E-Book, Deutsch, 292 Seiten
Benedict Bruderliebe
1. Auflage 2024
ISBN: 978-3-7597-2733-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman
E-Book, Deutsch, 292 Seiten
ISBN: 978-3-7597-2733-6
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Bruderliebe, der neue Roman von Sofia Benedict, ist die Geschichte eines Waisenkindes, einem Mädchen, das sehr früh lernen muss, auf seinen eigenen Beinen zu stehen, um für seine Geschwister und sich selbst zu sorgen. Es ist auch die Geschichte zweier Brüder, die sich beide in dieselbe Frau verlieben, und von Bruderliebe bei dem einen bis zum besessenen Hass reicht. Der Roman schildert die Geschichte zweier Familien mit ausdrucksstarken Worten, die beim Leser Bilder erscheinen lassen, bei denen er mit den Charakteren das Geschehen miterlebt, als ob er selbst dabei wäre. Es ist eine Geschichte, bei der man einerseits sich richtig freut und andererseits feuchte Augen bekommt und ein paar Mal schlucken muss. Dieser Roman bringt dem Leser wieder eine Zeit vor Augen, die jeder - egal ob jung oder alt - sehr gut kennt, die man aber nie vergessen soll und deren Auffrischung und Miterleben jeden bereichert. Die Autorin betrachtet die Zwischenkriegszeit und die Zeit des zweiten Weltkrieg mit den Augen einer Frau, die erbittert ums Überleben für sich selbst und für ihre drei kleinen Geschwister kämpft.
Sophia Benedict - Schriftellesin, lebt und arbeitet in Wien, Österreich
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
„Weg mit den Pfoten, du Schwein!“ Ich stieß ihn mit meinem Ellbogen mit aller Kraft in den Bauch, dass er vor Schmerz aufschrie und zur Seite sprang. Minuten später flüsterte er hasserfüllt: „Du Verrückte! Du – Pest!“, aber, als der Schmerz anscheinend weg war, brummte er wieder versöhnlich, „du Närrin! Du weißt nicht, worauf du verzichtest …“ „Geh weg, betrunkenes Schwein! Sonst werde ich mich bei Mutter beklagen!“ „Wie schrecklich! Geh, beklag dich! Warum hab‘ ich diese Kranke nur geheiratet?“ „Du hast eine Gesunde geheiratet, krank hast du sie gemacht!“, schrie ich, kochend vor Wut. Ich hob die Pfanne, die ich gerade auf den Herd stellen wollte und war kurz davor, sie ihm über den Schädel zu schlagen. Wenn ich mich ärgere, weiß ich nicht, woher ich so viel Kraft bekomme. Mein Stiefvater erschrickt, wenn ich mich ärgere. Er floh zur Tür. Betrunken fürchtete er weder Tod noch Teufel. Er griff andere an, wenn er betrunken war, aber vor mir machte er Halt. Betrunken war er öfter als nüchtern und seine Hand war schwer. Einmal bekam ich sie zu spüren, als er mich ohrfeigte. Ich konnte kaum mehr auf den Beinen stehen. Dann ergriff ich den Schürhaken und schrie: „Mich wirst du nicht schlagen!“ Hätte er den Schürhaken nicht gefangen, hätte ich ihm den Schädel gespalten. Die Haut auf seiner Handfläche war geplatzt. Er blutete, und ich spürte, wie mir das Blut zu Kopf stieg. Ich zitterte vor Zorn. „Tollwütige“, schrie der Stiefvater und stürzte zur Tür hinaus. Ich hatte den Schürhaken nun endlich weggelegt. Da sah ich drei Paar erschrockene Kinderaugen vor mir, die mich aus einer dunklen Ecke anschauten. Ich trocknete die Hände an der Schürze und ging zu den Kleinen hin, hockte mich hin und wischte mit immer noch zitternder Hand dem dreijährigen Thomas die Nase ab. Karl war ein Jahr älter als Thomas und Katrin ein Jahr jünger. Ich drückte die Kleinen an mich und flüsterte: „Fürchtet euch nicht, es war nur Spaß. Alles wird gut, er wird niemanden mehr angreifen. Auch euch wird er nicht mehr schlagen!“ Karl weinte: „Aber Papa kommt doch zurück?! Er ist doch nicht für immer weg?“ „Nein, nein, natürlich, nicht für immer“, flüsterte ich, dachte aber, es wäre schön, wenn es doch für immer wäre. Es geschah vor ein paar Monaten. Jetzt sagte ich zu den Kindern: „Setzt euch zum Tisch, ich gebe euch etwas zum Essen!“ Ich schüttete die Reste des Pflanzenöls in die Pfanne, wartete bis der letzte Tropfen aus der Flasche getropft war, zerbröselte die Reste des Brotes vom Vortag und schlug drei Eier hinein, es war alles, was ich anbieten konnte. Wir hatten keine Vorräte mehr. Ich teilte die Eierspeise in drei Portionen, Karl, dem Ältesten gab ich ein bisschen mehr, wischte die Pfanne mit dem restlichen Stück Brot aus und steckte es in meinen Mund. Die Kleinen aßen schnell, dann schleckten sie ihre Teller ab wie Kätzchen. Sie hatten nicht um mehr gebeten, nur ihre Augen waren voller Flehen. „Gehen wir in die Sonne, ich erzähle euch ein Märchen“, sagte ich, versuchend, ein unverständliches Schuldgefühl in mir zu unterdrücken. Woran war ich denn schuld? Wir setzten uns auf einen Baumstamm, und ich musste mich tief beugen, damit der Druck auf meinen Magen größer wurde, so war es leichter, den Hunger zu ertragen. Dann begann ich zu erzählen: „Es war einmal ein kleiner Junge. Er war so klein, dass alle ihn Däumling nannten. Seine Mutter war gestorben, und der Vater hatte wieder geheiratet …“ Vom Hunger kamen plötzlich stechende Schmerzen im Magen, aber ich musste ja nur noch ein bisschen Geduld haben. In einer Stunde würde ich zu Linde gehen, um ihr Nachhilfestunden zu geben. Sie ist zehn Jahre alt, also zwei Jahre jünger als ich; ihre Eltern sind Großbauern, aber sie leben wie vornehme Herrschaften. Gewöhnlich bewirtet mich ihre Mutter zuerst, sie gibt mir ein großes Stück Schmalzbrot oder sogar ein Stück Fleisch mit Brot. Ich bekam auch Apfelsaft. Davon kann ich so viel trinken, wie ich will. Die Familie ist sehr stolz auf ihren Apfelsaft, sie erzeugt ihn selbst und handelt damit. Wenn der Magen leer ist, belebt der erste Schluck dieses süßen Getränks sofort Gehirn und Körper. So bekomme ich neue Kraft. Linde ist das jüngste von vier Kindern in der Familie, sie ist ein nettes Dickerchen mit Hausverstand, aber mit ihren Hausaufgaben kommt sie nicht wirklich zurecht, so helfe ich ihr dabei. Ihr Vater meint, dass seine Tochter keine Gelehrte werden muss. Er selbst hat auch nur kurz die Schule besucht, ist aber aus eigener Kraft reich geworden. Ich weiß aber, dass er durch den Krieg reich geworden ist, als die Existenz von anderen zerstört wurde. Lindas Mutter sieht dies aber anders. Ihre Eltern waren Lehrer, und sie selbst wollte auch Lehrerin werden. Sie hatte sich aber in einen schönen Bauernburschen verliebt, der ihr ein gutes Leben versprochen und sein Versprechen auch gehalten hat. So war die Familie sehr wohlhabend. Die Mutter leistete auch Schwerstarbeit in der riesigen Wirtschaft. Sie war stark, es belastete sie nicht zu sehr, aber für ihre Kinder wünschte sie sich ein anderes Leben. So bekam ich mit zwölf Jahren mein erstes Gehalt. Ich lernte gut und konnte auch anderen beim Lernen helfen. Die Schule besuchte ich sehr gern. Ich mochte es, Neues zu erfahren, auch einfach ein Buch zu lesen, dies brachte mir Freude, auch wenn es ein scheinbar langweiliges Lehrbuch war. Es war wie eine Reise in eine andere Welt. Da zog sich sogar die Trauer zurück, und ich dachte nicht mehr daran, wie bitter mein Leben war. „Der Däumling hat sein Stückchen Brot aufgespart und warf unterwegs Brösel hinter sich, damit er später den Weg zurück nach Hause finden könnte, aber die Vögel …“, setzte ich mit der Märchenerzählung fort. Katrin lauschte nur meiner Stimme, sie war noch zu klein, um die Bedeutung der Worte wirklich zu verstehen. Karl schaute mürrisch zur Seite, er dachte immer noch an seinen Vater. Nur Thomas hörte mir zu, seine Augen hatten sich mit Tränen gefüllt: „Und er blieb weiter hungrig …“ “Warte ab!“, versuchte ich ihn zu trösten, „es wird alles gut werden …“ ***
Seit ich den Schürhaken ergriffen hatte, wagte der Stiefvater nicht mehr, mich oder die Kinder zu schlagen. Aber er trank weiter und verbrachte seine Zeit in den Beisel. Wenn er nach Hause kam, hatte er nicht selten blaue Flecken im Gesicht, denn er mischte sich in jede Schlägerei ein. Heimlich hoffte ich, dass jemand ihn einmal zu Tode prügeln würde. Es freute mich, seine Wunden zu sehen, und es schien so, als ob ein anderer ihn für uns bestrafen würde. Vielleicht sollte ich doch erzählen, wie es dazu kam, dass meine Mutter dieses Schwein Otto, meinen Stiefvater, geheiratet hat. Meinen Vater liebte ich mehr als mein Leben. Abends setzte er mich auf seinen Schoß, und wir schnitten zusammen Fotografien aus alten Zeitschriften aus. Wir klebten sie auf Pappe, und es entstanden dann wunderbare Bilder mit den Porträts von Fürsten, Präsidenten, Ministern, mit Kaiser Franz Joseph und Kaiserin Elisabeth, die eine wahre Schönheit war. Ich erinnere mich, dass ich sogar weinte, als Vater sagte, dass es sie nicht mehr gäbe, da sie von einem Mörder getötet worden war. Er sagte auch, dass solche Schurken Terroristen heißen, weil sie unschuldige Menschen töten, die niemandem etwas Schlechtes angetan haben. So sagte mein Vater. Diese Bilder hängen in meinem Zimmerchen immer noch. Mein Vater bastelte ständig etwas, und ich blieb bei ihm, stellte ihm tausende Fragen, und er beantwortete sie geduldig. Vater arbeitete beim Gipsbetrieb in Mödling, er hatte eine gute Arbeit und verdiente auch gut. Als der Krieg angefangen hatte, musste er nicht zum Wehrdienst, weil Gips auch während des Krieges sehr wichtig war. Oder sogar noch wichtiger als vorher, weil man damit handeln konnte, um für das erworbene Geld Waffen zu kaufen. Sonntags gingen wir in die Kirche. Mutter zog ihr schönstes Kleid an und legte auf ihre Schultern das persische Umhängetuch; es war ein Geschenk meines Vaters, als sie noch ein Brautpaar waren. Dieses Umhängetuch gefiel auch mir, ich streichelte die seidige, feine Wolle mit der Hand. Mutter sagte, sie würde es mir schenken, wenn ich erwachsen werde. Wird sie nicht mehr, ich musste es verkaufen, um Medikamente für sie zu kaufen. Nach der Messe aßen wir zu Hause. Dann am Nachmittag gingen wir spazieren, und das sogar bei schlechtem Wetter. Vater kaufte uns Regenschirme, auch für mich einen kleinen mit Spitzen. Ich war sehr stolz darauf, weil ich damit wie eine echte Dame aussah, eine wie auf jenen Bildern, die ich und Vater aus den Zeitschriften ausschnitten. Der Spaziergang endete mit einem Besuch im Kaffeehaus. Die Eltern tranken Kaffee und für mich bestellten sie...