Eine Einführung
E-Book, Deutsch, 241 Seiten
ISBN: 978-3-8463-4647-1
Verlag: UTB
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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I. Einleitung 9
1. Zum Neuansatz der Schriftprophetie im Jesajabuch 9
2. Zentrale Eckpunkte der Forschungsgeschichte 10
3. Die Kernphasen der Verschriftung des Jesajabuches 17
4. Die Texttraditionen des Jesajabuches 24
5. Aktuelle entstehungsgeschichtliche Modelle 26
6. Aktuelle Modelle der Endtextlesung 28
7. Theologie im Buch Jesaja 35
7.1 Die buchübergreifenden Gottesnamen 36
7.2 Spezifische Gottesnamen und Metaphern für einzelne Teile des Jesajabuches 41
7.3 Rückblick und Fazit 48
II. Auslegung von Jesaja 1–66
Synchrone Textbetrachtungen, diachron reflektiert 50
I. Teil Jes 1–12 Zion zwischen Anspruch und Wirklichkeit 50
I. Akt Jes 1–4 Zweifache Ouvertüre: Aussicht auf Zions Verwandlung 52
II. Akt Jes 5,1–10,4 Die Immanuelschrift in einem mehrfachen Rahmen 59
III. Akt Jes 10,5–11,16 Doppelbild konträrer Herrscherprofile 76
Jes 12 Loblied der in Hoffnung Erlösten 80
II. Teil Jes 13–27 Untergang aller Tyranneien gegenüber Jhwh, dem König auf Zion 81
I. Akt Jes 13–23 Zehn Völkersprüche: das Gericht über irdische Mächte 84
II. Akt Jes 24–27 Jhwhs Gerechtigkeit schafft Ordnung im Chaos der Völker 94
III. Teil Jes 28–35 Die Durchsetzung der Königsherrschaft Jhwhs auf Zion 99
I. Akt Jes 28–33 Sechs Weherufe gegen die Übeltäter in Zion 100
II. Akt Jes 34–35 Diptychon: Gericht über Edom und Heil für die Heimkehrenden 118
IV. Teil Jes 36–39 Drei Erzählungen von der Errettung der Gottesstadt und des Davidssohnes 122
V. Teil Jes 40–48 Aus Babel zurück in die Heimat 135
I. Akt Jes 40 Zion-Jakob-Ouvertüre 135
II. Akt Jes 41,1–42,12 Ohnmacht der Götter und Jhwhs Zusage für Jakob/Israel 139
III. Akt Jes 42,13–44,23 Jhwh und sein blinder und tauber Knecht 143
IV. Akt Jes 44,24–48,22 Jhwhs Sieg durch Kyrus und der Fall Babels und der Götter 148
VI. Teil Jes 49–54 Der Knecht und Mutter Zion 161
I. Akt Jes 49,1–26 Selbstvorstellung des Knechts und Zions Zweifel 161
II. Akt Jes 50,1–51,8 Überzeugungsarbeit an Zions Kindern 167
III. Akt Jes 51,9–52,12 Jhwhs Rückkehr zu Zion und die Heimkehr der Zerstreuten 175
IV. Akt Jes 52,13–54,17 Leiden und Erhöhung von Knecht und Zion 180
VII. Teil Jes 55–66 Die Knechte Jhwhs und ihre Gegner auf dem Zion 191
I. Akt Jes 55,1–56,8 Umfang der Gemeinde und Zulassung 193
II. Akt Jes 56,9–57,21 Prophetische Anklagen und Heilsworte 197
III. Akt Jes 58–59 Gründe der Heilsverzögerung 201
IV. Akt Jes 60–62 Jerusalems und Zions zukünftige Herrlichkeit 203
V. Akt Jes 63–64 Rückblick auf die Geschichte und Bittgebet 215
VI. Akt Jes 65–66 Jhwhs Antwort und die Spaltung der Gemeinde 222
Literatur 232
II.Auslegung von Jesaja 1–66
Synchrone Textbetrachtungen, diachron reflektiert I.Teil Jesaja 1–12 Zion zwischen Anspruch und Wirklichkeit Der exegetische Zugang in das Buch Jesaja erfolgt in »diachron reflektierter Synchronie«, wie dies im Einleitungskapitel bereits dargelegt wurde. Wenn man die Kap. 1–12 unter dieser Perspektive betrachtet, wird deutlich, dass diese Teilkomposition in literarkritischer Hinsicht zugleich älteres und jüngeres Material enthält. Theologisch liefern diese Kapitel die Basis für das ganze Buch und stellen auf synchroner Ebene den »Plot« des Gesamtwerkes dar. Die Teilkomposition der Kap. 1–12 bildet ein abgerundetes Ganzes. Ihr Aufbau gliedert sich – nach der Überschrift (1,1) – in drei Akte: eine zweifache Ouvertüre (1,2–4,6), die zur gerahmten und erweiterten »Immanuelschrift« führt (6,1–8,18 in 5,1–10,4), an die sich das Doppelbild zweier Herrscherprofile (10,5–11,16) und ein Loblied (Kap. 12) anschließen. Parallel zum Textverlauf beschreitet die Leser- bzw. Hörerschaft einen Weg, der von der Anklage über das Gericht zum vorweggenommenen Dank für die erwartete Erlösung führt. Wer für diese Komposition verantwortlich zeichnet, ist nicht leicht zu bestimmen. Aber da sich diese Struktur im Buch mehrfach findet, geht sie wahrscheinlich auf diejenigen zurück, die dem Buch insgesamt seine Endgestalt gaben. Das Loblied in Jes 12 verleiht der Komposition auf der einen Seite einen abgeschlossenen Charakter, führt auf der anderen aber zur Erwartung von etwas Neuem. Diese Kantate dient der Verheißung, die in den vorangegangenen Kapiteln entfaltet wurde: der Erwartung des »Immanuel«, d.h. »Gott mit uns«, und zwar in Gericht und Heil (7,14). Die Kap. 1–12 präsentieren die Aktanten des gesamten Buches: JHWH, Volk und Land Israel sowie die Tochter Zion auf der einen, die Götter und die Völker auf der anderen Seite, wobei Assur an vorderster Front steht. Die Darstellung der Protagonisten des Buches erfolgt dabei auf eine für die Leserlenkung wichtige Art und Weise, und zwar vor dem Hintergrund von Exil und Nachexil. Die in diesen Epochen zentrale Perspektive fußt auf der Entwicklung vom Gericht zum Heil. Analog dazu bereitet die zweifache Ouvertüre (1,2–4,6) nicht nur die Szenerie für die erste Teilkomposition, sondern dient dem gesamten Jesajabuch als Einleitung. So schärfen zahlreiche Verbindungen zwischen den ersten und den letzten Kapiteln das Profil Jerusalems als Ziel der Wallfahrt des geläuterten Israel und der Völker: Dorthin ziehen sie hinauf, zum Berg JHWHs, zu seinem Haus, d.h. zu seinem Tempel. Auch auf das zentrale Ereignis von Kap. 1–12, die Vision von JHWHs Herrlichkeit (Kap. 6), wird am Anfang von Deuterojesaja (Kap. 40) und am Schluss von Tritojesaja (Kap. 66) Bezug genommen. Die Entwicklung des Großjesajabuches im 5./4. Jh. hat Jes 1–12 eindeutig ihren Stempel aufgedrückt. Die Entstehungsgeschichte dieser Kapitel hängt einerseits mit der des Gesamtbuches zusammen. Sie ist andererseits aber auch stark autonom verlaufen. Selbst wenn sich die Forschung bis dato noch nicht einmal über die großen Linien dieser Prozesse hat verständigen können, ist zumindest allgemein anerkannt, dass Jes 1–12 einige der grundlegenden Orakel des historischen Propheten beherbergen. Die Autoren dieses Lehrbuches rechnen mit verschiedenen Phasen in Überlieferung und Redaktion, halten es aber nicht für möglich, diese für alle einzelnen Verse oder Versteile trennscharf nachzuweisen. Folgendes Entwicklungsmodell scheint derzeit vertretbar: An der literarhistorischen Basis steht die sogenannte »Denkschrift«, besser »Immanuelschrift« (6,1–8,18). Sie besteht aus drei Szenen: zwei Ich-Erzählungen (Kap. 6 und 8,1–18), die einen Er-Bericht (Kap. 7) rahmen. Diese Einzelüberlieferungen stammen vermutlich aus dem Jüngerkreis des Propheten. Diese Trias ist sukzessiv überarbeitet worden, und zwar mittels eines Prologs (5,1–7) und eines Epilogs (8,19–9,6). Die dort angesprochenen Themen »Verwüstung des Landes und Exilierung« lassen die angekündigten Nöte des 8. Jh. schon auf die Zeit nach dem Fall von Jerusalem im Jahre 586 hin transparent werden. Solch eine durchdachte literarische Struktur kann nur das Ergebnis nachexilischer, schriftgelehrter Kreise sein. Für den weiteren Ausbau der bereits ergänzten Immanuelschrift zur Endgestalt von Kap. 1–12 sind weitere Hinzufügungen entscheidend, die man diachron nur schwer unterscheiden kann. Synchron lässt sich jedoch sehr wohl eine Differenzierung vornehmen, und zwar von der Gesamtperspektive des Buches her. Das betrifft erstens die zweifache Ouvertüre in 1,2–2,5 und 2,6–4,6, zweitens das Doppelbild der Kap. 10–11 und drittens das Schlusslied in Jes 12. Man darf sich die Bearbeitungen nicht als eine zusammenhängende Initiative eines einzigen Schreiberzirkels und schon gar nicht als die einer singulären Schreiberpersönlichkeit zu einem einzigen Zeitpunkt vorstellen, denn dafür ist das literarhistorische Bild der Einzelpassagen viel zu pluriform und mehrschichtig. Es ist vielmehr an eine Entwicklung zu denken, die ihre Absicht erst anhand der Endgestalt preisgibt. Es geht dabei im Wesentlichen um den Verlauf des göttlichen »Plans« (siehe zu 5,19; 8,10; 11,2). Dieser nimmt seinen Ausgangspunkt bei Anklage und Gericht (1,1–31; 2,6–4,1), jedoch nicht ohne in der Ferne die Aussicht auf das endgültige Heil anzubieten (2,1–5; 4,2–6). Doch zuvor muss die unterdrückende Großmacht Assur fallen, die JHWH herausforderte (10,5–34). Erst dann kann es zur Herrschaft des Sprösslings Isais kommen, der die Zerstreuten Israels sammelt (Kap. 11), worauf sich das Danklied der Erlösten anschließt (Kap. 12). I.Akt Jesaja 1–4 Zweifache Ouvertüre: Aussicht auf Zions Verwandlung Die Überschrift in 1,1 fungiert als Echtheitsbeweis für die Vision, die sich im Buch entfaltet. Dadurch wird Jesaja ben Amoz aber nicht zum Autor, sondern zur Autorität, auf die alles zurückgeht, was in der nach ihm benannten Schrift steht. Dies gilt sowohl für die Texte in Kap. 1–39 als auch für die in Kap. 40–66. Damit wird Jesaja ben Amoz zum Verkündiger von Unheil und Heil, sein Buch zur Magna Charta der Gemeinde Israels in der Zeit des Zweiten Tempels (vgl. 2 Chr 32,32). Der Begriff »Vision« (vgl. Obd 1; Nah 1,1; Hab 2,2–3) deutet hier auf keine besondere seherische Fähigkeit hin, sondern unterstreicht den Ursprung und die Reputation der Prophezeiungen, wobei der Singular deren Vielzahl auf einen Nenner bringt. Die geschichtliche Notiz verankert Jesajas Amtszeit in der Zeit der gewaltsamen Ausbreitung des neuassyrischen Reiches, welche die Regierung der vier genannten Könige von Juda dominierte (von der zweiten Hälfte bis zum Ende des 8. Jh.). Die Prophezeiungen Jesajas setzten diesen Hintergrund voraus und behielten ihre Aktualität im 7. Jh. bis zum Fall Ninives (612) und darüber hinaus bis zur Verwüstung Jerusalems (586). Wegen ihrer Bedeutung, die sich durch die eingetretenen Katastrophen nur noch erhöht hatte, wurden diese Orakel zum einen als Komposition gesammelt und weiterentwickelt, zum anderen nach der Rückkehr aus dem Exil mit dem anwachsenden Textbestand von Jes 40ff. als gemeinsame jesajanische Tradition gepflegt und aktualisiert. Auf die Überschrift folgt die Ouvertüre mit zwei parallel verlaufenden Szenen: 1,2–2,5 und 2,6–4,6. Beide entwickeln sich jeweils von der Anklage gegen und dem Gericht über Juda und Jerusalem (1,2–31; 2,6–4,1) hin zur Verheißung, JHWH selbst werde Zion erneuern (2,1–5; 4,2–6). Dorthin ziehen die Völker, um Tora zu empfangen (2,1–5), und dort wird der geheiligte Rest unter JHWHs Schutz in Sicherheit wohnen (4,2–6). Beide Bewegungen ergeben eine der wesentlichen Perspektiven des Jesajabuches. Sie gehören zur redaktionellen Einfassung des Buches. Die Reinigung Zions/Jerusalems von Sünde und Frevlern und die Wallfahrt der Weltvölker zu diesem Ort der Präsenz Gottes verbinden Anfang und Ende des Jesajabuches in semantischer, thematischer und theologischer Hinsicht (vgl. 66,15–24). Die doppelte Ouvertüre des Jesajabuches ist diachron betrachtet aus älterem, prophetisch anmutendem Material gebildet worden. Weitere Rückfragen nach »authentischen« Jesajaworten sind jedoch nicht zu beantworten, denn dafür ist die Unterscheidbarkeit zu gering. Die formgeschichtliche Parallelität der beiden Szenen und ihre fast stereotype Verbindung durch den Ausdruck »Haus Jakob« (2,5–6; vgl. 65,9) können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Abschnitte über die Völkerwallfahrt zum Zion (2,1–5) und über den Einbruch des Gottesschreckens gegen das Treiben aller Hochmutigen der Erde (2,6–22) so präsentiert sind, als würden hier Utopia und Dystopia aufeinanderstoßen.1 Die Bestürzung, die durch diese Kollision hervorgerufen wird, erzeugt eine große Spannung und innere Dynamik für die weitere Lektüre des so eröffneten Jesajabuches. I.Szene Jesaja 1,2–2,5 Vom Gericht über Israels Bluttaten zu JHWHS Tora für die Völker Der Aufbau wird in synchroner Hinsicht bestimmt durch feststehende Ausdrucksweisen der Redeeröffnung: »Hört/horch(t)« (V. 2.10), »Kommt doch, spricht JHWH« (V. 18), »Ach, sie ist geworden« (V. 21 [Beginn eines Leichenliedes]), »Darum, Spruch des Herrn« (V. 24) und den häufig eine Einheit beschließenden Ausdruck: »Der Mund JHWHS hat gesprochen« (V. 20). Die Redesituation ist ganz und gar (nach)exilisch gefärbt. Lässt man all diese Struktursignale zu ihrem Recht kommen, so besteht Kap. 1 aus den Abschnitten V. 2–9, V. 10–20 und V. 21–31. Sie stellen sukzessiv das Volk, die Führer des Volkes und Zion in...