Gespräche mit einem überaus talentierten Besserwisser über Alles und Nichts
E-Book, Deutsch, 252 Seiten
ISBN: 978-3-7562-7121-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Geboren 1953 als 3. Sohn einer Bergmannsfamilie in Dortmund, Abitur 1972 ebendort, Studium Kunst und Mathematik auf Lehramt, verh. und Vater zweier Söhne und einer Tochter, 1979 bis 2019 Lehrer für Kunst und Mathematik an einem Dortmunder Gymnasium, zweites Studium Kunst mit Promotion 2015.
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Unverhoffter Besuch
Habt ihr schon einmal einen Gnmpff gesehen? Nein? Kein Wunder, man kann ihn nämlich gar nicht sehen. Ein Gnmpff ist unsichtbar. Nun ja – fast ganz und gar unsichtbar. Da fragt ihr euch, woher ich ihn dann kenne. Jetzt wird es komisch, denn ich muss euch sagen: ich habe ihn gesehen. Nicht nur einmal, sondern immer wieder. Wie das geht, wenn er doch unsichtbar ist, davon muss ich euch unbedingt erzählen. Es ist so unglaublich, dass ich mich bis heute selbst wundern und mich immer wieder in die Nase kneifen muss, ob ich mir das nicht nur eingebildet habe. Meine Nase ist schon ganz rot davon geworden. Jetzt liegt das Buch vor mir, nun gibt es daran also nichts mehr zu rütteln! Ihr müsst wissen, dass ich Bücher schreibe. Keine Märchenbücher oder Romane, auch keine Bilderbücher, sondern ganz, ganz wichtige Kunstbücher. Ich bin also so etwas wie ein Schriftsteller. Das ist nichts Besonderes und auch überhaupt nichts Aufregendes, spielt aber für diese Geschichte eine wichtige Rolle. Sonst hätte ich es euch ja auch gar nicht gesagt. Ich sitze also einen großen Teil des Tages an meinem Schreibtisch mit Blick in den großen Garten, beobachte die Eichhörnchen, die sich um die Nüsse unseres Baumes balgen, und die Vögel, die aus dem immer reich gefüllten Futterhäuschen der Nachbarin naschen, wenn nicht ihre drei Katzen ihren Kontrollgang über die Wiese machen. Und dabei versuche ich, an meinem nächsten Buch zu arbeiten. Manchmal schreiben sich die Seiten fast von alleine, manchmal weiß ich noch nicht einmal, wie ich das nächste Wort finden soll. Es ist ungefähr so, wie ihr euch bei einer Mathematikarbeit fühlt. Oder Lateinübersetzung. Wenn ihr nicht Mathe- oder Lateingenies seid. Wenn mir gar nichts mehr einfällt, ziehe ich meine Jacke an und gehe spazieren in den nicht weit entfernten Wald oder den wunderschönen Park ganz in der Nähe. Oder ich koche etwas Leckeres. Aber ich will euch nicht langweilen, ihr seht, dass es an meinem Tagesablauf überhaupt nichts Außergewöhnliches gibt. Dachte ich jedenfalls. Bis – Wann genau es angefangen hat, kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Es begann mit so einem merkwürdigen Gefühl. Vielleicht kennt ihr das auch: man sieht nichts, man hört nichts und fühlt sich trotzdem beobachtet. Das ist wieder wie bei einer Mathematikarbeit – ihr wollt so gerne beim Nachbarn diese verflixte Aufgabe abschreiben, zu der euch einfach keine Lösung einfallen will, wenn euch nur der Lehrer nicht immerzu beobachtete. Dabei langweilt der sich gerade selber und liest seine Zeitung oder träumt vom letzten Urlaub oder macht sich die Fingernägel sauber. Vielleicht habt ihr auch eine Lehrerin, das macht allerdings keinen Unterschied. So ging es mir also tagelang. Natürlich habe ich versucht, so zu tun, als wäre nichts, mir immer wieder eingeredet, dass ich mir nichts vormachen solle. Ich habe auch kurzzeitig mit dem Gedanken gespielt, medizinischen Rat einzuholen, war mir jedoch nicht ganz im Klaren darüber, welcher Facharzt denn nun für mein spezielles Problem zuständig sei. Dann kam dieser Freitagmorgen! Gerade war der Frühstückstisch fertig gedeckt, die Kaffeemaschine lief noch und ich wollte die Tageszeitung aufschlagen, da überfiel mich wieder dieses Verfolgungsgefühl. Stärker als je zuvor, und ich glaubte sogar, zwei Augen zu sehen. Übrigens zwei wunderschöne blaue Augen, die mich erwartungsvoll betrachteten. Geistesgegenwärtig griff ich nach meinem Handy um ein Foto zu machen. Vielleicht konnte ich damit endlich beweisen, dass alles keine Einbildung war. Natürlich konnte ich es wieder nicht finden! „Hallo Udo“, sprach jemand zu mir mit einer etwas harzigen, durchaus angenehmen Stimme. Es klang ein wenig wie alte Dielenbretter in einer warmen Berghütte. Oh Gott, Augen können doch nicht sprechen, jetzt bin ich wohl doch durchgedreht, dachte ich. Und das war eben schon zu viel. Ich wusste ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was ich heute weiß. „Nein, wenn es nur Augen wären natürlich nicht!“ Ich schaute mich in meinem ganzen Wohnzimmer um – es war nichts weiter zu sehen. Nur diese blauen Augen. Wie konnte das sein? „Weil ich unsichtbar bin, darum! Ich schlage vor, du gibst mir etwas zu trinken und leihst mir eines deiner Hemden! Aber kein Wasser, das bringt uns nicht weiter!“ Da brat mir doch einer einen Storch, dachte ich. Dringt dieses Wesen widerrechtlich in eine fremde Wohnung ein und stellt auch noch Ansprüche! Andererseits bemühe ich mich, stets ein höflicher Mensch und ein guter Gastgeber zu sein. Und es gab jetzt doch wohl keinen Zweifel mehr daran, dass ich tatsächlich einen Gast hatte. Ich ging also in die Küche und holte ein Glas Milch. Aus meinem Kleiderschrank legte ich eines meiner Hemden auf den Boden vor den Tisch. Wo sollte ich es sonst hinlegen? Im Nu waren das Glas leergetrunken und das Hemd angezogen. Fast genauso schnell ging um die Augen herum eine eigentümliche Verwandlung vor sich: Er wurde weiß wie die Milch! Da saß er mir am Frühstückstisch gegenüber, schneefarben mit einem rotkarierten Hemd und grinste selbstzufrieden. Etwas klein schien er zu sein, konnte gerade über den Tischrand schauen. „Gestatten, Gnmpff“, stellte er sich vor. „Bitte wie?“ – „Gnmpff!“ – „Aha, Gnmpf!“ – „Nein, Gnmpff, mit Doppel-F am Ende!“ – „Gut, ich werde es mir merken! Herr Gnmpf oder Frau Gnmpf?“ – „Gnmpff, bitte! Und Herr oder Frau ist egal, einfach nur Gnmpff.“ – „Ich brauche mich wohl nicht mehr vorzustellen, du kennst meinen Namen ja schon – ich darf dich doch duzen?“, fragte ich. Ihr seht, ich habe mich sehr bemüht, mit Gnmpff in ein lockeres Frühstücksgespräch zu kommen. „Kein Problem“, erklärte Gnmpff großzügig. „Was ist mit deinem gebratenen Storch?“ Hatte ich laut gedacht? Das viele Arbeiten alleine, ohne Kontakt zu anderen Menschen, kann schon dazu führen, dass man sonderlich wird und mit sich selber spricht. Vielleicht war es schon so weit! Und wie erklärt man den gebratenen Storch? „Entschuldige, wenn ich nicht sofort antworte. Ich müsste erst etwas mehr über dich erfahren, damit ich weiß, wie ich es dir erklären soll. Also erst einmal: wo kommst du überhaupt her? Du siehst…äh.., irgendwie…“, ich kam ins Stottern, „…anders aus!“ „Ja, toll, nicht? Wie findest du mich?“ Wie ich Gnmpff fand? Die Frage und der erwartungsvolle Blick ließen darauf schließen, dass er nicht uneitel war. Das machte ihn mir sympathisch, Eitelkeit ist eine so menschliche Eigenschaft! Ich wollte nicht unfreundlich werden, daher fiel mir eine Antwort nicht ganz leicht. Was ich von Gnmpff hinter dem Frühstückstisch sehen konnte, war sein Kopf, der auf Schultern saß, die von meinem Hemd bedeckt waren. Etwas unförmig war er, mit riesengroßen Ohren und ganz wenig Haaren dazwischen. „Jaaa…“, zögerte ich, die Erwiderung wollte gut überlegt sein, „…du siehst wirklich sehr freundlich aus, etwas klein, irgendwie knuffig!“ – „Knuffig, knuffig! Was soll das denn heißen? Und das sind gar keine Haare!“ Schon wieder! Das machte mich nun ebenso unsicher wie neugierig. Ich hatte doch gar nichts über seine Haare gesagt! „Und die Ohren sind absolut in Ordnung. Schade, dass deine so klein sind. Deswegen kannst du ja auch nicht hören, was ich hören kann. So lange du mich anschaust, bekomme ich genau mit, was du gerade denkst. Alles, was in deinem Gehirn vor sich geht, kann ich mit meinen Ohren und den Antennen dazwischen, die du für Haare hältst, sozusagen haarklein empfangen. Deswegen kann ich mich auch unterhalten ohne zu sprechen, einfach durch nachdenken.“ Gnmpff kam offensichtlich regelrecht in Erzähllaune. Daher also wusste er über meine unausgesprochenen Überlegungen Bescheid. Das schuf für mich indes ein neues Problem! „Ja, ja, ich weiß“, fiel Gnmpff in meine Gedanken ein. „Jetzt hast du Sorge, dass du etwas anderes sagst, als du denkst, und ich es sofort merke.“ – „Du hast mich durchschaut. Wie gehst du denn selber mit diesem Problem um?“, fragte ich. „Das gibt es für mich so ja gar nicht. Meistens rede ich nicht laut, sondern denke nur. Es gibt schließlich keine zwei Denkabteilungen im Kopf, eine für lautes und eine für leises Denken." – „Willst du mir damit sagen, dass du überhaupt nichts anderes sagen als denken kannst?“ Ich war ehrlich...