Krimianthologie
E-Book, Deutsch, 184 Seiten
ISBN: 978-3-7534-3252-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Tödliche Türchen
Karin Büchel
Es war der 30. November. Ein Blick in den Spiegel zeigte, dass ich noch immer tadellos aussah, obwohl ich die Fünfzig bereits überschritten hatte. Die ersten grauen Haare waren kein Problem, schließlich gab es eine Auswahl exzellenter Colorationen. Das bisschen Orangenhaut an den Oberschenkeln verschwand unter blickdichten Strumpfhosen und mein Zahnarzt leistete tolle Arbeit. Die paar Pfunde, die mich von einer Idealfigur trennten, störten nicht und für alle anderen kleinen Wehwechen gab es hervorragende Salben, Pillen und Kosmetikartikel. Nur die kleinen Fältchen an den Augen machten mein Gesicht zwar durchaus attraktiv, doch zeugten sie auch von meiner inneren Unzufriedenheit. Meinen Sorgen und Problemen, die ich in mir herumschleppte und über die ich mit keinem reden konnte. Oder wollte. Sie hießen Karl Uwe. Alles könnte bestens sein, wäre ..., ja wäre ich nicht von Karl-Uwe so genervt gewesen. Nein! Das Wort 'genervt' trifft es nicht. Ich war am Anschlag meiner Gefühlswelt. Jede seiner Bewegungen, jeder Satz von ihm, jede noch so kleine körperliche Annäherung brachte mich zum Wahnsinn. Ich spürte nur noch Aggression, Wut und Zorn in mir, allein wenn ich ihn nur anschaute. Dieses Gefühl zersprengte meinen Körper. Quälte mich, zerfraß mich von innen. Dabei konnte ich noch nicht einmal sagen, was mich genau störte. Es war einfach alles. Sein Aussehen, seine Art zu reden, zu atmen, sich zu bewegen, zu rauchen. Seine Trägheit und Lethargie sowie seine Vorliebe, nein, Besessenheit, für Berichte und Dokumentationen über die Tierwelt. Mein Mann, Karl-Uwe, und ich waren zwanzig Jahre verheiratet. Am 22. November hatten wir unseren Hochzeitstag gefeiert. Na ja, was heißt gefeiert. Auf mein Bitten hin, hat Karl-Uwe am frühen Abend eine Flasche Champagner geöffnet. »Gibt es etwas zu feiern?«, fragte er und schaute mich an. Wie ein Erdmännchen. Die schauen auch immer so unschuldig. Ich presste meine Lippen aufeinander, unterdrückte die aufsteigenden Tränen, legte die Stirn in Falten und murmelte: »Hochzeitstag.« »Ach ja, stimmt!« Er fletschte mit den Zähnen, schüttete Champagner in die Kelche und zündete sich eine Zigarette an. »Ein Prost auf die nächsten Jahre!«, brummte er teilnahmslos, trank den Champagner mit einem Schluck aus, rülpste und wendete sich dem Bildschirm zu, auf dem ein Tierfilm zu sehen war. Ich nippte an dem Kaltgetränk, ballte meine Hände zu Fäusten, so dass sich die Fingernägel in die Handflächen bohrten und schloss die Augen. Da war sie wieder. Diese Wut, die in mir hochkochte. Oh, wie ich meinen Mann in diesem Moment hasste. Ich wollte schreien, ihn an den Schultern packen und schütteln, ihm sagen, wie sehr mich seine Gleichgültigkeit kränkte. War ich ihm so egal, fragte ich mich? Verstohlen wischte ich die Träne von der Wange, die zwischen den Wimpern hindurch lief und dachte an unsere erste, gemeinsame Zeit. Der Beginn unserer Ehe war ein Traum gewesen. Fünf Jahre lebte ich wie in einem Paradies. Ein Himmel auf Erden. Karl-Uwe trug mich auf seinen smarten Händen. Las mir jeden Wunsch von den Lippen ab. Luxus par excellence, Traumreisen bis ans andere Ende der Erde, edler Schmuck vom Feinsten und natürlich vom Teuersten und vier Kleiderschränke reichten bei weitem nicht aus, um alle Klamotten ordentlich zu verstauen. Ganz zu schweigen von der großen Auswahl meiner Schuhe. Jede Frau in meinem Bekanntenkreis beneidete mich. Vor allem meine Freundin Cordula konnte es nicht lassen, Sätze wie »Schon wieder im Flieger gewesen?« oder »Die Anzahl deiner Schuhe übersteigt die Höhe des Himalayas«, zu sagen. Ich liebte Karl-Uwe mit jeder Faser meines Herzens. Ich sehnte mich nach seinem Körper, seinem Geruch und seiner Zärtlichkeit. Nach seinem so zarten Händen und seinen gierigen Lippen. Sowie nach seiner Großzügigkeit. Doch kein Glück der Welt hält ewig. So auch unseres nicht. Karl-Uwe hatte eine Affäre. Ich erfuhr es durch Zufall von meiner Nachbarin, für die ich immer die Pakete annahm, wenn sie auf Reisen war. Sie erzählte es mir so ganz nebenbei, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Er hatte eine Affäre mit meiner allerbesten Freundin. Mit Cordula. Ich fiel damals aus allen Wolken. Warum ausgerechnet Cordula, fragte ich mich? Cordula hatte weder eine gute Figur, noch ein hübsches Gesicht. Cordula trug am liebsten Schnürschuhe und Bundfaltenhosen. Cordula lachte viel zu laut, konnte nicht backen und liebte Goldfische. Ich wollte nur noch sterben. Mich vor einen Zug werfen. Ich wollte mich mit Tabletten ins Jenseits befördern und mir mit dem Fleischermesser die Pulsadern aufschneiden. »Warum?«, schrie ich wütend. »Warum soll ich gehen und das Feld einer anderen Frau überlassen?« Eigentlich ging es mir doch gut. Eigentlich ... wenn man von der misslichen Situation mit meinem Mann absah. Von meinem brachialen Gefühlschaos, seiner Affäre, unseren Eheproblemen und der Eiseskälte zwischen uns. Ich hatte alles. Und Karl-Uwe lag mir zu Füßen. Wurde zu Wachs in meinen Händen, seit er wusste, dass ich hinter seine Affäre gekommen war. Er verwöhnte mich noch mehr, schüttete mich mit Edelsteinen und Klunkern zu. Wollte mich auf keinen Fall verlieren. Tausendmal sagte er die Worte: »Du bist mein bestes Stück im Haus!«, und dass Cordula nur eine vorübergehende Laune gewesen wäre. Eine »Eintagsfliege«, nannte er sie. Eine kleine Abwechslung, mehr nicht. An jenem 30. November vor einigen Jahren saß ich in unserer Küche und nippte an dem Schaum meines Cappuccinos. Ich sah Karl-Uwe durch den Türspalt im Wohnzimmer. Er saß in seinem geliebten Ohrensessel, an dem der dunkelgrüne Samtstoff bereit abgewetzt und zerschlissen war. Wie immer hatte er seinen Kopf auf seine rechte Hand gestützt und strich sich mit den Fingern der Linken über sein fliehendes Kinn, welches mittlerweile übergangslos in ein Doppelkinn überging. Widerlich, dachte ich so bei mir. Und dann seine dicken Siegelringe an Mittelfinger und Ringfinger. Die Finger waren ekelig gelb vom Qualm unendlich vieler gerauchter Zigaretten waren. Er nahm sich eine Salzstange aus der vor ihm stehenden Packung und biss mit seinen leicht schrägen Schneidezähnen ein kleines Stückchen ab, kaute mindestens fünf mal darauf herum, bis er wieder in diese Salzstange biss. Diesen Vorgang wiederholte er solange, bis sie aufgegessen war, dann strich er sich wieder über sein fliehendes Kinn und nahm sich eine neue Salzstange. Ich schüttelte mich. Mein Gott, wie mich das quälte. Wie mich das schmerzte. Aber eine Lösung war nicht in Sicht. »Karl-Uwe, ich gehe jetzt auf den Weihnachtsmarkt. Die Buden sind schon geöffnet. Kommst du mit?« Da ich die Antwort kannte, bevor er antwortete, war ich nicht erstaunt als er sagte: »Nein, ich sehe mir einen Tier-film an. Gehe alleine. Kauf dir etwas Schönes.« Rasch warf ich mir den warmen Poncho über, nahm die neuen Lederhandschuhe und die passende Handtasche und verließ das Haus. Ich liebte Weihnachtsmärkte. Diese wunderbare Atmosphäre von Traditionellem, Romantischem und Außergewöhnlichem, die herrlichen Düfte von Spekulatius, Honigprinten und gebrannten Mandeln. Von Glühwein, Lebkuchen und Bratwürsten. Ich liebte dieses Winterwunderland. Die weihnachtlichen Klänge, den zauberhaften Lichterschmuck, die Hektik und den Kitsch. Der Stand mit den Weihnachtsgewürzen hatte es mir besonders angetan. Hunderte von Gläsern, Tüten, Fläschchen und Stövchen standen in den Regalen und jedes duftete intensiver, extravaganter, interessanter, als das vorherige. Anis, Koriander, Muskatnuss, Zimt standen neben Vanille, Piment, Nelken und exotischen Tonkabohnen. Wie benebelt blieb ich stehen und schaute der Betriebsamkeit zu. Und dann sah ich, ganz am Ende des obersten Regals ein kleines, bauchiges Fläschchen. Es sah fast aus wie ein Flacon. »Was ist denn das für ein Gewürz?« Ich schaute die quirlige, etwas pralle Verkäuferin fragend an. »Das ist ein ganz besonderes Gewürz. Eine geheime Mischung und hilft gegen alle Probleme des Alltags. Man muss nur daran glauben!« Sie lächelte mir zu. »Oh,wie schön, dass es so etwas gibt«, antwortete ich und ging dann mit einem kurzen Gruß weiter. Neben der Glühweinbude entdeckte ich den Stand, der, in meinen Augen, die schönsten Adventskalender der ganzen Stadt hatte. Jeder Kalender war ein Unikat. Jeder Kalender hatte hinter seinem Türchen etwas Besonderes versteckt. Nicht nur süße Leckereien. Nein! - Auch kleine Stücke Seife, Schnapsfläschchen, Minipralinés, Gewürztöpfchen und kleine herzhafte Delikatessen. Herrlich. Begeistert kaufte ich mir den Kalender, auf dem das »Bonner Münster« unter einer Schneedecke zu sehen...