Bleyer Waidmannsdank
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86358-969-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Kriminalroman
E-Book, Deutsch, 224 Seiten
Reihe: Sepp Flattacher
ISBN: 978-3-86358-969-1
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Freiwillig ins Mölltal zurückzukehren wäre Polizist Martin Schober nie in den Sinn gekommen: Zu viele schwierige Gestalten warten dort auf ihn. Als jedoch zur Jagdsaison nicht nur Vierbeiner ihr Leben lassen, muss er gemeinsam mit dem kauzigen Aufsichtsjäger Sepp Flattacher ermitteln. Schnell wird das ungleiche Duo in ein mörderisches Wettrennen verwickelt - doch wer ist hier Jäger und wer Gejagter?
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Prolog »Der Flattacher hat schon wieder einen erschossen!«, kreischte Kerstin Moser, den Telefonhörer noch am Ohr. Keine fünfzig Kilo auf die Waage bringen, aber eine Stimme wie eine Motorsäge, wunderte sich Revierinspektor Martin Schober nicht zum ersten Mal über seine Kollegin – bis die Bedeutung ihrer Worte in sein Hirn sickerte. »Was? Erschossen? Ein Mord?« Er sprang auf. Sein Kugelschreiber landete auf der Schreibtischplatte und kullerte schließlich unbeachtet auf den Boden. Er rannte aus seiner Kanzlei – die Türen standen wie immer offen – über den Gang in den Journaldienstraum. Während Kerstin noch mit einem etwas verdattert wirkenden Ausdruck auf ihrem Gesicht dasaß und langsam den Hörer auflegte, war er schon zu seinem Spind gehastet und hatte die Tür aufgerissen. Er griff nach seinem Einsatzgürtel. Martin konnte an seinen Fingern abzählen, wie oft er seine Dienstwaffe in Wien hatte abfeuern müssen. Die meisten Schüsse waren im Trockentraining gefallen. Und jetzt war er keine zwei Wochen in Obervellach, wo er am ersten Mai seinen Dienst angetreten hatte, und würde vielleicht seine Pistole brauchen? Das hatte ihm gerade noch gefehlt. »Was ist denn los?« Offensichtlich hatte Kerstins Schrei den Postenkommandanten Georg Treichel bei seinem frühmorgendlichen Informationsbeschaffungsdienst, sprich beim Zeitunglesen, gestört, denn er kam mit seiner Kaffeetasse in der Hand aus seiner Kanzlei geschlendert. »Der Flattacher hat schon wieder einen erschossen«, wiederholte Kerstin. »Geh, das wird langsam ungut«, brummte Treichel. Martin war gerade dabei, sich seinen Gürtel umzuschnallen, hielt aber inne, als er bemerkte, dass sich Kerstin nach ihrer anfänglichen Aufregung schon wieder beruhigte und Treichel weiterhin seinen Kaffee umrührte, um die mindestens drei Löffel Zucker aufzulösen. Martin schaltete einen Gang runter und atmete tief durch. Mal ehrlich: Was konnte in einem gottverlassenen kleinen Ort im tiefsten Mölltal in einem der hintersten Winkel Kärntens schon viel passieren? Ein Bandenkrieg zwischen den Bauernschädeln? Ein psychopathischer Serienkiller? Wohl kaum. »Ja, Martin, das ist was für dich. Jetzt kannst zeigen, was du bei diesem Des… Deeskalarationsseminar« – Treichel stolperte häufiger über Fremdworte, aber das hielt ihn nicht davon ab, mit ihnen um sich zu werfen – »gelernt hast. Bei uns gibt’s halt auch Äktschn, nicht nur in Wien oder in Klagenfurt.« Da war er wieder, dieser Seitenhieb. Eigentlich war Treichel nicht zwider, sondern ein netter, umgänglicher Typ; ein Chef, mit dem man gut auskommen konnte. Oder könnte. Er nahm es anscheinend persönlich, dass Martin so schnell wie möglich wieder aus Obervellach wegkommen wollte und schon an seinem ersten Diensttag um Versetzung nach Klagenfurt oder Villach angesucht hatte. Wo Martin doch in Obervellach aufgewachsen war, hatte sein neuer Chef gemeint; er müsste doch froh sein, nach fast zehn Jahren bei den Großkopferten in Wien endlich ins vertraute Kärnten heimzukehren. Back to the roots, wie Treichel gesagt hatte. Angehört hatte es sich allerdings wie Peck-tuse-Rotz. Kärnten, ja. Aber dabei hatte sich Martin eine der Städte vorgestellt, die nach Wien besonders klein und gemütlich wirkten; Klagenfurt oder Villach, seinetwegen auch Feldkirchen oder Spittal an der Drau. Bevorzugt mit einem der schönen Seen mit Trinkwasserqualität in der Nähe, denn von chlorierten Freibädern, Alter Donau und Baggerseen hatte er die Nase voll. Stattdessen war es Obervellach geworden, wobei der für seine Versetzung zuständige Beamte der Personalabteilung der Landespolizeidirektion Kärnten noch süffisant gemeint hatte, wie gut es passen würde für ihn als gebürtigen Obervellacher. Als ob er ihm damit einen Gefallen tun würde. Ein enges Tal, eingeschlossen zwischen den Bergen, wo einem ständig der Wind um die Ohren pfiff. Darauf hatte Martin schon vor rund fünfzehn Jahren gepfiffen, und er hatte niemals nie nicht das Bedürfnis verspürt, zurückzukehren. Als wenig später auch noch seine Mutter zu ihrem neuen Freund in die Bezirkshauptstadt Spittal an der Drau gezogen war, war Obervellach für Martin gestorben. Aber anscheinend gefiel sich die kleine Marktgemeinde in der Rolle eines Zombies. Mist. Was Martin blieb, war die Hoffnung, eher früher als später wieder von hier wegzukommen. Bis dahin hieß es, die Zähne zusammenzubeißen und seinen Job zu machen. Was immer das sein sollte. »Um was genau geht es denn?«, wollte er wissen. »Josef Flattacher, Aufsichtsjäger. Ein Franz Pichler hat angerufen, weil Flattacher seinen Hund erschossen hat. Er ist frei gelaufen –« »Am besten, ihr fahrt hin und regelt das vor Ort«, unterbrach Treichel Kerstin. »Das geht uns bei der Polizei doch nichts an, wenn ein Jäger einen wildernden Hund erschießt, oder? Das ist Jagdrecht«, entgegnete Martin. Er war zwar selbst kein Waidmann, aber in seiner Schulzeit an der Büchsenmacher-HTL in Ferlach hatte er mit genügend Jungjägern und Jägersöhnen zu tun gehabt, um mehr über Jagdgebräuche zu wissen, als ihm lieb war. »Kann schon sein«, grummelte Treichel. »Aber wenn der Jäger dem Hundebesitzer eine Schrotladung nachpfeffert, dann geht es uns schon was an. Wir sind hier nicht in einer Großstadt, in der alles anonym ist und keiner was vom anderen weiß. Wir kennen unsere Pappenheimer! Also fahr mit der Kerstin raus und schau, dass du das deeskalierst.« »Ich bin heute aber zum Innendienst eingeteilt«, protestierte Kerstin. »Egal. Der Martin war so lang weg von zu Hause, dass er nie und nimmer hinfindet. Und du kennst den Flattacher ja.« »Eben«, maulte sie zurück. »Es wäre gscheiter, wenn du mitfährst.« »Wer ist hier der Chef? Ich! Du fährst. Das ist sozusagen a Befehl«, gab sich Treichel autoritär. Der Blick, den Kerstin ihm zuwarf, ermunterte zu Spekulationen, wer auf dem Posten das Sagen hatte: der knapp fünfzigjährige, nahezu zwei Meter große Treichel mit seiner eindrucksvollen Wåmpm unter dem gespannten Hemd oder Kerstin, die im Vergleich zu ihm von Statur und Alter her nur eine halbe Portion war. Ein richtiges Pupperl war sie, wie man so schön sagte, Mitte zwanzig und mit schulterlangen Haaren. Aber wer wie sie aus Stall stammte und mit drei älteren Brüdern aufgewachsen war, ließ sich nicht so schnell die Schneid abkaufen. »Ich spendier dir dafür an Kaffee und ein Zuckerreinkale, passt?«, lockte Treichel, aber erst als er ihr noch versprach, ihr über die Weihnachtsfeiertage und Silvester freizugeben, griff Kerstin nach den Autoschlüsseln. Na bumm, dachte Martin. Der Flattacher musste ein besonderes Kaliber sein. Kaum hatte er sich auf den Beifahrersitz niedergelassen und angegurtet, wandte er sich an Kerstin, die mit zusammengekniffenen Lippen den Motor anließ. »Was ist der Flattacher für ein Typ?« »A Riesenarschloch«, kam die lapidare Antwort. Eine passende Einschätzung, wie Martin keine fünfzehn Minuten später feststellen musste. Während sich Kerstin um den trauernden Hundebesitzer Franz Pichler kümmerte und dabei alles an weiblicher Empathie zusammenkratzte, was sie in sich hatte – was nicht wirklich viel war –, musste sich Martin mit Josef »Sepp« Flattacher abmühen. »Ich hab schon oft Ärger mit wildernden Hunden gehabt«, polterte Flattacher, den Martin auf Ende sechzig schätzte und der mit seinem struppigen grauen Bart, der dunkelgrünen Jägertracht und dem geschulterten Gewehr selbst ein bisserl wie ein Wilderer aussah. »Aber mein Rambo wildert doch nicht!«, klagte Pichler und wischte sich mit dem Ärmel seiner abgetragenen Cordjacke über das Gesicht. »Stimmt, jetzt nimma«, erwiderte Flattacher ohne jeden Anflug von Reue. Man könnte in ihm einen eingefleischten Hundehasser vermuten, wenn nicht ein dunkelbrauner langhaariger Jagdhund neben ihm auf dem Boden gelegen hätte. Nur das leise Hecheln verriet, dass er nicht ebenso tot war wie der andere Hund. Deeskalation war eindeutig angesagt. Martin rief sich die Atemtechniken ins Gedächtnis, die er bei diesem stinklangweiligen Seminar noch in Wien hatte üben müssen. Damals war er sich völlig bescheuert vorgekommen, aber jetzt halfen sie dabei, den Ärger aus seiner Stimme zu verbannen und verständnisvoll zu klingen. »Herr Pichler war nur wenige Meter hinter seinem Hund, wie er gesagt hat. Sie müssen ihn vom Hochsitz aus doch auch gesehen haben. Warum haben Sie ihn nicht einfach darauf aufmerksam gemacht, dass er ihn anleinen muss?« »In der Brut- und Setzzeit des Wildes gilt für Hunde außerhalb des bebauten Gebietes Leinenpflicht. Für alle Hunde! Das ist auch groß in der Amtlichen Mitteilung der Marktgemeinde gestanden. Lesen wirst ja wohl können, Pichler, oder bist in die Baumschule gegangen?«, knurrte Flattacher. »Du hast meinen Hund ermordet!« »Hättest du Todl ihn halt angeleint.« Pichlers Gesicht lief rot an, und er ballte die Hände zu Fäusten. »Flattacher, du Arsch, dafür bring i di um!« Vorsichtshalber machte Martin einen Schritt nach vorne, um sich zwischen den beiden Konfliktparteien zu positionieren. Kerstin hielt Pichler zwar am Arm gepackt, aber mit ihrem Fliegengewicht würde sie den molligen Hundebesitzer kaum zurückhalten können. Noch ein falsches Wort mehr, und sie könnten den Pfefferspray zücken. »War das denn echt nötig, den Hund zu erschießen?«, stellte Martin Flattacher zur Rede. »Er hätte ein Jungwild reißen...