E-Book, Deutsch, 288 Seiten
Bosh Briefe an einen jungen Athleten
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-96092-956-7
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, 288 Seiten
ISBN: 978-3-96092-956-7
Verlag: FinanzBuch Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Chris Bosh, elffacher All-Star, zweifacher NBA-Champion und olympischer Goldmedaillengewinner, musste seine Basketballkarriere in seiner Blütezeit beenden. Seine außergewöhnliche Karriere endete nicht zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt, sondern in einer Arztpraxis. Er sah sich gezwungen, darüber nachzudenken, wie er einen Sinn für die Zukunft finden könnte, und blickte auf seinen Weg zurück: von einem Teenager in Dallas bis hin zur Spitze der NBA.
Er erkannte, dass es bei den wichtigsten Lektionen, die er von Basketball-Legenden wie LeBron James, Kobe Bryant, Pat Riley und Coach K gelernt hatte, nicht so sehr um Basketball ging, sondern vielmehr um die richtige Einstellung, das Engagement, den Flow innerhalb eines Teams. Formuliert als eine Reihe von Briefen an Menschen, die mehr erreichen wollen – egal ob Profi oder Amateur, in der Schule, im Berufsleben oder privat –, ist Briefe an einen jungen Athleten ein inspirierender Wegweiser, um die innere Stimme zu zähmen und zu einem Verbündeten zu machen, und die Herausforderungen des Scheiterns ebenso wie die des Erfolgs zu meistern.
Autoren/Hrsg.
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VORWORT
VON PAT RILEY
Lieber Chris, es gibt entscheidende Momente im Leben, die für dich und die Menschen in deinem Umfeld alles verändern. Momente, in denen alte Wahrheiten auf einmal glasklar erscheinen. Ein solcher Moment könnte sich an jedem beliebigen Tag deines Lebens ereignen. Wir bleiben diesen Momenten auf ewig verbunden, denn sie weisen uns einen Weg zu neuen, noch besseren Erfahrungen. In meinen Jahren als Spieler, Trainer und Funktionär der NBA habe ich viele freudige und schmerzhafte Momente erlebt. Bis heute sind sie mir ganz nah. In meinem Alltag passiert ständig etwas – ein Meeting, ein Anruf von einem Freund, ein bestimmtes Lied oder ein Bild an der Wand – und schon bin ich wieder mittendrin und erlebe diese Momente erneut, häufig mit mehr Klarheit und Einsicht. Manche Momente wirken bis heute ganz unglaublich auf mich, noch immer denke ich mir dann: »Wie konnte das passieren?« Ein Paradebeispiel war dein – aus meiner Sicht – entscheidender Moment als Spieler bei den Miami Heat. Ein Jahr, nachdem du 2012 mit den Heat deine erste Meisterschaft gewonnen hattest (gegen Oklahoma City Thunder, die damals mit den Führungsspielern Russell Westbrook, James Harden und Kevin Durant einen starken Kader hatten), wollten wir den Titel verteidigen und lieferten uns im Finale mit den San Antonio Spurs einen echten Kampf. San Antonio war eine grandiose Mannschaft, trainiert vom großen Gregg Popovich und angeführt von Tim Duncan, Tony Parker und Manu Ginobili. Die Spurs führten mit drei zu zwei Spielen und waren kurz davor, uns vor heimischer Kulisse die entscheidende vierte Niederlage beizubringen und sich den Titel zu holen. Bislang hatten sie deutlich besser gespielt als wir, nun war Spiel 6 fast vorbei und es sah ziemlich düster für uns aus: Wir lagen 95:92 zurück und es waren noch 17 Sekunden zu spielen. Wir hatten den Ball und attackierten ihre Defense. Sie mussten eigentlich nur noch einen Angriff stoppen, einen Rebound holen und das Spiel wäre im Grunde vorbei gewesen. Wir hingegen brauchten Punkte, einen Zweier oder Dreier, um weiter im Spiel zu bleiben. Coach Spo hatte einen hohen Screen aus zwei Spielern aufstellen lassen, um LeBron freizublocken, der sich dadurch in perfekter Position für einen Dreipunktewurf befand, mit dem er das Spiel ausgleichen konnte. Die Uhr tickte runter, noch weniger als zehn Sekunden. LeBron verwarf und der Ball prallte in einem sehr hohen Bogen vom Ring zurück. In der NBA gilt: Triff oder du verlierst – und Zufälle gibt es nicht. Nun brauchten beide Teams einen Rebound. Wäre San Antonio an den Ball gekommen, hätten wir foulen müssen. Während der Ball noch in der Luft war, begannen unsere Fans – die inzwischen alle von ihren Sitzen aufgesprungen waren – das Hallenpersonal auszubuhen, das in Erwartung eines Sieges von SA am Rand des Spielfelds bereits Absperrband spannte. Es schien ewig zu dauern, bis der Ball wieder runterkam. Die Defense von SA hatte auf jeder Position durchgewechselt und du spieltest plötzlich gegen Tony Parker – gegen den du wegen deiner 25 Zentimeter Größenvorteil bei Rebounds die Nase vorn hattest. Du warst so ein cleverer, instinktiver Spieler. Du wusstest, dass du im Vorteil warst, du musstest nur aufpassen, ihn bei deiner spielentscheidenden Chance nicht zu hart anzugehen und ein Offensivfoul zu kassieren, weil du ihn mit deiner Größe bei seinem Block einfach umgestoßen hättest. Mit perfektem Timing bist du so hoch gesprungen wie du konntest und zum Ball gezogen, statt darauf zu warten, dass er zu dir kommt. Du hattest schon immer Hände wie Schraubzwingen. Mit kaum noch Zeit auf der Uhr hast du dir den Ball geschnappt und zielsicher an einen der gefährlichsten Dreipunkteschützen der NBA-Geschichte weitergegeben: Ray Allen. Für den war das Routine. Er hatte gewittert, dass du den Rebound bekommen würdest und lief blindlings rückwärts in Richtung Ecke. Nach vielen Jahren in der NBA war seine Court-Übersicht überragend. »Ball in der Luft, Füße in der Luft« war ein geflügelter Spruch, den ich häufig verwendete, um meinen Spielern beizubringen, wie sie einen Pass annehmen sollen, um beim anschließenden Wurf ihre Balance halten zu können. Ray fing den Ball und platzierte seine Füße perfekt hinter der Dreipunktelinie. Er hob ab, stieg hoch in die Luft, richtete seinen Körper zum Korb aus, die Augen lasergenau auf den Ring fokussiert und ließ den Ball fliegen. Als drei verzweifelte Spurs-Spieler zum Blocken bei ihm waren, hatte er seinen Wurf längst abgeschlossen. Ich stand direkt hinter Ray und hielt die Luft an: Wir hatten eine Top-Wurfposition von Le-Bron, einen rettenden Offensiv-Rebound plus einen anschließenden, punktgenauen Assist von dir – den perfekten Pass, genau in die sicheren Hände unseres besten Clutch Shooters, Ray Allen. Nach mehr hätte man in dieser dunklen Stunde nicht verlangen können. Triff oder du verlierst! Die Zuschauer waren wie gelähmt – die Augen geschlossen, die Münder weit geöffnet – und beteten zum lieben Gott für ein Wunder. Mit 5,3 Sekunden auf der Uhr ging der Ball rein, wir glichen aus auf 95:95 und die Halle brach in frenetischen, lautstarken Jubel aus. Wahnsinn! Wir spürten plötzlich, wie uns das Adrenalin in die Adern schoss. Der Umschwung, der in diesem Moment in den Köpfen der Spieler geschah, lässt sich nur schwer beschreiben. Diese Chance würde sich unsere Mannschaft nicht mehr nehmen lassen. Am Ende der Overtime lagen wir mit einem Zähler vorn und konnten den Sack zumachen. Die Spurs hatten ihren Angriff auf Danny Green zugeschnitten, praktisch der Ray Allen der Gegenseite. Ihr Spielzug war komplex, mit jeder Menge Spielerbewegung, vielen Richtungswechseln und Screens. Sie passten den Ball zur Weak Side, also der ballfernen Seite, wo Green bereitstand, um ihn anzunehmen. Du allerdings hast den späten Switch erkannt und bist sofort auf Green zugestürmt. Als der zum Sprungwurf ansetzte, hast du ihn mit perfektem Timing und ohne zu foulen geblockt und damit unseren Sieg gerettet. Die voreilig gespannten Absperrbänder wurden wieder entfernt, in dieser Nacht würde es keine SA-Siegesfeier in Miami geben. Mit deinem Rebound, dem Pass an Ray und dem geblockten Wurf von Green hast du jedem gezeigt, was für ein vielseitiger, großartiger Spieler du bist. Du besitzt das Herz und den Willen, die kleinen Dinge zu erledigen, die am Ende Spiele gewinnen. Zwei Nächte darauf gewannen wir daheim in Miami Spiel 7 und feierten die zweite Meisterschaft in Folge. LeBron wurde – zu Recht – zum Most Valuable Player (MVP) der Finals gewählt, und alle Spieler, die in dieser Serie auf dem Court standen, hatten ihre Momente. Aber für jeden, der etwas davon versteht, wie man Spiele gewinnt und enge Kisten nochmal dreht, wirst du in die Geschichte der Miami Heat eingehen als der Spieler, der mit seinen wichtigen Spielzügen sein Team zur Meisterschaft geführt hat. Es gibt keine Zufälle. Chris Bosh für immer! QUAL UND LEID
Zwei Jahre zuvor hast du noch fassungslos und niedergeschlagen auf die Punktetafel gestarrt und tief seufzend mit ansehen müssen, wie die Dallas Mavericks den Gewinn der NBA-Meisterschaft 2011 feierten. Ausgerechnet in unserer Halle, was das Ganze umso schmerzhafter machte. Mit hängendem Kopf und Schultern hast du dir langsam deinen Weg gebahnt durch die Menschenmassen auf dem Spielfeld und die Championship Alley der American Airlines Arena hinab. Damals konnte ich spüren, wie schmerzhaft es für dich war, deine Titelträume in einem Trommelfeuer aus Dirk Nowitzkis Sprungwürfen und Jason Kidds cleveren Spielzügen zerplatzen zu sehen. Dies war das schlimmste Erlebnis deiner Karriere. Du bist auf die Knie gefallen und hast bitterlich geweint. Deine Teamkollegen nahmen dich in den Arm und versuchten, dich so gut es ging zu trösten, halfen dir auf und begleiteten dich Arm in Arm in den Kabinentrakt. Wie Brüder, die denselben Schmerz fühlten wie du. In Situationen wie den NBA Finals, in denen es nur einen strahlenden Sieger geben kann, reagieren manche Spieler stoisch, manche depressiv und andere wütend auf Niederlagen. Einige scheinen ganz nüchtern damit umzugehen, so als handele es sich um einen ganz normalen Misserfolg, andere brechen unter Tränen vollkommen zusammen. Es ist schwer zu beschreiben, welch emotionale Achterbahn ein Spieler in solchen Momenten erlebt, besonders wenn ihm wirklich etwas am Spiel liegt. Auf alle Fälle folgt auf diese Niederlage ein richtig mieser Sommer. Viele Spieler verkriechen sich erstmal und lassen sich wochenlang nicht mehr blicken. Eine solche Pleite bekommt man nicht mehr aus dem Kopf, bis im Herbst endlich die neue Saison beginnt. Als ich euch in diesen traurigen Augenblicken so beobachtete, quälte mich der Gedanke, euch für einen Sieg nicht gut genug vorbereitet zu haben. So schlecht hatte ich mich schon lange nicht mehr gefühlt, auch wenn ich solche niederschmetternden Momente zuvor schon viele Male erlebt hatte. Am liebsten hätte ich mich in meiner Verzweiflung unter einer Decke verkrochen und darauf gewartet, dass dieser Alptraum endlich vorbei ist. Doch hier half keine Decke, keine heiße Dusche hätte diesen Schmerz...