Büchner DSA 37: Seelenwanderer
1. Auflage 2014
ISBN: 978-3-95752-434-8
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Das Schwarze Auge Roman Nr. 37
E-Book, Deutsch, Band 37, 269 Seiten
Reihe: Das Schwarze Auge
ISBN: 978-3-95752-434-8
Verlag: Ulisses Medien und Spiel Distribution GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In den aranischen Bergen lauert ein Fluch aus grauer Vorzeit. Von Elfenkraft in Stein gebannt, wartet ein uralter Echsenpriester, der Seelenwanderer, auf seine Auferstehung. Zwei Hexen übernehmen die schwere Aufgabe, ihn unschädlich zu machen. Doch im Kampf gegen böse Mächte geraten sie und ganz Aranien in den Bann des Verderbens.
Die Wienerin Barbara Büchner (*01.02.1950) schreibt seit 1997 Geschichten und Romane, die Aventurien spielen, der Hintergrundwelt des erfolgreichsten und bekanntesten deutschsprachigen Fantasys-Rollenspiels 'Das Schwarze Auge'. Sie arbeitet darüber hinaus als Übersetzerin und freie Journalistin und hat für ihre Kinderbücher schon mehrere Preise erhalten.
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Das Ritual Auf den windumtosten Kuppen der Yalaiad-Hügel, nahe der breiten Senke des Dairig Bhru-Passes, erhob sich ein altertümliches Bauwerk, aus grünlichen Quadern errichtet und blank wie ein Knochen: ein siebenstufiger Turm, den die Echsenvölker einst dort hingebaut hatten, um den Paß zu beschützen. Seit Jahrhunderten stand das Gebäude leer, und dennoch mieden es die Tiere des Gebirges. Selbst bei Schnee und Regen suchten sie keine Zuflucht unter seinem höhlenartigen Tor. So war etwas Sonderbares daran, daß an einem Abend eine Bergziege die Stufen emporsprang, die zur höchsten Plattform führten. Ein unsichtbarer Schrecken jagte das Tier auf die schwindelerregende Zuflucht hinauf. Schweratmend stand es auf der obersten Plattform, die einst dick vergoldet gewesen war. Die feuchten Augen glänzten im Mondlicht. Da stieß aus der Höhe des Nachthimmels ein mißgebildeter großer Vogel herab, der mehr einer Flugechse als einem Gefiederten glich. Die Schwingen mannslang gespreizt, stürzte der gewaltige Jäger der Lüfte sich auf die Ziege, die sich eben in Sicherheit wähnte. Gewaltig schlugen seine Krallen zu, drangen nadelspitz in die zitternden Flanken des Opfers. Mit einem grellen, fast menschlichen Schrei brach die Ziege zusammen ... und rotes Blut floß über die uralten Steine. Im Herzen des Turmes bebte es, als regte sich eine gewaltige Gegenwart. Etwas war erwacht. Aber noch mußte es gefangen bleiben. Blut war geflossen, aber noch fehlte das Blut eines Menschen. »Rastullah sei Dank, daß wir diese entsetzliche Nacht überlebt haben! Möge Er uns gnädig vor der nächsten Nacht bewahren!« Aytan ben Tuleyman, der würdige Älteste des Dörfchens Chag am Rande der Echsensümpfe, raffte seinen Kaftan zusammen und hob den altersschwachen, blinzelnden Blick zum Himmel, an dem die Praiosscheibe in silbrigen Nebeln gefangen hing wie eine Blüte in einem Spinnennetz. Trotz der frühen Stunde war es hier, so nahe bei den Sümpfen, heiß und feucht. Wie jeden Morgen quoll Nebel aus den brackigen Gewässern und blieb in geisterhaften Fahnen an den weit ausladenden Ästen abgestorbener Bäume hängen. Die Feuchtigkeit der dampfenden, immergrünen Mangrovenwälder trieb den Schweiß aus allen Poren. Fremdartige, exotische Gerüche stiegen schwindelerregend in die Nase. Aus allen vier Windrichtungen waren das Summen von Insekten, das Quaken der Frösche und zuweilen das dumpfe Brüllen urweltlicher Echsen tief drinnen im Sumpf zu hören. Als die Dorfbewohner sahen, daß ihr Häuptling wach war, strömten sie von allen Seiten zusammen. Es waren gedrungene, kräftige Menschen, Nachkommen tulamidischer Bauern, die sich an das Leben in dieser schwülen, abgeschiedenen Ecke Deres gewöhnt hatten – bis das Unheil begann. Bis das todverkündende Tomm Tomm der Trommeln des Nachts durch den Sumpf rollte und die Vögel kreischend aus den Baumwipfeln stoben, wenn die Praiosscheibe in dampfenden roten Schleiern versank. Bis das ferne Winseln und Heulen wahnwitziger Litaneien die erschreckten Siedler aus den Betten trieb und sie die Nacht eng zusammengekauert und bewaffnet im Rundhaus in der Mitte des Dorfes verbrachten, geängstigt von den fürchterlichen Gesängen und dem rasenden Rollen der Trommeln. »Bleibt ruhig!« versuchte Aytan sie zu beschwichtigen, als sie sich schreiend und hilfesuchend um ihn drängten. »Ihr wißt doch, daß ich einen Boten entsandt habe! Es kann nicht mehr lange dauern. Gewiß kommt er heute noch aus der Stadt Selem zurück!« »Die Stadt ist fern, und niemand wird uns helfen!« rief einer argwöhnisch. »Die Schurken werden unsere Kinder rauben und sie den alten Ungeheuern opfern«, klagte ein Weib. »Was sollen wir tun, Aytan?« riefen die anderen entmutigt. Er tat sein Bestes, um ihnen Zuversicht zu spenden, sah jedoch, daß sie am Ende ihrer Kräfte waren. Seit mehreren Nächten hatten sie kaum noch geschlafen, hatten angstvoll und wachsam in die faulige Schwärze der Nacht hinausgehorcht. Noch war niemandem ein Leid geschehen. Aber wie lange würde es dauern? »Laßt uns ins Rundhaus gehen und zu Rastullah beten, damit Er uns beschützt«, schlug er vor. Es würde die Leute ein wenig trösten, sich ins Gebet zu versenken. Wer anders als Rastullah sollte ihnen helfen? Zu alt, zu finster war das Übel, das in den verfilzten Sumpfwäldern brütete. Die Zwölfgötterketzer behaupteten, es sei aus der Leere zwischen den Sternen gekommen, aus dem wirbelnden Chaos, in dessen unergründlicher Mitte die Dämonenfürstin Calijnaar auf ihrem Thron herrscht, von der wimmernden Musik gestaltloser Flötenspieler umpfiffen. Manche flüsterten hinter der vorgehaltenen Hand, es entstamme der Brut der Großen Vielleibigen Bestie. Niemand wußte, was es wirklich war, und vielleicht war es tatsächlich nichts Wirkliches – nichts, was den Dimensionen und Gesetzen Deres entsprach, sondern etwas anderes, ein Eindringling, ein lauernder Unhold an der kalten Schwelle zwischen Wirklichkeit und Chaos ... Zur großen Erleichterung der Chager kehrte der Bote am frühen Nachmittag aus Selem zurück und brachte eine gute Nachricht. Der Vorsteher des Selemer Rastullah-Bethauses hatte zwanzig wehrhafte und fromme Männer entsandt, die dem nächtlichen Treiben auf den Grund gehen und die Siedler beruhigen sollten. Chag atmete auf, als die Männer ins Dorf ritten: Hochgewachsene Tulamiden waren es, mit edlen Zügen, blitzenden Augen und sehnigen Armen. Schwere Waffen klirrten an ihren Seiten, jedoch mehr als alles Eisen stärkten sie das unablässige Gebet und das feste Vertrauen auf den Herrn des Goldenen Zeltes. Während der Nachmittagsstunden ruhten sie zurückgezogen im Rundhaus, während die Dorfbewohner mit offenen Mündern dastanden und sie ehrfürchtig betrachteten. Die Männer unterhielten sich leise miteinander. »Man sagt«, bemerkte einer mit gedämpfter Stimme, »diese Sumpfleute verehren die Kreaturen, die man die Uralten Wesen nennt ...« »Wer sind die Uralten Wesen?« warf ein anderer neugierig ein. »Man hört dies und das, aber nichts Gewisses.« Einer der Männer, Mhukkadin, der gebildeter war als seine Gefährten, erklärte: »Man redet heutzutage auch kaum mehr von ihnen. Sie sind Wesen, die lange vor aller Zeit Aventurien heimsuchten. Es heißt, sie seien von jenseits der Sterne gekommen, aus dem namenlosen Chaos, aber niemand weiß Näheres. Sie erweckten den Zorn Rastullahs, und dieser verbannte sie in die tiefsten Höhlen, die ödesten Moore und das tiefste Meer, wo kein lebendes Wesen jemals hingelangt, und versenkte sie in tiefen Schlaf.« »Ich glaube nicht, daß sie schlafen«, murmelte einer hinter der vorgehaltenen Hand. »Habt ihr nicht auch gehört, daß die alten Stadtteile von Selem, die unter dem Meer liegen, von Monstern bewohnt sind? Ich hörte, da unten gebe es Kraken und Schlangen und Wasserdrachen ... und etwas noch Älteres, noch viel Schlimmeres ...« Ein anderer, der wie dösend zusammengekauert dagesessen hatte, warf ein: »Wir alle haben die alten Geschichten gehört, unter dem Meer, dort, wo einst das alte Elem lag, befinde sich eine Stadt voll Ungeheuer ... und ihr Herrscher sei ein Wesen, das noch nie jemand gesehen hat. Wenn es nun eines von den Uralten Wesen ist?« »Bei Rastullahs Lockenpracht!« rief einer laut. »Hört auf, von diesen unheiligen Dingen zu reden! Hört, was in den 99 Gesetzen geschrieben steht: ›Der Gottgefällige meidet es, von bösen Dingen zu sprechen!‹ Um wieviel weniger sollten wir da von den gottverfluchten Dämonen sprechen!« »Du hast recht, Bruder«, stimmten die anderen beschämt zu. »Laßt uns von Dingen sprechen, die Rastullah wohlgefällig sind!« Gegen Abend brachen sie in einem der Flachboote auf, mit denen die Leute von Chag auf die schillernden Sumpfgewässer hinausfuhren, um Fische zu fangen und Orchideen zu pflücken. Ihr Anführer war der Mann namens Mhukkadin, ein kühner Soldat und gewaltiger Streiter für Rastullah. Er versammelte alle seine Untergebenen zum Gebet, dann stiegen sie in das Boot und stießen ab. Acht Leute aus Chag fuhren mit, um sie zu rudern – oder besser zu staken, denn das Wasser war oft sehr seicht. Schon nach wenigen Schritt hatte die feuchte Dämmerung des Sumpfwaldes sie verschlungen. Mhukkadin saß im Bug des Bootes, an dem eine Laterne hing, und spähte aufmerksam in die blauschwarze Dunkelheit. Er spürte, wie alles in ihm sich gegen diesen Sumpf aufbäumte. Aber er war einen schlimmeren Sumpf gewohnt, nämlich den Morast von Elend, Irrsinn, Verderbtheit und Sucht, der in den Straßen von Selem brodelte und der ihm, dem frommen RastullahGläubigen, ungleich tückischer und gefährlicher als die fauligen Wasser der Mangrovensümpfe erschien. Das Boot glitt lautlos übers Wasser. Die Laterne im Bug warf einen rötlichgelben Lichtstreifen über die stille, tintenschwarze Flut. Plötzlich dünkte es Mhukkadin, daß er etwas wie eine Spiegelung dieses Lichtscheins in der Ferne sah – ein rotes Glänzen im schwarz verfilzten Unterholz. Er wandte sich seinen Männern zu und wies wortlos mit der ausgestreckten Hand nach vorn. Sie lauschten angespannt, und nun hörten sie auch einen weit entfernten Lärm. Zuerst klang es wie ein Kichern und das Zirpen von Grillen, aber je näher sie kamen, desto deutlicher unterschieden sie Kreischen und Schreien, Jauchzen und ein hohes, summendes Pfeifen, das wohl von einem Musikinstrument kam. Bald sahen die Rastullahni das Feuer in nächster Nähe zur linken Hand zwischen den Baumstämmen flackern, und die schaurige Litanei gellte ihnen in den Ohren. Mit...