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E-Book, Deutsch, 200 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
Behnke Lernmythen aufgedeckt
1. Auflage 2025
ISBN: 978-3-648-18395-3
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Wie wissenschaftliche Evidenz effektives Lernen und Praxistransfer im Unternehmen fördert
E-Book, Deutsch, 200 Seiten, E-Book
Reihe: Haufe Fachbuch
ISBN: 978-3-648-18395-3
Verlag: Haufe
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
Dr. Yvonne Konstanze Behnke, Expertin für Learning & Development, kombiniert multidisziplinäres Wissen aus Strategie, Didaktik und KI-Anwendungen. Mit 8 Jahren Forschung und Lehre an der Humboldt-Universität Berlin, über 20 Publikationen und 30 Konferenzbeiträgen, spezialisiert sie sich auf KI in Wissensarbeit und L&D, optimiert Arbeitsprozesse und vermittelt begeistert ihr Wissen als AI-Trainerin.
Autoren/Hrsg.
Fachgebiete
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Bereichsspezifisches Management Personalwesen, Human Resource Management
- Wirtschaftswissenschaften Betriebswirtschaft Coaching, Training, Supervision
- Sozialwissenschaften Pädagogik Lehrerausbildung, Unterricht & Didaktik Methoden des Lehrens und Lernens
- Sozialwissenschaften Pädagogik Teildisziplinen der Pädagogik Erwachsenenbildung, lebenslanges Lernen
Weitere Infos & Material
2.1 Lerntypen – hartnäckig wie Kaugummi am Schuh
Wenn ich der visuelle Typ bin – lerne ich dann Fahrradfahren am schnellsten über Youtube-Videos?
2.1.1 Was ist der Mythos?
Menschen sind entweder auditiv, visuell, haptisch oder kognitiv Lernende. Mithilfe eines Lerntypentests erfährst du im Handumdrehen, welcher Lerntyp du bist. Sind Lernmedien, Lernmethoden und Lernumgebungen auf deinen Lerntyp angepasst, lernst du besser.
2.1.2 Was ist der Haken?
Lerntypen sind seit Langem wissenschaftlich widerlegt. Trotzdem gehören sie zu den am weitesten verbreiteten und sich am hartnäckigsten haltenden Lernmythen. Es gibt Forschende, die sie als »Zombies« unter den Lernmythen bezeichnen, weil sie immer wieder »auferstehen«. Aus der Vielzahl der Papers, die Lerntypen widerlegen, habe ich dir eine kleine Auswahl in den Quellen aufgelistet.
Lerntypentests sind wenig hilfreich. Sie haben die Aussagekraft eines Horoskops, vor allem wenn Lernende den Test selbst durchführen und auswerten.
Ein Grund dafür ist der sogenannte Bestätigungsfehler (Confirmation Bias): Wir tendieren dazu, Informationen so zu filtern, dass sie unsere Überzeugungen bestätigen, und gegenteilige Fakten zu ignorieren. Bin ich beispielsweise überzeugt, ein visueller Typ zu sein, tendiere ich dazu, die Testfragen so zu beantworten, dass meine Überzeugung bestätigt wird. Hinzu kommt der Barnum-Effekt. Er besagt, dass wir aus allgemein gehaltenen Aussagen gern einen für uns passenden Aspekt herausfiltern und deshalb meinen, dass diese Aussage auf uns zutrifft.
Trotz gegenteiliger wissenschaftlicher Fakten glauben viele Menschen (auch aus dem Bildungsbereich) nach wie vor an die Wirksamkeit der Lerntypen. Sie sind auch heute noch Lerninhalt von Aus- und Weiterbildungen für Trainerinnen und Lehrkräfte. Du begegnest ihnen in Trainings, Büchern und digitalen Lernumgebungen. In sozialen Netzwerken wie LinkedIn und Instagram erfreuen sie sich ebenfalls großer Beliebtheit, oft illustriert mit hübschen Grafiken.
Bis du eher der visuelle oder der auditive Typ?Der Glaube an Lerntypen ist besonders unter Lehrkräften und Lehramtsstudierenden verbreitet. Ich habe dir dazu eine Metastudie von Newton und Salvi (2020) in den Quellen aufgelistet.
2.1.3 Der Ursprung
Der Ursprung der Lerntypen reicht bis in die 1970er-Jahre zurück. Der deutsche Biochemiker Frederic Vester machte das Konzept 1975 mit seinem Buch »Denken, Lernen, Vergessen« populär. Er stellte die Hypothese der Existenz von Lerntypen auf. Sein Buch legte den Grundstein für die spätere Verbreitung der Lerntypen. Inzwischen gibt es zahlreiche Varianten und Weiterentwicklungen wie z.?B. die VARK-Klassifikation von Flemming aus 1980er-Jahren. VARK steht für visuell, auditiv, read/write und kinästhetisch.
2.1.4 Die Fakten
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Beim Lernen geht es darum, Lerninhalte aktiv kognitiv zu verarbeiten und zu verstehen – unabhängig davon, mit welcher Medienform oder Methode diese präsentiert werden.
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Individuelle Präferenz bedeutet nicht automatisch Effektivität. Nur weil man Sahnetorte lieber mag als Brokkoli, ist Sahnetorte nicht gesünder.
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Studien belegen, dass die Anpassung von Lernmedien, -methoden und -umgebungen an Lerntypen weder lernförderlich ist noch den Lernerfolg verbessert (u.?a. Coffield et al., 2004 und Pashler et al., 2008, Hattie, 2012).
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Lernerfolg ist von vielen Faktoren abhängig. Lernprozesse werden unter anderem durch das Vorwissen, das Lernthema, die Motivation und die Lernumgebung der Lernenden beeinflusst.
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Wir lernen selten nur mit einem Sinneskanal. Meist lernen wir mit Mischformen wie z.?B. mit Bild-Text-Kombinationen in einem Buch, indem wir zuhören und uns Notizen machen oder wenn wir etwas anschauen und dann nachmachen.
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Lernen mit Bild und Text gemeinsam ist effektiver als nur mit Bildern oder nur mit Text. Dieses Multimedia-Prinzip (Mayer, 2020) ist gut erforscht. Das Prinzip widerspricht damit dem Konzept der Lerntypen, z.?B. für visuell Lernende nur Bilder bereitzustellen.
Herausforderung: Sinnvolle Integration von Bild und Text
Studien zeigen, dass viele Lernende Schwierigkeiten haben, Bild- und Textinformationen sinnvoll im Lernkontext zu integrieren. Diese Herausforderung kannst du durch gezielte Unterstützung adressieren, z.?B. indem du Lernmedien nach wissenschaftlichen Prinzipien erfolgreichen multimedialen Lernens gestaltest.
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Gefahr des Schubladendenkens und der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Die Einteilung in Lerntypen kann dazu führen, dass Lernende ineffektive Lernstrategien entwickeln und ihr Potenzial nicht ausschöpfen, weil sie sich auf ihren vermeintlich optimalen Lernkanal verlassen und für das Lernthema effektivere Lernstrategien ignorieren. Teilen wir Lernende in Lerntypen ein, besteht die Gefahr, dass wir sie in eine Schublade stecken und Potenziale nicht ausschöpfen wie z.?B.: »Das ist ein auditiver Lerntyp, also empfehle ich ihm dieses hilfreiche Buch besser nicht.«
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Was wir glauben zu tun und wie wir es tun, ist nicht immer dasselbe! Das gilt auch für Lerntypentests. Sie haben oft die Aussagekraft eines Horoskops. Es lebe der Confirmation Bias und der Barnum-Effekt. Wir neigen dazu, die Fragen in solchen Tests nicht objektiv zu beantworten, sondern entsprechend unserer bereits getroffenen Vorannahmen und Überzeugungen und erkennen uns in allgemein gehaltenen Aussagen wieder (siehe oben).
Visuelle Typen, die Bilder ignorieren?
Eine kleine Geschichte dazu: In einem Forschungsprojekt habe ich untersucht, wie Lernende die Seiten eines Schulbuchs betrachten, während sie eine Aufgabe aus dem Buch lösen.
Unter anderem fragte ich sie, welches Medium sie beim Lernen gerne nutzen, z.?B. Fotos oder Text. Viele antworteten, sie bevorzugten Bilder und würden kaum auf den Text schauen.
Dann lösten die Probanden eine Aufgabe aus dem Schulbuch, während ich deren Augenbewegungen aufzeichnete. Mithilfe von Eyetracking kann man die Reihenfolge, Dauer und Intensität messen, mit der Lernende Elemente einer Schulbuchseite betrachten.
Als wir die Aufzeichnung anschließend gemeinsam anschauten, gab es Erstaunen. Häufig war es umgekehrt! Bilder wurden kaum beachtet und viele Lernende holten sich die Informationen zur Lösung der Aufgabe aus dem Text.4
Wenn dich meine Studien zu diesem Thema interessieren: Am Ende des Buches findest du eine Publikationsliste, oder schau auf meine Website.
2.1.5 Der wahre Kern des Lerntypenmythos und was wir daraus lernen können
Frederic Vester hat eine wichtige Diskussion über individuelle Unterschiede in der Art und Weise, wie wir lernen, angestoßen.
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Menschen haben unterschiedliche Vorlieben beim Lernen und können auf verschiedene Art und Weise lernen. Der eine mag Podcasts, die andere ist eine Leseratte. Manche sind beides zugleich.
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Nach der Dual-Coding-Theorie von Allan Paivio (siehe Quellen unten) nehmen wir Bild- und Textinformationen mit zwei unterschiedlichen Kanälen wahr. Haben wir erfolgreich gelernt, wurden die Informationen aus beiden Kanälen verbunden, mit unserem Vorwissen verknüpft und zu einem kohärenten Modell im Langzeitgedächtnis zusammengefügt (Kohärenzbildung).
2.1.6 Was funktioniert stattdessen?
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Gestalte Lernumgebungen so, dass sie eine schnelle und sinnvolle Verknüpfung von zusammengehörigen Bild- und Textinformationen fördern. Nutze dafür wissenschaftlich fundierte Modelle zum erfolgreichen multimedialen Lernen aus der pädagogischen Psychologie wie die Multimedia-Prinzipien von R. E. Mayer (siehe Quellen unten). Viele dieser Prinzipien beruhen auf alten, bewährten Gestaltungsprinzipen z.?B. aus der Gestalttheorie von Max Wertheimer. Dazu gehört z.?B. das Prinzip der Nähe, das besagt, dass zusammengehörige Bild- und Textinformationen in enger räumlicher Nähe präsentiert werden sollten.
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Bild und Text zusammen, sinnvoll aufeinander abgestimmt, sind lernwirksamer als Bild oder Text allein (Multimedia-Prinzip).
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Kenne deine Lernenden! Was weißt du über deine Lernenden, ihr Vorwissen, ihre Vorlieben, ihre Lernbedürfnisse und Interessen? Führe eine gründliche Bedarfsanalyse durch, bei der du diese Informationen in Erfahrung bringst. Gestalte auf der Grundlage dieser Informationen eine für deine Lernenden passgenaue Lernumgebung.
Tipp
Befrage deine Zielgruppe, Fachexpertinnen aus der Praxis sowie erfahrene Trainer, die dein geplantes Lernthema vermitteln. Diese Insiderinformationen helfen dir, eine für deine Zielgruppe relevante und passgenaue Lernumgebung zu entwickeln.
Lernumgebungen und Trainings, die auf unzutreffenden Vorannahmen basieren, verursachen zusätzliche Korrekturschleifen und kosten damit Zeit und Geld. Außerdem besteht die Gefahr, dass sie von den Lernenden nicht akzeptiert und genutzt werden (Scrap Learning) und/oder es findet kein Praxistransfer...