Die soziale Organisation von Schmuggel am Rande der Europäischen Union
E-Book, Deutsch, 273 Seiten, eBook
ISBN: 978-3-531-91939-3
Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Format: PDF
Kopierschutz: 1 - PDF Watermark
Bettina Bruns ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Länderkunde in Leipzig.
Zielgruppe
Professional/practitioner
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
1;Danksagung;5
2;Inhaltsverzeichnis;6
3;Abkürzungsverzeichnis;8
4;Abbildungsverzeichnis;9
5;Tabellenverzeichnis;10
6;1 Einleitung;12
7;2 Theoretischer Rahmen;20
7.1;2.1 Transformation aus theoretischer Sicht;20
7.1.1;2.1.1 Transformation als zielgerichtete Modernisierung;20
7.1.2;2.1.2 Transformation als offener Aushandlungsprozess;22
7.2;2.2 Der Transformationsprozess in Polen;26
7.2.1;2.2.1 Voraussetzungen des Transformationsprozesses in Polen: Staat versus Gesellschaft;27
7.2.2;2.2.2 Merkmale des Transformationsprozesses in Polen;32
7.3;2.3 Theorie der alltäglichen Lebensführung;39
7.4;2.4 Armutskonzepte: Armut als subjektorientierter Prozess;43
7.5;2.5 Ökonomische Strategien armer Haushalte;45
7.5.1;2.5.1 Die informelle Ökonomie;53
7.5.2;2.5.2 Die informelle Ökonomie in Polen;56
7.6;2.6 Fazit;59
8;3 Schmuggel in der Grenzstadt Bartoszyce;60
8.1;3.1 Die Stadt Bartoszyce;60
8.1.1;3.1.1 Historischer Abriss: Von Bartenstein nach Bartoszyce;60
8.1.2;3.1.2 Das Erbe der Transformation: Die sozioökonomische Situation in Bartoszyce seit Anfang der 1990er Jahre;65
8.2;3.2 Hintergrund: Die polnisch-russische Grenze;76
8.2.1;3.2.1 Historische Entwicklungslinien;76
8.2.2;3.2.2 Die Grenze heute: Die Grenze zwischen Polen und Kaliningrad in ihrer Funktion als EU-Außengrenze;81
8.3;3.3 Synthese: Bartoszyce als Grenzstadt;92
8.4;3.4 Bemerkungen zum Forschungsstand;97
9;4 Zur Methode;100
9.1;4.1 Datenerhebung;100
9.1.1;4.1.1 Ethnographische Feldforschung;101
9.1.2;4.1.2 Ethnographische Feldforschung in Bartoszyce;103
9.2;4.2 Datenauswertung;120
10;5 Analyse des empirischen Materials;122
10.1;5.1 Anatomie des Schmuggels: Bartoszyce – Bagrationowsk und zurück;122
10.1.1;5.1.1 Rahmenbedingungen des Schmuggels;134
10.1.2;5.1.2 Ausgestaltung des Schmuggels durch Schmuggler;148
10.1.3;5.1.3 Fazit;172
10.2;5.2 Schmuggel als ein Element individueller Armutsvermeidung;174
10.2.1;5.2.1 Vom Einzelfall zum Typus: Die Erarbeitung relevanter Vergleichsdimensionen;175
10.2.2;5.2.2 Zuordnung der Fälle;179
10.2.3;5.2.3 Charakterisierung der gebildeten Typen;182
10.2.3.1;5.2.3.1 Typ „Professioneller Unternehmer“: „Geld muss immer im Haus sein“;183
10.2.3.2;5.2.3.2 Typ „Starker Existenzsicherer“: „Also hier geht es nur um die Kinder“;193
10.2.3.3;5.2.3.3 Typ „prekärer Multiverdiener“: „Wir haben zwei Einkommen, aber sind gezwungen, nach Russland zu fahren”;205
10.2.3.4;5.2.3.4 Typ „pragmatischer Kompensierer“: „Das ist illegale Arbeit. Aber das ist verdientes Geld dank meiner Arbeit“;218
10.2.3.5;5.2.3.5 Typ „abenteuerlustiger Nebenverdiener“: „Ich fuhr so ein bisschen zum Vergnügen, zur Unterhaltung“;235
10.2.4;5.2.4 Fazit;246
11;6 Schlussbemerkungen;253
12;7 Bibliographie;258
Theoretischer Rahmen.- Schmuggel in der Grenzstadt Bartoszyce.- Zur Methode.- Analyse des empirischen Materials.- Schlussbemerkungen.
4 Zur Methode (S. 101-102)
4.1 Datenerhebung
Welche Rolle spielen Schmuggel und Kleinhandel in Haushaltsstrategien und Lebensführung Einzelner in der Armutsökonomie an der polnisch-russischen Grenze? Wie sehen Lebenswelten von Menschen aus, die Schmuggel über die polnischrussische Grenze treiben? Wie erzeugen sie ihre jeweilige Wirklichkeit? Um Antworten auf solche Fragen finden zu können, reicht es nicht aus, Fragebögen an schmuggelnde Personen zu schicken und auf Antwort zu warten.
Aufgrund der Illegalität dieser Beschäftigung und der Anonymität beim Einsatz quantitativer Methoden, der ein persönliches Kennenlernen und den Aufbau einer Vertrauensbeziehung nicht zulässt, hätte ein quantitativer Zugang keine validen Ergebnisse hervorbringen können. Zunächst einmal musste ich Schmuggler ausfindig machen. Dann musste ich sie kennenlernen, Vertrauen aufbauen, einen Zugang zu ihnen bekommen, um schließlich Interviews mit ihnen führen zu können.
Darüber hinaus musste ich Kontextwissen über Bartoszyce sammeln, was mich in Bibliotheken, an die Universität in Olsztyn, auf ausgedehnte Spaziergänge führte und ins Gespräch mit lokalen „Experten“ brachte. Regelmäßig kaufte ich die Lokalzeitung, war im Ort präsent und beobachtete, was um mich herum passierte – auf dem Markt, an der Grenze, in Geschäften, in der Nachbarschaft. Mit anderen Worten: Ich betrieb ethnographische Feldforschung. In diesem Kapitel werde ich zunächst diese Forschungsrichtung kurz vorstellen, um dann auf die konstitutiven Elemente und Probleme meiner eigenen empirischen Forschung einzugehen.
4.1.1 Ethnographische Feldforschung
„From my viewpoint, ethnography is the more general process of understanding another human group (...)“ (Agar 1996: 121). Dieser Grundannahme folgend, drängen sich Fragen auf: Wie sieht dieser Prozess aus? Welche Methoden gestalten ihn? Ziel des ethnographischen Verfahrens ist die verstehende Beschreibung von kleinen sozialen Lebenswelten, von sozial (mit-)organisierten Ausschnitten individueller Welterfahrungen (vgl. Honer 2004: 195).
Um das zu erreichen, muss eine Perspektivenübernahme durch den Forscher stattfinden, d.h., er sollte möglichst zum beobachtenden Teilnehmer der thematisierten sozialen Veranstaltung werden (vgl. Honer 1994: 89, Girtler 1984: 63f.). Das impliziert zweierlei: Erstens setzt die Aktivität eines beobachtenden Teilnehmers voraus, dass es etwas zu beobachten gibt, und dass der Forscher dazu Zugang hat. Ist dies gelungen, hängt der Erfolg der Datenerhebung zweitens davon ab, wie der Forscher seine Rolle vor den Teilnehmern der ihn interessierenden sozialen Situation plausibilisieren kann.
Diese beiden Vorgänge – Feldzugang und Plausibilisierung der Rolle des Forschers – bilden zwei Voraussetzungen für einen längeren informativen Aufenthalt im Forschungsfeld, was wiederum eine Prämisse jeder ethnographischer Forschung ist (vgl. Lüders 2004: 391f.). „Ethnographic relationships are long-term and diffuse“ (Agar 1996: 120). Der Aufbau von Vertrauensverhältnissen zwischen Forscher und den interessierenden Personen, der eine Voraussetzung für erfolgreiche Feldforschung ist, braucht Zeit. Dies gilt umso mehr für Forschungsgebiete, die wie z.B. der Schmuggel, zu „sensitive topics“ (vgl. Lee 1993) zählen. Erst die umfangreiche Kenntnis der Lebensbedingungen in der Region ermöglicht die "ethnographische Rückversicherung" (vgl. Böhnisch, Funk 1989).