Bittner / Clemmensen / Rauch | GÖTTERGARN | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 332 Seiten

Bittner / Clemmensen / Rauch GÖTTERGARN


1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-945230-60-2
Verlag: Leseratten Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

E-Book, Deutsch, 332 Seiten

ISBN: 978-3-945230-60-2
Verlag: Leseratten Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Veronika Lackerbauer und der Leseratten Verlag haben sich zusammengetan, um sich den Alltag der Götter anzuschauen. Den heutigen Alltag. Was machen diese Wesen? Rente? Immer noch Familienstreitereien? Kennen sie sich untereinander?

In dieser Anthologie wurden Autorinnen und Autoren der deutschsprachigen Funtastik-Szene zusammengetrommelt, um genau diesen Spuren der unterschiedlichen Gottheiten zu folgen.

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Der Serverraum der Unterwelt
  9:10 Irgendwo in einer durchschnittlichen Stadt eines durchschnittlichen Landes erschien ein geisterhaftes Gesicht auf einer Glasscheibe und schnitt Grimassen.   »Nein, Sie müssen …  Halt! Nicht das! Ich versuche ja gerade, Ihnen zu erklären … Was haben Sie gerade gemacht? Die Verbindung ist plötzlich abgebrochen … Sie haben was? Nein, ich komme nachher bei Ihnen vorbei und richte es wieder ein. Ja. Bis später.« Es ist eine allseits anerkannte Wahrheit, dass moderne Computertechnik am besten funktioniert, wenn von vornherein kein Benutzer involviert ist. Schmerzlich an diese Tatsache erinnert, zog Alexis sich das Headset vom Ohr und kippte vorn über. Das Miniaturweihnachtsbäumchen auf ihrem Schreibtisch hüpfte, als ihr Kopf die Tischplatte traf. Der Tag hatte so gut angefangen. Sie und ihr Rechner. Allein. Alexis stieß ein Geräusch aus, das irgendwo zwischen undichter Dampfmaschine und existenzieller Krise angesiedelt war und notierte sich den neuen Termin. Das war Punkt 41 auf der heutigen To-do-Liste. Gerade wollte sie nach einer Zimtschnecke greifen, als das Telefon schon wieder klingelte. Einen wütenden Blick gen Himmel werfend nahm sie ab. Man sollte meinen, dass die Leute an Silvester daheim bei ihren Familien wären, anstatt zu arbeiten. »Avivan IT-Systemhaus, Sorbas am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?«, ratterte sie herunter. Unter Rauschen meldete sich eine Stimme von der Qualität eines fernen Erdbebens. Es klang so, als wäre der Sprecher sehr weit weg. »Ich habe Sie ausgewählt, um meine Maschinen zu reparieren.« Das durfte doch nicht wahr sein. War heute Vollmond und alle Verrückten hatten beschlossen, sie heimzusuchen? »Es tut mir leid, aber unser Kontingent an Scherzanrufen ist für heute schon aufgebraucht. Kommen Sie also bitte zum Punkt, ansonsten wünsche ich Ihnen einen schönen Tag.« »Sie sollen meine … was?«, brach der Anrufer ab. Alexis hörte die Stimme einer Frau im Hintergrund: »Sag ihm, was auf dem Zettel steht, Chef!« »Da steht nur Kauderwelsch. Er soll herkommen und dein Zeug reparieren, mehr muss er doch nicht wissen«, rauschte nun die Männerstimme wieder aus dem Headset. »Ihnen ist schon klar, dass ich noch am Apparat bin?«, schaltete sich Alexis ein. Hatte sie etwa in einem früheren Leben schlechtes Karma angehäuft und wurde jetzt dafür bestraft? Sie nahm eine Zimtschnecke und biss hinein. »Jetzt lies ihm endlich das da vor, Chef!«, zischte die Frau aus dem Hintergrund wieder. Aus dem Hörer drang ein Seufzen, als fiele ein Grabstein um. »Also gut. Können Sie bitte über Fernwartung auf unseren S-E-R-V-O-R?«, buchstabierte er. »Server! Unseren Server zugreifen? Ein U-P-D-A-T-E?« »Update!«, zischte es. »Ach so. Ein Update wurde eingespielt und seitdem funktioniert unsere Abrechnungssoftware nicht mehr«, las die Stimme vor. Für einen Moment war Alexis versucht, einfach aufzulegen. Ihre Augen wanderten durch das leere Büro entlang der Weihnachtskarten ihrer Kunden, die sich auf dem Schreibtisch aneinanderreihten. Sie seufzte resigniert. »Sicher. Haben Sie schon Teamviewer installiert? Dann kann ich mir die Sache ja mal kurz ansehen«, antwortete Alexis und biss wieder in die Zimtschnecke. »Polyphylla, was bedeutet Teamwiüwer?«, fragte die Stimme am anderen Ende. »Das ist eine Fernwartungssoftware für Screensharing, mit der man über das Internet auf andere Geräte zugreifen kann und …« »Genug!«, unterbrach er die andere Stimme. »Morgen muss meine Unterwelt wieder offen sein und dank deiner Unfähigkeit brauche ich jetzt einen verdammten Heroen, der den Fehler wieder ausbügelt!« Die Stimme des Sprechers war mit jedem Wort lauter geworden, sodass Alexis ihr Headset schließlich am gestreckten Arm von sich weghielt. Ein Grollen erfüllte das ganze Büro und veranlasste ihre Teetasse, klirrend zur Schreibtischkante zu hoppeln und sich ins Verderben zu stürzen. Gleich daneben riss krachend ein Spalt im Boden auf. Daraus wuchs eine hagere Gestalt in schwarzer Toga in die Höhe. Schwarze Augen sahen sie aus einem blassen Gesicht an. Eine schwarze Krone, deren Spitzen beinahe an der Decke kratzten, thronte auf schwarzem Haar. Das alte Griechenland war voll von Heroen gewesen, meistens jung, gutaussehend und größtenteils nackt. Ein Großteil davon hatte Hades, Gott der Unterwelt, in Rage versetzt. Sie hatten seinen Hund entführt, hatten versucht, ihm seine Frau auszuspannen, einer hatte mit seinem Gesang die gesamte Unterwelt lahmgelegt und – das war vielleicht ihr größtes Vergehen – sie alle waren unerhört lebendig gewesen. Alexis Sorbas hatte eigentlich nur den letzten Punkt mit einem griechischen Heros gemein. Ein wenig übergewichtig, bebrillt, das kinnlange braune Haar vom Headset zurückgehalten und gänzlich bekleidet, machte die Mittdreißigerin einen äußerst unheroischen Eindruck, als sie mit offenem Zimtschneckenmund auf den Gott starrte, der neben ihrem Schreibtisch aus dem Boden gewachsen war. Der Gott schien nicht minder überrascht zu sein. »Sie sind Alexis Sorbas?«, fragte er, während die pechschwarzen Augen sie von oben bis unten musterten. Alexis konnte nur nicken. »Sie kennen sich mit diesen Servern aus?« Er sprach das Wort aus, als handele es sich dabei um äußerst unberechenbare Tiere. Erneutes Nicken. »Sie reparieren diese Server?« Nicken. »Sie sind eine Frau.« Auf der Liste der Naturgesetze ist zwischen der Gravitation und dem Energieerhaltungssatz jenes Gesetz angesiedelt, dass Frauen, deren Kompetenz von älteren weißen Männern angezweifelt wird, besagte Männer auf ihren Fauxpas hinweisen werden. Dieses Gesetz gilt – ähnlich der Gravitation – immer. Alexis schluckte den Rest Zimtschnecke hinunter. Ihre Augen verengten sich. »Wow, gut beobachtet«, entgegnete sie bissig und klatschte langsam in die Hände. Der Gott blinzelte.   9:22 Auf der anderen Seite des Büros schwang eine Tür quietschend auf, scheinbar völlig von selbst.   Der Gott wandte sich um, schaute irgendetwas neben der Tür an, das Alexis nicht sehen konnte, und hob die Hand. Was auch immer dort gewesen sein mochte, verschwand begleitet vom Rauschen leisen Flügelschlags. Er drehte sich wieder zu ihr zurück. Alexis hatte zwar alles gesehen, war aber noch zu sehr mit dem Gott neben ihrem Schreibtisch und seinem Hang zu patriarchalischen Strukturen beschäftigt, als dass sie sich um paranormale Aktivitäten hätte kümmern können. »Sagen Sie mir jetzt endlich, wer Sie sind und was zur Hölle Sie eigentlich von mir wollen?«, schnappte sie und griff zur Beruhigung nach dem Teller Zimtschnecken. Auch der Gott war gut im Schnappen. So war er schließlich an seine Frau gekommen. Er schnappte Alexis samt Teller und verschwand mit ihr auf demselben Weg, auf dem er erschienen war.   Alexis konnte nicht sagen, was genau passiert war. Sie erinnerte sich nur an ein Rauschen und Knirschen und viele Farben. Jetzt stand sie neben ihrem Entführer auf einer Art Galerie, von der aus man in eine riesige Halle blicken konnte. »Sind wir am Flughafen?«, fragte sie und klammerte sich benommen an den Teller. »Gewissermaßen«, entgegnete der Gott. Die Halle unter ihnen war voller Menschen, die sich auf verschiedene Ausgänge zubewegten. Die meisten schienen Geschäftsleute zu sein, denn sie trugen Anzug oder ähnlich Formelles, doch Alexis entdeckte auch welche mit langen Roben und sogar ein paar, die gänzlich nackt waren. Je mehr sie sah, desto sicherer war sie, dass das hier kein Flughafen sein konnte. Fast niemand hatte Gepäck bei sich. Nur ein paar wenige schoben haushoch beladene Gepäckwagen mit allerlei für einen Flughafen recht seltsamen Dingen, wie Vasen oder Motorrädern, vor sich her. Ein weiterer Hinweis war, dass alle Menschen dort unten irgendwie durchsichtig waren. Alexis starrte auf ihre eigene, sehr undurchsichtige Hand. »Sie sind nicht tot«, sagte eine Stimme neben ihr. »Die schon.« Etwas zu schnell drehte Alexis den Kopf und sah eine Frau in einer griechischen Robe neben sich stehen. Das graumelierte Haar war streng zurückgebunden. Auch sie schien äußerst undurchsichtig. Alexis sah wieder zu den Toten in der Halle. »D-das, das da unten sind Seelen von Toten«, stammelte sie. »Richtig.« »Und wo wollen die hin?« »Na sie machen sich gerade auf die Reise in ihr persönliches Jenseits. Was denn sonst?« Alexis runzelte die Stirn. »Es gibt mehr als ein Jenseits?« »Natürlich. Sehen Sie: Die elegante Rolltreppe dort hinten führt zum christlichen Himmel und die Schlange da drüben nach Walhalla.« Alexis umklammerte den Teller. »Moment, nur damit ich das richtig verstehe. Man hat mich in ein … ein Vor-Jenseits entführt, das voll von Toten ist. Da hinten geht es wahrscheinlich in die Hölle und …«, sie starrte zu dem Gott hinüber. »Und wer zum Henker ist er?!« Ihre Stimme überschlug sich bei den letzten Worten. »Das ist Hades, Gott der griechischen Unterwelt.« Alexis Sorbas hatte viel Erfahrung darin, sich in neuen Situationen schnell zurechtzufinden, das war normal in ihrem Beruf. Doch selbst ihr geübter Verstand musste sich vor diesem Mount Everest an neuen Situationen geschlagen geben. Sie fiel in Ohnmacht.   Das erste, was sie spürte, als sie wieder zu sich kam, war eine eiskalte Hand, die ihre Wange tätschelte. Mit einem Ruck setzte sie sich auf. »Na also, da ist sie ja wieder«, sagte die Frau,...



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