Praxistipps für alle Organisationsformen
E-Book, Deutsch, 196 Seiten
ISBN: 978-3-7578-7566-4
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Martina Leitgeb ist seit 2013 leidenschaftlich im Bereich der Analyse von Wirtschaftskriminalität tätig. Parallel absolvierte sie ihr berufsbegleitendes Bachelor- und Masterstudium mit den Schwerpunkten Wirtschaftsprüfung und Unternehmensrechnung an der Fachhochschule Wiener Neustadt. Neben der Erstellung von Gutachten für Sachverständige war sie für große internationale Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsunternehmen in den Bereichen Forensik und Wirtschaftsprüfung tätig. Weiters war sie Fraud Manager bei einem internationalen Finanzinstitut. Martina Leitgeb ist begeisterte Vortragende. Gemeinsam mit Gabriele Bolek-Fügl hatte sie die Idee zur Entwicklung eines eigenen Hinweisgebersystems. Wie sie aus ihrer forensischen Tätigkeit weiß, sind Hinweise oftmals der Grund für die Aufdeckung von Missständen oder Fehlverhalten.
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2. Einführung in das Thema Hinweisgebung
“Kritiker sind gute Freunde, die uns auf Fehler hinweisen”
Benjamin Franklin 2.1 Eine kurze Geschichte des Hinweisgebens Die Einrichtung und Nutzung von Meldekanälen sind keine Erfindung der jüngeren Vergangenheit. Um von wertvollen Hinweisen zu profitieren, wurden bereits in der alten Republik Venedig2 von den Staatsorganen eigene Briefkästen aus Stein eingerichtet, in die anonyme Hinweise für die unterschiedlichen Behörden eingeworfen werden konnten3. Einige dieser ”Bocca di Leone” sind auch heute noch erhalten. Während des amerikanischen Bürgerkriegs wurde 1836 der False Claims Act (31 United States Code §§ 3729–3733) verabschiedet. Der Kongress war besorgt, dass Lieferanten die Regierung betrügen könnten. Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass Privatpersonen betrügerische Handlungen zum Schaden der Regierung mittels Klage geltend machen können. Sie erhalten dafür zwischen 15 % und 25 % der Schadenssumme als Belohnung. Diese Klage wird als “qui tam” bezeichnet und der Hinweisgebende als “Relator”.4 “Qui tam” stammt aus der lateinischen Phrase “qui tam pro domino rege quam pro se ipso in hac parte sequitur” und bedeutet „[er] der in dieser Sache für den Herrn König so [wie] für sich selbst klagt“.5 Weitere qui tam Bestimmungen finden sich beispielsweise bereits im “Law of Wihtred” des Königs Wihtred of Kent aus dem Jahr 695. Es sah vor, dass ua der Melder von Verstößen gegen Bestimmungen zu arbeitsfreien Zeiten, die Hälfte der Geldstrafe für den Täter erhält.6 In Folge der großen Bilanzskandale wie Enron oder Worldcom wurde 2002 der Sarbanes-Oxley Act in den USA verabschiedet. Damit soll die Zuverlässigkeit der Bilanzberichterstattung börsennotierter Unternehmen verbessert werden. Neben weiteren Vorgaben enthält der Sarbanes-Oxley Act of 2002 auch Bestimmungen zur Einrichtung eines Hinweismanagementsystems und zum Schutz von Hinweisgebenden. Seit 01.01.2014 müssen Bankinstitute in Österreich gemäß § 99g BWG über ein Hinweismanagementsystem verfügen. “Die Kreditinstitute haben über angemessene Verfahren zu verfügen, die es ihren Mitarbeitern unter Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität ermöglichen, betriebsinterne Verstöße […] an eine geeignete Stelle zu melden.”7 Gemäß § 99g Abs 3 BWG sind meldende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Kreditinstituts zumindest vor Vergeltungsmaßnahmen, Diskriminierung oder anderen Arten von Mobbing zu schützen. Es müssen im Unternehmen klare Regeln bezüglich der Geheimhaltung der Identität der Hinweisgebenden und spezielle Verfahren für den Empfang von Meldungen über Verstöße und deren Weiterverfolgung definiert werden. Auch die aktuellen Vorfälle aus den Medien im In- und Ausland, bei denen hochrangige Politiker korrupte Handlungen begangen haben sollen (es gilt die Unschuldsvermutung), sind ein Weckruf und zeigen deutlich, wie stark Regierungen und Organisationen von Hinweisgebenden profitieren können. Gerade wenn Entscheidungsträger ein weit verzweigtes Netzwerk haben und viele Personen von einem korrupten System profitieren, können Hinweisgebende den Stein ins Rollen bringen und das korrupte System aufdecken. 2.2 Was ist Whistleblowing Der Begriff "Whistleblowing" wird auch häufig im Deutschen verwendet und kann mit "Das Melden von Missständen" übersetzt werden. Beide Ausdrücke beschreiben die Offenlegung von Informationen oder Verhaltensweisen, die illegal, unethisch oder anderweitig schädlich für eine Organisation sind und die von Mitarbeitern, ehemaligen Mitarbeitern oder nahestehenden Personen an die Öffentlichkeit oder an Menschen in der Einrichtung weitergegeben werden, die in der Lage sind, das Verhalten zu beenden bzw. weiteren Schaden zu verhindern. Mit der EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden hat sich für “Whistleblower” der Begriff “Hinweisgeber” oder „Hinweisgebende“ im deutschsprachigen Raum durchgesetzt. Die Definition und die Rahmenbedingungen von Whistleblowing variieren von Land zu Land. In einigen Ländern gibt es spezifische Gesetze, die Hinweisgebende schützen und Regeln festlegen, wie Informationen über Missstände gemeldet werden können. In anderen Ländern gibt es keine konkreten, schützenden Rechtsvorschriften, sondern nur allgemeine bzw. branchenbezogene Gesetze, die eine Meldung von Fehlverhalten ermöglichen. Die EU-Richtlinie 2019/1937 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, legt die Rechte und Pflichten von Hinweisgebenden innerhalb der EU fest. Nach dieser Richtlinie ist Whistleblowing der Begriff für das Melden von Missständen an eine oder mehrere autorisierte Stellen oder Personen, die in der Lage sind, das potenzielle Fehlverhalten aufzuklären, zu beenden oder zu verhindern. Die internationale Organisation Transparency International, die sich weltweit für mehr Transparenz, Integrität und Anti-Korruption einsetzt, betrachtet das Melden von Missständen als ein wichtiges Instrument, um Korruption und andere Unregelmäßigkeiten aufzudecken und zu bekämpfen. Sie verwendet folgende Definition: „Hinweisgeber ist, wer Informationen über wahrgenommenes Fehlverhalten in einer Organisation oder das Risiko eines solchen Verhaltens gegenüber Personen oder Stellen offenlegt, von denen angenommen werden kann, dass diese in der Lage sind, Abhilfe zu schaffen oder sonst angemessen darauf zu reagieren.“8 In diesem Buch werden Whistleblower, Hinweisgeber oder Hinweisgebende als Personen verstanden, die redliche Hinweise oder Meldungen über potenzielles Fehlverhalten oder Missstände abgeben. Denunzianten, Vernaderer und Falschmelder sind von dieser Definition nicht umfasst, da diese auch im Normalfall keinen Anspruch auf gesetzlichen Schutz bei einer Meldung haben und nicht zum Wohl von Organisationen handeln. 2.3 Warum ist Whistleblowing wichtig Laut Transparency International kann Whistleblowing dazu beitragen, Missstände aufzudecken und zu beheben sowie Unternehmen und Organisationen zu einem verantwortungsvolleren und transparenteren Handeln zu verhelfen. Die Organisation betont auch, dass es wichtig ist, Hinweisgebende zu schützen und sicherzustellen, dass sie nicht benachteiligt oder diskriminiert werden, wenn sie Missstände melden.9 Weiters zeigen nationale und internationale Studien, dass Hinweise ein wichtiges Instrument sind, um Betrug im Unternehmen aufzudecken. Von der Association of Certified Fraud Examiners (ACFE) wird bspw. ein jährlicher Bericht zum Thema Fraud (Betrug, Wirtschaftskriminalität) herausgegeben. Unter anderem wird darin auch dargestellt, mit welcher Methode jeder einzelne Fraud-Fall aufgedeckt wurde und welche Auswirkung das Vorhandensein von Meldemöglichkeiten auf das Schadensausmaß und die Dauer des Betrugs hatte. In den letzten Jahren zeigte sich in diesen “Reports to the Nations”, wie die Berichte der ACFE genannt werden, dass Organisationen mit Meldekanälen den Betrug schneller aufdecken konnten und der Schaden, im Vergleich zu Organisationen ohne Meldekanal, geringer ausfiel. Darüber hinaus wurde die Mehrheit der Fraud-Fälle durch Hinweise aufgedeckt. Der “Report to the Nations 2022” zeigte, dass 47 % der Fraud-Fälle bei Organisationen mit einer Meldemöglichkeit durch Hinweise aufgedeckt wurden, und der Schaden bei Organisationen ohne Meldemöglichkeit doppelt so hoch war im Vergleich zu Organisationen mit Meldemöglichkeit.10 47 % der Betrugsfälle wurden in Organisationen mit
Meldekanal durch Hinweise aufgedeckt!
Im Durchschnitt dauerte der Betrug 12 Monate und damit 6 Monate
kürzer, als bei Organisationen ohne Meldemöglichkeit.11 Der Bericht der ACFE zeigt, dass Hinweise Unternehmen vor Verlusten schützen oder die Höhe der potenziellen Verluste reduzieren können. Die von Hinweisgebenden übermittelten Meldungen stellen eine Informationsquelle dar, über die Unternehmen ohne Meldekanal nicht verfügen. Zwar können Informationen unter Umständen über die üblichen Unternehmensstrukturen und Hierarchien an die Geschäftsführung herangetragen werden, jedoch geschieht dies eher selten, da zu viele Personen involviert sind. Die folgende Tabelle zeigt die Quellen zur Aufdeckung von Betrugsfällen laut dem ACFE Report to the Nations 2022: Methodik Anteil Hinweis 42% Interne Revision 16% Management Review 12% Dokumentenprüfung 6% Durch...