Roman
E-Book, Deutsch, 0 Seiten
ISBN: 978-3-641-12662-9
Verlag: Heyne
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Als Wissenschaftler im selben Abschnitt des Weltraums kurz hintereinander zwei Gammastrahlen-Blitze beobachten, sind sie sicher, dass sie von einem Schwarzen Loch von der Masse unseres Mondes verursacht werden, das einen Stern nach dem anderen verschlingt. Berechnungen zufolge wird dieser unersättliche 'Eater' auch der Erde gefährlich nahe kommen. Und das Befremdliche an diesem Objekt ist, dass irgendjemand - oder irgendetwas - es zu steuern scheint. Ist es eine Waffe? Oder ein außerirdisches Raumschiff? Spekulationen, die Wissenschaftler und Militärs ebenso auf den Plan rufen wie Weltuntergangspropheten ...
Gregory Benford, 1941 in Alabama geboren, studierte Theoretische Physik in Deutschland und Kalifornien, bevor er 1965 seine erste SF-Kurzgeschichte veröffentlichte. Mit dem 1980 erschienen Roman 'Zeitschaft', der mittlerweile zu den großen Klassikern der Science Fiction gezählt wird, gewann er den Nebula Award. Mit 'Cosm' (1998) sowie dem sechsbändigen 'Contact'-Zyklus (1977-1995) hat er der naturwissenschaftlich orientierten Hard-SF einen neuen Stellenwert verschafft. Er lehrt und forscht als Physikprofessor an der University of California-Irvine.
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Kapitel 1
Es fing ganz harmlos an.
Amy Major kam in Benjamins Büro und legte ihm demonstrativ langsam ein Blatt vor die müden Augen. »Ich habe da was Komisches für Sie.«
Benjamin starrte auf den Graphen. Mitten auf der Seite zeigte die Kurve einen plötzlichen starken Anstieg und fiel dann langsam wieder ab. Mit einem Blick auf die horizontale Achse, auf der die Zeit aufgetragen war, stellte er fest: »Er ist also in wenigen Sekunden erloschen. Was ist daran so ungewöhnlich?«
Amy schenkte ihm jenes schiefe Grinsen, mit dem sie sich als abgebrühte Skeptikerin zu präsentieren suchte. Er hatte darin immer nur Trotz gesehen, aber sie waren schließlich oft verschiedener Meinung. »Da ist der zweite.«
»Der zweite?« Vielleicht war das Grinsen ja berechtigt.
Mit verhaltenem Lächeln reichte sie ihm ein weiteres Blatt. Ebenfalls ein starker Ausschlag, der innerhalb von vier Sekunden im Hintergrundrauschen verschwand. »Hm hm.« Er zog fragend die Augenbrauen hoch, was seine Untergebenen inzwischen als: Warum vergeuden Sie meine kostbare Zeit? zu deuten wussten.
»Könnte ein ganz gewöhnlicher Burster sein, richtig?«
»Genau.« Amy kostete das alberne Spiel voll aus.
»Aber es ist schon der zweite Ausbruch, ein Repeater.«
»Aha. In welchem Abstand?«
»Räumlich an der gleichen Stelle. Nach der vorläufigen Messung ist die Position mit der des Vorgängers identisch.« Dramatische Pause. »Der Zeitunterschied beträgt 13.45 Stunden.«
»Was?« Sie wollte ihn wohl auf den Arm nehmen. »Dreizehn Stunden?«
»Genau.«
Diese Gammastrahlen-Ausbrüche waren die gewaltigsten kosmischen Explosionen, die die Schöpfung hervorgebracht hatte. Sie zeigten sich im obersten Bereich des elektromagnetischen Spektrums, der harten, energiereichen Strahlung, die beim Zerfall von Atomkernen auftritt. Das häufigste Modell zur Beschreibung der Quelle eines solchen Bursts war ein großes Schwarzes Loch, das eine ebenfalls beachtliche Masse, etwa einen großen Stern, verschluckte. Die Bursts waren wie das Aufstoßen nach einer besonders üppigen, astrophysikalischen Mahlzeit. Jeder Rülpser verwüstete einen Abschnitt der betroffenen Galaxis.
Aber ein einmal verschlungener Stern konnte nicht dreizehn Stunden später noch einmal verspeist werden.
Auf den abwegigen Verdacht hin, es könnte sich doch um einen Scherz handeln, sagte Benjamin bedächtig: »Das ist wirklich interessant.« Anfangs immer positiv reagieren, sonst kamen die Leute gar nicht mehr. Er lächelte matt.
»Aber die vorläufige Position befindet sich in einem großen Rechteck.«
Das war nicht nur ein vernünftiger Einwand, sondern wahrscheinlich die Erklärung. Sicher würde sich herausstellen, dass beide Phänomene von verschiedenen Stellen am Himmel ausgingen.
Das Instrument, das den Burst entdeckt hatte, lieferte auch eine grobe Ortsbestimmung – es zeichnete ein Rechteck auf die Himmelskarte, in dem sich irgendwo die Strahlungsquelle befand. Für eine genauere Lokalisierung brauchte man andere, eigens darauf spezialisierte Instrumente. Das Gleiche galt für die Position des zweiten Bursts. Wenn man erst genau wusste, wo die zweite Explosion stattgefunden hatte, stellte sich bestimmt auch heraus, dass sie von der ersten weit entfernt war, und dann würde sich die Aufregung legen. Aber das brachte er Amy besser in kleinen Schritten bei. »Hoffen wir trotzdem, dass es etwas Neues ist.«
»Äh … ich hielt es nur für angebracht, es zu erwähnen, Dr. Knowlton.« Das schmale Gesicht wurde verschlossen, der Mund kräuselte sich, als hätte man eine Schnur durch beide Lippen gezogen. Sie hatte Benjamin den Spitznamen Dr. Know-It-All-ton – Dr. Allwissend – verpasst, der unter den Mitarbeitern kursierte und ihn mehr getroffen hatte, als er sich anmerken ließ.
»Ganz richtig. Sie haben beim Space Array eine schnelle Ortung angefordert?«
»Sicher, und ich habe über das Gamma Net Großalarm gegeben.«
»Super.«
Die skeptische Maske verrutschte ein wenig. »Es ist wirklich ein Repeater. Irgendwie spüre ich das.«
»Hoffentlich haben Sie Recht.« Im Gegensatz zu Amy hatte er schon Dutzende von Fehleinschätzungen erlebt. Sie war eine fähige Astronomin, die den Datenstrom, der ununterbrochen durch das High Energy Astrophysics Center floss, sehr zuverlässig, aber für seinen Geschmack ein wenig zu verbissen durchforstete.
»Ich weiß, ein Repeater mit dieser Verzögerung ist uns bisher noch nicht untergekommen«, sagte sie.
»Um Minuten ja. Um Stunden nein.«
»Aber die vorläufigen Spektren sehen sich sehr ähnlich.«
»Wie viele Datenpunkte im Spektrum?«
»Äh … vier.«
»Für eine gesicherte Aussage viel zu wenig.«
»Ich habe es aber im Gefühl.«
»Und ich habe einen vollen Terminplan.«
»Ich finde wirklich …«
»Wieso die Eile? Können Sie mir das erklären?«
»Falls es wichtig ist, müssten wir gleich einige von den anderen Teleskopen benachrichtigen.«
Nur nicht die Geduld verlieren. »Verstehe.«
»Das volle Spektrum des ersten Bursts müsste jeden Augenblick hereinkommen«, fuhr sie fort und fing an, auf und ab zu marschieren. Er begriff, dass sie sich bis jetzt zurückgehalten hatte. Begeisterung ist immer gut, ermahnte er sich, sie muss nur in die richtigen Bahnen gelenkt werden.
»Ich rufe Attilio an. Mal sehen, ob sich die Sache beschleunigen lässt«, sagte er und tippte auf seiner Schreibtischtastatur einen Code ein.
»Großartig, Dr. Knowlton.« Ein strahlendes Lächeln.
Das war der eigentliche Grund, warum sie ihn so früh informiert hatte, dachte Benjamin. Sie brauchte seine Unterstützung. Er fühlte sich unwillkürlich geschmeichelt, weniger, weil sie ihm damit indirekt seine Machtposition bestätigte, sondern weil er wieder in den Forschungsprozess mit einbezogen wurde.
Ab und zu durfte er doch noch Rohdaten analysieren. Vielleicht sogar eine Erklärung erfinden und sie ausprobieren. Seine Arbeit als Ganzes sehen. Ab und zu.
Amy wandte sich zum Gehen, während er im integrierten Telefonverzeichnis die Nummer suchte. Er winkte sie zurück. »Nein, bleiben Sie.«
Er kam sofort durch und rief ein paar anzügliche Bemerkungen in das Vierfachmikro auf seinem Schreibtisch. Attilios Stimme war klar und deutlich zu hören, obwohl sich der schlaksige, stets elegant gekleidete Mann im Schatten der Alpen befand. »Sie wussten natürlich, dass ich heute Morgen hier sein würde«, sagte Attilio. »Wir arbeiten beide zu viel.«
»Wir sind süchtig.«
»Wissenschaftssüchtig, jawohl. Ein seltenes Laster.«
Benjamin bat ihn, Aufbereitung und Überprüfung der beiden Ereignisse ›ein klein wenig voranzutreiben‹. Das dauerte etwa fünfzehn Minuten, die sie fast ausschließlich verplauderten. Trotzdem wurde die Arbeit erledigt. Vielleicht hätte man mit einer E-Mail das gleiche Ergebnis erzielt, aber Benjamin hatte andere Erfahrungen gemacht. Wer ständig über Organisation und Systematisierung von Arbeitsabläufen redete, übersah gern, dass es ein menschliches Grundbedürfnis war, sich auch einmal mit Leuten zu unterhalten, die man nur selten sah.
Benjamin beendete das Gespräch, nachdem er Attilio versprochen hatte, sich bei seinem nächsten Europaaufenthalt auf jeden Fall mit ihm zu treffen. Ach ja, und ob er sich diese zweite Quelle vielleicht gleich ansehen könnte?
»Das hatte ich gehofft«, sagte Amy. Sie hatte während des ganzen Telefonats auf der Stuhlkante gesessen oder war so rasch auf und abgegangen, dass ihr langes Haar im Luftzug flatterte.
»Ich wollte, dass Sie mithören, Sie müssen allmählich lernen, wie man international die Rädchen schmiert.« Das Studium von Gammastrahlenblitzen war inzwischen nicht nur eine internationale, sondern sogar eine interplanetare Angelegenheit geworden, wenn man die vielen Robot-Teleskope mitrechnete, die im Sonnensystem kreisten. Raumschiffe verlangten wenigstens keine Seelenmassage. Und keine teuren Einladungen auf Kosten des Zentrums.
»Oh, ich verstehe mich schon recht gut darauf, die Fäden zu ziehen.«
»Schon, aber Attilio kennen Sie noch nicht. Großartiger Bursche. Wenn ich beim nächsten AAS-Meeting mit ihm essen gehe, nehme ich Sie mit. So viel ich gehört habe, hält er einen Gastvortrag.«
»Was bedeutet, dass Sie im Programmausschuss sitzen.«
Benjamin grinste. »Ertappt.« Wie überall war es auch in der Astrophysik wichtig, Freunde in den richtigen Ausschüssen, Gremien und Konferenzen zu haben, und Benjamin hatte das Spiel schon oft genug gespielt. »Übrigens vielen Dank, dass Sie gleich zu mir gekommen sind. Alle zwei bis drei Jahre tauche ich ganz gern mal aus meinem Papierkram auf und benehme mich wieder wie ein richtiger Astronom.«
»Keine Ursache.«
»Sie leisten hier sehr gute Arbeit. Glauben Sie ja nicht, dass mir das entgangen wäre.«
Sie arbeitete noch als Postdoc in seiner Forschungsabteilung, sollte aber in nächster Zeit eine Festanstellung erhalten. Eine kleine moralische Stärkung konnte nicht schaden, damit sie die Enttäuschung besser verkraftete, wenn Attilio zurückrief.
Die Astronomie war eine gnädige Lehrmeisterin. Sie stellte ihren Schülern viele Aufgaben, bei denen man mit solider wissenschaftlicher Arbeit zu beachtlichen Ergebnissen gelangen konnte. Das Universum war nach wie vor so ungenügend erforscht, dass man allenthalben auf Überraschungen stieß, besonders, wenn man neue...