E-Book, Deutsch, 220 Seiten
ISBN: 978-3-7017-4300-1
Verlag: Residenz
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Ein anonymer Erzähler führt Klage beim Postmeister einer kleinen niederbayrischen Landpost über die Schwächen der drei Briefträger: der eine ein Trinker, der zweite ein Frauen-held, der dritte einem kulturellen Laster verfallen. Die Unzufriedenheit des Be-schwerdeführers trifft freilich auch den Fleischhauer, den Tierarzt, die Lehrer und andere - in Summe: die ganze Unzulänglichkeit der Welt.
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Lieber Postmeister, da deine drei Briefträger durch ihren besonderen Stil der Zustellung so viel für den inneren Frieden unserer Gemeinde getan haben, rate und empfehle ich dir dringend, sie für den Friedensnobelpreis vorzuschlagen. Sie müßten wirklich einen Preis bekommen, wenigstens Ehrenbürger sollten sie werden. Ruhe ist des Bürgers erste Pflicht, ist Ferdinand Ürdingers erster und wichtigster Ausspruch. Ruhe und Ordnung müssen herrschen, sagt Ürdinger. Und wenn ich als einfacher Briefträger etwas zur Ruhe und zum Frieden beitragen kann, dann entziehe ich mich dem natürlich nicht. Darum habe ich mit dem Karl das Stillhalteabkommen geschlossen. Das ist der ganze Sinn unseres Stillhalteabkommens. Ich sorge dafür, daß die rechte Seite friedlich und ruhig und still ist, und Karl sorgt dafür, daß sich die linke Seite friedlich und still und leise verhält. Genaugenommen ist es so, sagt Deuth, daß ich die rechte Seite nicht durch rote Wahlpropaganda reize und provoziere und daß der Ferdinand die linke Seite nicht mit schwarzer Wahlpropaganda ärgert und reizt. Jetzt ist Ruhe, sagen Deuth und Ürdinger, Stille ist Stille und Frieden ist Frieden, wie der Frieden hergestellt wird, ist dem Frieden ganz egal. Wir sind eine Koalition, sagen Blumauer, Deuth und Ürdinger, wir sind ein Team, eine Arbeitsgemeinschaft. Wir befolgen die Postulate der Kooperation, wir arbeiten in allem miteinander und nicht gegeneinander. Es ist genug Unruhe unter der Bevölkerung, vom Rundfunk und vom Fernsehen wird nicht wenig Unruhe und Friedlosigkeit in die Bevölkerung getragen, da wollen wir von der Post nicht auch noch ins selbe Horn stoßen. Auf dem Land herrscht ein eigentümlicher Gemeinschaftsgeist. Das ist nicht auf die Briefträger beschränkt. In ähnlicher Art und Weise arbeiten etwa auch die Gendarmen zusammen. In dieser Art und Weise arbeiten die Gendarmen untereinander und auch mit der Bevölkerung oder mit bestimmten Personen aus der Bevölkerung zusammen. Lieber Postmeister, ich werde dir jetzt einmal ein anderes Beispiel für Kooperation aus dem Nichtpostbereich vorführen. Ein wirklich klassisches Beispiel für Teamwork und Gemeinschaftsgeist ist die Fleischbeschau. Eine Fleischbeschau, lieber Postmeister, eine Fleischbeschau sieht bei unserem Fleischhauer folgendermaßen aus: Der Tierarzt und Fleischbeschauer und sein Freund, der Fleischhauer, gehen miteinander im Schlachthaus die lange Reihe der geschlachteten Kälber und Schweine entlang. Der Fleischhauer dreht seinem Freund, dem Tierarzt, die Schweine- und Kälberhälften, die an Fleischerhaken von der Wand hängen, ein wenig zurecht, damit der Herr Doktor mit dem Stempel bequem sein UNBEDENKLICH auf die weißen Arschbacken drücken kann. Sie unterhalten sich über das Kartenspielen. Du warst am Samstag verdammt leichtsinnig, sagt der Tierarzt zum Fleischhauer und erklärt das nächste Schwein für UNBEDENKLICH. Was heißt denn da leichtsinnig, sagt der Fleischhauer. Ich kann ja nicht schmecken, daß beim Apotheker alles beisammensteckt. Und im Urin habe ich auch nicht spüren können, daß er mir zu guter Letzt mit seiner dreckigen karierten Sau über meine einschichtige Dame kommt, und das ausgerechnet auf der linken Seite. Wenn du das Leichtsinn nennst! Trau schau dem Apotheker, sagt der Tierarzt und klatscht einem Kalb UNBEDENKLICH aufs Hinterteil, daß es im Schlachthaus hallt. Und so weiter, lieber Postmeister, und so weiter. So sieht heutzutage hierzulande eine Fleischbeschau aus, so und nicht anders. So geht es bei einer Fleischbeschau unter Freunden zu. Ich verstehe nicht, lieber Postmeister, daß die Behörde und daß die Gendarmerie den Fleischbeschauern und den Fleischhauern nicht genauer auf die Finger sieht. Das heißt, ich verstehe schon, warum die Behörde und die Gendarmerie den Fleischbeschauern und den Fleischhauern nicht genauer auf die Finger sieht. Denn die Herren von der Behörde und die Gendarmen spielen ja auch Karten, das sind ja auch Kartenspieler. Und wenn es irgendeine Schwierigkeit oder eine Anzeige gibt, weil etwas ruchbar geworden ist, dann wird immer derjenige Gendarm mit der Sache befaßt, der mit dem Fleischhauer oder dem Tierarzt oder wem immer, wer gerade involviert ist, am nächsten bekannt und befreundet ist. Geh du, heißt es dann, Fritz oder Georg, du kennst ihn am besten von uns. Du redest dich leicht mit ihm, heißt es. Geh du, heißt es, du weißt am besten, wie man ihn nehmen und behandeln muß. So hat jeder auf dem Gendarmerieposten seine Fälle und seine Leute, die er bearbeitet. Jeder ist für bestimmte Personen zuständig. Für den Ürdinger, lieber Postmeister, fühlt sich übrigens der Inspektor selbst zuständig. Ich komme mit dem Ürdinger Ferdinand am besten zurecht, sagt Valentin Naderhirn. Laßt das einmal mich machen. Auf diese Art wird hier bei uns alles gütlich bereinigt und beigelegt. Hier wird alles auf dem Kulanzweg erledigt. Es sei denn, es handelt sich um jemanden, der keine Freunde hat und weiter nicht bekannt ist. Wenn hierzulande jemand keine Karten spielt und auch sonst ungesellig ist und wenig unter Leute kommt, dann muß er natürlich damit rechnen, daß das Gesetz auf ihn mit der ganzen Härte angewendet wird. Dem Fleischhauer und dem Tierarzt schaut die Gendarmerie jedenfalls nicht in die Karten. Und so absolvieren der Tierarzt und der Fleischhauer heute die Fleischbeschau längst mit geschlossenen Augen. Wenn man den Fleischbeschauer und den Fleischhauer bei der Fleischbeschau sieht, muß man ehrlich meinen, die beiden spielen im Schlachthaus blinde Kuh oder ein anderes Gesellschaftsspiel. Die Tierärzte finden durch die Fleischbank alles UNBEDENKLICH. Und wenn einem Tierarzt einmal ein Stück wirklich gar nicht gefallen will, dann stempelt er aus Gefälligkeit gegenüber seinem Freund, dem Fleischhacker, schließlich doch sein UNBEDENKLICH drauf. Vielleicht, daß er einen Augenblick zögert, lieber Postmeister, aber wirklich nur einen Augenblick. Was schaust denn so dumm, sagt der Fleischhauer zum Fleischbeschauer. Ach nichts, sagt der Fleischbeschauer und stempelt UNBEDENKLICH auf den Sauarsch, den ihm der Fleischhauer recht kommod hinhält. Mein Geist ist willig, sagt der Fleischbeschauer zum Fleischhauer, aber dein Fleisch ist schwach. Freilich, sagt der Fleischhauer, sonst noch was?! Überall, mein lieber Postmeister, überall, wo du auch hinkommst, überall sind die Fleischbeschauer und die Fleischhauer miteinander befreundet. Tierärzte und Fleischhauer, sagen Tierarzt und Fleischhauer, müssen zusammenarbeiten. Tierarzt und Fleischhauer, sagen Tierärzte und Fleischhauer, müssen aufeinander eingespielt sein. Wie deine Briefträger sind auch Tierarzt und Fleischhauer in ihrer Art eine Arbeitsgemeinschaft. Ein Tierarzt, sagt der Fleischhauer, darf doch dem Fleischhauer nicht in den Arm fallen. Das wäre mir ein schöner Tierarzt, der dem Fleischhauer ein Auge aushackt. Fleischbeschauer und Fleischhauer müssen Arm in Arm und Hand in Hand arbeiten. Eine Hand wäscht die andere, sagt der Fleischhauer. Ich kann doch nicht wegen einer kleinen Unreinheit in der Maserung Fleisch weghauen, sagt der Fleischhauer, ich bin schließlich Fleischhauer, sagt der Fleischhauer, und nicht Fleischweghauer. Davon stirbt niemand, davon ist nun wirklich noch keiner gestorben. Eine Made im Speck hat im Leben noch keinem geschadet. Wegen eines so armseligen kleinen Würmchens drehe ich mich doch nicht einmal um. Zwischen Fleischbeschauer und Fleischhauer muß ein gesundes Verhältnis herrschen, sagen Fleischhauer und Fleischbeschauer, und damit basta. Und weil das so ist, lieber Postmeister, weil zwischen dem Tierarzt und dem Fleischhauer ein gesundes Verhältnis herrschen muß, darum schaut der Tierarzt bei der Fleischbeschau wirklich nicht auf das Fleisch. Der Herr Doktor sieht über das Fleisch hinweg. Der Tierarzt sieht seinen Freund, den Fleischhauer, an, recht treu und freundlich. Und der Fleischhauer schaut seinen Freund, den Tierarzt, an, auch recht nett und lieb. Der Fleischhauer steht da und grinst übers ganze Gesicht, daß seine Schweinsäuglein klein werden und im rosigen Gesicht schier verschwinden. Der Fleischhauer schaut so richtig wie ein Fleischhauer drein. Jetzt schneuzt er sich in seinen Ärmel, sieh dir das an, lieber Postmeister. Bist du eine Drecksau, sagt der Tierarzt und lacht. Von Hygiene hast du auch noch nie etwas gehört, sagt der Tierarzt. Von wem? sagt der Fleischhauer. Ich hab es immer nur mit meiner Marlene zu tun. Am Samstag, sagt der Fleischhauer, weil wir gerade von meiner Marlene sprechen, am Samstag hat sie mir wieder einmal gehörig den Kopf gewaschen. Unser Skat dauert ihr jetzt plötzlich immer zu lange. Da kann die Marlene zur Hyäne werden. Das müßtest du einmal erleben, mein lieber Doktor, das ist unhygienisch, das ist ehrlich unhygienisch. Und da schreitet die Behörde nicht ein. Fangen wir in Gottes Namen an, sagt der Fleischhauer dann und spuckt in die Hände. Da kramt der Tierarzt in seiner Tasche und holt den UNBEDENKLICH-Stempel heraus. Halt her, du Rindvieh, sagt der Tierarzt, Ochse, sagt der Fleischhauer. Fleischhauer und Fleischbeschauer lachen, daß es dröhnt im Schlachthaus. Du lachst ja auch, mein lieber Postmeister, aber eigentlich und genaugenommen ist es nicht zum...