Brown Meteor
1. Auflage 2010
ISBN: 978-3-8387-0593-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 634 Seiten
ISBN: 978-3-8387-0593-4
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Dan Brown, geboren 1964 in Exeter, USA, ist der Autor von weltbekannten Thrillern, darunter Sakrileg (The Da Vinci Code), ein Roman, der mit Tom Hanks verfilmt wurde und in über 40 Ländern erschien. Seine Bücher, die Action, Wissenschaft und Geschichte vereinen, wurden in 54 Sprachen übersetzt und dominierten die Bestsellerlisten. Brown, der in Kunstgeschichte und Sprachen ausgebildet wurde, erschuf die ikonische Figur Robert Langdon. Der Autor lebt in Neuengland.
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PROLOG
An diesem gottverlassenen Ort gab es viele Möglichkeiten, zu Tode zu kommen. Der Geologe Charles Brophy hatte den Gefahren dieser grandiosen Gegend jahrelang getrotzt, doch das barbarische, widernatürliche Schicksal, das ihm nun bevorstand, traf ihn völlig unvorbereitet.
Die vier Hunde, die Brophys schwer beladenen Schlitten mit den seismischen Messgeräten über die Tundra zogen, hielten plötzlich inne und schauten zum Himmel.
»Was ist, Jungs?« Brophy stieg vom Schlitten.
Aus den aufziehenden Sturmwolken löste sich in einem lang gezogenen Bogen ein tief fliegender Transporthubschrauber mit Doppelrotor und flog mit militärischer Unbeirrbarkeit über die eiszeitliche Hügelkette heran. Seltsam, dachte Brophy. So weit nördlich hatte er noch nie einen Hubschrauber gesehen. Die Maschine landete fünfzig Meter entfernt. Die Rotoren wirbelten eine stechende Wolke aus kristallinem Eisschnee auf. Die Hunde winselten ängstlich.
Die Schiebetür des Hubschraubers tat sich auf. Zwei mit Gewehren bewaffnete Männer in weißer Allwetteruniform sprangen heraus und kamen zielstrebig näher.
»Dr. Brophy?«, rief einer der beiden.
»Woher kennen Sie meinen Namen?«, fragte der Geologe verblüfft. »Wer sind Sie?«
»Holen Sie bitte Ihr Funkgerät heraus.«
»Wie bitte?«
»Machen Sie schon!«
Verwirrt zog Brophy das Gerät aus seinem Parka.
»Sie müssen einen Notruf für uns absetzen. Bitte stellen Sie das Gerät auf einhundert Kilohertz ein.«
Hundert Kilohertz? Brophy verstand gar nichts mehr. Auf einer so niedrigen Frequenz kann kein Mensch etwas empfangen! »Hatten Sie einen Unfall?«
Der zweite Mann hob das Gewehr. Die Mündung war auf Brophys Kopf gerichtet. »Für Erklärungen ist jetzt keine Zeit. Tun Sie, was wir Ihnen sagen.«
Brophy stellte die Sendefrequenz ein. Seine Finger zitterten.
Der erste Mann hielt ihm einen Merkzettel hin. Ein paar Zeilen standen darauf. »Und jetzt übermitteln Sie diese Nachricht! Los, Beeilung!«
Brophy schaute auf den Zettel. »Aber ich verstehe nicht. Was hier steht, stimmt doch gar nicht! Ich habe nicht ...«
Der Mann drückte Brophy die Gewehrmündung an die Schläfe.
Mit bebender Stimme übermittelte Brophy die eigenartige Nachricht.
»Gut«, sagte der erste Mann. »Und jetzt steigen Sie in den Hubschrauber. Die Hunde ebenfalls.«
Unter den vorgehaltenen Gewehren der Fremden bugsierte Brophy die widerstrebenden Hunde und den Schlitten eine Rutsche hinauf in den Frachtraum des Helikopters. Kaum dass er an Bord war, hob der Hubschrauber ab und flog nach Westen.
»Wer sind Sie?«, rief Brophy den Männern über den Motorenlärm hinweg zu. Ihm brach der Schweiß aus. Und was hat diese Nachricht zu bedeuten? Die Männer blieben stumm.
Der Hubschrauber gewann an Höhe. Ein eisiger Wind pfiff durch die offene Ladeluke. Brophys Schlittenhunde – vier Huskies – waren immer noch in ihrem Geschirr und winselten.
»Sie könnten wenigstens die Luke zumachen! Sehen Sie denn nicht, dass meine Hunde Angst haben?«
Die Männer gaben keine Antwort.
Der Hubschrauber war nun auf zwölfhundert Meter gestiegen. Über einem zerklüfteten Eisfeld legte er sich steil in die Kurve. Die beiden Männer standen unvermittelt auf, packten den schwer beladenen Hundeschlitten und schoben ihn zur Ladeluke hinaus. Entsetzt beobachtete Brophy, wie seine Hunde sich gegen das tödliche Gewicht stemmten. Sekundenbruchteile darauf verschwanden die jaulenden Tiere in der Tiefe.
Mit einem wütenden Schrei sprang Brophy auf. Die Männer packten ihn und schoben ihn zur offenen Luke. Halb wahnsinnig vor Angst, wehrte Brophy sich gegen die muskulösen Arme, die ihn aus der Maschine drängten. Gegenwehr war zwecklos. Einen Moment später trudelte auch er dem eisigen Abgrund entgegen.
1
Toulos Restaurant liegt direkt am Capitol Hill. Es bietet ein politisch völlig unkorrektes Menü von Jungkalb und Pferdecarpaccio, womit es sich als die Adresse für das unverzichtbare späte Arbeitsfrühstück im Washingtoner Machtpoker empfiehlt. Heute Vormittag herrschte im Toulos reger Betrieb – klappernde Bestecke, fauchende Espressomaschinen und trillernde Handys bildeten die Geräuschkulisse. Der Oberkellner nahm gerade unauffällig einen Schluck von seiner allmorgendlichen Bloody Mary, als eine junge Dame das Lokal betrat. Er drehte sich um und setzte sein professionelles Lächeln auf. »Guten Morgen. Was kann ich für Sie tun?«
Die Frau war attraktiv, Mitte dreißig, trug graue Flanellhosen mit scharfer Bügelfalte und eine elfenbeinfarbene Laura-Ashley-Bluse. Sie hielt sich sehr gerade, mit leicht erhobenem Kinn, nicht arrogant, doch überaus selbstbewusst. Das hellbraune Haar war in die derzeit beliebteste Washingtoner Damenfrisur gelegt – Typ Fernsehmoderatorin: stumpf geschnitten und über den Schultern weich nach innen geföhnt. Lang genug, um noch sexy zu wirken, aber kurz genug, um dem männlichen Gegenüber zu vermitteln, dass die Trägerin möglicherweise mehr auf dem Kasten hatte als er.
»Ich bin ein bisschen spät dran«, sagte die junge Frau. Ihre Stimme klang zurückhaltend. »Ich bin mit Senator Sexton zum Frühstück verabredet.«
Der Oberkellner war sichtlich beeindruckt. Senator Sedgewick Sexton. Der Senator war ein Stammgast des Hauses und derzeit einer der bedeutendsten Männer des Landes. Als Sieger sämtlicher Vorwahlen der Republikaner am »Super-Dienstag« der vergangenen Woche hatte er praktisch die Garantie seiner Partei in der Tasche, als republikanischer Kandidat für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten anzutreten. Viele gaben ihm gute Chancen, den angeschlagenen derzeitigen Amtsinhaber aus dem Weißen Haus zu verdrängen. In jüngster Zeit hatte man den Eindruck, dass Sextons Gesicht sämtliche Titelblätter zierte und Plakate mit seinem Wahlslogan »Weniger ausgeben, mehr ausrichten« an jeder Ecke prangten.
»Der Senator sitzt an seinem Stammplatz«, sagte der Oberkellner. »Wen darf ich melden?«
»Rachel Sexton. Ich bin seine Tochter.«
Der Oberkellner musterte die Frau. Die Ähnlichkeit war nicht zu übersehen. Rachel hatte die durchdringenden Augen des Senators und das Charakteristische seiner Haltung – jene perfekte Ausstrahlung selbstverständlicher Noblesse. Das gute Aussehen des Senators hatte sich eindeutig auf seine Tochter vererbt, wobei Rachel ihr attraktives Äußeres jedoch mit einer zurückhaltenden Anmut trug, die ihrem Vater fehlte.
»Miss Sexton, es ist uns ein Vergnügen, Sie als unseren Gast begrüßen zu dürfen.«
Der Weg durchs Restaurant grenzte an ein Spießrutenlaufen. Selbst dem Oberkellner war es peinlich, wie die Blicke der Männer mehr oder minder verstohlen der Tochter des Senators folgten. Von den wenigen Frauen, die bei Toulos speisten, sahen nur wenige so gut wie Rachel Sexton aus.
»Tolles Weib«, murmelte einer der Gäste. »Da hat Sexton aber schnell eine Neue gefunden.«
»Das ist doch seine Tochter, du Trottel«, sagte sein Gegenüber.
Der andere lachte in sich hinein. »Wie ich Sexton kenne, bumst er sie trotzdem.«
Als Rachel zum Tisch ihres Vaters kam, schwadronierte er am Handy lautstark über einen seiner unlängst errungenen Siege und schenkte Rachel nur einen kurzen Blick. Er tippte auf seine Cartier-Armbanduhr, um sie daran zu erinnern, dass sie sich verspätet hatte.
Auch ich habe es eilig, dachte Rachel.
Ihr Vater hieß mit Vornamen Thomas. Den zweiten Vornamen, Sedgewick, hatte er sich vor Jahren zugelegt. Rachel hatte den Verdacht, dass er es wegen der Alliteration getan hatte: Senator Sedgewick Sexton. Er war ein silberhaariger, glattzüngiger Politprofi, dem ein gnädiges Schicksal das Aussehen eines Fernsehserien-Arztes geschenkt hatte, was angesichts Sextons Talent, in Rollen zu schlüpfen, passend und zweckdienlich zugleich war. »Rachel!« Der Senator legte das Handy zur Seite, erhob sich und küsste seine Tochter auf die Wange.
»Hi, Dad.« Sie erwiderte seinen Kuss nicht.
»Du siehst erschöpft aus.«
Das fängt ja gut an. »Ich habe deine Nachricht erhalten. Worum geht’s?«
»Darf ich meine Tochter denn nicht mal zum Frühstück einladen?«
Rachel hatte schon vor langer Zeit begriffen, dass ihr Vater sehr gut ohne sie auskam – es sei denn, er wollte etwas von ihr.
Sexton nahm einen Schluck Kaffee. »Wie geht es dir?«
»Hab viel zu tun. Deine Kampagne läuft gut, wie ich sehe.«
»Lass uns nicht vom Geschäft reden.« Sexton lehnte sich über den Tisch zu Rachel und senkte die Stimme. »Was ist mit dem Burschen vom State Department, mit dem ich dich bekannt gemacht habe?«