E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Brownmiller Mein New Yorker Hochhausgarten
1. Auflage 2018
ISBN: 978-3-7317-6141-9
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 208 Seiten
Reihe: Gartenbücher - Garten-Geschenkbücher (CP983)
ISBN: 978-3-7317-6141-9
Verlag: Schöffling
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Susan Brownmiller, geboren 1935, ist Journalistin, Schriftstellerin, Feministin, Aktivistin und Bestseller-Autorin. Ihr berühmtestes Buch Gegen unseren Willen: Vergewaltigung und Männerherrschaft (1978) gilt als feministischer Klassiker.
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Hallo, Terrasse
Seit nunmehr fünfunddreißig Jahren gärtnere ich auf einer hochgelegenen Terrasse eines New Yorker Wohngebäudes, bepflanze Töpfe, Tröge und Kübel, schleppe jedes Frühjahr säckeweise Erde an, schlage mich mit dem Wind herum, führe Krieg gegen alle möglichen Winzlinge, die meinen Pflanzen den Lebenssaft aussaugen und kreuze gelegentlich die Klinge mit einem missgünstigen Nachbarn. Natürlich hätte ich auch liebend gern auf einem Landgut gegärtnert, oder zumindest auf einer nicht ganz so hoch gelegenen Terrasse, aber ich will mich nicht beklagen. Ich kann von Glück sagen, überhaupt einen Außenbereich zu haben, wo ich meiner Leidenschaft nachgehen kann, auch wenn die rauen Bedingungen zwanzig Stock über der Straße für meine Pflanzen nicht gerade einfach sind.
Gärtnernde Schriftsteller erzählen einem gern, wie sie zu ihrem Fleckchen Erde gekommen sind – beispielsweise indem sie ein völlig zugewuchertes Stück Farm- und Waldland erbten. Das hier ist eine New Yorker Geschichte. Sie begann in den 1960er Jahren, als Bauunternehmer ein Mietshaus am nordwestlichen Rand des charmanten, historischen Greenwich Village abrissen, gleich an der Grenze zu einem Leichtindustriegebiet, bestehend aus Schlachthäusern und Fabriketagen. Das klobige rote Backsteinmonstrum, das anschließend auf dem Grundstück hochgezogen wurde, passte so wenig zu den Häusern im frühen Federal- und viktorianischen Stil auf der besseren Seite der Grenze und wirkte im Vergleich zu ihnen so unverhältnismäßig groß, dass entsetzte lokale Denkmalschützer in Aktion traten und die Stadt dazu brachten, Greenwich Village zu einer geschützten Zone zu erklären, in der es strikte Auflagen in Bezug auf die Höhe neuer Bauten gab.
Der unrühmliche Koloss, eine bereits vollendete Tatsache, besaß ein Penthousestockwerk mit fünf Terrassenwohnungen. Ich weiß natürlich, dass ein Penthouse eigentlich ein Einzelgebilde ist, aber ich kann nun einmal nichts für die Benennungspraktiken von Immobilienmaklern oder für die Wünsche und Sehnsüchte der Leute. Inzwischen besitzt New York Wohntürme mit sage und schreibe vier – Sie können gern nachzählen, vier – ausgewiesenen Penthouse-Stockwerken. Ein privater Bereich mit Kletterpflanzen und Blumen und einer fabelhaften Aussicht ist nun einmal der Traum vieler Städter, eine unausrottbare romantische Phantasievorstellung von Erfolg auf höchstem Niveau, die zu großen Teilen auf alte, noch in Schwarzweiß gedrehte Hollywoodfilme zurückgeht, die nicht etwa an Ort und Stelle, sondern in nachgemachten Sets entstanden.
Jedenfalls wohnte ich in einer durchaus netten Zwei-Zimmer-Mietwohnung im fünften Stock des Kolosses, der die Denkmalschützer auf den Plan gerufen hatte, als ein Buch, das ich geschrieben hatte, mir einen Haufen Geld einbrachte. Verständlicherweise richtete sich mein Blick sofort nach oben, und ich bat Nestor, unseren hart arbeitenden Hausmeister, mir Bescheid zu geben, sobald eine Penthousewohnung frei würde. Meine Beziehung zu Nestor war ausgezeichnet. Er bewunderte mein Geschick mit Zimmerpflanzen und ich wurde nie ausfällig, wenn er einmal vergaß, irgendeine Reparatur für mich zu erledigen, während ein berühmter Filmschauspieler, der ebenfalls im Haus wohnte und ebenfalls ein Penthouse wollte, für seine Temperamentsausbrüche bekannt war. Nestor hatte Probleme mit der Hüfte und sein Englisch ließ zu wünschen übrig, was für meine Geschichte relevant ist. Eines Tages verließ er während eines Streiks der Gebäudemitarbeiter die Streikpostenkette in der Lobby, humpelte auf mich zu und rief: »Er gestorben, er gestorben!« Es dauerte einen Augenblick, bis mir klar wurde, dass Nestor mir einen wertvollen Tipp gab, der mir den entscheidenden Vorsprung verschaffte, mir eine plötzlich zur Verfügung stehende Wohnung im obersten Stock zu sichern. Ich schluckte, packte die Gelegenheit beim Schopf, unterschrieb einen Vertrag, der meine Miete verdreifachte, und wurde Terrassengärtnerin.
1978, als ich meinen Adlerhorst bezog, rissen sich die Leute noch nicht darum, in der Nähe eines lauten Schlachthofbezirks zu leben, wo es nach Talg und Blut stank und vor Fliegen nur so wimmelte. Eine Großbäckerei, eine Eiscremeproduktion und eine stinkende Würstchenfabrik lagen ein Stück weiter die Straße runter. Ich erinnere mich immer noch an den unverkennbaren Geruch einer Tintenfabrik. Scheppernde Güterwaggons für die Fleischhauer pendelten auf einer Hochbahntrasse hin und her. Nachts konnte man in geparkten Lastwagen in der Nähe der gesperrten West Side Highway – ein Teil davon war eingestürzt – anonymen Sex kaufen. Wenn ich abends mit dem Hund unterwegs war, gingen wir nie in diese Richtung.
Stadtviertel verändern sich. Meins verwandelte sich von einem Wildwest-Grenzgebiet zu »angesagt«. Der Highway wurde wiedereröffnet, daneben wurde direkt am Ufer des Hudson ein Park angelegt, und die Schlachthäuser wichen trendigen Nachtclubs, Designerboutiquen, gläsernen Türmen mit Eigentumswohnungen und Spitzenrestaurants, für die die Leute von weither angefahren kamen. Die scheppernden Güterwaggons verschwanden, ein großer Teil der Hochbahntrasse wurde abgerissen, der Rest verwandelte sich in den kunstvoll gestalteten High Line Park, der Touristen aus aller Welt anzieht, und in jüngster Zeit bezog eins der städtischen Museen sein neues Domizil direkt am Ufer. Mein Haus wurde Mitte der 1980er Jahre in Eigentumswohnungen umgewandelt, allerdings durften laut Gesetz 30 Prozent von uns weiterhin als Mieter in unseren mietpreisgebundenen Wohnungen bleiben. Weder damals noch zu irgendeinem Folgezeitpunkt hätte ich es mir leisten können, die Wohnung zu den durch die Decke schießenden Preisen auf dem Immobilienmarkt zu kaufen.
Jetzt kommt das Beste: Meine Penthousewohnung bietet einen phänomenalen Blick auf den Hudson, die sich ständig verändernde Stadtlandschaft Lower Manhattans, die Küste von Jersey und Sonnenuntergänge wie aus dem Bilderbuch. Ich kann die Phasen des Mondes beobachten und sogar den großen Wagen ausmachen, obwohl die hellen Lichter der Stadt den Nachthimmel verblassen lassen. Die meisten meiner Besucher bemerken meinen Garten nicht einmal, wenn sie auf die Terrasse treten. »Wow, was für eine Aussicht!«, rufen sie, obwohl ich ihnen eigentlich eine Taglilie zeigen wollte.
Das Ego eines Terrassengärtners in luftiger Höhe ist – gigantisch. Das muss es im Kampf gegen eine feindliche, unnatürliche Umwelt auch sein. Meine Terrasse ist von drei Seiten her den Elementen ausgesetzt. Statt Erde habe ich rötlichbraune Steinplatten und metallene Abflussrohre unter den Füßen. Der Wind ist mein ungeliebter ständiger Gesellschafter. Ich habe ein Übermaß an Sonne und nur wenig Schatten. Wie alle Gärtner bin ich dankbar für Regen, bis ein launischer Frühling oder Sommer daherkommt, der nichts als Regen bringt. Meine sämtlichen Hoffnungen auf und Träume von üppigem Wachstum wurzeln in Kübeln, Trögen und Töpfen, die an einem einzigen heißen Sommertag geradezu beängstigend austrocknen können. Ständig zerre ich einen Schlauch durch die Gegend und entwirre seine Wirrungen, weil ein automatisches Bewässerungssystem (glauben Sie mir, ich hatte eins) kein Ersatz für ein aufmerksames Menschenwesen ist.
Einssein mit der Natur im Sinn von Ralph Waldo Emerson und Henry David Thoreau – das ist auf einer im Zickzack verlaufenden dreiseitigen Terrasse, die ich in fünfundsiebzig Sekunden hin und her abgehen kann, ohne mich zu beeilen, aber auch ohne den Blick auf etwas anderes zu richten als die Stoppuhr (was ich recherchehalber einmal gemacht habe), leider nicht zu haben. Hier die Dimensionen meines Reichs, von mir persönlich mit dem Zollstock ausgemessen: Etwa zweieinhalb Meter breit auf der kurzen Nordseite, wo Hortensien und Geißblatt wachsen und ich die Gartengerätschaften in einem Verschlag unter einem Überhang aufbewahre; knapp drei Meter breit auf der langen Westseite, wo es Rosen und Mädchenaugen, eine Bank und einen großen Tisch mit Stühlen gibt; ziemlich genau anderthalb Meter breit auf der besten, der Südseite – weitere Rosen, Taglilien und ein Schmetterlingsstrauch –, die an die Nachbarterrasse grenzt. Auf dem Höhepunkt meiner schwindelerregendsten, ehrgeizigsten Träume wurden die Zickzackecken von drei Birken, einem Zwerg-Pfirsich und einem Zierapfel bewohnt, und Wilder Wein und eine Kletterrose verdeckten einen beträchtlichen Teil der Backsteinmauern.
Bauliche Veränderungen der Fassade des Gebäudes, die hierorts in regelmäßigen Abständen durchgeführt werden, haben meinem Garten herbe Rückschläge versetzt. Insgesamt drei Sommer lang hatte ich tagsüber keinerlei Zugang zur Terrasse, weil sie als Bühne für diverse Arbeitstrupps mit Abspannseilen, Flaschenzügen und Teerfässern beschlagnahmt worden war. Der Wilde Wein wurde von der Mauer gerissen, meine Kletterrose wurde in Stücke gehackt. Die riesigen Holzbottiche mit meinen Bäumen wurden so lange hierhin und dorthin gezerrt, bis sowohl Bottiche als auch Bäume kurzerhand zerhackt und entsorgt wurden. Bei Sonnenuntergang, wenn die Arbeiter weg waren, schlich ich mich hinaus, kroch vorsichtig, um nicht garrotiert zu werden, unter den Abspannseilen durch und wässerte, was von meinen Schätzen noch übrig war. Aber trotz meiner Qualen und Frustrationen während dieser schlimmen Zeiten gab es immer auch meine unerschütterliche Entschlossenheit, den Garten wieder schön zu machen.
Meine schlimmste Herausforderung war der Winter 2014/2015, der kälteste, den der Nordosten seit 65 Jahren erlebt hatte, eine unbarmherzige Dauerattacke von Schnee-, Regen und Eisstürmen, auf die ein deprimierender Nicht-Frühling aus Tauwetter und neuerlichen...