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E-Book

E-Book, Deutsch, Band 1, 438 Seiten

Reihe: Das Leben der Ingrid Bakken

Berg Schicksalstage am Fjord

Roman
2019
ISBN: 978-3-8392-6072-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection

Roman

E-Book, Deutsch, Band 1, 438 Seiten

Reihe: Das Leben der Ingrid Bakken

ISBN: 978-3-8392-6072-2
Verlag: Gmeiner-Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection



Das Leben in Norwegen unter der deutschen Besatzung ist gefährlich, vor allem für diejenigen, die Widerstand leisten. Nach der Verhaftung von Vater und Schwager wendet sich die junge Norwegerin Ingrid Bakken hilfesuchend an ein Mitglied der norwegischen Nazipartei und wird damit für ihre Familie zur Verräterin. Ingrid bemüht sich, das Verhältnis zu ihrer Familie zu retten - und hat Erfolg. Doch dann begegnet ihr die große Liebe - in Gestalt eines deutschen Soldaten. Wird sie es wagen, ihren Gefühlen nachzugeben?

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Kapitel 2
Trondheim, Februar 1942 Ingrids Füße fühlten sich an wie zwei Stücke Eis, die sich beim Durchschreiten einer eisigen Steppe an sie geheftet hatten und sich nun nicht mehr abstreifen ließen. Sie wusste nicht mehr, wie lange sie schon wartete. Wenn ihr jemand erzählen würde, dass sie es bereits seit gestern täte, hätte sie nicht widersprochen. Dennoch war erst eine gute halbe Stunde vergangen, seit sie aus der Straßenbahn gestiegen war und sich in die Kette von Frauen eingereiht hatte, die in beißender Kälte vor dem Kolonialwarenladen in der Klostergata ausharrte. Ingrid verschränkte die Arme vor der Brust und rieb mit den in wollenen Fäustlingen steckenden Händen über ihre Oberarme. Es half nicht viel. Jeder einzelne ihrer Knochen schien mit einer dicken Frostschicht umhüllt zu sein. Sie bereute es, dass sie nicht noch den dicken Strickpullover untergezogen und ein zusätzliches Paar Handschuhe mitgenommen hatte. Nur an den kalten Füßen hätte sie nichts ändern können. Ihre Winterstiefel hatten derartig viele Löcher, dass sie mit ihnen noch schlechter dran gewesen wäre als mit den dünnen Lederschuhen, die sie stattdessen trug. Zum wiederholten Male fragte sie sich, welcher irrwitzige Troll sie dazu gebracht hatte, sich bereit zu erklären, auf dem Rückweg von der Arbeit einkaufen zu gehen. Sämtliche Bedenken ihrer Mutter, dass es ohne Winterstiefel dafür zu kalt wäre, hatte sie kleingeredet. Sie war sich wie eine Abenteuerin vorgekommen, kühn und unerschrocken, die aufbrach, um ihrer Familie den ersehnten Schatz zu bringen. Zwar war dieser Schatz nur ein Stück Ersatzmargarine, doch in diesen Tagen, wo das einzig Verlässliche im Alltag der Mangel war und auch eine ausreichende Anzahl von Marken nicht garantierte, dass man das darauf Aufgedruckte auch erhielt, reichte so etwas schon aus, um eine Familie glücklich zu machen. Die Schlange rückte wieder ein paar Zentimeter vor. Erleichtert erkannte Ingrid, dass es nicht mehr weit bis zur Ladentür war. Bald konnte sie sich wenigstens ein wenig aufwärmen. Das Allerwichtigste war allerdings, endlich die Margarine in Händen zu halten. Sie malte sich aus, wie sie nach Hause kam und ihrer Familie ihren mühsam errungenen Schatz präsentierte. Vater und Bruder wären endlich einmal stolz auf sie und würfen ihr nicht länger vor, nur die Versorgung des Feindes im Sinn zu haben. Eine heiße Welle des Zorns durchflutete sie und ließ sie die Eiseskälte für einen Moment vergessen. Warum wurde sie aufgrund ihrer Arbeit in einer Konservenfabrik, die gezwungen war, den Großteil ihrer Produktion nach Deutschland zu schicken, der Unterstützung des Feindes angeklagt, während ihre Vettern, die für die Besatzer Baracken, Flugplätze und Straßen bauten, auf, wenn auch oft nur zähneknirschendes, Verständnis stießen? Wenn das Politik war, dann war sie froh, dass sie sich nie dafür interessiert hatte. »Weitergehen«, herrschte eine tiefe Frauenstimme Ingrid an. Ehe Ingrid der Aufforderung entsprechen konnte, wurde sie von hinten angestoßen. Ihre glatten Sohlen rutschten auf dem gefrorenen Untergrund wie zwei Schlittschuhe hin und her. Verzweifelt kämpfte sie darum, das Gleichgewicht zu bewahren, schaffte dies aber erst, als jemand sie von hinten umfasste und festhielt. Der keuchende Atem an ihrem Ohr verriet die Anstrengung, die das ihren Retter kostete. Auch Ingrid atmete schwer, und es verging eine knappe Minute, bis sie sich in der Lage sah, sich ihrem unbekannten Helfer zuzuwenden. »Solveig«, rief sie überrascht aus. Ihre alte Schulfreundin grinste sie an. »Mit dieser Nummer nähmen sie dich glatt im Zirkus auf, Ingrid.« Verlegen zupfte Ingrid an ihren Handschuhen. »Wird’s jetzt mal was mit dem Weitergehen«, murrte die Frau hinter ihnen, eine verhärmt aussehende Mittfünfzigerin mit dicken Tränensäcken unter den Augen. »Wenn ich nicht mehr drankomme, sind Sie dafür verantwortlich, mein Fräulein.« Gehorsam machte Ingrid Anstalten sich umdrehen. »Nicht so schnell, Ingrid.« Solveig hielt sie am Arm fest. »Wenn hier einer verantwortlich ist, dann sind es wohl Sie«, herrschte sie die verhärmt aussehende Frau an. »Hätten Sie meine Freundin nicht angestoßen, wäre sie gar nicht erst ins Rutschen gekommen.« »Das ist doch die Höhe«, empörte sich die Angesprochene und stemmte die Hände in die schmalen Hüften. »Ihre Freundin steht hier rum wie eine Träumerin, die nichts Gescheites mit sich anzufangen weiß. Da denken die im Laden doch, hier draußen sind keine Kunden mehr. Ich habe fünf hungrige Mäuler daheim zu stopfen. Aber von so etwas habt ihr jungen Dinger ja keine Ahnung.« Von weiter hinten war immer deutlicher ärgerliches Gemurmel zu vernehmen. »Ist doch egal«, schrie eine. »Hauptsache, es geht weiter und wir frieren uns nicht den Hintern ab.« Gelächter antwortete ihr. »Wir gehen weiter«, sagte Solveig, »wenn Sie sich entschuldigen. Meine Freundin hätte stürzen und sich ein Bein brechen können.« Wie eine Kerze, die in Brand gesteckt wurde, glomm der Zorn aufs Neue in den Augen der Getadelten auf. Ehe sie ihrer Wut jedoch Ausdruck verleihen konnte, flüsterte die Frau hinter ihr ihr etwas ins Ohr. Trotz der Kälte begann sich unter Ingrids Achseln Feuchtigkeit zu sammeln. »Lass gut sein, Solveig«, stieß sie heiser hervor. »Das Wichtigste ist, dass wir heute noch alle drankommen und unsere Margarine erhalten.« Ihre Worte trafen auf keinen Widerhall. Die Arme über der Brust verschränkt starrte Solveig die ältere Frau unverwandt an. »Es ist sehr nett, dass du mir geholfen hast, Solveig. Sonst hätte ich hier tatsächlich eine Zirkusvorstellung geboten.« Ein mühsames Lachen, das an das Schaben einer Grammofonnadel über den Lack einer Schallplatte erinnerte, entrang sich Ingrids Kehle. Erneut erntete sie keine Reaktion. Solveigs gesamte Aufmerksamkeit blieb auf die verhärmt aussehende Frau gerichtet. »Entschuldigung«, stieß diese gepresst hervor. Sie wirkte, als hätte sie in einen faulen Apfel gebissen. Ingrid ertrug den Anblick nicht und wandte den Kopf ab. Wäre es sehr unhöflich, wenn sie einfach ginge? Aber dann käme sie ohne Margarine heim. Am Rande ihres Blickfelds nahm sie unvermittelt eine vertraute Gestalt war. Sie blinzelte, in der Hoffnung, dass ihr ihre Sinne nur einen Streich gespielt hatten. Nein, ein Irrtum war ausgeschlossen. Mit derart raumgreifenden Schritten, als gäbe es nichts auf der Welt, vor dem er sich fürchten musste, ging nur ein Mann auf Øya. Das Netz widerstreitender Gefühle, das Ingrid eben noch gefesselt hatte, zerriss. Sie rief Solveig über die Schulter einen hastigen Dank zu und marschierte die Klostergata entlang. Auf Höhe von Klosterengen zwang sie ein harter Griff um den Arm zum Stehenbleiben. Obwohl sie nicht davon ausgegangen war, es vor ihrem Bruder nach Hause zu schaffen, fuhr ihr dennoch ein gehöriger Schreck in die Glieder, und ein weiteres Mal rutschten ihre Schuhe an diesem Nachmittag über den hart getretenen Schnee, als glitten sie über Schmierseife. »Meine Güte, Ingrid, mit was für Schuhen rennst du denn rum?« Arne Bakken umschlang seine Schwester, als wäre sie ein Schrank, den er an einen anderen Platz zu stellen beabsichtigte. »Ist dir entgangen, dass wir immer noch Winter haben?« Ingrids Schrecken verwandelte sich in Ärger. »Natürlich weiß ich das. Denkst du, ich bin blöde? Es hat aber nicht jeder heile Winterstiefel.« Zufrieden darüber, in einer Auseinandersetzung mit ihrem Bruder einmal die Oberhand gewonnen zu haben, befreite sie sich aus Arnes Umklammerung und ging weiter. Kurz vor der Abzweigung zur Margrethes gate holte er sie ein. Er passte die Länge seiner Schritte den ihren an und ging stumm neben ihr her. Erst als ihr Haus schon zu sehen war, begann er zu sprechen. »Habe ich vorhin richtig gesehen? War das Solveig Aasen, mit der du da vor dem Laden gestanden hast?« Sollte sie leugnen, dass es sich um Solveig gehandelt hatte? Wenn allerdings jemand aus der Nachbarschaft unbemerkt an ihr vorbeigegangen war, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis ihre Familie von dem Vorfall vor dem Kolonialwarenladen erführe. Arne fasste das Schweigen seiner Schwester als Bestätigung auf. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass Solveig Aasen kein Umgang für dich ist, Ingrid?« »Sie ist zufällig vorbeigekommen, als ich dort stand.« »Zufällig«, echote Arne spöttisch. »Und zufällig hast du dich dann bemüßigt gefühlt, dich mit ihr zu unterhalten?« Ingrid blieb stehen. »Ich bin ausgerutscht«, zischte sie. »Du hast selbst gesagt, dass meine Schuhe für den Schnee nicht geeignet sind. Solveig hat verhindert, dass ich stürze und mir ein Bein breche. Dafür habe ich mich bedankt, wie es sich für eine gute Norwegerin gehört.« Arne beugte sich zu ihr hinunter, sodass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. »Für eine gute Norwegerin gehört es sich, keinen Umgang mit Mitgliedern der Nasjonal Samling zu pflegen, sie nicht einmal zu grüßen oder anzulächeln.« »Du weißt, dass ich mit der Nasjonal Samling nichts am Hut habe. Sonst wäre ich wohl kaum mit zum Fjellbu-Gottesdienst gekommen.« Schnaubend richtete Arne sich auf. Die Nebelwolke seines Atems schwebte durch die frostige Luft. »Eine einmalige Teilnahme an...


Berg, Sofie
Die Autorin Sofie Berg wurde in Hamburg geboren. Besuche beim norwegischen Teil der Familie weckten bereits früh ihre Liebe für das skandinavische Land. Nach dem Studium der Soziologie, Politik und Skandinavistik in Hamburg und Bergen (Norwegen) ging sie verschiedenen Tätigkeiten nach, unter anderem als Museumsguide in Norwegen und Stadtführerin in Hamburg. Mit dem Schreiben von »Schicksalstage am Fjord« hat sie sich einen langgehegten Traum erfüllt, der ihre familiäre Verbundenheit mit Norwegen und ihre Begeisterung für Familiengeschichte(n) miteinander verknüpft. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin arbeitet Sofie Berg als freiberufliche Gedenkstättenpädagogin. Sie lebt mit Ehemann und Sohn in ihrer Geburtsstadt.



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