Roman
E-Book, Deutsch, 352 Seiten
ISBN: 978-3-641-18460-5
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als die CIA einen wichtigen BND-Informanten angreift und dessen Familie gefangen setzt, schickt der BND seinen besten Mann, Karl Müller, zu einem hochbrisanten Solo in den Jemen. Müllers Freundin und Kollegin Svenja Takamoto ist zeitgleich einer ganz neuen terroristischen Bedrohung auf der Spur. Ein reicher Ölhändler aus Hamburg zieht als Lockvogel durchs Land: Er schart desillusionierte junge Deutsche um sich, lädt sie ein nach Mallorca – doch von dort geht es plötzlich weiter nach Karatschi. Könnte das Ziel der Gruppe ein Terrorcamp sein? Svenja verfolgt die mutmaßlichen Terroristen in spe unter größten Gefahren bis ins pakistanische Stammesgebiet. Wo der Bruderdienst aus den USA natürlich auch schon wieder verdeckt operiert . . .
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1. KAPITEL
Sowinski bellte ins Telefon: »Wie verfahren wir mit Quelle Jemen?« Er war wütend.
»Ich bringe ihn gleich zum Flieger Berlin – Paris«, antwortete Thomas Dehner flach und gelassen. »Er steigt gegen Mittag um auf eine Verbindung nach Tel Aviv. Dort wartet er zwei Tage im Hotel. Als Tourist. Er lässt sich von einem Taxi aus ein paar Sehenswürdigkeiten zeigen, trödelt herum. Das Taxi fährt einer unserer Leute, aber Quelle Jemen weiß das nicht, und er will das auch gar nicht wissen. Dann fliegt er heim nach Sanaa. Ganz einfach.« Plötzlich unsicher setzte er hinzu: »Aber das ist doch mit Ihnen besprochen worden.«
»Was halten Sie von meiner Vermutung, dass der Mann auf einer Fahndungsliste der NSA steht?«
Dehner lachte leise. »Ich denke, dass uns das gleichgültig sein sollte. Sie stehen todsicher auch auf ein paar Listen, und ich auch. Wer soll das noch ernst nehmen? Quelle Jemen hat erstklassige Papiere als Mitglied des diplomatischen Korps, mehr geht nicht, mehr braucht er nicht.«
»Okay. Kommen Sie rein, wenn das erledigt ist.«
Sowinski, der sich als Beschützer aller Außenagenten im BND sah, stellte das Telefon beiseite. Er sagte an seinen Kollegen Esser gewandt, der zwei Räume weiter residierte: »Ich frage mich, was wir machen, wenn unsere ganze wunderschöne Spionageeinrichtung eines Tages auf der Fahndungsliste der NSA landet und alle die Cowboys von der CIA mit ihren großen Revolvern in der Tür stehen?«
»Das kann ich dir genau sagen. Wir winseln um unser Leben«, antwortete Esser, Spezialist für die gesamte Wissenschaft und für alle Hintergründe der Politik. »Aber sag mal, warum bist du eigentlich so angespannt?«
»Das weiß ich nicht.«
»Du lügst«, sagte Esser schnell und streng.
»Meine Frau und ich haben morgen fünfundzwanzigsten Hochzeitstag.« Das kam wie ein Hauch, als traue Sowinski sich kaum, die Worte auszusprechen.
»Richtig, du hast ja schon vor Monaten ein paar Urlaubstage eingereicht«, sagte Esser. »Und planst was ganz Schönes für euch beide, oder?«
»Ich habe zwei Leute in Afrika, einen auf Mallorca, drei müssen in einen Einsatz. Ich weiß nicht, wie ich da freimachen soll.«
»Weiß unser Chef davon?«
»Nein. Und du solltest ihm das auch nicht sagen.«
»Du spinnst ja, Sowinski!«
*
»Wieso spinnt er?«, fragte Krause in das Mikrofon vier Türen weiter.
»Sowinski hat vor Monaten freie Tage für seine Silberhochzeit beantragt«, bestimmte Esser streng. »Keine Diskussion. Der Mann muss sich ab morgen dringend um sein Privatleben kümmern.«
»Okay«, bestätigte Krause. »Wie geht es Müller eigentlich?«
»Nicht so glänzend. Der Therapeut sagt, er trägt ein Gebirge an Schuldgefühlen mit sich herum. Panikattacken.«
»Immer noch die Frau und das Kind?«, fragte Krause.
»Immer noch«, bestätigte Esser.
*
Karl Müller schwitzte. Es war früher Morgen, und er saß auf einem hölzernen Schemel mitten in einem völlig kahlen, weißen Raum und fühlte sich elend. Er sagte wütend: »Ich werde jede Nacht wach von diesem Scheißbild.«
»Schildern Sie das Scheißbild«, forderte der Therapeut energisch.
»Ich will das nicht mehr«, nuschelte Müller.
Müller mochte diesen Therapeuten nicht. Der Mann hatte eine eigenartige Technik entwickelt. Er saß ebenfalls auf einem Holzschemel drei Meter von Müller entfernt. War er mit Müllers Antworten und Schilderungen zufrieden, rutschte er mitsamt dem Schemel fünfzig Zentimeter auf Müller zu. Gefiel ihm nicht, was Müller sagte, so entfernte er sich schrittweise und saß am Ende sechs Meter entfernt. Nach Müllers Ansicht war das kindisch und naiv. Außerdem hatte der Mann eindeutig eine Macke: Er rauchte niemals, hatte aber ständig einen Zigarillo zwischen den Zähnen, was seine Sprache undeutlich machte.
»Sie benehmen sich wie ein störrisches Kind!«, stellte der Therapeut fest. »Mein Job ist es, Ihnen zu helfen. Wenn Sie sich verweigern, passiert nichts. Können Sie überhaupt noch schlafen?«
»Nein«, sagte Müller abwehrend. »Manchmal tagsüber ein, zwei Stunden. Nur bei Tageslicht, im Dunkeln gar nicht. Das wissen Sie doch längst, wieso fragen Sie?«
»Ich bin daran interessiert, dass es Ihnen gut geht. Folgen Sie mir. Wie war das in diesem Zelt? Wo war das? Was passierte da?«
»Also, die Dinger kullerten«, sagte Müller undeutlich. Er hielt die Augen geschlossen, den Kopf gesenkt.
»Sie sagen, die Dinger kullerten. Welche Dinger, bitte? Und wo? Und warum? Und wie kamen Sie dorthin? Reden Sie mit mir. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten für mich. Ich muss Ihre Arbeit begründen, mein Controller will das wissen.«
Müllers Sprache veränderte sich, seine Stimme nahm einen eintönigen Klang an. »Somalia, äußerste Nordküste, am Golf von Aden. Heimat der Piraten von heute. Es besteht der Verdacht, dass dort eine neue Schmuggellinie für Opiumpaste aus Afghanistan über Pakistan auf Land treffen soll. Ich war zu Gast bei einem Sippenältesten. Der Mann verfügt über sehr viel Macht und wird den Schmuggel wahrscheinlich dulden und selbst einsteigen. Geldoptimierung nennen wir das. Sie nannten den alten Mann Lucky Joseph. Ich hatte einen Termin bei ihm.« Müller hielt inne und bewegte sich unruhig auf seinem Stuhl. »Er war ein sehr alter Mann, keine Haare mehr, kaum noch Zähne.«
»Welchen Beruf hatten Sie?«
»Geschäftsmann. Ich wollte mich finanziell an der europäischen Linie des Schmuggels beteiligen.«
»Dann erschien diese Frau?«
»Ja. Sie war ganz plötzlich aufgetaucht, sie trug ein Kind auf der Hüfte. Der alte Mann erklärte mir, die Sippe habe großen Kummer des Kindes wegen gehabt. Es habe tagelang mit hohem Fieber gelegen, und man musste bereits mit seinem Tod rechnen. Nun sei das Fieber verschwunden. Ein Wunder. Es war das Kind eines seiner Söhne.«
»Sie haben mehrfach betont, diese junge Frau sei sehr schön gewesen.«
»Ja, war sie. Hochgewachsen, schlank, sehr weiblich, vielleicht sechzehn Jahre alt, vielleicht jünger. Sie trug das Kind auf der rechten Hüfte, und sie lächelte ganz breit vor Glück.«
»Was geschah dann?«
»Dann rollten die Granaten. Es war so abartig, es war so totenstill.« Müller saß jetzt leicht gekrümmt auf dem Stuhl und sah senkrecht zwischen seinen Beinen hindurch auf den Boden.
»Die Granaten rollten, sagten Sie. Wie das?«
»Es waren Eierhandgranaten, sie kamen rechts und links von dem alten Mann unter der Zeltplane herangerollt. Zwei von rechts, zwei von links. Es war ein Anschlag auf den alten Lucky Joseph.«
»Wie weit waren Sie entfernt?«
»Ungefähr sieben Meter.«
»Und Sie konnten nichts tun?«
»Nichts«, sagte Müller dumpf.
»Also haben Sie ungeheures Glück gehabt?«
»Ja, das ist richtig. Der alte Mann, die junge Frau und das Kind starben. Und zwei Männer, die rechts von mir auf Kissen saßen. Es war wie im Schlachthaus.«
»Es war ein Anschlag auf Lucky Joseph, sagen Sie. Sie hatten also damit nichts zu tun.«
»Nein. Aber ich ziehe Unheil an.«
»Und dieses Kind landete tot in Ihren Armen?«
»Das ist richtig.« Müllers Stimme klang jetzt wie die eines Bilanzbuchhalters, knochentrocken.
»Bleiben Sie bei dem Bild. Sie sitzen in einem Zelt auf einem Kissen auf einem Teppich. Das Kind liegt in Ihren Armen …«
»Liegt nicht einfach in meinen Armen!«, zischte Müller heftig. »Es ist zerfleischt. Vollkommen zerfleischt. Das sagte ich schon. Und dazu lag plötzlich eine halbe abgerissene Hand von der Frau auf meinem rechten Knie.«
»Was fühlen Sie?«
»Sinnlosigkeit. Nichts. Trauer. Zum Kotzen. Manchmal. Schrecklich.«
»Sie haben also alles in allem einen Scheißberuf«, sagte der Therapeut.
»Das ist so.« Müller nickte erschöpft. Er trug ein graues T-Shirt, das große, dunkle Schweißflecken zeigte. Sein Haar und sein Gesicht waren schweißnass. Er war totenblass, er wirkte zerstört.
»Wir machen für heute Schluss«, murmelte der Therapeut. »Wenn es eng werden sollte, bin ich jederzeit erreichbar. Versuchen Sie, ganz normal durch den Tag zu kommen.«
»Das ist doch wohl ein schlechter Witz«, erklärte Müller mit heftigen, abgehackten Handbewegungen. »Ich will arbeiten.«
»Das bespreche ich mit Ihrem Vorgesetzten.«
*
Krause sagte in das Mikrofon, das ihn mit seinem Vorzimmer verband: »Ich möchte mit Svenja sprechen, Gillian.«
»Ich kümmere mich darum. Der Therapeut von Müller...