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E-Book, Deutsch, 182 Seiten
Reihe: Leben Lernen
Breitbach Freies Assoziieren in Hypnose (Leben Lernen, Bd. 353)
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-608-12428-6
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Eine bewährte Intervention für die Ressourcenarbeit neu entdecken
E-Book, Deutsch, 182 Seiten
Reihe: Leben Lernen
ISBN: 978-3-608-12428-6
Verlag: Klett-Cotta
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Katrin Breitbach, Priv.-Doz. Dr. med., ist Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie zertifizierte Hypnotherapeutin und Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie (DGH). Sie ist als Ärztliche Leiterin der psychosomatischen Abteilung eines ambulanten Rehabilitationszentrums in Lübeck sowie in eigener Privatpraxis für Hypnose tätig.
Zielgruppe
Psychologische und ärztliche Psychotherapeut:innen, Hypnotherapeut:innen
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 2
Die Rolle der therapeutischen Intuition
Neben all dem messbaren Wissen über psychotherapeutische Interventionen und deren Wirkungsweise haben auch weniger greifbare Prozesse in der Psychotherapie eine wichtige Funktion. In diesem Zusammenhang ist in den vergangenen Jahren zunehmend die Rolle der Intuition in den wissenschaftlichen Fokus gerückt, wenngleich dieser Aspekt immer noch ein wenig beforschtes und bisher nicht vereinheitlichtes Konzept darstellt (Kriz 2001; Adinolfi & Loia 2022). Allein aus der praktischen Erfahrung heraus kann kaum bezweifelt werden, dass die Intuition des Therapeuten relevanten Einfluss auf den Therapieverlauf hat. Das Ausmaß therapeutischer Intuition ist dabei auch von der Berufserfahrung abhängig, wie in einer Studie gezeigt werden konnte (Lobb et al. 2022).
Je freier die therapeutische Arbeit erfolgt, je weniger man sich also an strukturierten Therapieabläufen oder -manualen orientiert, desto mehr ist eine gute Intuition vonnöten, um dem Patienten hilfreich zur Seite stehen zu können. Vorgegebene Therapieabläufe oder -manuale können zuweilen hilfreiche Dienste leisten, insbesondere bei Patienten, die eine hohe Struktur von außen benötigen, wie etwa Patienten mit einer ausgeprägten Suchtproblematik oder geringen Ich-Struktur. Gleichzeitig sind diese Vorgehensweisen oft wenig flexibel angelegt, und als Therapeut wird man eher von kognitiven Prozessen geleitet, so dass weniger Zugriff auf den eigenen ganzheitlich-intuitiven Wissens- und Erfahrungsschatz besteht.
Da die Arbeit mit freien Assoziationen gerade auf strukturelle Gegebenheiten so weit wie möglich verzichtet, damit sich die intrinsischen Ressourcen des Patienten »anzapfen« lassen (eine ausreichend stabile Ich-Struktur vorausgesetzt), ist für diesen Behandlungsansatz die therapeutische Intuition besonders gefordert. Freies Assoziieren fördert zugleich grundsätzlich auch intuitives Geschehen auf der Patientenseite. In diesem Kapitel werden dazu wichtige Informationen zusammengetragen, um intuitives Arbeiten gezielt zu fördern.
2.1
Zunächst von Wissenschaftlern belächelt, erhalten intuitive Prozesse inzwischen seit einigen Jahren zunehmend wissenschaftliche Aufmerksamkeit und werden längst nicht mehr als ein unseriös »esoterisches Hirngespinst« angesehen. Intuition spielt in vielen Bereichen des täglichen Lebens eine Rolle, sei es beim Einkaufen, bei der Menüwahl im Restaurant, bei der Partnerwahl, bei der Einstellung von Mitarbeitern, im Sport – oder eben in der Psychotherapie. Dabei strebt man nach Möglichkeit ein »gutes Bauchgefühl« an, um eine hilfreiche Entscheidung zu treffen – aber eben ohne die Ratio in den Vordergrund zu stellen, obwohl diese gleichzeitig eine wichtige Voraussetzung für eine gute Intuition ist.
Wie lässt sich Intuition also beschreiben, zumal es bisher keine einheitliche Definition dafür gibt? Der bekannte Intuitionsforscher Gerd Gigerenzer versteht unter Intuition etwas, was einen befähigt, ein Urteil oder eine Entscheidung zu fällen (Gigerenzer 2008). Er verwendet den Intuitionsbegriff synonym mit den Bezeichnungen Bauchgefühl und Ahnung, »um ein Urteil zu bezeichnen,
-
das rasch im Bewusstsein auftaucht,
-
dessen tiefere Gründe uns nicht ganz bewusst sind und
-
das stark genug ist, um danach zu handeln« (Gigerenzer 2008, S. 25).
Demnach lässt sich Intuition grundsätzlich als ein Prozess beschreiben, bei dem ein bestimmtes, wenig greifbares Gefühl in Bezug auf eine Entscheidung, Bewertung oder ein Urteil besteht. Wir »wissen« z. B. in einer bestimmten Situation, was sich »richtig« oder »falsch« anfühlt, ohne sagen zu können, woher dieses Gefühl stammt (Remmers & Michalak 2016). In einer Hypnosesitzung kann dies etwa bedeuten, eine Eingebung oder einen Impuls zu verspüren, was mit dem Patienten gerade los ist, was er denkt oder fühlt und welche Intervention jetzt gerade für ihn gut sein könnte. Oder dass es besser ist, einen geplanten Kommentar nicht auszusprechen, da einem das innere Gefühl sagt, er könnte den Patienten aktuell unnötig destabilisieren.
In einem intuitiven Prozess sorgt unser ganzheitlicher und zum größten Teil unbewusster Wissensschatz also dafür, dass wir ein bestimmtes Gefühl für eine Situation bekommen und so intuitiv eine Entscheidung treffen. Das bedeutet auch, dass intuitive Prozesse nicht einfach »vom Himmel fallen«, sondern sich durch den Erwerb umfassender Kenntnisse und langjähriger Erfahrungen auszeichnen, die sich schließlich in unbewussten Fertigkeiten widerspiegeln und durch zu viel Nachdenken eher beeinträchtigt werden (Gigerenzer 2008, S. 47).
Intuitives Erleben setzt folglich einen guten Zugang zu unbewussten Prozessen und dem »inneren Wissen« voraus, wobei gleichzeitig kognitive Prozesse reduziert werden. Bauchentscheidungen werden also in einer Art Trancezustand gefällt. Es lohnt daher, sich sowohl auf Therapeuten- als auch auf Patientenseite mit dem Phänomen der Intuition zu beschäftigen, um sie im therapeutischen Prozess gezielt fördern zu können.
2.2
Die Intuition spielt als explizites Werkzeug in Deutschland insbesondere in den von den Krankenkassen finanzierten Richtlinienverfahren bisher keine nennenswerte Rolle. Es wird lediglich gelegentlich darauf hingewiesen, neben rationalen und kognitiven Prozessen wie Datenauswertungen und Therapieplanungen auch die eigene Intuition ernst zu nehmen und in die Diagnostik bzw. Therapie mit einzubeziehen (z. B. Zimmer 2009, S. 932 f.). Erst seit kurzem findet sich vereinzelt Literatur für einen breiteren Leserkreis, der sich diesem Bereich gezielt widmet (z. B. Treichler 2022).
Im angelsächsischen Sprachraum hingegen wird man etwas fündiger, was die Integration der Intuition in Psychotherapieverfahren angeht. In der Transaktionsanalyse, die von dem kanadisch-US-amerikanischen Psychiater Eric Berne (1910–1970) um die Mitte des 20. Jahrhunderts entwickelt wurde, kommt der Intuition beispielsweise eine herausragende Bedeutung zu. Seine Vorstellung von Intuition deckt sich dabei weitgehend mit der heutigen Auffassung:
»Intuition ist Wissen, das auf Erfahrung beruht und durch direkten Kontakt mit dem Wahrgenommenen erworben wird, ohne dass der intuitiv Wahrnehmende sich oder anderen genau erklären kann, wie er zu der Schlussfolgerung gekommen ist.« (Berne 2005, S. 36).
In seinen Schriften nimmt die Intuition dabei insbesondere bei der klinischen Diagnostik einen wichtigen Platz ein (Berne 1949). Für ihn geht es dabei auch um ein »intuitives Verstehen« der Patienten, um vor allem deren »Ich-Zustände« wahrnehmen und begreifen zu können (Berne 1957). Eric Berne prägte übrigens den Begriff »ego state« und verwendete ihn als Erster. Für die Nutzbarmachung von Intuitionen werden in der Transaktionsanalyse die klassischen Interventionen der Psychoanalyse wie eben auch das freie Assoziieren herangezogen (Berne 2005, S. 23). Erwähnt sei an dieser Stelle ergänzend das Wirken des britischen Psychoanalytikers Wilfred Bion, in dessen analytischer Arbeit der Intuition ebenfalls eine wichtige Stellung eingeräumt wird (Grimalt 2022).
2.3
Da Intuition auf den unbewussten Erfahrungsschatz zurückgreift, verwundert es nicht, dass der Zugang zu intuitiven Prozessen einen bestimmten Bewusstseinszustand voraussetzt (Goldberg 1988). Aus hypnotherapeutischer Sicht kann man von einem Trancezustand sprechen, in dem bewusste kognitive Prozesse und analytisches Denken in den Hintergrund treten – ohne vollkommen ausgeschaltet zu sein – und kreatives, assoziatives Geschehen in den Vordergrund rückt. Ein solcher Zustand tritt in der Regel auch unwillkürlich bei Achtsamkeitsübungen auf, so dass sich diese bekannten und schulenübergreifend genutzten Interventionen auch gut als Grundhaltung für das Anzapfen der eigenen Intuition nutzen lassen. Versetzt man sich etwa durch Meditation in einen leichten Trancezustand, kann man seinen intuitiven Wahrnehmungen gegenüber offen sein. Schließlich kann sich ein breiter oder weiter Blick öffnen, der oft mit einem wenig greifbaren, also eher vagen oder seltsam anmutenden Gefühl einhergeht, vielleicht stellt sich – je nach Prozess – auch ein »mulmiges« Gefühl ein. Auf diese Weise gelingt es, raus aus dem Kopf und rein in das Bauchgefühl zu gelangen und seiner Intuition auf die Spur zu kommen (Remmers 2024). Dabei spielen assoziative Prozesse eine wichtige Rolle, weil sich damit Erkenntnisse und Lösungsmöglichkeiten, die im inneren Erfahrungsschatz schlummern, aktivieren lassen. Insofern können »Tagträume« als sehr hilfreich für die Intuitionsentwicklung angesehen werden, während der Abschweifungen, Themensprünge und nicht-lineare Gedanken den Weg in den unbewussten Erfahrungsschatz ebnen. Genau hier werden z. B. depressive Patienten Schwierigkeiten haben, da sie sich in der Regel mit endlos anhaltenden kognitiven Grübelschleifen konfrontiert sehen, keinen ausreichenden Zugang zu ihren inneren Ressourcen haben und dadurch eben nicht zu einer hilfreichen Erkenntnis oder Lösung finden.
Um die eigene Intuition zu fördern, ergibt es folglich Sinn, sich zunächst...