Bubenheimer / Fauth / Scheidler | Religiöser Pluralismus und Deutungsmacht in der Reformationszeit | Buch | 978-3-923834-34-1 | sack.de

Buch, Deutsch, Band 36, 156 Seiten, KART, Format (B × H): 148 mm x 210 mm, Gewicht: 216 g

Reihe: Schriftenreihe der Freien Akademie

Bubenheimer / Fauth / Scheidler

Religiöser Pluralismus und Deutungsmacht in der Reformationszeit

Buch, Deutsch, Band 36, 156 Seiten, KART, Format (B × H): 148 mm x 210 mm, Gewicht: 216 g

Reihe: Schriftenreihe der Freien Akademie

ISBN: 978-3-923834-34-1
Verlag: Freie Akademie


Die Freie Akademie widmet den Band 36 ihrer Schriftenreihe dem Thema „Religiöser Pluralismus und Deutungsmacht in der Reformationszeit“. Damit wird ein Beitrag zum Luther-Jahr 2017 geboten.
Reformation bezeichnet im engeren Sinn eine kirchliche Erneuerungsbewegung zwischen 1517 und 1555 bzw. 1648, die zur Spaltung des westlichen Christentums in verschiedene Konfessionen (römisch-katholisch, lutherisch, reformiert) führte. Die Reformation wurde in Deutschland überwiegend von Martin Luther (1483–1546), in der Schweiz von Huldrych Zwingli (1484 – 1531) und Johannes Calvin (1509 – 1564) angestoßen. Ihr Beginn wird allgemein auf 1517 datiert, als Martin Luther am 31. Oktober des Jahres seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben soll, aber ihre Ursachen und Vorläufer reichen weiter zurück. Als Abschluss kann allgemein der Augsburger Reichs- und Religionsfrieden von 1555 bzw. letztlich der Westfälische Frieden von 1648 betrachtet werden.
Die Reformation war einer der großen Wendepunkte in der Geschichte Europas und in der Geschichte des Christentums. /1/ Die Reformation revolutionierte nicht nur das geistliche Leben, sie setzte auch eine umfassende gesellschaftspolitische Entwicklung in Gang. Vorbereitet durch Luthers prinzipielle Trennung von Geistlichem und Weltlichem löste sich der Staat von der Bevormundung durch die Kirche, um nun seinerseits durch eine fürstenstaatliche Ausrichtung der Reformation die Kirche von sich abhängig zu machen. Doch auch dies stellte nur eine Übergangsphase in einer Entwicklung dar, die in vielen europäischen Ländern in die Trennung von Kirche und Staat mündete, die die Hugenotten und Täufer als verfolgte Minderheitskirchen schon seit ihrer Entstehung im 16. Jahrhundert praktizierten.
Die Reformbewegung spaltete sich aufgrund unterschiedlicher Lehren in verschiedene protestantische Kirchen. Die wichtigsten Konfessionen, die aus der Reformation hervorgingen, sind die Lutheraner und die Reformierten (darunter Calvinisten, Zwinglianer und Presbyterianer). Hinzu kommen die radikal-reformatorischen Täufer. In Ländern außerhalb Deutschlands verlief die Reformation zum Teil anders.
Es entwickelten sich im 16. Jahrhundert auch radikale Reformatoren, für die hier stellvertretend Thomas Müntzer (vor 1489 – 1525) /2/, einer der Gegenspieler Martin Luthers, genannt sei. Ihre zentralen Anliegen waren die radikale Reform der Kirche und im Falle Thomas Müntzers auch die biblisch begründete, revolutionäre Umwälzung der politischen und sozialen Verhältnisse. Hier lagen auch die Wurzeln des Deutschen Bauernkriegs 1524 bis 1526. Dabei kam es z.B. in Thüringen zur Gründung des „Ewigen Rates“, der die politischen und sozialen Forderungen der Bauern durchsetzen sollte.
Eine weitere Gruppe der radikalen Reformation war die der reformatorischen Antitrinitarier, für die Michael Servetus (1509/11 – 1553) steht. In Siebenbürgen besteht bis heute die aus der Reformation hervorgegangene Unitarische Kirche.
Sowohl die römisch-katholischen als auch die lutherischen und reformierten Obrigkeiten verfolgten einige radikale reformatorische Gruppen mit großer Härte – ohne Ansehen ihrer unterschiedlichen Zielsetzungen und Lehren. In vielen Ländern mussten zum Beispiel die Täufer unter Zurücklassung ihrer Habe das Land verlassen, in anderen Fürstentümern wurden sie wegen ihrer Überzeugungen gefangen gesetzt und gefoltert und im Extremfall sogar als Ketzer verbrannt oder ertränkt.
Mit der Entstehung neuer religiöser Deutungskonzepte in der Reformationszeit und deren Institutionalisierung in Konfessionskirchen verschärfte sich die Spannung zwischen religiösen Einheitsansprüchen und zunehmender religiöser Pluralität. Reformatoren wie Luther oder Calvin beanspruchten Deutungsmacht über die Bibelauslegung und setzten sie der Deutungshoheit der hergebrachten kirchlichen Institutionen entgegen. Indem sich Landes- und Stadtobrigkeiten bestimmte Deutungskonzepte zu eigen machten, konnten sie den zuvor schon im Gang befindlichen Ausbau eines landesherrlichen Kirchenregiments nachhaltig steigern. Gleichzeitig wirkte diese Entwicklung als Impuls zur weiteren Pluralisierung inner- und außerhalb der Konfessionen und strahlte auch auf andere Bereiche wie die Entwicklung der Kunst, des Rechts und der Naturwissenschaften aus. Individuelle Religion differenzierte sich in ein öffentliches Bekenntnis und eine privat gelebte religiöse Praxis.
Die Beiträge dieses Buches bedenken die in der Reformationszeit aufbrechende Spannung zwischen den Bedürfnissen nach weltanschaulicher Einheit und nach Pluralität. Noch heute kommt diese Spannung z.B. einerseits in den Rufen nach „Minimalkonsens“ und „Wertegemeinschaft“ und andererseits in dem Bedürfnis nach Weltanschauungs- und Religionsfreiheit zum Ausdruck.
Mit diesem Buch möchten wir das Geschichts- und Demokratiebewusstsein fördern und das Verständnis für Toleranz und Freiheit stärken. Dabei haben wir – für unsere Gegenwart bedeutsame – Daseins- und Wertefragen interdisziplinär erörtert.
Wir konnten Prof. Dr. Ulrich Bubenheimer gemeinsam mit Dr. Dieter Fauth als Herausgeber des Buches gewinnen. Sie haben zugleich die wissenschaftliche Tagung der Freien Akademie im Mai 2016 zum gleichen Thema inhaltlich vorbereitet und geleitet. Das Buch beinhaltet die Beiträge und Ergebnisse dieser Tagung.
Ich bedanke mich bei den Autoren und vor allem bei den Herausgebern des Bandes für die wertvollen Beiträge.

Dr. Volker Mueller
Präsident der Freien Akademie


Literatur

1 Ulrich Bubenheimer/ Ulman Weiß: Schätze der Lutherbibliothek auf der Wartburg: Studien zu Drucken und Handschriften. Regensburg 2016; Volker Reinhardt: Luther, der Ketzer: Rom und die Reformation. München 2016; Heinz Schilling: Martin Luther: Rebell in einer Zeit des Umbruchs. München 2014. Ulrich Bubenheimer / Stefan Oehmig: Querdenker der Reformation – Andreas Bodenstein von Karlstadt und seine Wirkung. Zell am Main 2001.
2 Siegfried Bräuer / Günter Vogler: Thomas Müntzer. Neu Ordnung machen in der Welt. Eine Biographie. Gütersloh 2016.
Bubenheimer / Fauth / Scheidler Religiöser Pluralismus und Deutungsmacht in der Reformationszeit jetzt bestellen!

Weitere Infos & Material


VOLKER MUELLER
Vorwort des Herausgebers der Schriftenreihe 7

ULRICH BUBENHEIMER / DIETER FAUTH
Einleitung 11

FABIAN SCHEIDLER
Die Formation der kapitalistischen „Megamaschine“
in der Zeit von Reformation und deutschem Bauernkrieg 15

GÜNTER VOGLER
Ist die marxistische Deutung der Reformation überholt?
Versuch einer Antwort am Beispiel des Thomas-Müntzer-Bildes 27

ULRICH BUBENHEIMER
Existenz zwischen Einheitsanspruch und religiösem Pluralismus in
der Reformationszeit – Individuelle religöse Orientierung am Beispiel
des Klerikers und Notars Andreas Gronewalt in Halberstadt und Halle 61

DIETER B. HERRMANN
Das Verhältnis von Humanismus, Reformation und Katholizismus
zu Astronomie und Astrologie 85

DIETER FAUTH
Sichtweisen auf Juden und Judentum in der Reformationszeit 101

ALEJANDRO ZORZIN
Johannes Eck (1486–1543) – Öffentliche Demontage
(public dismantling) im Spannungsfeld frühreformatorischer
Polemik (1517/18–1525/30) 117

Die Autoren 153

Liste der Schriftenreihe der Freien Akademie 158


ULRICH BUBENHEIMER / DIETER FAUTH

Einleitung




Dieses Buch geht aus einer Tagung hervor. Ihre Teilnehmer sind zum großen Teil Mitglieder der Freien Akademie e. V. (FA) oder fühlen sich ihr verbunden. Diese Vereinigung ist von Menschen gebildet, die zumeist irgendeiner weltanschaulichen oder religiösen Minderheitengruppe angehören. Dabei reicht das Spektrum von atheistischen, säkular-humanistischen, freireligiösen, bis hin zu freikirchlichen Bereichen. Was die Menschen verbindet, ist ihr Minderheitenstatus und die religiöse Toleranz. Angehöriger einer Minderheit zu sein, bedeutete schon immer und auch heute, unter einem erhöhten Rechtfertigungsdruck zu stehen, wenn die eigenen Überzeugungen zur Debatte stehen. Dies ist nur ein Beispiel dafür, unter welchen spezifischen Blicken mit den Beiträgen der Tagung bzw. dieses Buches auf die Reformationszeit geblickt wird.
Beim Eröffnungsforum der Tagung gingen die Versammelten der Frage nach, wer denn mit welcher Legitimation in der Reformationszeit (1517–1555) die Macht beanspruchte, religiöse Texte und religiöse Handlungen autoritativ zu interpretieren. Daraus ergibt sich die weitere Frage, wie Personen wahrgenommen wurden und werden, die sich solchen Ansprüchen nicht unterwerfen wollten. Das Bedürfnis nach Subjektivität im Bereich der Religiosität war auch im 16. Jahrhundert vorhanden. Doch war hierfür der öffentliche Spielraum nach der Festlegung der Gläubigen auf eine bestimmte „Konfession“ während der Reformationszeit enger als davor im Mittelalter. Das lag unter anderem an der auf Kontroverse angelegten Gesamtlage der Zeit. Durch den reformatorischen Druck wurde auch im altgläubigen (Begriff für die Zeit vor 1555) bzw. im katholischen Bereich eine Einengung provoziert, die sich schließlich im 19. Jahrhundert im Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes ballte. Seit dem Spätmittelalter haben eine derartige Einengung vor allem die Dominikaner betrieben, die auch die heftigsten Gegner von Martin Luther (1483–1546) waren.
Die Geschichte der protestantischen Kirchen war von Anfang an von Intoleranz gegenüber „Abweichlern“ geprägt mit der Folge, dass die evangelischen Amtskirchen bis heute aufs Ganze gesehen unter einem Pluralismusdefizit leiden. Freilich sind immer die einzelnen Amtsträger individuell zu betrachten. Doch veranschaulichen „die evangelischen Amtskirchen“ bis heute die These von Ernst Troeltsch, dass dissidente protestantische Bewegungen mehr in die Moderne führten und führen als die lutherische Konfession. Die Diskussion über all diese Sichtweisen zeigte deutlich ein Interesse der Versammelten auch an der Bedeutsamkeit des historischen Geschehens für unsere heutige Gesellschaft, die labil und fragil zwischen dem Postulat radikaler Offenheit und den Rufen nach Minimalkonsens und Leitkultur schillert.
Den Herausgebern ist bewusst, dass in vorliegendem Band ein Beitrag zur systematischen Einordnung der Hauptbegriffe „Deutungsmacht“ und „Pluralismus“ fehlt. Auch ein Beitrag zur katholischen Perspektive auf das Thema kann nicht geboten werden, da kein Autor gefunden werden konnte. Weiterhin findet sich zwar ein Beitrag zur Bedeutung des Judentums für die Reformationszeit. Doch fehlt in dem vorliegenden Buch der Blick auf den Islam. In dieser Zeit dehnte sich der Islam geografisch enorm aus. Konnte er 1453 Konstantinopel (Istanbul) erobern, stand er 1529 zum ersten Mal und 1683 zum zweiten Mal vor Wien. Diese Bedrohung des christlichen Europa durch den Islam band bei den Habsburgern und anderen Fürsten viel Geld und militärische Kräfte, was das Agieren Luthers und der weiteren Reformatoren im Inneren des Reiches erleichterte. So wurde der Islam unbeabsichtigt zu einem Geburtshelfer des Protestantismus. Intellektuell hat sich aber für den Islam im christlichen Abendland des 16. Jahrhunderts kaum jemand interessiert – ganz im Unterschied zum Interesse am Judentum. Einschlägige Ansätze zeigte etwa Sebastian Münster in Basel. Auch gibt es Schriften des 16. Jahrhunderts, die sagen, dass islamische Staatengebilde genau so vorbildlich seien wie z.B. das venezianische Reich.
Auch wenn grundlegende Bereiche der Thematik dieses Buches unbearbeitet bleiben, wird mit den Beiträgen dieses Buches doch ein zusammenhängender Komplex beleuchtet. Alle Beiträge zeigen die Reformationszeit als eine Zeit tiefgreifender Umbrüche mit sich daraus ergebenden Chancen gewaltiger Verbesserungen im Leben der Menschen. Es sind Chancen der Emanzipation von Macht, von ökonomischer und sozialer Abhängigkeit und von intellektueller Gängelung. Viele dieser Freiheitsbestrebungen, anfänglich von der reformatorischen Bewegung mit getragen, hat die Reformation verraten – oder sie wurden blutig niedergeschlagen. Aber sie blieben immer drängend. In (Vor)-Pietismus und Aufklärung wurden sie wieder aufgegriffen. Und heute sind damalige Bemühungen Teile demokratisch-rechtsstaatlicher Ordnung geworden. Freilich muss auch noch heute Tag für Tag für Werte, um die in der Reformationszeit gestritten wurde, gerungen werden: für die ökonomische Autonomie jedes Einzelnen und jeder Gemeinschaft; für soziale Gerechtigkeit; für die Unabhängigkeit der Wissenschaften und den Raum für unbegrenzte intellektuelle Freiheit; für Meinungs-, Gewissens- und Glaubensfreiheit. Insofern bieten die hier vorgelegten Beiträge zur Reformationszeit durchaus auch aktuelle Bezüge.


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