Blyton Fünf Freunde und das Schildkrötengeheimnis
1. Auflage 2015
ISBN: 978-3-641-17796-6
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
E-Book, Deutsch, Band 55, 160 Seiten
Reihe: Fünf Freunde
ISBN: 978-3-641-17796-6
Verlag: cbj
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Weitere Infos & Material
Der Überraschungsgast Anne stand am offenen Fenster und machte Kniebeugen. Die frische Morgenluft weckte ihre Lebensgeister. Am Tag zuvor war sie zusammen mit ihren Brüdern und ihrer Cousine Georg, die eigentlich Georgina hieß, im elterlichen Haus eingetroffen, wo sie ihre freien Tage genießen wollten. Wie immer war es am ersten Abend spät geworden. Die Eltern hatten den Kindern mal wieder Löcher in den Bauch gefragt. Alles Mögliche wollten sie über das Leben im Internat wissen: Wie hatte es im Unterricht geklappt? Kamen sie gut mit oder gab es in irgendeinem Fach Probleme? Wie stand es um die sportlichen Aktivitäten? Hatten sie neue Lehrer bekommen? Was machten die Freundschaften? Anne gähnte herzhaft, reckte sich und spürte, wie sich ihre Muskeln dehnten. Plötzlich stutzte sie: Da unten im Garten saß ein seltsames Tier. Ganz versteckt hockte es im hohen Gras und futterte Löwenzahn. Sie hatte es nur wegen seiner auffälligen Farbe entdeckt, denn es war gescheckt. Anne beugte sich aus dem Fenster. Das war tatsächlich ein Kaninchen, und zwar ein ganz Besonderes! Mit einem Mal fiel ihr ein, dass Georg gerade mit ihrem Hund Tim nach unten gegangen war, um ihn in den Garten zu lassen. Anne stürzte in den Flur und rannte die Treppe hinunter, wobei sie immer mehrere Stufen auf einmal nahm. »Georg!«, brüllte sie durchs Treppenhaus. »Lass bloß Tim nicht in den Garten! Hörst du?« Georg, die bereits die Hand auf die Klinke der Hintertür gelegt hatte, stutzte. »Was hast du denn? Tim muss dringend mal raus. Wir haben so lange geschlafen.« »Dann nimm ihn an die Leine und geh zur Vordertür raus«, bat Anne, die wusste, wie leidenschaftlich gern Tim Kaninchen jagte. Eine Marotte, die Georg ihm nur schlecht abgewöhnen konnte. »Aber …«, setzte Georg an. Doch Anne fiel ihr sogleich ins Wort. »Ich habe gerade im Garten ein Kaninchen entdeckt«, erklärte sie. Georg verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. »Aber dann sollten wir Tim erst recht in den Garten lassen, damit er es verjagt. Du weißt doch, wie sehr euer Gärtner sich immer über die Viecher aufregt.« Georg breitete die Arme aus. »So riesige Löcher buddeln die ständig, da könntest du ein Auto drin versenken.« Anne schüttelte heftig den Kopf. »Dies scheint aber ein ganz besonderes zu sein, es ist garantiert kein Wildkaninchen. Hoffentlich ist es noch da.« Damit schob sie ihre Cousine zur Seite und öffnete vorsichtig die Hintertür, die direkt zum Garten führte. Plötzlich stand Richard neben ihr, den der Duft von frisch gebratenen Eiern hinuntergelockt hatte. »Was schleichst du denn hier rum wie ein Indianer?« Anne hielt sich den Zeigefinger vor den Mund. »Scht! Du kannst mir gleich helfen. Da, schau!« Durch den Türspalt konnten die Geschwister das Kaninchen im hohen Gras sitzen sehen. Schon das leise Klicken der Türklinke hatte es aufhorchen lassen. »Willst du es etwa einfangen?«, flüsterte Richard. »Selbstverständlich, was denkst du denn?«, zischte Anne. »Das ist bestimmt irgendwo ausgebüxt.« Natürlich bemerkte das Kaninchen Anne und Richard sofort, als sie in den Garten geschlichen kamen. Schnell zog es sich ins Gebüsch zurück. »Ein schönes Tier, nicht wahr?«, flüsterte Anne, während sie gebückt nach dem niedlichen Nager spähte. Es war weiß, aber Augen, Nase und Ohren sahen aus, als seien sie in schwarze Tinte getaucht, und auf dem Rücken war deutlich ein schwarzer, wie mit einem Pinsel gemalter Strich zu erkennen. An der Seite zog sich eine Kette schwarzer Punkte wie aufgereihte Perlen durch das weiße Fell. »Schon, sieht ein bisschen aus wie ein Clown«, antwortete Richard und setzte zu einem Sprung an, um das Tier zu packen. Doch das Kaninchen entwischte ohne Mühe. »So kriegen wir es nie. Wir müssen uns eine Taktik überlegen«, stellte er fest. Anne nickte. »Ja, ich hole den Kescher aus dem Schuppen. Vielleicht geht es damit. Behalte du es im Auge!« »Da hinten sitzt es, siehst du?« Richard wies auf eine Lücke zwischen den Blumen, als Anne zurückkam. Anne reckte sich und versuchte vorsichtig, das Netz über das Kaninchen zu stülpen, aber sie war zu zaghaft, und das Tier entwischte erneut. »Du darfst dich auch nicht wie in Zeitlupe bewegen«, motzte Richard. »Dann hast du keine Chance.« »Ich hab Angst, dass ich ihm wehtue«, rechtfertigte sich Anne. »Schau, der Metallring ist gerade so groß, dass es hindurchpasst.« Richard nahm ihr den Kescher aus der Hand. »Lass mich mal.« Auf Zehenspitzen balancierte er durch das Beet, um nicht auf die Blumen zu treten, und reckte sich dann blitzschnell nach vorn, um das Netz über das Kaninchen zu stülpen. Es kam, wie es kommen musste: Richard verlor das Gleichgewicht und landete mitten zwischen den Blumen, während das Kaninchen gemächlich ein Stück weiterhoppelte und ihn dann aus großen Augen ansah. Vom Gartentor her erklang spöttisches Gelächter. »Ihr müsstet euch mal sehen!«, rief Georg, die Tim eben wieder ins Haus gebracht hatte, und hielt sich vor Lachen den Bauch. Anne bückte sich nach dem Kescher und reichte ihn Georg. »Kannst du es denn besser?« »Ich hab eine andere Idee«, antwortete Georg und verschwand im Schuppen. Anne reichte ihrem Bruder die Hand und half ihm, wieder auf die Beine zu kommen, ohne noch mehr Blumen zu zerdrücken. »Oje, hoffentlich gibt das keinen Ärger.« Sie versuchte, die Blumen wieder aufzurichten, während sich das Kaninchen immer weiter ins Gebüsch zurückzog. Richard klopfte sich die Erde von den Jeans. »Was schleppt Georg denn da an?« Georg kam mit einigen Brettern unter dem Arm in den Garten und legte diese vor sich ins Gras. »Das Kaninchen ist viel zu flink, als dass wir es so packen könnten. Das habt ihr ja gesehen. Wir müssen es in eine Ecke drängen, sonst haben wir keine Chance, es zu fangen.« Sie zeigte auf die Bretter. »Damit grenzen wir das Terrain ein.« Richard schnippte mit den Fingern. »Lasst es uns da in die Ecke treiben«, schlug er vor und zeigte auf eine Stelle, die von zwei Seiten vom Gartenzaun begrenzt war. Georg lachte. »Du Witzbold, da schlüpft es garantiert unterm Zaun durch.« Sie überlegte einen Moment. »Obwohl …« Entschlossen packte sie zwei der Bretter und steckte sie am Fuße des Zaunes längs ins Gras. Mit den restlichen Brettern, denen sie mit Steinen Halt gab, formte sie eine Art Trichter. »Jetzt müssen wir es nur noch hineintreiben und hoffen, dass es kein Kängurublut in den Adern hat und drüberhüpft!« Vorsichtig, um nicht noch mehr Schaden anzurichten, staksten Anne und Richard durch das Beet und scheuchten das kleine Tierchen in die Ecke, während Georg an der Seite aufpasste. »Langsam!«, mahnte Anne. »Das arme Tier kriegt sonst Angst.« »Kriegt es sowieso«, meinte Richard achselzuckend. »Aber es wird sich auch wieder beruhigen, wenn du ihm erst einmal ein paar schmackhafte Karotten anbietest.« »Apropos«, sagte Georg, als das Kaninchen schließlich pumpend und zitternd mit aufgerissenen Augen in der Ecke hockte. »Wo willst du es überhaupt hintun, Anne?« Anne zuckte die Schultern. »Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht. Erst mal müssen wir es jetzt fangen.« Georg grinste. »Greif zu. Du hast es entdeckt, du kannst es dir packen.« Anne spürte, dass ihr Herz mindestens genauso heftig schlug, wie das des kleinen Kaninchens. Sie hatte doch überhaupt keine Ahnung, wie fest sie zugreifen durfte, ohne dem Tier wehzutun! Und überhaupt … »Richard, willst du nicht …?«, setzte sie an. Aber ihr Bruder hob abwehrend die Hände. »Dein Part, kleine Schwester!« Also holte Anne tief Luft und griff dann beherzt nach dem Nackenfell des kleinen Nagers. Sie merkte sofort, dass sie ordentlich zupacken musste, denn das Kaninchen wehrte sich und strampelte wie ein Weltmeister! Doch schließlich war es geschafft! Stolz hielt Anne das Kaninchen auf dem Arm, das augenblicklich aufhörte zu treten und sich in sein Schicksal fügte. Anne spürte deutlich das kleine Herz schlagen. Beruhigend redete sie auf das Tier ein und streichelte das seidige Fell. »Ach, hier steckt ihr!« Julius steckte die Nase zur Hintertür hinaus. »Mutter sucht euch. Wollt ihr denn gar nicht frühstücken?« Das Frühstück! Das hatten sie vor lauter Kaninchenjagd total vergessen! »Wir haben ein Kaninchen gefangen!«, rief Anne stolz. »Schau, was für ein schönes Tier. Es ist bestimmt irgendwo ausgebrochen.« »Jetzt wissen wir nur nicht, wohin mit ihm«, sagte Georg. »Hast du eine Idee?« Julius kam, um das Tier aus der Nähe zu betrachten, und staunte über die interessante Zeichnung des Fells. »Ich glaube, ich habe eine Idee, wo wir es erst mal lassen können. Komm, Richard, pack mal mit an.« Kurz darauf trugen die beiden eine Gitterbox aus Holz aus dem Schuppen. Anne riss die Augen auf. »Die alte Kartoffelkiste?« Julius lachte. »Warum nicht? Ist ja nur für den Übergang, bis der Besitzer sich meldet. Das ist garantiert ein Rassetier vom Züchter.« Anne spürte einen Stich im Magen, als ihr bewusst wurde, dass sie das Kaninchen wahrscheinlich wieder abgeben musste. Der Verlust eines solch schönen Tieres würde dem Besitzer garantiert rasch auffallen! »Dann müssen wir unten aber was reinlegen. Das Arme kann ja schlecht auf dem Holzgitter...