Bolz' höchst engagiertes Plädoyer für die Familie richtet sich gleich gegen mehrere Gegner: Gegen einen Fürsorgestaat, der die Familie ersetzen will, gegen einen neuen Hedonismus unter der Marke der "Selbstverwirklichung", gegen eine als Political Correctness getarnte Kinderfeindlichkeit der Methusalem-Apologeten und der feministischen Karrierefetischisten. Wir leben in einem Zeitalter kalter Kriege. Kalter Krieg herrscht zwischen Männern und Frauen, zwischen Alten und Jungen. Kalter Krieg herrscht zwischen Eltern und Kinderlosen, zwischen berufstätigen Frauen und Hausfrauen. Kalter Krieg herrscht zwischen Familien und Staat. Bekanntlich ist dies auch ein Zeitalter des radikalen, begründungsunbedürftigen, zu nichts verpflichtenden Individualismus. Man sieht im Verhältnis von Mann und Frau eine Unterscheidung als ob nicht. Man führt Ehen als ob nicht. Und man hat Kinder, als hätte man sie nicht. Es ist zur Selbstverständlichkeit geworden, daß die großen politischen Themen der Zukunft demographische sein werden. Die zukünftige Entwicklung Alteuropas und insbesondere Deutschlands wird durch die Dynamik der Bevölkerungsentwicklung geprägt, also durch Geburtenrückgang, steigende Lebenserwartung und Migration. Und gerade die verzweifelten Reformbemühungen der Politik machen die Sollbruchstellen unserer Gesellschaft überdeutlich. Zum einen scheint es kein Mittel gegen die Abwanderung von Ost nach West zu geben; in den Metropolen Alteuropas wächst die Parallelgesellschaft von Migranten. Zum andern ist der Generationenvertrag geplatzt, der das Wohlleben des Alters durch die Produktivität der Jugend garantierte und so durch stabile Rentenzahlungen den Zusammenhang der Generationen wahrte. Daß dieser Generationenvertrag heute platzt, ist nicht nur ökonomisch desaströs, sondern auch kulturell höchst folgenreich: Die Kluft zwischen dem Lebensstil der Eltern und der Kinderlosen wird immer größer. Wir stehen heute am Ende des von Schumpeter beschriebenen Zersetzungsprozesses und müssen nüchtern konstatieren: Kinder passen einfach nicht in die Welt der modernen Wirtschaft. Und deshalb ist die Gründung einer Familie das moderne Abenteuer schlechthin - die riskanteste Entscheidung unter Bedingungen der Ungewißheit. Noch nie war die Frage "Wozu Kinder?" so schwer zu beantworten wie heute. Kinder aufzuziehen, ist ökonomisch irrational, weil nur die Kosten für den Unterhalt der Nicht-mehr-Erwerbstätigen kollektiviert werden, während die Kosten für den Unterhalt der Noch-nicht-Erwerbstätigen privatisiert werden. Im ökonomischen Gesamtkalkül des Lebens sind Kinder die größten Fixkosten. Viele Kinder zu haben, ist deshalb ein Zeichen von Armut - und Reichtum! Mit anderen Worten, Kinder sind der moderne Luxus, den sich immer weniger glauben leisten zu können. Nun ist Kinderlosigkeit ein Sachverhalt, den man schlecht sieht; wie man ja prinzipiell nur schwer sichtbar machen kann, was fehlt. Massenweises Altwerden dagegen ist etwas spektakulär Neues. Die Älteren verdrängen die Eltern. Wenn aber die Alten in der Mehrheit sind, dann verwandelt sich die Demokratie in eine Gerontokratie. Und diese Herrschaft der Alten stellt nun sehr listig eine neue Political Correctness in ihren Dienst: den Kampf gegen den Altersrassismus. Natürlich leugnet ein intelligenter Autor wie Schirrmacher - Jahrgang 1959 -, mit seinem Methusalem-Komplott ein Manifest der Eitelkeit von Menschen vorgelegt zu haben, die immer bestimmten, was Jugend bedeutet und nun nicht mehr damit leben können, alt zu sein. Genau dieser Eindruck drängt sich aber dem nicht völlig geneigten Leser - Norbert Bolz: Jahrgang 1953 - durchaus auf. Die moderne Welt, so sein Resümé, entfaltet die Paradoxie der Stärke schwacher Bindungen und der Schwäche starker Bindungen. Intimität und Familiengeist vertragen sich weder mit den Kontrakten und Netzwerken der modernen Märkte noch mit dem Individualismus und Universalismus moderner Demokratien. Wer unter diesen Bedingungen eine Familie gründet, tut es "trotzdem". In einem ganz unspektakulären Sinn sind Eltern heute Helden.
Bolz
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