E-Book, Deutsch, 340 Seiten
ISBN: 978-3-7693-4551-3
Verlag: BoD - Books on Demand
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Autoren/Hrsg.
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Claudia Liersch Verlieren, Suchen, Finden
Verlieren
„Bei den FleckschnabelPelikanen ist was los! Da ist Brutzeit! Hast Du gesehen, wie Palita keck ihr Kopfgefieder gestellt hat? Die macht doch die ganze Männerwelt in der Pelikankolonie verrückt“, raunt Jabulani seiner Partnerin Amalaka zu. Die beiden leben zusammen mit ihrem Töchterchen Frieda und vier weiteren Giraffen im Tierpark in Berlin. Jabulani, von allen Jabu genannt, ist ziemlich groß. Er misst 5,50 Meter und hat dadurch einen guten Überblick über den Zoo. Die Baumkolonie der FleckschnabelPelikane hat er ebenso gut im Blick wie die Kamelwiese oder die HimalayaWelt mit den Schneeleoparden und den ständig meckernden Takinen. Diese Bergziegen meinen, immer den neusten Tiergartentratsch zu wissen und machen sich durch ihr vorlautes Gemecker wichtig. Jabu hält nicht viel von dem Geprahle der Takine. Stinkende ziegenartige Tiere mit zu klein geratenem Gehörn, deren Habitus in keinster Weise mit der Anmut einer Giraffe konkurrieren kann. „Nur laut meckern, nichts im Hirn“, sagt sein Blick, den er in diesen Fällen seiner Amalaka zuwirft. Natürlich versteht diese ihren Partner auch ohne Worte, denn „Noblesse oblige“. Doch heute ist Jabu wirklich entsetzt. „Palita ist so ein hübsches Pelikanmädchen. Das gestellte Gefieder und auch noch die leuchtenden Wangen. Das wirkt doch billig. Das hat sie nicht nötig, sich so anzubiedern!“ Die unbefiederten Stellen am Kopf der Pelikane können zur Brutzeit leuchtende Farben annehmen, die nach einigen Tagen wieder verblassen. Diese Reize heizen einige junge Pelikanmänner aus Palitas Kolonie an, Balzrituale aufzuführen, um so Palita zu umwerben und ihr zu imponieren. Dabei recken sie ihre Köpfe und Schnäbel. Und damit Palita sie auch wirklich wahrnimmt, knurren sie lautstark um die Wette. „Hörst du diese Knurr und Grunzgeräusche der Pelikanmänner, meine liebe Amalaka? Das ist doch ekelig, wie können die sich nur so benehmen, wo bleibt denn da die Contenance?“, ereifert sich der Giraffenbulle. „Und jetzt, sieh nur, jetzt blasen sie auch noch ihre Hautsäcke auf. Und was macht Palita? Darf das denn wahr sein? Sie kokettiert und muntert die Herren noch auf! Sie stellt ihr Kopfgefieder und ihre Wangen, schau da hin, die glühen richtig! Da hält die Jungs nichts mehr zurück, wenn das mal gut geht! So ein Luder!“ Amalaka atmet tief durch und zischt mit der ausströmenden Luft im Flüsterton ihrem Partner zu: „Jabu, ich bin entsetzt, geradezu geschockt. Wie kann Palita sich nur so verhalten? Jabulani, wir müssen bei der Erziehung unserer Frieda wirklich sorgfältig sein, damit sie sich während der Pubertät nicht so benimmt. Dabei war doch Palitas Mutter eine sanft und edelmütige Pelikanin, die stolz darauf war, wie wir, in der Freiheit geboren zu sein! Wo kam sie nochmal her? Von den Philippinen oder aus Thailand? Auf jeden Fall war sie anständig und absolut aufrichtig. Nie und nimmer wäre sie, wie Palita, in mehreren Nestern mit zwielichtigen jungen Männern unterwegs gewesen!“ Amalaka wiegt ihren langen Hals und geht stolz erhobenen Hauptes in Richtung Unterstand zu ihrer Tochter. Wenige Tage später. Die Takine meckern und locken die kleine Giraffenfamilie kurz nach Sonnenaufgang aus dem Unterstand. „Jabuuuuuu, weißt Du schon das Neueste?“, meckert eine der Bergziegen. „Nein, aber Du wirst es mir wohl gleich erzählen, ob ich es hören will oder nicht!“, antwortet Jabu und wirft seiner Amalaka einen vielsagenden Blick zu. „Paaaalitaaaaa hat ein Ei gelegt!“ weiß der vorlaute Takin. „Oh, wer hat denn ein Nest für sie gebaut?“ Jetzt ist Jabu doch interessiert. „Pahhhh, sie war wohl in einigen Nestern, meck, meck meck“, munkelt man. „Doch was sie nun gemacht hat, ist wirklich unverzeihlich. Sie hat das Ei aus dem Nest geworfen. Angeblich ein Unfall. Doch es ist nicht zersprungen, es ist in einen Haufen Mist gefallen“, ereifert sich die Himalayaziege. „Oh, was für ein Glück im Unglück“, wispert Jabu und denkt: „Das Ei ist dennoch verloren, das wird Palita nicht mehr annehmen.“ Suchen
José, der stattliche Meerespelikan watschelt von seinem Nest in Richtung großem Wasserbecken, das zu den Gartenanlagen des Tierparks um Schloss Friedrichsfelde gehört. „Ich brauche dringend eine Erfrischung. Mein Nest ist fast fertig. Heute werde ich Fernando fragen, ob er es sich mal ansehen will. Vielleicht kann ich ihn bei der Gelegenheit anbalzen, um ihm so meine Liebe zu gestehen? Ich hoffe, nein, bin mir sicher, er fühlt ebenso wie ich. Sein Federschopf ist etwas länger und er hat gelbliche Flecken am Schnabelansatz von Blütenstaub. Das ist sicherlich ein Signal. Er will mir zeigen, dass er sich vorstellen kann, mit mir ein Nest zu teilen. Weshalb stylt er sich sonst als paarungsbereites Weibchen?“, überlegt José und taucht in das kühle Nass. Meerespelikane sind ausgezeichnete Schwimmer und in der Natur effektive Jäger. Sie können aus zwanzig Metern Höhe wie ein Speer ins Wasser eintauchen, um ihre Beute zu fangen. Doch diese Eigenschaft ist hier im Tiergarten nicht nötig. Hier bringen Heinz und Samet die Fische und die Besucher schauen zu, wie die Pelikane sie mit ihrem Schnabel fangen. Fernando ist entzückt von Josés Balzangebot und beide beziehen ganz verliebt das vorbereitete Nest, das José gut getarnt hinter einem Gebüsch am Rande der Pelikankolonie vorbereitet hat. Mee respelikane sind im Gegensatz zu den FleckschnabelPelikanen Bodenbrüter. Fernando sammelt noch einige Stöckchen und Hölzchen, die José geschickt und mit viel Liebe platziert, ineinander verwebt, so dass die Pelikanherren ein heimeliges Zuhause haben. Sehnsüchtig blicken sie hinüber in die anderen Nester zu den heterosexuellen Pelikanpärchen. Mittlerweile sind viele aus der Vogelkolonie schon stolze Eltern, haben ein Ei, das sie sorgsam gemeinsam ausbrüten. Auch die ersten Küken sind schon geschlüpft und werden liebevoll von ihren Eltern versorgt. Allein José und Fernando sitzen in ihrem Nest, kuscheln sich aneinander. Ihr größter Wunsch, ein Küken großzuziehen, wird dem homosexuellen Paar wohl nie in Erfüllung gehen. Dies versetzt sie in große Traurigkeit. Selbst Heinz und Samet, die beiden Tierpfleger, bemerken ihre melancholische Stimmung und deuten ihre Not richtig. Sie schenken ihnen ein Gipsei. Doch die Sehnsucht und die Suche nach einem Küken kann das künstliche Ei nicht ersetzen. Die anderen Tiere zerreißen sich natürlich das Maul über José und Fernando. Jabu, der Giraffenbulle ist einer der wenigen, der in ihr Nest schauen kann. Es ist sorgsam getarnt. So ist es logisch, dass er, der immer so vornehm tut, die Informationen über ihren Nestbau wohl an die Takine weitergibt. Laut meckernd machen sich die Bergziegen über die depressive Stimmung der beiden Pelikane lustig, so dass die zwei zeitweise das Gespött des gesamten Tierparks sind. Finden
Die Pfleger Heinz und Samet entfernen mit einer Gabel bei der kleinen FleckschnabelPelikanKolonie den Vogelmist und laden ihn in eine Schubkarre. „Schau Heinz, hier liegt ein Ei mitten im Mist!“, ruft Samet aufgeregt. „Das muss ein FleckschnabelPelikanEi sein, du erkennst es an dem Muster der Eischale“, erklärt Heinz und nimmt es hoch. „Was machst du da? Du kannst das Ei doch nicht anfassen! Die Tiere nehmen das nicht mehr an“, erwidert Samet entsetzt. „Dafür ist es eh zu spät! Kein Pelikan nimmt ein Ei an, das aus dem Nest gefallen ist. Dazu noch in stinkenden Mist! Es ist verloren. Aber es scheint unversehrt zu sein und es ist noch warm. Wir legen es in den Brutschrank, vielleicht hat das Küken eine Chance,“ schlägt Heinz vor. „Meinst du, es gehört Palita?“ überlegt Samet laut und Heinz erwidert: „Möglicherweise, von ihrem Alter her würde es passen. Es wäre ihr erstes Ei. Da sind die Pelikane oft noch etwas unbeholfen!“ Zwei Tage später. Samet und Heinz füttern die Meerespelikane und sehen wie die verzweifelten José und Fernando, die Flügel ineinander untergehakt, gemeinsam das Gipsei aus dem Nest rollen. „Sie geben auf“, sagt Heinz ebenso resigniert und ratlos. „Du Heinz“, meint Samet, ich hab‘ da eine Idee. Denkst du, die beiden würden das FleckschnabelPelikanEi ausbrüten? Ich weiß, es riecht inzwischen nach Mist und Mensch! Aber dennoch, ich finde, einen Versuch wäre es wert!“ Heinz kratzt sich am Hinterkopf. Eine typische Geste, wenn er unentschlossen ist und nachdenkt. „Ok, lass es uns probieren!“ Er holt das gewärmte Ei aus dem Brutschrank und schiebt es langsam dem Pelikan Fernando, der im Nest sitzt, unter das Gefieder. Fernando fühlt die Wärme des Eis. Ungläubig schaut er den Tierpfleger an, der sanft auf ihn einredet. „José komm, schnell komm, wir haben ein Ei!“, grunzt er freudig. Die beiden Pelikane strahlen über das ganze Gesicht....