E-Book, Deutsch, 256 Seiten
Blasl Gamsbartmassaker
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86358-991-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
E-Book, Deutsch, 256 Seiten
ISBN: 978-3-86358-991-2
Verlag: Emons Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Wellnesshotel für Hunde, ein Krankenhaus, das in ein Flüchtlingsheim umgewandelt wird, und eine schießwütige Jägerschaft – das kann nicht gut gehen. Schon gar nicht im österreichischen Damischtal. Und so endet böse, was gut gemeint begann. Ein ertränkter Mops in der Regenwassertonne ist nur der Auftakt zu einer schaurigen Abfolge von Mord und Totschlag in der hinterwäldlerischen Provinz. Böse Pointen, bissiger Humor und g'schmackige Rezepte für Hund und Herrl.
Autoren/Hrsg.
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Geht’s dem Hund gut, geht’s dem Herrl schlecht Beinahe hätte Rüdiger Bartenstein das Weinglas erwürgt, so erschrak er beim Anblick seiner Frau. Hildegund sah aus, als wäre sie mit einer Käseplatte kollidiert. Glitzernde Trauben hingen ihr im Haar, cremige Würfelchen zierten das Dekolleté, und auf die Hände hatte sie sich eine camembertartige Masse geschmiert. Vorsichtig stellte er das Glas auf den Tisch zurück. In der exklusiven Wowness-World, in der sie seit drei Tagen auf unverbindliche Einladung der Gemeinde Gfrettgstätten und verbindliche Drohung seiner Gattin verweilten, wurden die Getränke ausschließlich in filigranen Kunstwerken der Glasindustrie serviert. Ein Griff daneben, ein unachtsamer Moment – und schon hätte man einen für Kleinanleger durchaus beträchtlichen Vermögenswert ruiniert. Rüdiger schien das moralisch verwerflich und zudem schlecht für Hundepfoten. An die alte Weisheit, dass Scherben stets nur Glück brächten, glaubte er sowieso nicht. Und selbst wenn das Sprichwort stimmte, hätte er seinem unseligen Eheweib mindestens eine massiv gerahmte und zweifach verglaste Fensterfront an den Kopf donnern müssen, um glücklich zu werden, aber die hatte er leider nicht zur Hand. Seit er von Hilda vor Wochen zu einem erneuten Aufenthalt in diesem damischen Tal gezwungen worden war, das ihn bereits bei ihrem ersten Urlaub durch seine lebensbedrohlichen Landschaften, hinterwäldlerischen Provinzidioten und schmerzhaften Einsichten in die örtlichen Fallgruben der Nutztierzucht an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben hatte, hing ihr Eheglück ohnedies an einem ausnehmend dünnen Faden. Er hasste die Menschen hier, er hasste den dämlichen Wellness-Schuppen, er hasste den Hund seiner Schwiegermutter, diese verzogene, stinkende Töle, die sie ihnen kaltherzig aufs Auge beziehungsweise deren Leine in die Hand gedrückt hatte, und am allermeisten hasste er natürlich Hildegund, seine Frau. Ohne ein Wort der Vorwarnung, ohne jedes partnerschaftliche Gespräch, sogar ohne das klitzekleinste bittende Wimpernklimpern hatte sie ihn eines Abends statt vor dampfende Teller vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Zimmer seien längst reserviert, hatte sie ihn gnadenlos wissen lassen, die Koffer gepackt, der schwiegermütterliche Hund ausreisefertig und eine Urlaubsvertretung für die häuslichen Topfpflanzen organisiert. Zudem sei Kevin-Karl, ihr gemeinsamer Sohn, vor Vorfreude ganz aus dem Häuschen, was der gesunden Entwicklung des pubertierenden Stubenhockers ja so was von förderlich sei. Von der des allerliebsten arthritischen Hundes ihrer guten Mami ganz zu schweigen. Dem würde ein Gesundheitsurlaub im Grünen genauso gut bekommen wie der armen gebrechlichen Mami ein paar erholsame Tage ohne ihren Liebling. Der Verweis auf seine ganz und gar nicht gebrechliche Schwiegermutter, die ihre hysterische Taschenratte schlichtweg loswerden wollte, um sich ihrem neuen Freund ungestört an den Hals werfen zu können, hatte Rüdiger zutiefst empört. Für wie doof hielt ihn sein eigenes angetrautes Weib eigentlich? Und überhaupt könne man so eine wahnsinnig nette Einladung – immerhin hätte der gesamte Gemeinderat von Gfrettgstätten persönlich unterschrieben – doch nicht einfach ausschlagen. Umso weniger, als sie der unermessliche Luxus im Fünf-Sterne-Resort keinen einzigen Cent kosten würde. Der so großzügig offerierte Aufenthalt war sozusagen der Dank der Damischtaler an ihren cleveren Kevin-Karl, durch dessen kluges Köpfchen man seinerzeit einem gefährlichen Giftmischer auf die Spur gekommen war. Doch damit hatte Rüdiger ein ernstes Problem; natürlich nicht mit der überdurchschnittlichen Intelligenz seines Sohnes, sondern mit der Dankbarkeit der südweststeirischen Schrumpfhirne. Ihm wäre es weitaus lieber gewesen, sie hätten sich als undankbar erwiesen und nie wieder etwas von sich hören lassen. Denn dann könnte er nun beschaulich auf seiner Veranda klönen und ein kühles Helles kippen oder bei einer entspannten Radtour durchs Wuppertal gesunde Luft schnappen. Stattdessen musste er die bleihaltige Atmosphäre dieses damischen Tals ertragen. Bei ihren ersten Ferien hier waren ihm beim Waldspaziergang sogar Kugeln um die Ohren geflogen. Verglichen damit erachtete er die Abgase des Ruhrpotts als nahezu gesundheitsförderlich. Aber nein, statt still und leise von einer endemischen Krankheit dahingerafft, von der Schweinepest ausgerottet oder von einem Meteoriten erschlagen zu werden, erfreute sich das Damischtaler Volk offensichtlich erneut guter Gesundheit und eines noch besseren Erinnerungsvermögens. Weshalb er nun hier sitzen musste, als Ehrengast in dieser flachländischen Zauberbergimitation, wo das ständige Röcheln und Hecheln der Hunde tatsächlich an ein Sanatorium für Lungenkranke erinnerte. An eins, das nicht nur aus dem letzten Loch pfiff, sondern auch noch vorsätzlich vor die Hunde gegangen war. Die zweibeinigen Gäste hingegen hätten eher in eine geschlossene Anstalt gepasst, allen voran sein Eheweib in ihrem nachmittäglichen Käsethekenkostüm. All die belämmerten Knallköppe – Rüdiger konnte sich nicht vorstellen, dass ein Mensch mit normaler Hirnleistung freiwillig hier verweilen würde – schienen sich durchweg für feingeistig veranlagte Übermenschen zu halten. Was für die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung sprach. Er jedenfalls nahm mit zunehmender Verweildauer nur eins spürbar wahr: Was Körper und Geist hier erleiden mussten, das grenzte schlichtweg an Nötigung. Zudem wurde Hildas Erscheinungsbild von Tag zu Tag nebulöser und beeinträchtigte spürbar seine Denkfähigkeit. Einen derartigen Anblick konnte man sich nicht einmal mehr schöntrinken, stellte Rüdiger ernüchtert fest. Selbst die viel gerühmte geschmackliche Harmonie zwischen Käse und Wein hatte sich bei ihnen mittlerweile ins Gegenteil verkehrt: Ihm lag diese Kombination schwer im Magen. Während Rüdiger sich also durchweg betrüblichen Gedanken hingab, zupften Hildegunds Camembert-Finger unnachgiebig an seinem Hemd herum und hinterließen kleine, schmierige Streifen auf dem Stoff. »Schatz, jetzt guck doch mal!« Aufgeregt tippten die Käsestifte nun auf das Hochglanzpapier eines Prospekts. »Morgen findet in der Fellnasen-Lounge eine Waaaaaahnsinns-Phytobiodermie-Veranstaltung statt.« Seit einigen Wochen war bei ihr alles der helle »Waaaaaahnsinn«, angefangen von der grindigen Großwetterlage bis hin zu den kleingeistigen Auswüchsen ihres derzeitigen Lieblingsgurus. Nur ihren eigenen Zustand nahm sie offensichtlich davon aus. »Phytobiodermie«, Hilda zischte ihn an wie eine Python, während sie vorlas, »ist eine vitalisierende Kosmetik, die durch das Prinzip von Yin und Yang, mit kosmischen Farblicht-Bädern und der energetischen Fünf-Elemente-Philosophie«, sie zischte erneut, was vermutlich an ihrem Unterlippen-Piercing lag, »alle Hautprobleme beseitigt.« Auch Rüdiger hätte derzeit ganz gern so einiges beseitigt. Sein esoterisch-eklektisches Eheweib etwa. Aber da Salzsäurebäder nicht im Ruf standen, besonders vitalisierend zu sein, zumindest nicht für den Badenden, fanden sich derartige Angebote nicht einmal hier in Gfrettgstätten, wo es doch sonst alles gab. Dabei hatten Mord und Totschlag in diesem Landstrich durchaus Tradition. Ihm persönlich schwebte eine Art Wellness für zukünftige Witwer vor, an deren befreiender Wirkung bestimmt nicht nur er sich nachhaltig erfreuen könnte. »Jetzt hör doch mal zu, Rüdiger!« Hilda rief ihn harsch in sein ehemännliches Dasein zurück. »Die hätten hier sogar ein ayurvedisches Pretty-Women-Anti-Aging-Paket mit basischen Kartoffelwickeln. Das stell ich mir waaaaaahnsinnig toll vor. Das könnten wir doch gleich mit der Schokoladen-und-Granatapfel-Kuschelkoma-Kur verbinden, während Griselda im Doggy-Wellness-Bereich ihre Arthrose-Akupunktur erhält.« Griselda, die akustisch hyperaktive, körperlich allerdings recht eingeschränkte Yorkshireterrier-Hündin der Schwiegermutter, lag derweil in ihrem orthopädischen Hundebett und erholte sich von den Strapazen ihrer Pfotenreflexzonenmassage, weshalb sie ausnahmsweise keinen Laut von sich gab. Hilda hingegen plapperte ohne Punkt, Komma und Hirn munter weiter. »Wir könnten natürlich auch«, eilig bewahrte sie eine ihrer filigranen Busenpailletten vor dem Untergang in den profanen Tiefen des Teppichbodens, »die erotisierenden Zweisamkeitstage mit dermatologisch tiefenwirksamer Kernöldrainage sowie einer stimulierenden Sauerkrautmassage nehmen.« Rüdiger konnte sich nichts weniger Erregendes vorstellen als Hilda am Hals und Sauerkraut auf der Haut. Oder umgekehrt. Die kosmisch-kulinarischen Dimensionen der modernen Wohlfühlwelt waren eindeutig nicht nach seinem Geschmack. Und die verworrenen Vorstellungen seines Eheweibes stießen ihm sowieso sauer auf. Er konnte dem Geschwafel von ganzheitlicher Selbstfindung, das seit einem guten – für ihn allerdings eher schlechten – halben Jahr zu ihren neu erkorenen Lieblingsthemen gehörte, beim besten Willen nichts Positives abgewinnen. Warum stellte sie sich nicht einfach vor einen großen Spiegel? Das wäre zu Zwecken der Selbsterkenntnis vermutlich ebenso effizient. Und ihr kryptisches Gerede von stimulierten Chakren, kosmischen Orgasmen und sinusierten Erdschwingungen führte bei ihm nur zu Magendrücken und Mordgelüsten. Doch es hatte wenig Sinn, gegen Hildas energetisierte Eloquenz anzureden. Derzeit kommunizierte sie bevorzugt in sphärischen Klangdimensionen, welche er genauso schlecht verstand wie das bodenständige Gebrabbel der Einheimischen. Seit Hilda sich zu Höherem berufen fühlte,...