E-Book, Deutsch, Band 1, 150 Seiten
Reihe: Edition Barbara Büchner
Büchner Der schwarze See
1. Auflage 2020
ISBN: 978-3-948592-18-9
Verlag: Ashera Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
E-Book, Deutsch, Band 1, 150 Seiten
Reihe: Edition Barbara Büchner
ISBN: 978-3-948592-18-9
Verlag: Ashera Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: Adobe DRM (»Systemvoraussetzungen)
Hüte dich vor Dingen, die Menschen waren und nicht mehr sind, vor Dingen, die Menschen sein wollen und keine sind, und vor Dingen, die wie Menschen aussehen und keine sind. Ein Stausee, auf dessen Grund sich Mysteriöses abspielt, monströse Kreaturen aus einer anderen Welt, die ein Städtchen bedrohen und fünf Jugendliche, die das verhindern wollen ...Erfolgsautorin Barbara Büchner schuf mit 'Der schwarze See' einen düsteren Phantastikroman in lovecraftscher Tradition.
Barbara Büchner wurde 1950 in Wien geboren und wollte nie etwas Anderes werden als Schriftstellerin. Ihre Romane beziehen sich meist auf authentische Fälle, sei es Spuk oder Verbrechen. 1985 erschien, unbeachtet von der Öffentlichkeit, ihr erstes Buch, ein Schauerroman. Literarisch beeinflusst wurde sie von E.A. Poe, H.P. Lovecraft, Conan Doyle und vor allem Dino Buzzatti. Inzwischen hat sie sich auf diesem, ihrem eigentlichen Gebiet im deutschsprachigen Raum einen Namen gemacht.
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Die Stimmen im See
1. August „Das ist doch nicht möglich! Das kannst du mir nicht antun, Mama!“ Birgit kreischte vor Wut. Sie hatte beide Fäuste vor der Brust geballt und starrte ihre Mutter mit funkelnden Augen an. Ihr Gesicht, das unter dem kurz geschorenen, rötlich-blonden Haar normalerweise so blass wie Buttermilch war, glühte vor Zorn. Ihre kleine, magere Gestalt bebte. „Das kannst du nicht mit mir machen!“ Ihre Mutter – eine mollige Blondine in Jeans und Sweater – schwenkte unbeeindruckt die Pfanne, in der die Fischstäbchen für das Abendessen brieten. „Und darf ich wissen, was ich dir antue?“ Mutter und Tochter standen einander in der winzigen Küche gegenüber. Durch das weit geöffnete Fenster entwich der Geruch des Fischfetts, dafür drangen schwüle Nachtluft und der Gestank großstädtischer Abgase herein. Birgit rang nach Luft. „Du weißt genau, dass ich Ella hasse! Sie und ihr kleines Schokoladenschwein!“ „Na schön. Du hasst sie. Und warum?“ Darauf wusste Birgit im Moment keine Antwort. Sie forschte in aller Eile in ihrem Gedächtnis nach einem Grund, warum sie Tante Ella hassen könnte, aber ihr fiel nichts ein. Nichts Konkretes. Die Frau war sonderbar ... das war alles. Sie lebte davon, dass sie Karten legte und Horoskope erstellte und in ihrem kleinen esoterischen Laden Edelsteine und Pendel verkaufte, und sie hatte eine Vorliebe für formlose, sackartige Kleider aus orientalischen Stoffen. Birgit hatte sie nicht einmal besonders oft zu sehen bekommen. Genau genommen war sie das letzte Mal vor sechs Jahren zu Besuch bei ihnen gewesen. Schließlich fiel Birgit nur das lahme Argument ein: „Ich kann Patrick nicht leiden. Ich fand das widerlich, wie er dauernd rumrotzte, an seiner Mutter klebte, sich die Schokolade in den Mund stopfte und ...“ „Als du Patrick das letzte Mal gesehen hast, war er zehn Jahre alt und hatte gerade seinen Vater verloren. Inzwischen ist er sechzehn.“ Birgit zuckte mit finsterem Gesichtsausdruck die Achseln. „Na, wenn schon.“ „Auf jeden Fall“, sagte ihre Mutter mit einer Stimme, die jeden Widerspruch von vorneherein ausschloss, „ist das die einzige Art und Weise, wie wir doch noch zu einem Urlaub kommen. Und glaub nicht, dass ich mir vier Wochen an einem herrlichen Stausee entgehen lasse, nur weil du meine Freundin Ella nicht leiden kannst.“ Sie sah Birgit scharf an. „Ich bin vollkommen fertig nach all dem Stress im Büro und jetzt, wo ich endlich Urlaub habe, möchte ich nicht den ganzen August in einer stickig heißen, halb verlassenen Stadt herumhocken und mir die geschlossenen Rollläden ansehen. Ich fahre zu Ella, und da du nicht allein zu Hause bleiben kannst, kommst du mit, ob dir Patrick nun gefällt oder nicht. Du kannst ihm ja aus dem Weg gehen.“ Sie stellte die Pfanne mit den Fischstäbchen und Kartoffeln auf den Küchentisch und wischte sich die Hände an ihrer Jeans ab. Etwas versöhnlicher fügte sie hinzu: „Jetzt komm. Iss und sei nicht so kindisch. Es tut mir ja leid, dass ich dir nichts Besseres bieten kann, aber ...“ „Schon gut“, knurrte Birgit. Sie hasste es, wenn ihre Mutter mit den Problemen der Alleinerziehenden anfing. Kein Geld. Keine Freizeit. Niemand, der auf die Kinder aufpasste. Das alles stimmte und natürlich tat Eva ihr Bestes und Birgit war alt und klug genug, um mit der Realität zu leben. Aber nun bestand genau diese darin, dass sie einen Monat lang in das verschlafene Nest Blauenswede fuhren, zu der dicken, wunderlichen Tante Ella, die vor ewigen Zeiten einmal mit ihrer Mutter in dieselbe Schule gegangen war, und ihrem ebenso dicken und wunderlichen Sohn Patrick. Birgit hatte ihn als ein fettes, weinerliches, ständig an seiner Mutter klebendes Kind in Erinnerung und war überzeugt, dass er sich in den vergangenen sechs Jahren nicht im Geringsten geändert hatte. Eva Rostock versuchte, ihrer Stimme einen zuversichtlichen Klang zu verleihen. „Schau mal, Biggi, du kannst dort sicher einiges unternehmen: Rad fahren oder im See schwimmen ...“ Birgit stach die Zinken der Gabel brutal in die Fischstäbchen. „Ja, ich weiß. Mach dir keine Gedanken. Mir wird schon was einfallen.“ Im Stillen dachte sie: Rad fahren wäre nicht schlecht. Aber in einem Stausee schwimmen! Bloß das nicht! Sie mochte Wasser nicht besonders und eingegrenztes Wasser schon gar nicht. Sie erinnerte sich mit Schaudern daran, wie sie einmal mit der Schule ein Kraftwerk besichtigt hatten. Das unheimliche Tosen des Wassers im Abgrund der Turbinenschächte hatte sie bis in ihre Träume verfolgt. Stauseen waren noch schlimmer. Sie waren wie riesige Grabsteine aus Wasser, die das Land bedeckten, das sie verschlungen hatten. In der undurchdringlichen Finsternis ihres Grundes befanden sich ganze Wälder, aufrecht und unbeweglich, bis sie verrotteten, und manchmal standen sogar Häuser dort unten. Häuser, in denen Menschen gelebt hatten und die jetzt leer und nass in eine immerwährende Nacht ragten. In den Zimmern wohnte das Wasser, durch die Fenster blickte das Wasser und sah wiederum Wasser, auf den Treppen stand und ging schwarzes Wasser. Birgit fühlte, wie sie fröstelte. „Was ist los? Was hast du?“, fragte ihre Mutter erstaunt. Birgit schüttelte den Kopf. „Nichts. Mir war nur einen Moment lang schwindlig.“ In der Nacht träumte sie, dass sie in einem Boot auf diesem Stausee fuhr. Der Kahn war winzig klein und bewegte sich mit beängstigender Geschwindigkeit über das Wasser. Dann entdeckte Birgit, dass sich mitten im See ein Loch öffnete – ein tiefer Trichter im Wasser, als strudele der Stausee in einen unterirdischen Abfluss davon. Und ihr Boot schoss genau auf dieses Loch zu. 3. August Zwei Tage später bestiegen Eva Rostock und ihre Tochter den Zug, der sie zu Tante Ella bringen sollte. Es war ein schwüler, gewitterdunkler Tag und beide waren bis auf die Unterwäsche nass geschwitzt, bevor sie endlich ihre Koffer und Taschen verstaut und sich selbst auf die beiden gepolsterten Sitze im rückwärtigen Teil des Waggons gezwängt hatten. Die Leute, die sich an ihnen vorbeischoben, warfen Birgit neugierige Seitenblicke zu, weil sie in Schwarz gekleidet war, Springerstiefel an den Füßen und Schmuck aus Gummi und Plexiglas trug und ihr zartes, großäugiges und sehr hübsches Gesicht an Augenbrauen, Nase und Unterlippe gepierct war. Sie hörte ihre gemurmelten Bemerkungen, kümmerte sich jedoch nicht weiter darum. Der Zug fuhr los. Eva holte einen Roman aus der Handtasche, einen dicken Band mit rotgoldenem Titelblatt – „Flammen der Leidenschaft“ – und war gleich darauf in der Geschichte versunken. Birgit hörte Musik über ihr iPhone, um sich die Zeit zu vertreiben, aber sie fand die Fahrt trotzdem unerträglich langweilig. Den Nachmittag bis in den Abend hinein rollte der Zug an Dörfern vorbei, die in der Hochsommerhitze dösten und durch gelbe und graue Städte, die halb ausgestorben wirkten. Allmählich wurde es dämmrig und die Landschaft verwandelte sich in ein ständig wechselndes bizarres Muster aus gelben und blauweißen Lampen. Die meisten Passagiere im Zug schlummerten vor sich hin. Es war stickig in den vollbesetzten Wagen und trotz der Ventilation roch es nach verschwitzten Menschen, belegten Brötchen und klebrigem Kunststoff. Dann – als Birgit schon dachte, der Zug würde in alle Ewigkeit durch die Nacht rattern – hielt er in einem trüb erleuchteten Provinzbahnhof und Birgits Mutter sprang alarmiert auf. „Mach schnell, Biggi! Wir sind da!“ Sie hasteten, Koffer und Taschen nachschleifend, aus dem Zug. Und da war auch schon Tante Ella, die sie stürmisch begrüßte. Sie sah immer noch genau so aus wie bei ihrem letzten Besuch: Eine mollige, etwas unordentlich wirkende Frau mit hennarot gefärbtem Haar, deren Kleid wie ein buntes Campingzelt aussah. Patrick war glücklicherweise nirgends zu sehen. An seiner Stelle war ein kräftiger junger Mann in einer Lederjacke mitgekommen, dessen langes, blondes Haar im Nachtwind flatterte. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt und beobachtete die Begrüßungsszene von oben herab. Birgit betrachtete ihn interessiert. Er war nicht gerade ein Schönling, aber er sah gut aus. Er hatte lebhafte blaue Augen, die er im Moment verächtlich zusammenkniff – anscheinend war ihm das Bussi-Bussi-liebste-Freundin-Theater ebenso peinlich wie Birgit. Sie sah ihn an und bemerkte zögernd: „Hallo. Wir kennen uns nicht, oder?“ Er schob die Unterlippe ein Stück vor. „Jedenfalls siehst du anders aus als das letzte Mal, als ich dich gesehen habe. Mann, warst du eine eklige kleine Ziege!“ Birgit hätte beinahe den Koffer fallen gelassen, dessen Griff sie vor lauter Verlegenheit immer noch mit beiden Händen umklammerte. „Du bist – du bist doch nicht etwa Patrick Stein?“ „Wer denn sonst?“, fragte er, schälte bedächtig einen Kaugummi aus dem Silberpapier und knickte ihn in zwei Hälften. Eine steckte er zwischen die Lippen, die andere bot er ihr an. „Magst du?“ Birgit stellte den Koffer...