E-Book, Deutsch, 355 Seiten
Brausewetter Don Juans Erlösung
1. Auflage 2017
ISBN: 978-87-11-48775-4
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 355 Seiten
ISBN: 978-87-11-48775-4
Verlag: SAGA Egmont
Format: EPUB
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Es ist die bewegende Geschichte zweier Freunde, des Gutsbesitzers Werner von Berkow und des erfolgreichen Theaterdichters Rolf Uckermann, die sich als gestandene Männer in der Residenzstadt kennenlernen und vom ersten Moment verstehen. Und es ist die Geschichte der Frauen, die diese beiden Männer lieben und die an ihnen zerbrechen. Erst im letzten Moment erkennen die Freunde, dass ihr eigenes Lebenskonzept nicht dafür geeignet ist, die Frauen glücklich zu machen. Sigrid von Berkow wagt es am Ende und verlässt mit ihrem gemeinsamen Sohn für immer das Gut Alt-Stürckau. Bei Rolf Uckermann ist es sein unstetes Wesen, das lange Zeit in seiner Beziehung zu den Frauen die wirkliche Katastrophe zu verhindern weiß. Erst als Uckermann allen Beziehungen beraubt dasteht, löst sich bei ihm die künstlerische Hemmschwelle, die sich aufgebaut hatte: Jetzt kann er sich an die große Tragödie aller Liebenden heranwagen, den Don Juan.
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Leer liegen die endlosen Parkettreihen des Theaters, bleiche Dämmerung ist das Tageslicht, unbestimmbarer Duft schwimmt schwer durch den weiten Raum. Draussen kehren einige alte Frauen den Fussboden auf den Gängen. Wenn sich die Türen, die in den Zuschauerraum führen, einmal öffnen, sieht man das quellende Licht des kalten Sonnentages neugierig in das geheimnisvolle Dunkel blicken. In leichten Wolken wirbelt der aufsteigende Staub durch seine Helle. Rolf Uckermanns Mysterium erfordert grössere Aufmachung und weite Perspektiven, man kann es in dem intimen Schauspielhaus nicht geben. Nur auf der grossen, mit den neuesten Erfindungen der Technik versehenen Opernbühne kann seine Darstellung wirksam werden. Die Generalprobe findet im Kostüm und mit voller Ausstattung, aber vor dem denkbar engsten Kreise statt. Kein Zuschauer, nicht einmal ein Vertreter der Presse ist zugelassen; der morgige Abend soll eine völlige Überraschung bringen. Nur der Generalintendant und sein Stab: Geheimrat Kosswitz, Kurt Eckstein, der Dramaturg, Doktor Robin, der Spielleiter mit seinen Hilfskräften, einige Architekten und Maler, die bei der Ausstattung mitgewirkt haben, sitzen in der ersten Reihe des Parketts. Wie zwei glühende Augen funkeln die beiden Lampen vom Tisch des Spielleiters; hinter ihm, abgesondert von den andern, sitzt der Dichter. Der Vorhang ist aufgezogen. Die Bühne stellt eine Art paradiesischer Landschaft vor, in dem Hintergrunde das anfangs ruhige, allmählich bewegter werdende Meer. Aber das Spiel hat noch nicht begonnen. Man probt einige Beleuchtungs- und Klangwirkungen. „Geben Sie mal den Sturm an!“ ruft Kosswitz. Längere Stille folgt seinen Worten. „Den Sturm!“ ruft Kosswitz noch einmal. Da taucht hinten über dem Meeresspiegel der Kopf des Maschinenmeisters auf, kahl und rund wie Nickelmanns Haupt: „Geht sofort los, Herr Geheimrat!“ Und es geht los. „Die grosse Trommel leiser!“ befiehlt der Spielleiter. „Den Wagen ein wenig langsamer — noch langsamer — den Wagen ganz weglassen — die kleine Trommel — ein wenig schneller — die grosse — aber noch leiser — so wird es gehen — Noch einmal — ist es so gut?“ Die Herren nicken befriedigt; aber der Geheimrat hat noch einige Einwendungen, die er leise mit dem Spielleiter bespricht. Der ist nicht seiner Ansicht, er schüttelt energisch den Kopf, er ist selbständig, auch dem Freiherrn gegenüber, nur den Dichter hört er, wenn auch nicht gern. Aber Rolf ist teilnahmslos geblieben, er erwartet voller Ungeduld das Spiel. Endlich gibt der Leiter das Zeichen zum Beginn. Das erste Bild ist eine Art von Einführung: die ersten Menschen unter dem Baum der Erkenntnis, von dessen Frucht sie gegessen. Es ist Abend. Leise erwacht der Wind. Über das Wasser, das blutrot im Schein der scheidenden Sonne liegt, geht leise Bewegung. Eine dunkle Gestalt schreitet über die Bühne, schwarz ist sie von Kopf bis zu Fuss, fahl ihr Gesicht, schwer ihr Tritt; an den Schultern trägt sie Fittiche, wie eine grosse Fledermaus ist sie anzusehen. Eva kauert auf einem Baumstumpf, den Kopf in die Hände gegraben, ihre Augen wandern über den Boden zu ihren Füssen. Aber Adam tritt der Gestalt entgegen. Die beginnt zu sprechen: Woher ich komme, und wohin mein Weg? Nie kam ich, und ich gehe nie. Ich bin Des Herrn Schatten. Wo er, da bin auch ich. Wunschlos bin ich und ohne Willen; obwohl Unsterblich, ohne Leben. Zerstörer nennt Man mich, zugleich Erbauer. Ein Trauerbote Bin ich und einer, der zur Hochzeit ruft, Die Pest, die alles flieht, der Bräutigam, Den wilder Wonne man umarmt. Tyrann. Ein Werdender, dem Wasser gleich, das fliesst, Bin ich, doch auch Befreier, wie du willst, Und starr in Gletscherkälte wie der Schneeberg Zu deinen Häupten. Zum Vergehen ruf’ ich, Allein zum Leben mehr — ich bin der Tod. Jetzt rafft sich auch Eva auf, das stumpfe Auge auf die Erscheinung gerichtet, sie will sprechen — da entsteht unten in dem kleinen Zuschauerkreis eine Bewegung: Eine Dame ist in den dunklen Parkettraum eingetreten, eine lange Lichtwelle geht von der geöffneten Tür hinter ihr her, in der auch ihr Gefolge sichtbar wird: zwei Damen und zwei Herren, der erstere in höherer Offiziersuniform, der zweite in Zivil. Der Generalintendant hat sich erhoben und verneigt sich tief. Die andern folgen, nicht weniger erstaunt als er selber. Der ältere Herr in der Uniform gibt durch ein Zeichen zu verstehen, dass jede Störung unterbleiben soll. Die Dame hat mit ihren Begleiterinnen in der dritten Reihe des Parketts Platz genommen, die beiden Herren setzen sich hinter sie; das Spiel nimmt seinen Fortgang. Das einleitende Bild ist zu Ende, der Vorhang fällt. Rolf begibt sich mit Doktor Robin auf die Bühne: „Wer ist die Dame?“ fragt er, während sie die kleine Treppe hinaufgehen. „Ihre Hoheit, die Erbprinzessin“, gibt der Spielleiter zurück. „Dass sie in eine Probe kommt, ist bisher noch nicht dagewesen, und nicht einmal der Intendant schien um ihr Kommen zu wissen.“ Sie sind in das Parkett zurückgetreten. Rolf ist ganz bei seinem Stück, dessen eigentliche Handlung jetzt beginnt; sie spielt in der Gegenwart. Es gibt Szenen von hinreissender Gewalt, sie lassen das philosophische Element, das der dramatischen Wirkung gefährlich werden könnte, im heissen Strom der Ereignisse untergehen. Die Spielleitung hat in dieser Beziehung stark gestrichen. Rolfs Widerstand ist an Doktor Robins entschiedenem Willen gebrochen. Die Schauspieler setzen, durch den kleinen, aber auserlesenen Zuhörerkreis angeregt, von dem Feuer der Dichtung selbst entflammt, ihre ganze Kraft ein, allen voran die Ellenburger, die in dem Vorspiel die Eva gab und jetzt die weibliche Hauptrolle innehat. Sie ist mit jeder Probe gewachsen. Heute hat sie Augenblicke, die selbst Rolf in Erstaunen setzen. Nach dem dritten Vorgang ist eine grössere Pause vorgesehen, die Darsteller, von denen das Äusserste verlangt wird, und der ganze fieberhaft arbeitende Theaterapparat müssen zur Ruhe kommen. Der Generalintendant tritt auf Rolf zu: „Ihre Hoheit, die Erbprinzessin, befehlen Ihre Vorstellung.“ Er blickt in ein edelgeschnittenes Antlitz, das ganz im Schatten ist, und von dem doch ein inneres Leuchten ausgeht. Ungezwungen ist ihre Unterhaltung, der Ort und die Umstände lassen kein steifes Zeremoniell aufkommen. „Sie scheinen ebenso Denker wie Dichter“, sagt Prinzessin Charlotte. „Schon aus Ihrer ‚Heerstrasse‘ sprach zu mir der Philosoph, der das Leben wägt.“ „Es ist mein Unglück.“ „Weshalb Ihr Unglück?“ „Weil der dramatische Dichter, wie man mir immer sagt, wenig Gedanken und viel Temperament haben soll.“ „An Temperament fehlt es Ihrem Spiel doch nicht.“ „Aber die Gedanken drücken es; ich packe vielleicht manchmal eine Idee, anstatt dass die Idee mich packt.“ „Sehen Sie, das ist die Frage, die mich bei Ihrem neuen Stück beschäftigte und die ich gern von Ihnen beantwortet hätte: ob Ihnen zuerst die Idee, ich meine die einheitliche, das Ganze haltende Idee gekommen und dann erst die Handlung? Oder umgekehrt?“ „Es war diesmal zuerst die Idee. Ich wollte die Tragödie der Erkenntnis schreiben.“ „Ist die Erkenntnis eine Tragödie?“ „Die eigentliche Tragödie des Menschen; darin besteht nach meiner Ansicht sein Zwiespalt: dass er ein Sehender geworden und doch der Stimme seines Blutes folgen muss.“ „Ist die Erkenntnis nicht auch Glück?“ „Die theoretische, vielleicht die wissenschaftliche. Aber von der allgemeinen, die das Leben umfasst, gilt das alte Wort: Wer sie vermehrt, der vermehrt den Schmerz. Es gibt einen deutlichen Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Tod —“ „Der mir nicht klar ist —“ „Ich meine: durch die Erkenntnis kam der Tod.“ Sie war nachdenklich geworden. „Er kam? War er nicht immer da?“ „Er war wohl da. Aber die Menschen kannten ihn so wenig wie die übrige Kreatur. Nur der Erkennende sieht ihn; er lebt das Leben in seinem Licht.“ „Und das war die Idee, die Ihnen vorschwebte, die Sie in einer Tragödie gestalten wollten?“ „Das war die Idee. Sie war ein wenig spröde für ein Theaterstück, das brauchten mir die andern nicht erst zu sagen, ich fühlte es von Anfang an. Aber nun liess sie mich nicht mehr.“ „Und Sie kleideten sie in Blut und Leben. Es ist etwas in Ihrem Stück, das uns alle angeht.“ „Es ist nicht so geworden, wie ich es gewünscht hätte.“ „Sie scheinen nicht sehr zufrieden angelegt.“ „Kann man sich einen Schaffenden denken, der zufrieden wäre? Er würde dann ja aufhören, ein Schaffender zu sein.“ „Ich verstehe Sie sehr gut — ich habe auch oft genug die Sehnsucht empfunden, ein Schaffender zu sein — nein, kein Dichter, kein Künstler, aber schaffend auf irgendeinem Gebiete, in dem ich etwas wirken kann, irgendeinen Zweck erfüllen —“ Sie bricht ab. Ein weicher Klang ist in ihrer Stimme. Und jetzt hat sie etwas Bezwingendes. Die Schauspieler, die sich während der Pause in ihrem Kostüm im Parkett aufgehalten haben, schicken sich an, dies wieder zu verlassen. Der Generalintendant und die andern Herrn nehmen ihre Plätze ein, der Spielleiter tritt an seinen Tisch, blättert im Regiebuch. „Man scheint fortfahren zu wollen“, sagt die Prinzessin, „und ich darf Sie nicht länger in Anspruch nehmen. Aber nach einer Unterhaltung, wie wir sie eben geführt, habe ich oft Verlangen gehabt, wir müssen sie ein andermal fortsetzen. So bald freilich wird es nicht werden,...