Boyle | Fleischeslust | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 296 Seiten

Boyle Fleischeslust

Erzählungen

E-Book, Deutsch, 296 Seiten

ISBN: 978-3-446-24389-7
Verlag: Carl Hanser
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Ein junger Mann befreit aus Liebe zu einer engagierten Tierschützerin in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Hunderte von Truthähnen. Allerdings geht das Mädchen danach mit einem anderen Tierschützer auf und davon, und die Geschichte nimmt speziell für die Truthähne ein schlimmes Ende. In einer anderen Geschichte wird ein Vater durch seine kleine Tochter mit der eigenen Hippie-Vergangenheit konfrontiert, zu der er sich nicht mehr bekennen kann. Ein reiches Sammlerpaar heuert eine Firma an, die gegen teures Geld ihr vollgestopftes Heim entrümpelt, und zwar so radikal, daß die beiden nicht einmal ihre Matratzen wiederfinden. Boyle ist nichts heilig, wie seine Leser wissen, und gerade das schätzen wir an ihm. Doch sollten sein Mangel an Respekt und an politischer Korrektheit nicht darüber hinwegtäuschen, daß er die Themen, mit denen er sich beschäftigt und die auch uns beschäftigen, ganz und gar ernst nimmt.Die neueste Sammlung T. C. Boyles, des Geschichtenerzählers, überrascht wieder einmal durch die phantastischen Motive, die Bandbreite der Themen, die bizarren Personen, die bei aller Verschrobenheit doch völlig wirklichkeitsnah sind.
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Großwildjagd
The way to hunt is for as long as you live against
as long as there is such and such an animal.
Ernest Hemingway, Green Hills of Africa Wenn der Preis stimmte, durften die Leute abschießen, was sie wollten, sogar den Elefanten, aber Bernard hielt seine Gäste lieber etwas zurück. Einerseits gab es immer eine Riesenschweinerei, und außerdem verliehen die großen Viecher – Elefant, Nashorn, Wasserbüffel, Giraffe – dem Laden ja letzten Endes seine Glaubwürdigkeit, ganz zu schweigen vom Lokalkolorit. Und dann waren sie auch ziemlich schwer aufzutreiben. Noch heute tat es ihm leid, daß er diesem Bubi aus der Heavy-Metal-Band erlaubt hatte, eine seiner Giraffen abzuknallen – auch wenn er für die Aktion locker zwölftausend Dollar auf sein Konto hatte einzahlen können. Oder dieser Idiot von MGM, der auf eine Zebraherde losballert und dabei gleich noch zwei Strauße geköpft und den nubischen Wildesel verstümmelt hatte. Na ja, so etwas konnte vorkommen – und immerhin war er bei den großen Tieren hoch genug versichert, um den halben Zoo von Los Angeles aufkaufen zu können, wenn es sein mußte. Zum Glück hatte sich wenigstens noch keiner in den Fuß geschossen. Oder in den Kopf. Natürlich war er auch dagegen versichert. Bernard Puff erhob sich von dem schweren Mahagonitisch und kippte seinen Kaffeesatz in den Ausguß. Er war nicht direkt nervös, aber doch etwas unruhig; sein Magen rumorte und verkrampfte sich um den unverdaulichen Klumpen eines Frühstückshörnchens, seine Hände zuckten und zitterten vom Kaffee. Er zündete sich eine Zigarette an, um ruhiger zu werden, und starrte durch das Küchenfenster auf den Pferch der Dromedare, in dem eines dieser mottenzerfressenen arabischen Viecher systematisch die Rinde einer Ulme abnagte. Er betrachtete es voller Staunen, als hätte er es noch nie gesehen – die flexiblen Lippen und dieser bescheuerte Blick, die blöde malmenden Kiefer –, und nahm sich insgeheim vor, für die Kamele einen Sonderpreis anzubieten. Die Zigarette schmeckte nach Blech, nach Tod. Irgendwo stieß eine Spottdrossel ihren gellenden, wimmernden Schrei aus. Die neuen Gäste mußten jeden Moment eintreffen, und bei der Aussicht auf neue Gäste wurde ihm jedesmal ganz anders – es konnten einfach zu viele Dinge schiefgehen. Die Hälfte von ihnen konnte das eine Ende des Gewehrs nicht vom anderen unterscheiden, sie wollten den Brunch zu Mittag und anschließend eine Massage, und sie meckerten über alles und jedes, angefangen bei der Hitze über die Fliegen bis zum Brüllen der Löwen in der Nacht. Schlimmer noch, die meisten wußten offenbar nichts mit ihm anzufangen: die Männer sahen in ihm meist eine Art guten Kumpel im Blaumann und bedachten ihn pausenlos mit lüsternem Grinsen, dreckigen Witzen und verkehrter Grammatik, und die Frauen behandelten ihn wie eine Kreuzung zwischen Oberkellner und Wasserträger. Anfänger und Greenhorns, alle miteinander. Emporkömmlinge. Raffkes. Die Sorte Leute, die Klasse nicht einmal erkannten, wenn sie sie in die Nase biß. Bernard drückte die Zigarette grimmig in der Kaffeetasse aus, wirbelte auf den Fußballen herum und stürmte durch die Schwingtür hinaus in den hohen dunklen Korridor, der in die Eingangshalle führte. Schon jetzt war es drückend heiß, die Deckenventilatoren rührten vergeblich in der toten Luft rund um seine Ohren, und auf seinen frischrasierten Backenknochen juckte der Schweiß. Er trampelte den Korridor entlang, ein wuchtiger Mann in Wüstenstiefeln und Khakishorts mit zuviel Bauch und einem etwas übereifrigen, tölpelhaften Gang. In der Halle war niemand, auch die Rezeption war unbesetzt. (Espinoza fütterte gerade die Tiere – Bernard konnte von weitem das Kreischen der Hyänen hören –, und das neue Mädchen – wie hieß sie gleich? – war bisher noch nie pünktlich zur Arbeit erschienen. Kein einziges Mal.) Das Haus wirkte menschenleer, obwohl er wußte, daß Orbalina oben die Betten machte und Roland sich irgendwo heimlich einen hinter die Binde goß – aber vermutlich draußen hinter den Löwenkäfigen. Eine Weile blieb Bernard reglos in der Halle stehen, vor dem martialischen Hintergrund von Kudu- und Oryxantilopenschädeln, und las zum zehntenmal an diesem Morgen die Karte mit der Reservierung: Mike und Nicole Bender
Bender-Immobilien
15125 Ventura Blvd.
Encino, California Maklertypen. Du liebe Güte. Ihm waren die Leute vom Film allemal lieber – oder sogar die Rock-’n’-Roll-Freaks mit ihren Nietenarmbändern und den tuntigen Frisuren. Die waren zumindest bereit, sich auf die Illusion einzulassen, »Puffs Afrika-Großwildranch«, die auf einem tausend Hektar großen Grundstück gleich vor den Toren von Bakersfield lag, sei der wahre Jakob – die Etoscha-Pfanne, der Ngorongoro-Krater, die Serengeti –, aber diese Maklertypen sahen jeden Sprung im Verputz. Immer wollten sie nur wissen, wieviel er für das Grundstück gezahlt hatte und ob es auch parzelliert werden durfte. Er blickte zu den grinsenden gelben Zähnen der Rappenantilope hinauf, die an der Wand hinter ihm hing – jener Antilope, die sein Vater in Britisch-Ostafrika erlegt hatte, damals in den Dreißigern –, und stieß einen Seufzer aus. Geschäft war Geschäft, und letzten Endes war es ja auch schnurzegal, wer seine Löwen und Gazellen durchlöcherte – solange sie dafür zahlten. Und das taten sie immer, den vollen Betrag, und zwar in bar. Dafür sorgte Bernard. »Vor sechs Monaten waren wir doch bei Gino Parducci essen, Nik, oder? Sechs Monate ist das her, oder? Und hab ich damals nicht gesagt, wir würden diese Afrikageschichte in sechs Monaten durchziehen? Stimmt’s?« Nicole Bender saß entspannt auf dem Beifahrersitz des weißen Jaguar XJS, den ihr Mann ihr zum Valentinstag geschenkt hatte. Auf ihrem Schoß verstreut lag ein Stapel Handarbeitszeitschriften, darauf zwei Bambusstricknadeln, an denen das Embryonalstadium eines Kleidungsstücks hing, so blaß, daß sich die Farbe kaum definieren ließ. Sie war siebenundzwanzig, blond und früher Schauspielerin/Dichterin/ Fotomodell/Sängerin gewesen; ihr Trainer hatte ihr vor zwei Tagen erst gesagt, sie habe von allen Frauen, mit denen er jemals gearbeitet habe, wohl die vollkommenste Figur. Natürlich wurde er dafür bezahlt, solche Dinge zu sagen, doch tief im Herzen ahnte sie, daß es die Wahrheit war, und sie mußte es immer wieder hören. Sie wandte sich an ihren Mann. »Ja«, sagte sie, »allerdings. Aber ich hab dabei eher an Kenia oder Tansania gedacht, um ehrlich zu sein.« »Ja, ja«, gab er ungeduldig zurück »ja, ja, ja.« Er stieß die Worte hervor wie Kugeln aus einem der brandneuen schimmernden großkalibrigen Jagdgewehre, die im Kofferraum lagen. »Aber du weißt genau, ich kann mir keine sechs Wochen Urlaub nehmen, nicht jetzt, wo wir gerade das neue Büro in Beverly Hills aufmachen und das Montemoretto-Geschäft so gut wie in der Tasche haben... Außerdem, da drüben ist es ziemlich gefährlich, alle sechs Minuten bricht dort eine Revolution oder ein Bürgerkrieg oder sonstwas aus, und was glaubst du, wem geben sie die Schuld, wenn alles drunter und drüber geht? Den Weißen, logisch. Und jetzt sag mal: wo wärst du dann am liebsten?« Mike Bender war ein nur mühsam gezügeltes Energiebündel, eine Dampfwalze von Mann, der es innerhalb von nur zwölf kurzen Jahren vom Empfangssekretär zum König und Despoten seines eigenen Maklerimperiums gebracht hatte. Er hörte sich gerne reden, die kostbaren Wörter kullerten ihm von den Lippen wie Münzen aus einem Spielautomaten, beim Sprechen berührte er mit den Fingerspitzen flüchtig die Zunge, die Haare, die Ohren, die Ellenbogen und den Schritt seiner Hose, wand sich geradezu in der rastlosen Dynamik, die ihn reich gemacht hatte. »Und dann gibt’s da Tsetsefliegen, schwarze Mambas, Beriberi, Beulenpest und weiß Gott was sonst noch alles – ich meine, stell dir Mexiko vor, nur hundertmal schlimmer. Nein, wirklich, glaub mir – Gino hat mir geschworen, daß diese Ranch fast hundertprozentig an die Realität rankommt, nur eben ohne den Streß.« Er schob die Sonnenbrille vor und sah sie über den Rand hinweg prüfend an. »Willst du etwa sagen, du würdest dir lieber den Arsch abfressen lassen, in irgendeinem windschiefen Zelt in, in« – ihm fiel einfach kein hinreichend ungemütlicher Ort ein, deshalb improvisierte er – »in Sambesiland?« Nicole zuckte die Achseln und schenkte ihm eine Andeutung des Schmollmundlächelns, das sie für die Fotografen aufgesetzt hatte, als sie mit neunzehn in der Sommergarderobe für den J.-C.-Penney-Katalog posierte. »Du kriegst deinen Zebrafellvorleger schon noch, wart’s nur ab«, beruhigte Mike sie, »und dazu noch ein paar Köpfe von Löwen oder Gazellen, oder was sich eben an der Wand im Arbeitszimmer gut machen würde, okay?« Der Jaguar schoß durch die Wüste wie ein Lichtstrahl. Nicole nahm ihr Strickzeug vom Schoß, überlegte es sich anders und legte es wieder zurück. »Okay«, flüsterte sie heiser, »aber ich hoffe bloß, diese Ranch ist nicht allzu, du weißt schon, spießig.« Ein rauhes Lachen erklang vom Rücksitz, wo Mike Benders zwölfjährige Tochter Jasmine Honeysuckle Rose Bender es sich mit den letzten zehn Ausgaben von Bop und einem Sechserpack Selters bequem gemacht hatte. »Jetzt macht mal halblang! Ich meine, Löwen abknallen in Bakersfield? Das ist ja wohl das Allerspießigste. Spießig, spießig, spießig!« Mike Bender saß hinter dem Lenkrad, den Hintern in das geschmeidige Ziegenleder des Sitzes geschmiegt, vor seinem inneren Auge Visionen von springenden Buntböckchen, und war leicht verärgert. Löwen und Elefanten und Nashörner hatte er schon seit seiner...


Boyle, T.C.
T. Coraghessan Boyle, 1948 in Peekskill, N.Y., geboren, unterrichtete an der University of Southern California in Los Angeles. Bei Hanser erschienen zuletzt Willkommen in Wellville (Roman, 1993), América (Roman, 1996), Riven Rock (Roman, 1998), Fleischeslust (Erzählungen, 1999), Ein Freund der Erde (Roman, 2001), Schluß mit cool (Erzählungen, 2002), Drop City (Roman, 2003), Dr. Sex (Roman, 2005), Talk Talk (Roman, 2006), Zähne und Klauen (Erzählungen, 2008), Die Frauen (Roman, 2009), Das wilde Kind (Erzählung, 2010), Wenn das Schlachten vorbei ist (Roman, 2012), San Miguel (Roman, 2013), die Neuübersetzung von Wassermusik (Roman, 2014), Hart auf hart (Roman, 2015), die Neuübersetzung von Grün ist die Hoffnung (Roman, 2016), Die Terranauten (Roman, 2017) und Good Home (Erzählungen, 2018).

T. C. Boyle, geboren 1948 in Peekskill, New York, unterrichtet an der University of Southern California in Los Angeles. Auf deutsch erschienen u. a.: Wassermusik (1987), Wenn der Fluß voll Whisky wär (1991), Der Samurai von Savannah (1992), Willkommen in Wellville (1993), Tod durch Ertrinken (1995), América (1996) und Riven Rock (1998).


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