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E-Book, Deutsch, 330 Seiten
Below Unsere Frühstückspension am Meer
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-8437-3589-6
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Roman | Eine ergreifende Selbstfindungsgeschichte auf der Nordseeinsel Norderney
E-Book, Deutsch, 330 Seiten
ISBN: 978-3-8437-3589-6
Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Christin-Marie Below, Jahrgang 1993, wohnt in Kassel. Hin und wieder findet man sie aber auch auf Norderney, wo sie vor Ort recherchiert. Als Tochter der Autorin Andrea Russo (Anne Barns) wuchs sie umgeben von Geschichten und Büchern auf.
Autoren/Hrsg.
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Kapitel 1
Um mich herum herrscht reges Treiben. Die Menschen zieht es hinaus, die Cafés sind gut besucht. Ich höre Kinderlachen, hupende Autos und Fahrradklingeln. Auf der anderen Straßenseite läuft ein Hund, dicht gefolgt von seinem schweißgebadeten Herrchen auf einem Lastenrad. Die Tür des kleinen italienischen Cafés gegenüber steht offen. Es riecht nach stark gebrühtem Kaffee und den Cornettos, die dort immer frisch gebacken werden. Die mit Pistazienfüllung mag ich am liebsten. Die kleinen runden Tische draußen stehen nebeneinander an der Hauswand, und an jedem sitzen gut gelaunte Menschen. Zwei Frauen lachen laut, ihre Prosecco-Gläser klirren beim Anstoßen. Ein Mann liest Zeitung, das Handy liegt neben ihm auf dem Tisch, während er immer wieder auf die Uhr schaut. Am nächsten Tisch hält sich ein Pärchen an den Händen, ihre Köpfe sind einander zugeneigt, und sie teilen sich ein Stück Tiramisu.
Tom mochte kein Tiramisu. Es war ihm zu süß und zu matschig. Wie konnte ich mich nur in einen Mann verlieben, der nichts Süßes mochte? Kein Tiramisu, keine Schokolade, keinen Vanillepudding, nicht einmal einen einfachen Keks zum Kaffee. Ich presse die Lippen aufeinander und schüttele innerlich den Kopf. Kaffee mochte er auch nicht. Den habe ich immer nur für mich aufgebrüht. Was war er eigentlich für ein Mensch? Wir haben sowieso nicht zusammengepasst, rede ich mir ein.
Mein Blick bleibt an dem Pärchen hängen, während ich mir sage, dass es besser ist, allein zu sein. Nur das Herz will mir nicht glauben. Denn das Lachen, die Zärtlichkeit, all die schönen Dinge, die mir jetzt fehlen, springen mir hier auf diesem Platz von allen Seiten entgegen.
Schnell greife ich in meine Handtasche, setze meine Sonnenbrille auf und gehe mit gesenktem Blick weiter. Bei meinem Glück treffe ich auf dem Weg zu meinem Auto die halbe Nachbarschaft. Und auf Small Talk habe ich jetzt gar keine Lust.
Mein Wagen steht in der nächsten Querstraße. Und da wollte ich so schnell auch eigentlich nicht mehr weg, denn einen Parkplatz in der Nähe der Wohnung zu finden ist hier fast so wahrscheinlich wie ein Sechser im Lotto. Aber im Moment halte ich es nicht mehr aus hier. Ich muss raus.
Am Auto angekommen, lasse ich mich schwer auf den Fahrersitz fallen und schließe einen Moment die Augen. Die vertraute Umgebung meines blassgelben Fiat Punto wirkt tröstlich, wie eine kleine Umarmung. Ich drehe den Schlüssel im Zündschloss, und der Motor brummt laut und unüberhörbar auf, als wollte er sich bemerkbar machen. Meine beste Freundin Jana hat meinen treuen Begleiter vor Jahren liebevoll »Lauto« getauft – ein Wortspiel, das uns immer wieder zum Lachen gebracht hat. Bei dem Gedanken geht es mir gleich ein wenig besser.
»Halt noch ein bisschen durch, Lauto«, murmele ich, während ich das Lenkrad umfasse. Einen neuen Wagen kann ich mir momentan nicht leisten. Dieser kleine Fiat hat mich durch viele Höhen und Tiefen begleitet, und ich hoffe, er bleibt noch eine Weile an meiner Seite.
Ich fahre los und lenke den Wagen durch die belebten Straßen. Menschen eilen mit Einkaufstaschen über die Zebrastreifen, Fahrräder schießen an mir vorbei, und ein Schwarm Tauben erhebt sich flatternd vom Gehweg. Alles ist in Bewegung, auch ich. Aber ich fühle mich, als würde ich auf der Stelle treten. Der Druck in meiner Brust, dieses unangenehme Gewicht, bleibt.
Ohne einen richtigen Plan zu haben, lasse ich die Stadt hinter mir. Die Häuser stehen nicht mehr so dicht beieinander, die Straßen werden breiter, und irgendwann erstrecken sich zu beiden Seiten des Wagens Felder. Ich schalte das Radio ein, suche einen Sender, der meinen Gedanken eine Pause gönnt. Schließlich finde ich ein Lied mit ruhigen Gitarrenklängen. Die Melodie des Songs »Holocene« von Bon Iver füllt den Innenraum, während unter mir die Straßen vorbeirauschen.
Ich öffne das Fenster einen Spalt und lasse die frische Luft herein, die den vertrauten Geruch von Asphalt und Staub vertreibt. Ein leichter Wind streicht mir durchs Haar, und für einen Moment glaube ich, leichter atmen zu können.
Doch das nagende Gefühl bleibt. Es ist nicht nur der Stress, nicht nur die Ungewissheit. Es ist die Leere, die Tom hinterlassen hat und die mich nicht loslässt. Das Gefühl von Freiheit, das ich mir vor Monaten so sehr gewünscht habe, fühlt sich jetzt fremd an – wie ein Raum ohne Wände, in dem ich keinen Halt finde.
Eine Weile fahre ich ziellos, dann kehre ich um und habe plötzlich ein Ziel: den Herkules, das Wahrzeichen Kassels. Ich folge der kurvigen Straße, die sich durch den Wald den Berg hinaufschlängelt, und stelle mein Auto auf dem Parkplatz nahe der Aussichtsplattform ab. Einen Moment bleibe ich noch sitzen, dann steige ich aus und schaue in den wolkenlosen Himmel. Schon als Kind war ich oft mit Oma und Opa hier und habe die mächtige Statue bewundert, die über die Stadt wacht. Es war immer ein Ort, an dem ich mich klein und unbedeutend fühlte, aber auf eine gute Art und Weise – als würde alles, was mich bedrückt, plötzlich nicht mehr so groß erscheinen. Nur am Meer fühle ich mich ähnlich und sogar noch ein bisschen besser.
Die letzten Meter muss ich zu Fuß gehen, einen schmalen, gepflasterten Weg entlang, der sich sanft den Hang hinaufzieht. Links und rechts des Weges ragen hohe, dichte Bäume empor, die an diesem sonnigen Tag mit ihrem Blätterdach nur sporadisch Lichtstrahlen auf den Boden werfen. Der Duft von feuchtem Laub und Erde liegt in der Luft, durchsetzt mit einer leichten Brise, die vom Berg herabweht. Mit jedem Meter spüre ich, wie die Schwere des Alltags ein wenig mehr von mir abfällt.
Endlich erreiche ich den Platz vor dem Herkules. Die riesige Statue erhebt sich über mir, starrt grau und mächtig in die Ferne, unbeeindruckt von allem, was sich unter ihr abspielt. Ich bleibe stehen und schaue schmunzelnd nach oben, auf das steinerne Abbild des Sohnes der griechischen Gottheit Zeus, der auf einem riesigen Oktogon platziert wurde. Für meinen Geschmack schaut er etwas zu erhaben, fast schon arrogant aus, und im Vergleich zu dem riesigen Unterbau ist er ein bisschen mickrig geraten. Das Verhältnis stimmt nicht. Aber trotzdem mag ich ihn.
Ich lasse mich auf eine der Steinbänke sinken, die rund um den Platz herum verteilt sind, und schließe die Augen. Der Wind weht sanft über den Berg, streicht mir durchs Haar. Ich atme tief ein und spüre, wie die kühle Luft meine Lungen füllt. Hier oben ist es immer etwas kälter als unten in der Stadt, wo sich die Hitze besonders gern staut. Es fühlt sich gut an, hier zu sein, ein bisschen so, als wäre mein Herzschmerz nur ein kleines Detail in der langen Geschichte dieses Ortes. Vielleicht ist es das ja auch. Was auch immer in den letzten Monaten passiert ist, was auch immer mit Tom und mir passiert ist, wird mich nicht den Rest meines Lebens runterziehen.
Ich atme noch einmal tief durch, stehe auf und trete ans Geländer und lasse meinen Blick über die Landschaft gleiten. Vor mir öffnet sich ein freier Blick auf die monumentale Kaskade, eine beeindruckende Wasseranlage, die sich wie eine steinerne Treppe den Berg hinunterzieht. Heute fließt zwar kein Wasser, aber die schiere Größe dieser Konstruktion beeindruckt mich immer wieder. Mein Blick schweift weiter. Von hier aus sehe ich die ganze Stadt. Kassel breitet sich vor mir aus wie ein lebendiges Gemälde. Häuser, Straßen und das Grün der Parks. Am Horizont die Berge.
Da höre ich plötzlich ein leises Murmeln, gefolgt von einem in regelmäßigen Abständen wiederkehrenden Klack, Klack, Klack. Ich schaue zur Seite und sehe eine ältere Dame, die langsam die letzten Stufen hinaufsteigt. Ihre Schritte sind gemächlich, aber bestimmt, sie stützt sich auf einen Gehstock aus dunklem Holz, der bei jedem Schritt leise auf den Stein klopft. Wow, denke ich. Sie hat die ganze Treppe geschafft, dreihundert Meter nach oben.
Die Frau trägt einen langen hellen Sommermantel, der leicht im Wind weht, und ein buntes Kopftuch, das ihr Gesicht umrahmt. Ihr Haar ist schneeweiß, und in ihrem Blick liegt etwas Lebendiges, Warmes. Sie erinnert mich an jemanden, aber ich komme im ersten Moment nicht darauf, an wen.
»Schön hier, nicht wahr?« Ihre Stimme ist leise. Sie geht auf die Bank neben mir zu und setzt sich langsam.
»Ja, sehr schön.«
»Ich komme oft hierher«, sagt sie. »Es ist ein guter Ort, um nachzudenken. Manchmal sind die großen Dinge, die uns beschäftigen, gar nicht so groß, wenn man sie von hier aus betrachtet.« Ihre Stimme ist ruhig, als hätte sie diese Worte schon oft gesagt, für andere und vielleicht auch für sich selbst. Und doch wirken sie in diesem Moment wie die tröstlichsten Worte der Welt. »Ich bin Luise.«
Ich lächle. »Schön, Sie kennenzulernen, Luise. Mein Name ist Katharina.«
»Ein schöner Name.« Sie betrachtet mich aufmerksam. »Er bedeutet ›die Reine‹, aber das wissen Sie wahrscheinlich schon.«
»Ja«, sage ich und weiß plötzlich, an wen sie mich erinnert. Die Art, wie sie mich ansieht, das sanfte Lächeln lassen mich an meine Oma denken. Und...