E-Book, Deutsch, Band 1, 463 Seiten
Reihe: John Sinclair Romane
Benecke / Hilleberg Brandmal
1. Auflage 2017
ISBN: 978-3-7325-3961-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein John Sinclair Roman
E-Book, Deutsch, Band 1, 463 Seiten
Reihe: John Sinclair Romane
ISBN: 978-3-7325-3961-1
Verlag: Bastei Lübbe
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Ein Fall von spontaner Selbstentzündung im Londoner Hyde Park bringt Geisterjäger John Sinclair auf den Plan. Für ihn liegt nahe, dass es sich bei dem Opfer um einen Vampir gehandelt hat. Doch warum sollte sich ein Vampir dem Sonnenlicht aussetzen? Weitere Vorfälle folgen, und auch in Deutschland kommt es an verschiedenen Orten zu spontaner Selbstentzündung. Dort wird der Kriminalbiologe Dr. Mark Benecke zu einem solchen Fall hinzugezogen. Als John Sinclair davon erfährt, tut er sich mit dem bekannten Forensiker zusammen.
Dr. Mark Benecke ist Deutschlands bekanntester Kriminalbiologe und auf der ganzen Welt unterwegs, um mithilfe seiner speziellen Kenntnisse und Methoden Leichen zu identifizieren und Kriminalisten wie Archäologen, Historikern und Paläontologen bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Florian Hilleberg ist langjähriger Sinclair-Autor und kennt das Universum des berühmtesten Geisterjägers wie seine Westentasche.
Autoren/Hrsg.
Weitere Infos & Material
Kapitel 3
»Das wird dir gefallen, Mark«, sagte Ines mit einem ernsten Blick, der ihren lockeren Ton Lügen strafte, während sie das Telefon zurück in die Station stellte. Mark Benecke, Forensiker mit dem Spezialgebiet Entomologie, also Insektenkunde, hob den Kopf und blickte seine Mitarbeiterin und Ehefrau in Personalunion über das binokulare Mikroskop hinweg mit gerunzelter Stirn an. Während er die Brille wieder aufsetzte, die er jedes Mal abnahm, wenn er am Mikroskop arbeitete, murmelte er: »Hoffentlich. Wäre mal wieder Zeit für was Ausgefallenes.« Ines ging auf den langen Labortisch zu und strich sich eine Strähne ihres flammroten Haares zurück, bevor sie die Arme vor der Brust verschränkte. »Spontane menschliche Selbstentzündung. Ausgefallen genug?« Mark richtete sich auf seinem Drehhocker auf und bekam glänzende Augen. »SHC? Wie geil ist das denn?« Ines verzog die Lippen und schaute ihren Mann unter hochgezogenen Augenbrauen an, dessen Stirn sich sofort in Falten legte, wobei sich sein Blick schlagartig verfinsterte. »Ähm, ich meine, ganz üble Sache. Wo? Wer? Wie?« »Berliner Charité, Psychiatrie, geschlossene Abteilung. Alisa Rubens, fünfundvierzig Jahre alt. Und das ›Wie‹ ist unser Job.« Ines grinste säuerlich und fuhr fort. »Die Frau brach zu Hause schreiend zusammen, brüllte, dass sie innerlich verbrennen würde, und verkroch sich schließlich unter ihrem Bett. Sie wurde in die Charité eingeliefert und ziemlich schnell in die Geschlossene weiterverlegt. Dort hat sie sich schlagartig beruhigt, nachdem man sie in ein abgedunkeltes Einzelzimmer verlegte. Als am nächsten Tag das Essen gebracht wurde und ein Pfleger das Fenster öffnen wollte, griff sie ihn an. Erst nachdem man sie fixiert und ihr jeweils zehn Milligramm Diazepam und Benperidol injiziert hatte, fing sie sich wieder.« »Faszinierend!«, lautete Marks vorläufiger Kommentar. Ines nickte. »Pass auf, es geht noch weiter. Nachdem sich Alisa Rubens beruhigt hatte und eingeschlafen war, konnte der Pfleger endlich das Fenster öffnen, und keine fünf Minuten später war von ihr nichts weiter übrig als ein Häufchen Asche. Auch das Flügelhemd, das sie trug, ist komplett verbrannt. Das Laken darunter ist dagegen nur angesengt. Matratze und Fixierriemen sind unversehrt geblieben.« »Hat diese Alisa zuvor schon aggressives Verhalten gezeigt?« Ines schüttelte den Kopf. »Soviel ich weiß, nicht. Solche Anfälle hat sie laut Aussage ihrer Familie noch nie gehabt. Ich denke, ausgefallener geht es nicht mehr.« Mark schnaubte abfällig. »Zumindest ist das der erste dokumentierte Fall von SHC in Deutschland in den letzten fünfzig Jahren.« Er erhob sich. »Ist Nico schon da?« Ines presste die Lippen aufeinander und hob die Augenbrauen. »Sie hat doch gerade eben ›Jode Morje‹ gesagt.« Mark riss erstaunt die Augen auf und schaute sich um. »Und wo steckt sie jetzt?« Ines machte eine Kopfbewegung zum Nebenraum. »Nebenan. Macht sich was zu essen. Hat ja heute auch schon zwei Stunden für unsere Kölner Polizei malocht.« »Dann werd’ ich sie mal über den neuen Job ins Bild setzen. Hoffentlich hat sie Zeit für einen kleinen Trip nach Berlin.« »Tu das, ich such euch schon mal die schnellste Bahnverbindung raus.« Ines wandte sich von dem Labortisch ab und einem kleineren Schreibtisch zu, auf dem ihr Laptop stand. »Dank dir, Häschen.« Mark verschwand im Nebenraum, in dem sich eine kleine Küche befand, auf deren Arbeitsfläche einsam und verlassen ein Glas Erdnussbutter stand. Er runzelte die Stirn, denn von Tina war nichts zu hören oder zu sehen. Mark nahm das Erdnussbutterglas und wollte es in den Schrank zurückstellen. »Finger weg, Bene.« Die Stimme war in seinem Rücken aufgeklungen, scharf wie ein Rasiermesser, so dass er augenblicklich erstarrte, das Glas langsam auf die Platte zurücksinken ließ und sich dann im Zeitlupentempo umdrehte. Tina stand keine zwei Schritte vor ihm und bedachte ihn mit einem strengen Blick aus ihren rehbraunen Augen. »Kann ich nicht mal kurz für kleine Mädchen, ohne dass du mir gleich mein Frühstück klaust?«, protestierte die sportliche Mitdreißigerin, die ihr blondes Haar im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. »Öhm, ich dachte du wärst fertig.« Tina Baumjohann, genannt Nico, drückte sich an Mark vorbei. Aus dem Hängeschrank holte sie einen flachen Teller, zog die Besteckschublade auf und nahm sich ein Messer heraus. »Was gibt’s denn so Dringendes, dass du dein Mikroskop unbeaufsichtigt stehen lässt, um mir mein Frühstück zu stibitzen?« »Ich wollte nur für Ordnung sorgen«, verteidigte sich Mark. »Wie war es denn bei der Polizei?« Tina zuckte die Achseln, während sie zwei Scheiben Vollkorntoast in den Toaster steckte und den Hebel herunterdrückte. Dann drehte sie sich um und antwortete: »Das Übliche. Alleinstehender Rentner, den es auf dem Klosett erwischt hat. Lag schon eine Weile in seiner Wohnung. Kein schöner Anblick.« »Also bist du sozusagen frei?« Tina kniff leicht die Augen zusammen. »Worauf willst du denn eigentlich raus, Bene? Gibt’s ’nen interessanten Job für uns?« Mark hob beide Hände und machte mit Daumen und Zeigefinger die Pistolengeste. »Exakt!«, rief er. Hinter Tina schnellten die Toastscheiben aus dem Röster. Sie drehte sich um und bestrich beide Scheiben dick mit Erdnussbutter. »Und um was geht es?«, fragte sie, während sie eine Banane schälte und anschließend in kleine Scheiben schnitt, die sie dekorativ auf den Toastscheiben drapierte. Mark beobachtete blinzelnd die Akribie, mit der seine Kollegin zu Werke ging, und war für einen Moment derart abgelenkt, dass er vergaß zu antworten. Daher drehte sich Tina um und wiederholte ihre Frage. »Sorry«, meinte Mark und deutete auf den Toast mit Erdnussbutter und Bananenscheiben. »Wie kannst du am frühen Morgen schon so was essen? Ist mir ein Rätsel, wie du bei dieser Ernährung so schlank bleiben kannst.« Tina griente und klappte die beiden Toastscheiben zusammen. »Hoher Grundumsatz. Also?« »Also was?« Mark zeigte sich irritiert. Tina verdrehte die Augen. »Worum geht es bei dem Auftrag?«, fragte sie und biss in ihr Erdnussbutter-Sandwich. »SHC!«, rief Mark mit leuchtenden Augen. »Hmpf«, machte Tina. * »Wir können froh sein, dass die Charité in Berlin liegt und nicht in irgendeinem kleinen Popeldorf in der Walachei«, sagte Mark, als er und Tina gut sechs Stunden später aus dem Taxi stiegen. Jetzt standen sie mit ihrem spärlichen Reisegepäck, in dem sich größtenteils die Utensilien für ihre Arbeit befanden, vor dem imposanten Bau der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité am Hindenburgdamm in Berlin-Steglitz. Tina warf dem Kriminalbiologen einen amüsierten Seitenblick zu. »Wenn du die Wahl gehabt hättest, ständen wir vermutlich eher in dem walachischen Popeldorf als hier in Berlin.« Mark seufzte und betrat vor seiner Mitarbeiterin die Eingangshalle der Klinik. »Du kennst mich einfach zu gut, Nico.« Die psychiatrische Abteilung war in einem gigantischen kastenförmigen Bau untergebracht, der für Mark den Eindruck machte, als hätte ein Riesenbaby wahllos Bauklötze aufeinandergeschichtet. Die Psychiatrie war erst vor knapp zwei Jahren in dieses Gebäude eingezogen, und auch wenn insgesamt weniger Platz vorhanden war, so war die Ausstattung doch deutlich komfortabler. Mark kannte die Charité von früheren Besuchen, und er hatte auch beruflich schon öfter in Berlin zu tun gehabt. Als freiberuflicher Kriminalbiologe und forensischer Entomologe, der als internationale Kapazität auf seinem Fachgebiet galt, kam er nicht nur deutschlandweit gut herum. Aber die Psychiatrie der Charité-Klinik war selbst für ihn Neuland. Gemeinsam mit Tina begab er sich zum Empfangstresen, der sogenannten Informationszentrale, hinter der eine schlanke Frau mit langen blonden Haaren und blutrot geschminkten Lippen breit lächelnd fragte, was sie für die Neuankömmlinge tun könne. Mit ihrer schwarzen Weste über der weißen Bluse sah sie eher aus wie die Rezeptionistin in einem Hotel, und vermutlich hielt sie das Pärchen, beziehungsweise einen Teil davon, für neue Patienten. Kein Wunder, denn weder Tina noch Mark legten bei ihrem Job sonderlich viel Wert auf Etikette. In ihren Augen waren Kostüm oder Anzug und Krawatte nicht mehr als Blendwerk, das nicht selten über mangelnde Kompetenz hinwegtäuschen sollte. Oder über mangelndes Selbstbewusstsein. Von beidem besaßen die zwei Kriminalbiologen mehr als genug, so dass sie es sich leisten konnten, in Jeans und T-Shirt aufzutreten. Während Tina etwas farbenfroher daherkam und zur Bluejeans ein paar rote Chucks trug, war Mark mal wieder komplett in Schwarz gekleidet. Wobei auf seinem T-Shirt noch das Konterfei eines bekannten Einwohners von Entenhausen zu sehen war, der als Matrose seinen Lebensunterhalt bestritt und einen erheblichen Sprachfehler besaß. Auf Marks kahlgeschorenem Kopf saß, wie immer, wenn er unterwegs war, ein schwarzes Basecap. Vermutlich stufte die Rezeptionistin instinktiv ihn als den Problemfall ein. Um der freundlichen Dame ihre Illusionen nicht zu schnell zu rauben, überließ er Tina das Reden, die gar nicht erst mit der Verlautbarung ihrer Profession herausrückte, sondern stattdessen nur sagte, dass sie einen Termin mit der zuständigen Oberärztin Dr. Nadia Reza hätten. Die...