E-Book, Deutsch, Band 1, 688 Seiten
Reihe: Penguin Edition
Blixen Jenseits von Afrika
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-641-26844-2
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Penguin Edition (Deutsche Ausgabe)
E-Book, Deutsch, Band 1, 688 Seiten
Reihe: Penguin Edition
ISBN: 978-3-641-26844-2
Verlag: Penguin
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
»Ich hatte eine Farm am Fuß der Ngong-Berge.«
Die majestätische Landschaft mit sanften Hügeln, unendlichen Steppen und Savannen zog Tania Blixen augenblicklich in ihren Bann, als sie 1914 nach Nairobi kam, um dort eine Kaffeeplantage zu betreiben. In farbigen Bildern beschreibt sie die märchenhaft-mystische Atmosphäre des Schwarzen Kontinents, erzählt von den Bräuchen der Einheimischen und von so mancher bewegenden Begegnung, etwa mit einem kranken Kikuyujungen, den sie in ihr Herz schließt und zum Koch ausbildet. Mit dieser Liebeserklärung an Natur und Ureinwohner Kenias schuf Tania Blixen große Weltliteratur. Das Sehnsuchtsbuch aller Afrika-Liebhaber und Sinnsucher - großartig verfilmt mit Meryl Streep und Robert Redford in den Hauptrollen.PENGUIN EDITION. Zeitlos, kultig, bunt. - Ausgezeichnet mit dem German Brand Award 2022
Die Dänin Tania Blixen, 1885 in Rungstedlund bei Kopenhagen geboren, wanderte nach dem Studium der Malerei in Kopenhagen, Paris und Rom 1914 nach Kenia aus, wo sie den schwedischen Baron Blixen-Finecke heiratete und zu schreiben begann. Die gemeinsame Kaffeeplantage führte sie nach der Scheidung alleine weiter, bis sie wegen der Weltwirtschaftskrise und nach dem tödlichen Unfall ihres Geliebten Denys Finch Hatton 1931 gezwungen war, in ihre Heimat zurückzukehren. Für «ihre» Kikuyus hatte sie ein Bleiberecht auf der Farm erwirkt. Der Vorort von Nairobi, in dem die Hütten standen, trägt noch heute ihren Namen. 1962 starb sie in Rungstedlund. Mit ihrem autobiografischen Roman, der 1937 unter dem Titel 'Den afrikanske Farm' auf Dänisch und 'Out of Africa' auf Englisch erschienen ist, wurde Blixen weltberühmt. Sie zählt heute zu den populärsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts.
Weitere Infos & Material
Der unglückselige Schuss
Am Abend des 19. Dezembers verließ ich das Haus, um Ausschau nach Regen zu halten. Das taten vermutlich viele andere Farmer des Hochlands zu dieser Zeit auch. In guten Jahren gingen um Weihnachten manchmal ein paar heftige Schauer nieder, und das war für die jungen Kaffeebäume, die während der kleinen Regenzeit im Oktober geblüht hatten und jetzt Früchte ansetzten, von großem Nutzen. In dieser Nacht sah es gar nicht nach Regen aus, der Himmel war klar und schwieg triumphierend, leuchtend von Sternen. Der Sternenhimmel über dem Äquator ist reicher als der nördliche, und man schaut häufiger zu ihm auf, denn in den Tropen ist man nachts oft im Freien. In Nordeuropa sind die Winternächte zu kalt, als dass man die Sterne mit Vergnügen studieren könnte, und in den Sommermonaten nimmt man sie kaum wahr, weil der klare Himmel so blass wie ein Hundsveilchen ist. Verglichen mit den Nächten des Nordens sind die tropischen Nächte gesellig, wie die katholischen Kirchen im Vergleich zu den protestantischen, die man nur dann betreten darf, wenn man geschäftlich darin zu tun hat. In diesem großen Raum, in dem Menschen und Tiere kommen und gehen, geschehen mehr Dinge als am Tag. In Afrika und Arabien, wo die Mittagssonne Menschen töten kann, ist die Nacht die rechte Zeit zum Wachen und Reisen. Hier erhielten die Sterne ihre Namen, sie haben den Menschen viele Jahrhunderte als Leitsterne gedient und sie in langen Linien über Wüstensand und Meer gezogen, die einen nach Osten und andre nach Norden und Süden und Westen. Nachts laufen Automobile besonders gut, es ist ein Vergnügen, unter den Sternen zu fahren, und wenn man seine Freunde in einer höheren Gegend besuchen will, legt man den Zeitpunkt nach dem nächsten Vollmond fest. Bei Neumond geht man auf Safari und hat dann die ganze Reihe der mondhellen Nächte vor sich. Einen Europäer, der nach langem Aufenthalt in den Tropen Europa besucht, berührt es höchst seltsam, dass man dort kaum ein Gespür für die Bewegung des Mondes hat. Der Neumond war für den Kameltreiber der Chadidscha61 das Zeichen zum Aufbruch – wenn seine Sichel am Himmel erschien, sollten die Karawanen davonziehen. Den Blick auf sie gerichtet, gehörte er zu den Philosophen, die Weltsysteme aus Mondschein schaffen. Er muss sie lange betrachtet haben, um sie zu jenem Zeichen zu erwählen, in dem er siegen sollte.62 Ich selbst hatte bei den Eingeborenen einen Namen, weil ich ein paarmal den dünnen Silberbogen des neuen Mondes mitten im Sonnenuntergang zuerst entdeckte, und vor allem deshalb, weil ich zwei oder drei Jahre hintereinander als Erste jenen Neumond sah, mit dem der heilige Monat der Mohammedaner, der Ramadan, beginnt. Die Siedler lassen den Blick langsam über den ganzen Horizont wandern. Zuerst nach Osten, denn wenn es Regen gibt, kommt er von dort, und da steht die helle Spica im Sternbild Jungfrau. Dann nach Süden, um das Kreuz des Südens zu begrüßen, den großen Pförtner der Welt, geliebt von den Weltumseglern, und weiter oben, unter dem leuchtenden Streifen der Milchstraße, Alpha und Beta im Sternbild Kentaur. Im Südwesten strahlt hell der Sirius am Himmel, direkt im Westen der nachdenkliche Canopus und über den schwachen Konturen von Ngong Hills, die jetzt fast eingeebnet und gestreckt erscheinen, die Reihe der funkelnden Diamanten: Rigel, Beteigeuze und Bellatrix. Ganz zuletzt schaut der Siedler gen Norden, denn einmal kehren wir alle dorthin zurück, und da begegnet er dem Großen Bären persönlich, der jetzt, durch die Perspektive des südlichen Himmels, in aller Ruhe auf dem Kopf steht. Das erscheint wie ein Bärenspaß, ein nordischer Spaß, und muss die Herzen der nordischen Auswanderer freuen. Menschen, die während des Schlafens träumen, kennen eine besondere Art von tiefer Zufriedenheit, die nicht zur Welt des Tages gehört, eine völlig passive Verzückung und Leichtigkeit des Herzens, süß wie Honig auf der Zunge. Das eigentlich Faszinierende dabei ist das Gefühl einer unbegrenzten Freiheit, das der Traum hervorruft. Diese Freiheit ist nicht die eines Tyrannen, der seinen eigenen Willen der Welt aufzwingt, sondern die eines Künstlers, der selbst keinen Willen hat, der frei ist vom Wollen. Nicht an dem, was er träumt, hat der Träumer Vergnügen, sondern daran, dass alles geschieht, ohne dass er sich im Geringsten dafür anzustrengen braucht, und eine Einflussnahme unmöglich ist. Große Landschaften formen sich von allein, weite Aussichten eröffnen sich, vielfältige, schöne Farben erscheinen, Wege und Häuser, von denen er nie gehört, die er nie gesehen hat. Fremde Menschen kommen und gehen, sind Freund oder Feind, und der Träumende hat ihnen weder Gutes noch Böses getan. Der Gedanke an Flucht und Verfolgung kehrt ständig wieder, beides gleich faszinierend. Jedermann sagt äußerst geistreiche und witzige Dinge. Es stimmt zwar, dass Träume manchmal verblassen und ihren Sinn verlieren können, wenn man sich bei Tage an sie erinnert, weil ihre Sphäre eine andere ist, doch sobald man sich zur nächsten Nacht schlafen legt, fließt der Strom wieder und ihre Vortrefflichkeit kehrt zurück. Was immer geschehen mag, so empfindet der Träumende die Freiheit um sich und in sich wie Licht und hohe Luft, ein überirdisches Glück. Er ist der Auserwählte, ein Hochbegnadeter, der mit dem, was geschieht, nichts zu tun hat, und alle Dinge dienen ihm zur Bereicherung und Freude. – «Die Könige von Tarsis sollen Geschenke bringen.»63 – Während er an einer großen Schlacht oder einer Jagd oder einem Ball teilnimmt, wundert er sich, dass er bei all diesen bedeutenden Ereignissen das Vorrecht genießt, im Bett zu liegen. Doch wenn das Gefühl von Freiheit verloren geht, wenn der Gedanke an etwas Notwendiges in die Welt des Traums eindringt und irgendwo Eile oder Mühe verlangt ist, wenn da ein Brief zu schreiben, ein Zug zu erreichen ist oder wenn man selbst etwas dafür tun muss, dass die Pferde des Traums galoppieren und die Flinten auch schießen, dann geht es mit den Träumen bergab, und sie wandeln sich in Albträume um, die eine schlechte, vulgäre Art von Träumen sind. Was in der wachen Welt einem Traum am nächsten kommt, das ist die Nacht in einer großen Stadt, wo niemand uns kennt, oder es sind die Nächte in Afrika. Auch da gibt es eine unbegrenzte Freiheit. Ständig geschehen in unserer Nähe große Dinge, Schicksale entscheiden sich, alles ist in heftiger Bewegung, und das Ganze hat nicht das Geringste mit uns zu tun. In Afrika war die Luft gleich nach Sonnenuntergang voller Tiere. Die Fledermäuse bewegten sich darin so lautlos wie große Automobile auf dem Asphalt. Die Falkennachtschwalbe strich vorüber, jener Vogel, der auf den Straßen sitzt und in dessen Augen das Licht der Autoscheinwerfer für eine Sekunde rot funkelt, bevor er direkt vor den Rädern senkrecht emporfliegt. Die kleinen Springhasen waren zugange und vergnügten sich auf ihre besondere Weise, mit Sprüngen nach einem eigenen Rhythmus, als ob sie im Wasser tauchten, wie Kängurus en miniature. Die Zikaden sangen im hohen Gras ein unendliches Lied, Düfte schwebten am Boden entlang, und Sternschnuppen liefen über den Himmel, wie Tränen über ein Gesicht. Du selbst bist der Auserwählte, dem alles gebracht wird. – «Die Könige von Tarsis sollen Geschenke bringen.» Wenige Meilen entfernt, im Massaireservat, wechselten jetzt die Zebras ihre Weiden, die Herden wanderten wie lange, helle Streifen über die graue Steppe. Die Büffel grasten in den Bergen. Meine jungen Männer von der Farm zogen vorüber, zwei oder drei hintereinander, dunkle, schmale Schatten auf der Rasenfläche. Jetzt arbeiteten sie nicht für mich, sondern waren in eigener Sache unterwegs, und was sie vorhatten, ging mich nichts an. Daran ließen sie keinen Zweifel, als sie beim Anblick meiner glühenden Zigarette auf der Veranda nur ihre Schritte verlangsamten und grüßten, ohne stehen zu bleiben. «Jambo,64 Msabu.» «Jambo, Morani65 – junge Krieger, wo wollt ihr hin?» «Wir wollen in Kathegus Dorf. Bei Kathegu gibt es heute Nacht eine große Ngoma66. Leb wohl, Msabu.» Einige, die zusammen unterwegs waren, nahmen zum Tanz Trommeln mit, und ihre Trommelschläge hörten sich von Weitem an wie der schwache Pulsschlag in einem Finger der Nacht. Und was dann ins Ohr drang, unvermittelt, unerwartet, war weniger ein Geräusch als ein tiefes Vibrieren der Luft – das ferne, kurze Brüllen des Löwen. Er war unterwegs, jetzt lief er über die Steppe, und wo er war, geschah vieles. Obwohl sich das Gebrüll nicht wiederholte, hatte es den Horizont erweitert. Die langen Täler und die Wasserlöcher waren mir nahgebracht. Während ich so vor meinem Haus stand, fiel in einiger Entfernung ein Schuss. Ein einzelner Schuss. Dann schloss sich die nächtliche Stille wieder zu allen Seiten. Die Zikaden, die für einen Augenblick verstummt waren, wie um zu lauschen, stimmten ihr langes, eintöniges Lied im Gras von Neuem an. Ein einzelner Schuss in der Nacht, das hat etwas seltsam Schicksalhaftes und Absolutes, das ist, als hätte uns jemand mit einem einzigen Wort eine Botschaft zugerufen und wollte sie nicht wiederholen. Lange überlegte ich, was das wohl zu bedeuten hätte. In dieser Dunkelheit konnte niemand etwas aufs Korn nehmen, und wer ein Tier verscheuchen wollte, hätte zwei oder mehr Schüsse abgegeben. Vielleicht war es mein alter indischer Schmied Pooran Singh in der Mühle, dachte ich, vielleicht hat er auf Hyänen geschossen, die sich auf das Gelände der Mühle geschlichen und über die...