E-Book, Deutsch, 384 Seiten
Eine Biographie
E-Book, Deutsch, 384 Seiten
ISBN: 978-3-8353-4835-6
Verlag: Wallstein
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In einem spektakulären Prozess vor dem Berliner Kriminalgericht in Moabit stellte der junge Rechtsanwalt Hans Litten 1931 den 'Schriftsteller' Adolf Hitler als Zeugen für die Gewaltbereitschaft von SA und NSDAP zur Rede. Litten verteidigte in zahlreichen Prozessen straffällige Jugendliche, trat als Nebenkläger für die von faschistischen Rollkommandos attackierten Kommunisten auf und legte sich mit der rechtslastigen Justiz der Weimarer Republik an.
Seine Biografie ist eine deutsche Lebensgeschichte, die mit der jüdischen Jugendbewegung in Ostpreußen begann und im Konzentrationslager Dachau endete. Im geteilten Deutschland wurde sie in unterschiedlichen Versionen überliefert. Die einen würdigten den antifaschistischen Bündnispartner der Arbeiterklasse, die anderen – mit jahrzehntelanger Verspätung – den Verteidiger des republikanischen Rechtswesens. Heute ist Hans Litten – nicht zuletzt durch die TV-Serie 'Babylon Berlin' – weit über Deutschland hinaus als politischer Anwalt bekannt, der sich kompromisslos und mutig für seine Mandanten eingesetzt hat.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Weltgeschichte & Geschichte einzelner Länder und Gebietsräume Deutsche Geschichte
- Geisteswissenschaften Geschichtswissenschaft Geschichtswissenschaft Allgemein Biographien & Autobiographien: Historisch, Politisch, Militärisch
- Rechtswissenschaften Recht, Rechtswissenschaft Allgemein Rechtsgeschichte, Recht der Antike
Weitere Infos & Material
Orte / Verortungen
Die Stadt Berlin, in der heute Straßen und Gebäude an Hans Litten erinnern, war der Schauplatz seiner politischen und juristischen Kämpfe, sie war der Ort einer nicht mehr sehr deutlich auszumachenden Liebe, aber auch von Verhaftung und ersten Qualen. Verstanden hat er sich selbst als »östlicher« Mensch, geliebt hat er die ostpreußische und litauische Landschaft, zu Hause war er in Königsberg. Geboren wurde Hans Litten in Halle, aber während sich an seinem Geburtsdatum, dem 19. Juni 1903, nur schwerlich heruminterpretieren lässt, erlaubte der Geburtsort schon frühe Traditionsbildungen: Nicht in Halle an der Saale sei er geboren, gab der junge Hans Litten an, sondern in Burg Giebichenstein, was insofern nicht falsch ist, als dass er tatsächlich unweit der Burg in der elterlichen Wohnung zur Welt kam, im drei Jahre zuvor nach Halle eingemeindeten gleichnamigen Ortsteil. Vielleicht war ihm die dort in den frühen zwanziger Jahren eingerichtete Kunstgewerbeschule sympathisch, vielleicht war »Halle« zu sehr mit der väterlichen und großväterlichen Professorenwelt verknüpft, vielleicht aber klang der Burgname einfach besser, romantischer – zumindest in den Ohren eines Jugendlichen, der gerade mit Enthusiasmus zur Jugendbewegung gestoßen war. Irmgard Wüst und Fritz Litten in Halle, 1899 Allen romantischen Verortungswünschen zum Trotz war es eine ordentliche deutsche Professorenfamilie, in die Hans Litten hineingeboren wurde, was geradezu typisch war für jene jungen Menschen, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts als »Jugendbewegung« gegen ebendiese bürgerlichen Elternhäuser rebellierten. Aus dieser Phase, dem Aufbegehren und Dagegen-Sein, gibt es viele mündlich wie schriftlich überlieferte Äußerungen von Litten selbst – aus der Zeit davor dagegen wenig. Und da fast alles, was über seine familiäre Herkunft bekannt ist, aus durchaus interessierter Feder stammt, aus der der Mutter und der des besten Freundes, so ist hier natürlich Vorsicht geboten. Dennoch evoziert das Aufwachsen in einer bürgerlichen Familie der Vorkriegszeit auch ohne große Phantasie sofort klare Bilder: Matrosenanzüge, überladen möblierte Wohnzimmer und Lehrer mit Rohrstöcken. So ähnlich wird es gewesen sein bei den Littens, die sich irgendwann zwischen 1895 und der Jahrhundertwende in Halle kennengelernt hatten: Dorthin hatte es den aus einer angesehenen Elbinger Kaufmannsfamilie stammenden Jurastudenten Fritz Litten im Alter von 22 Jahren verschlagen, dort promovierte er, dort leistete er seinen Militärdienst und anschließend einen Teil seiner Referendarszeit ab. Wann und wie er die sechs Jahre jüngere Irmgard Wüst traf, deren Vater in Halle landwirtschaftliche Ingenieurswissenschaft lehrte, ist nicht bekannt, es mag eine der vielen studentischen Vergnügungen gewesen sein, zu denen standesgemäße Professorentöchter gerne geladen wurden. Geheiratet wurde gleich nach dem Assessorexamen, und während sich der junge Jurist mit einigen Schwierigkeiten zu habilitieren versuchte, gründete man in der Burgstraße 43 einen Hausstand und bald darauf auch eine Familie: Der erstgeborene Sohn erhielt die Namen Hans Achim Albert, den letzteren nach dem zwei Jahre zuvor verstorbenen Großvater Wüst. Fünf Tage später absolviert der frisch habilitierte Privatdozent Litten seine Antrittsvorlesung an der Universität Halle über »die Haftung des Tierhalters im Bürgerlichen Recht«. Irmgard Litten mit Hans Achim, Halle 1904 Die Litten-Kinder Hans, Rainer und Heinz
(v. l. n. r.) in Königsberg, um 1910 Nach dem bürgerlichen Familienmodell scheint es zunächst auch weitergegangen zu sein: Irmgard Litten kümmerte sich um Haus und Kinder – 1905 und 1909 kamen die Brüder Heinz und Rainer zur Welt –, während Fritz Litten seine Karriere vorantrieb: 1906 wurde der Spezialist für Römisches Recht zum außerordentlichen Professor ernannt, zwei Jahre später erfolgte der lang ersehnte Ruf ausgerechnet in jene Stadt, in der er seit seinem 12. Lebensjahr aufgewachsen war und in der noch seine Mutter lebte, ins ostpreußische Königsberg. Dort bezog man eine standesgemäße Wohnung in der Kastanienallee, im gutbürgerlichen Villenvorort »auf den Hufen« gelegen. Später, nach dem Weltkrieg, erfolgte noch einmal ein Umzug ins noch ein wenig grünere und vornehmere Julchental. Die Söhne besuchten das beste Gymnasium der Stadt, das Haus entwickelte sich zu einem beliebten Treffpunkt der lokalen Honoratioren. Das Königsberg der Vorkriegszeit war ein kleines, wenn auch weit abgelegenes bürgerlich-liberales Idyll. Mehr als die Garnison prägten die Universität und eine weltgewandte Kaufmannschaft, zu der auch der 1906 verstorbene Großvater Litten gezählt hatte, die ostpreußische Hauptstadt. Hier war man liberal, was in erster Linie linksliberal hieß, man wähnte sich in Kant’scher Tradition in der »Stadt der reinen Vernunft« und pflegte ein behagliches Avantgarde-Gefühl gegenüber dem »Reich«. Umso erstaunlicher also, dass sich die Familie Litten nicht dort verortete, im dominanten linksliberalen Milieu, sondern viel stärker nach rechts tendierte, als man es von einem jungen Rechtsprofessor an der Albertina hätte erwarten können. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg, den Fritz Litten als Hauptmann sowohl an der Front wie auch im Kriegsgerichtswesen absolvierte, suchte man im Hause Litten den gesellschaftlichen Kontakt zur anderen, zur deutschnationalen Königsberger »Fraktion« und hier vor allem zu den adligen Militärs und zur hohen Beamtenschaft. Fritz Litten, bald Dekan und später Rektor der Universität, trat der DVP bei und schrieb regelmäßig für die konservative Königsberger Allgemeine. Dies tat seiner Beliebtheit unter den Studenten keinen Abbruch, die ihn durchweg als faszinierenden Redner und brillanten Lehrer schilderten, der jovial und witzig sein konnte, aber auch von großer intellektueller Schärfe. Fritz Litten, in Uniform, mit seinen drei Söhnen, ca. 1914/15 Zu Hause scheint es dagegen zu einer ganz anderen Fraktionsbildung gekommen zu sein: Die allseits als warmherzig und aufgeschlossen beschriebene Mutter mit den von ihr erzogenen Söhnen gegen den autoritären Vater – ein geradezu klassisches bürgerliches Setting. Von einer Königsberger Freundin der Litten-Söhne wird diese Konstellation in der Rückschau eindrücklich skizziert: »Mit Irmgard Litten waren wir alle ganz innig. So nahe sie uns war, er war Äonen entfernt. Da war immer eine Distanz. Er wollte. Ob andere wollten, war nicht so wichtig. Er war gescheit, logisch-souverän, bar jeden Vorurteils, aber schwierig. Was auch geschah, nie war er dabei oder aktiv beteiligt. Er war immer irgendwo in seinem Arbeitszimmer. Aber nicht da.«[9] Unter gänzlich anderen Umständen, als er um Gnade für seinen mittlerweile seit zwei Jahren inhaftierten Sohn bitten musste, hat Fritz Litten dies selbst in einem Brief an Hitler bestätigt und dabei gleichzeitig auch den Zeitpunkt markiert, an dem sich das Vater-Sohn-Verhältnis rapide zu verschlechtern begann: »Ich war während seiner wichtigsten Entwicklungsjahre im Felde, also auch ohne Einfluss auf seine Erziehung und hatte ihn daher aus der Hand verloren.«[10] Vieles spricht für diese Deutung, denn der Weltkrieg, der für Hans Litten mit der beginnenden Pubertät zusammenfiel, scheint tatsächlich den bald auch politischen Bruch zwischen Vater und Sohn zu markieren. Hatte der Siebenjährige »dem Papa zu Weihnachten 1910« noch herzige Gedichte von »Englein« und »Silberglöcklein« verehrt, wenige Jahre später Hindenburg als »Befreier Ostpreußens« gefeiert und im patriotischen Überschwang den »Russen und Kosaken« und überhaupt allen Feinden Deutschlands wortgewaltig Prügel angedroht (»haut sie gleich in lauter Scherben!«), so muss sich dies irgendwann auf dem Gymnasium geändert haben.[11] Über den Schulbesuch Hans Littens, immerhin von 1909 bis 1921, sind eigentlich nur drei Dinge überliefert: er sei nach der Grundschule auf das Wilhelms-Gymnasium gekommen; er habe zwei Primen seiner Schule »gesprengt«, und er habe einen Witz über Hindenburg gemacht. Hier mischen sich Übertreibungen mit falschen Erinnerungen, zumal so gut wie keine schriftlichen Quellen erhalten sind. Hans-Joachim Litten wurde ab 1915 im Collegium Fridericianum – dem Friedrichs-Kolleg – als Schüler geführt, seine Brüder folgten 1916 und 1918. Vielleicht war Hans zuvor wirklich am vornehmeren Wilhelms-Gymnasium gewesen und hatte dann gewechselt, vielleicht aber ist dies nur eine Legende, da das »Wilhelms« als »vornehmer« galt, und Littens sich ja gerne »nach oben« orientierten. Wie auch immer, Hans Litten ging auf das Friedrichs-Kolleg, das einen hervorragenden Ruf besaß und die höhere Bildungsanstalt des gehobenen christlichen wie jüdischen Königsberger Bürgertums war: »Die Schule prägte sie alle zu waschechten Ostpreußen, gleich ob sie mit Pregelwasser getauft waren oder nicht.«[12] An patriotischem Geist scheint es tatsächlich nicht gemangelt zu haben: Zu Beginn des Weltkrieges meldeten sich 20 Lehrer und 193 Schüler freiwillig an die Front, aber wenige Jahre später gärte es dann wohl auch am...