Formen des mentalen Kapitalismus
E-Book, Deutsch, 206 Seiten
ISBN: 978-3-8288-6099-5
Verlag: Tectum Wissenschaftsverlag
Format: PDF
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II. Die Ökonomie der Selbstwertschätzung 1. Selbstwertmaximierung und Nutzenmaximierung Um den Tausch von Aufmerksamkeit zu rekonstruieren, verlangt Franck einen „Wechsel auf die mikroökonomische Ebene.“ (ÖdA, 74) Damit ist gemeint, dass der Austausch „aus der Sicht der individuellen Teilnehmer“ (ÖdA, 74) rekonstruiert werden muss. Auf diesem Wege will Franck einerseits aufzeigen, „worum es im Spiel ‚Aufmerksamkeit tauschen‘ eigentlich geht“ und andererseits „den Zusammenhang zwischen der getauschten Beachtung und der Wertschätzung“ (ÖdA, 74) sichtbar machen. Da es den Teilnehmern um eine Maximierung der eigenen Wertschätzung geht, bezeichnet er diesen Teil als ‚Ökonomie der Selbstwertschätzung‘. Der Idee einer „kontrastierenden Rekonstruktion“ folgend vergleicht er die Sorge um den Selbstwert mit der Sorge um den wirtschaftlichen Erfolg. Zwar seien die Arten der Einkommen verschieden, jedoch nicht die Rationalität des Beschaffens, die ihnen zugrunde liege. Das Ähnlichkeitsverhältnis von wirtschaftlichem Erfolg und Selbstsorge beschreibt Franck folgendermaßen: Die Maximierung des Selbstwerts nimmt im Tausch der Beachtung die Rolle ein, die die Maximierung des Nutzens im Tausch dinglicher Güter einnimmt. So wenig wie wir umhin können, auf optimale Bedürfnisbefriedigung und Wunscherfüllung aus zu sein, so wenig können wir umhin, möglichst gut vor uns selbst dazustehen. Man mag sogar fragen, ob die beiden Ziele nicht auf dasselbe hinauslaufen. […] Die Theorie des Nutzens ist in der Theorie aber ganz untendenziös als die Herbeiführung desjenigen Weltzustands definiert, der von den machbaren Zuständen das Maximum an Wohlbefinden verspricht. (ÖdA, 76) Hier muss zunächst festgestellt werden, dass der von Franck verallgemeinerte Wunsch, gut vor sich selbst dastehen zu wollen, willkürlich gesetzt ist und empirisch nicht belegt wird. Daher eignet sich diese Behauptung kaum für wissenschaftliche Zwecke, muss aber zunächst so hingenommen werden, will man Francks Ansatz weiterhin nachvollziehen. Zwar sei es „entsetzlich“ (ÖdA, 76), von der Nutzenmaximierung als Generalziel des Lebens zu sprechen, jedoch bestimmt Franck dies als den in der Theorie festgelegten besten Weg, ein Maximum an individuellem Wohlbefinden zu erreichen. Hier kann eine Parallelität zur Idee der Nützlichkeit im klassischen Utilitarismus hergestellt werden, nach welcher das Maximum an allgemeinem Wohlbefinden in einem gesellschaftlichen Kollektiv angestrebt wird.27 Wie Dieter Birnbacher zusammenfasst, wird Nützlichkeit im Utilitarismus als eine „‚kategorische‘ Größe“ aufgefasst: Der Nutzen misst eine Sache nicht „relativ zu bestimmten Zwecken, sondern das durch sie verwirklichte Maß an Glück, Befriedigung oder Gratifikation“.28 Zum Wohlbefinden gehört nach Franck das individuelle Selbst, das mit zur Welt gehöre und „von dessen Verfassung die Vorzüglichkeit des fraglichen Weltzustands vor allem anderen abhängt“. (ÖdA, 77) Er folgt in dieser Hinsicht also gerade nicht dem klassischen utilitaristischen Denkmodell eines allgemeinen Wohlergehens – in der utilitaristischen Ethik von J. S. Mill werden beispielsweise allgemeine Handlungen und Institutionen daran gemessen, inwieweit sie das allgemeine Wohlbefinden fördern29 – sondern setzt das Individuum und dessen Maximierung der individuellen Selbstwertschätzung in den Fokus seiner Analyse. Mit der Hervorhebung des individuellen Selbst nimmt Franck zwar die utilitaristische Werttheorie auf,30 jedoch vollzieht sich hier ein Wechsel vom allgemeinen Wohlbefinden zum Maximum des individuellen Wohlbefindens, sodass die Perspektive des einzelnen Individuums zählt und nicht die „unparteiische Perspektive eines ‚idealen Beobachters‘“.31 An dieser Stelle verdeutlicht Franck exemplarisch, warum der Tausch der Aufmerksamkeit nicht mit den bewährten Methoden der ökonomischen Theorie analysiert werden kann: Ihm zufolge sind zwar persönliches Ansehen und wertschätzende Anerkennung wichtige Determinanten für individuelles Wohlbefinden und Glück. Jedoch müsse die Nutzenmaximierung, die ja ein Maximum an Wohlbefinden verspricht, ebenso die Selbstwertmaximierung einschließen, da das Selbst unmittelbar in die Verfassung des angestrebten Weltzustandes verstrickt sei. Franck hat hier die Erweiterung der Nutzenmaximierung durch eine Theorie der Selbstwertmaximierung vor Augen. Wäre dies der Fall, dass die Nutzenmaximierung die Maximierung der Selbstwertschätzung einschlösse, dann könnte „der Tausch der Aufmerksamkeit“ sogar „mit den bewährten Methoden der theoretischen Ökonomie analysiert werden“. (ÖdA, 77) Dieses Vorhaben aber scheitere an der Eigenart der Selbstwertschätzung: Die rationale Vorteilssuche, die sich beim Nutzen nur an dem je eigenen Werturteil orientiere, lasse sich aufgrund eines entscheidenden Unterschieds zwischen Nutzen und Selbstwert nicht problemlos bei der Selbstwertschätzung fortführen. Der Nutzen kenne „nur einen Ursprung des Bewertens: das je eigene Werturteil“. (ÖdA, 77) Die Selbstwertschätzung hingegen schöpfe aus „zweierlei Quellen: aus der unmittelbaren Selbstachtung und aus dem durch äußere Wertschätzung vermittelten Selbstwertgefühl “ (ebd., 77). Im Folgenden ist das hiermit beanspruchte Selbstverhältnis Francks genauer zu beleuchten, indem der Unterschied von Selbstwertgefühl und Selbstachtung herausgearbeitet wird. 2. Selbstachtung, Selbstwertgefühl und Abhängigkeit (Nussbaum) Mit den Instanzen der Selbstachtung und des Selbstwertgefühls definiert Georg Franck die wichtigsten Pfeiler seiner Konzeption der Selbstwertschätzung. Während die Selbstachtung als Instanz der Selbstkritik und des Gewissens identifiziert und somit in ihrer Selbstbezüglichkeit charakterisiert wird, bildet sich das Selbstwertgefühl aus seiner Beziehung zu und mit anderen Menschen heraus. Es sei diejenige Instanz, die die empfangene Wertschätzung in das Gefühl umsetze, das das Selbst von sich habe. Es sei diese Quelle der äußeren Wertschätzung, die den Selbstwert vom Nutzen unterscheide.32 In der abstrakten Trennung von Selbstachtung und Selbstwertgefühl komme die Selbstachtung dem ökonomischen Nutzenideal am nächsten, da sie nur aus eigenen Werturteilen schöpfe. Nach Franck sei es „die der Gefallsucht so nahe Maximierung des Selbstwertgefühls“ (ÖdA, 78), die den Rahmen der Nutzenmaximierung sprenge, da das Selbstwertgefühl nicht nur von den eigenen Bewertungen und Präferenzen abhängig sei. Daher könne die Selbstwertschätzung auch nicht der Nutzenmaximierung untergeordnet werden; wenn überhaupt, dann gehe es nur umgekehrt, dass die Nutzenmaximierung als Unterfall der Selbstwertmaximierung subsumiert wird. Im Gegensatz zum Ideal der optimalen Nutzenmaximierung, bei dem sich in der Theorie die eigenen Präferenzen unabhängig von den Präferenzordnungen anderer Individuen verhalten, sei die Selbstwertmaximierung abhängig von den Präferenzen und Urteilen anderer Individuen. Nach Francks Auffassung ist die Annahme absurd, den Individuen sei es gleichgültig, welche Präferenzen die anderen haben. Vielmehr sei der Selbstwert an das Urteil und die Präferenzen anderer innerhalb einer wechselseitigen Beziehung zwischen Selbstwertgefühl und Selbstachtung gebunden: Die Sorge um den Selbstwert schließt ein wesentliches Interesse daran ein, dass die Mitmenschen, auf die es einem ankommt, Präferenzen haben, die den eigenen entgegenkommen. Konkret bedeutet dies, dass Selbstwertmaximierer die Partner, mit denen sie Aufmerksamkeit tauschen, nicht nur nach eigener Sympathie, sondern auch nach Gegensysmpathie aussuchen. (ÖdA, 78f.) Dieses Gegenseitigkeitsverhältnis bedeutet, „dass beide Richtungen des Wertschätzens zählen“ (ÖdA, 79) und in genau dieser Wechselwirkung besteht die Abhängigkeit des Selbstwerts von fremder Wertschätzung. Im Prinzip kann man feststellen, dass Franck die Kategorie des Nutzens und das Eigennutzenaxiom um den phänomenologischen Aspekt der Wertschätzung erweitert, indem die Abhängigkeit der Individuen voneinander durch die Interdependenz ihrer Präferenzen begründet wird. Meine zugrunde liegende Hypothese lautet an dieser Stelle, dass sich Francks Gedanken zum Zusammenhang von Beachtung, Wertschätzung und Aufmerksamkeit an drei Diskurse der Philosophie anbinden lassen. Erstens kann eine direkte Parallele zu Martha C. Nussbaums Begriff der conditio humana hergestellt werden, da Franck das Streben nach Aufmerksamkeit in eine ursprüngliche soziale Dimension des Menschen einbettet. Zweitens ist eine Anbindung an den Diskurs der Selbstsorge möglich, der anhand von Michel Foucault vollzogen werden soll. Und drittens, dies macht die wesentliche Übertragungsleistung aus, soll Francks Wertschätzungsbegriff in den Kontext von Axel Honneths Anerkennungsdiskurs gestellt werden. Bei allen Einbettungen in und Anbindungen an andere Diskurse aus der Philosophie ist anzumerken, dass sich Franck auf diese Diskurse nicht explizit bezieht. Meine getroffene Auswahl ist zwar naheliegend, aber am Ende doch selektiv. Man hätte auch andere anerkannte Vertreter für die jeweiligen Diskurse aus der Philosophie wählen können. 3. Das Streben nach Beachtung (Aristoteles, Nussbaum) Nach Franck besteht die ursprüngliche Form, Aufmerksamkeit für sich zu erlangen, darin, Aufmerksamkeit in andere zu investieren. Daher kann man das...