zu sagen. Jule war so glücklich, Lowangen entronnen zu sein, daß sie noch mitten im Ödenmoor freudig herumgesprungen wäre, und er wollte diese Stimmung nicht stören, aus Angst, sie könnte wieder mürrisch und zänkisch werden. Außerdem war sie um drei Uhr nachmittags immer noch stocknüchtern – eine außergewöhnliche Seltenheit. »Gibt es etwas zu essen auf diesem herrlichen Fluß?« grollte er. »Aber gewiß. Ich habe Bierküchlein und Schinken für dich eingepackt. Schmeckt das meinem Schweinchen?« »Sag doch um alles in der Welt nicht andauernd Schweinchen zu mir, Jule.« Sie kniff ihm zärtlich in die runden Backen. »Du siehst aber genau wie ein Schweinchen aus, so rund und rosig, wie du bist. Sieh mal! Tyndal und Fiana liegen sich schon wieder in den Haaren.« Roisin warf einen Blick auf die beiden, die mit gedämpften Stimmen heftig aufeinander einredeten, und blickte hilfesuchend zu Jule auf. »Was ist los? Warum geraten sie andauernd aneinander?« Jule biß sich auf die Lippen. »Ich glaube, Fiana hat Angst, Tyndal könnte ihr den Oberbefehl streitig machen. Deshalb versucht sie ihn zu demütigen. Und Tyndal ist keiner, der sich gern demütigen läßt.« Eine Weile hockten sie nebeneinander auf dem Boden und sahen zu, wie die kleine Siedlung Ansvell auftauchte und vorüberglitt. Im Süden war jetzt eine von Steppen, Wiesen und kargen Äckern umgebene niedrige Hügelkette zu erkennen. Roisin aß seine Bierküchlein mit Schinken. Vom Essen wurde er allmählich schläfrig, und ohne sich um die anderen zu kümmern, streckte er sich in der Länge aus und döste ein. Als er erwachte, dämmerte der Abend, und das Floß hatte Svellmia erreicht. Der Fluß war beträchtlich breiter geworden und trug nun Lastflöße und Schiffe in Richtung Tiefhusen. »Hier machen wir für die Nacht fest«, erklärte der Bootsmann den Reisenden. »Wir ankern im Fluß, damit wir vor Räubern und Tieren sicher sind.« Sie hatten eine kleine Insel im Fluß angesteuert, an der das Floß nun vertäut wurde. Bald loderten mehrere kleine Lagerfeuer am Ufer auf, und die Reisenden öffneten ihre Schnappsäcke, um sich ein Abendessen zuzubereiten. Jule, die ihren Roisin kannte, hatte sorgfältig darauf geachtet, ihn in dieser ersten Nacht in der Fremde mit heimatlicher Kost zu versorgen. Sie hatte außer Bierküchlein und Schinken auch einen halben Beerenkuchen, Wurst und Käse, eingelegtes Gemüse und ein Rad Brot mitgenommen, vor allem aber eine Flasche Premer Feuer, um ihm das Einschlafen zu erleichtern. Roisins Stimmung besserte sich beträchtlich, als er die Eßwaren und die Flasche sah, und er wurde beinahe gutgelaunt, obwohl er andauernd nach den Schnaken schlagen mußte, die in Schwärmen über die Reisenden herfielen. Die Nacht verbrachten sie in dem Zelt, das mitten auf dem Floß stand. Es war kühl und windig, und die dichtbewachsene Insel atmete eine faule, sumpfige Luft aus, aber sie waren müde vom Reisen – und vom Premer Feuer – und schliefen, bis der Bootsmann sie weckte. Jule begrüßte den neuen Tag mit Begeisterung. Je weiter sie sich von Lowangen entfernte, desto fröhlicher schien sie zu werden. Sie aß mit herzhaftem Appetit ihr Frühstück, während Roisin verschlafen neben ihr hockte und die Stellen zählte, an denen ihn die Schnaken gestochen hatten. Sein Hintern war voll blauer Flecken, wo sich die kantigen Bohlen des Floßes durch die dünne Bodenmatte hindurch in sein Fleisch gedrückt hatten. Er beneidete Tyndal, der das harte Lager offenkundig unbeschadet überstanden hatte (obwohl er viel weniger gut gepolstert war als Roisin), und sogar den kleinen Herrn Raskal, der sich erstaunlich locker in die neuen Lebensumstände zu fügen schien. Bald waren sie wieder auf dem Wasser unterwegs. Der Strom wurde schneller, ließ Wälder zu beiden Seiten und einige Berge hinter sich. Im Westen waren schon deutlich die Bergketten zu erkennen, die das Orkland begrenzten. Von Westen her führte der Orkval dem Strom seine klaren Gebirgswasser zu. Der zweite Tag der Reise verlief nicht viel anders als der erste. Wieder machten sie abends am Ufer Halt, zündeten ihre Lagerfeuer an...