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E-Book, Deutsch, 392 Seiten
Handlungsspielräume für eine individuelle Lebensführung in Wohnangeboten
E-Book, Deutsch, 392 Seiten
ISBN: 978-3-17-040722-0
Verlag: Kohlhammer
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
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Glossar
Ambulant/Stationär
Bis zum Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) wurden Wohnformen danach unterschieden, ob man mit relativ wenig Assistenz in einer Wohnung oder Wohngemeinschaft leben kann (ambulant) oder aber viel Assistenzbedarf hat, was i.?d.?R. gleichbedeutend mit dem Wohnen in stationären Angeboten war (»rund um die Uhr versorgt«, in einer Wohngruppe in einem oder angegliedert an ein Wohnheim). Mischformen gab und gibt es, sie haben sich aber nicht bundesweit durchgesetzt. Das BTHG gibt keine Legaldefinition für die bisherigen stationären Einrichtungen der Eingliederungshilfe mehr vor, sie werden aber i.?d.?R. als »besondere Wohnformen« bezeichnet. Ambulantes Wohnen existiert als Begriff im Gesetz nicht mehr, sondern fällt unter die Assistenzleistungen zur sozialen Teilhabe. Wir verwenden die Begriffe ›ambulant‹ und ›stationär‹ mit einfachen Anführungsanzeichen: Zum einen galten zum Untersuchungszeitpunkt diese Bezeichnungen noch und wesentlich verändert hat sich die Angebotslandschaft seitdem auch nicht. Zum anderen wollen wir damit signalisieren, dass es problematische Trennungen sind, weil jede Wohnform ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen sollte und es eher um die Logik der Leistungserbringung geht (eher an der Institution oder eher an der Person orientiert). ›Herausfordernde Verhaltensweisen‹
Der Begriff ›herausfordernde Verhaltensweisen‹ wird hier unter der Prämisse der Anschlussfähigkeit an den im angloamerikanischen Fachdiskurs geprägten Terminus ›Challenging Behaviour‹ nach Emerson und Einfeld (2011) verwendet. Im Speziellen erfolgt die Begriffsnennung mit Blick auf die von Feuser (2008) aufgeworfene Nuancierung durch den Begriff Verhaltensweisen, der gegenüber dem Begriff Verhalten stärker hervorhebt, dass es um soziale Zuschreibungsprozesse geht, die in hohem Maße auch Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen betreffen (vgl. Bradl 2018, S. 5). Die einfachen Anführungszeichen sollen verdeutlichen, dass der Begriff keine Eigenschaft der Menschen meint, sondern seine Verwendung stark kontext-, person- und situationsabhängig ist. Emerson (1995) bezieht sich zusätzlich auf die ernsthafte Fremd- oder Selbstgefährdung im Zuge gezeigter ›herausfordernder Verhaltensweisen‹, gemeint sind vor allem sogenannte aggressiv-ausagierende Verhaltensweisen (vgl. Dieckmann et al. 2007, S. 16?f.). Wir schließen auch ängstlich-gehemmte Verhaltensweisen ein, die sich als ›Rückzug‹ oder ›in sich gekehrt sein‹ äußern können. Sie muten nicht bedrohlich an, dennoch sind sie als herausfordernd anzuerkennen, weil sie die individuelle Teilhabe am Leben im Gemeinwesen erheblich einschränken können (vgl. Dieckmann et al. 2007, S. 17). Komplexe Beeinträchtigung
Die Bestimmung von komplexer Beeinträchtigung, wie sie hier für die Untersuchung leitend geworden ist, löst sich von Abgrenzungen anhand einer bestimmten ›Behinderungsart‹. Stattdessen stehen Gemeinsamkeiten der Lebenswirklichkeit im Blickpunkt, die sich in besonders hohen Risiken der Exklusion, der sozialen Abhängigkeit und von Belastungserfahrungen zeigen. Entsprechend wurden in die Untersuchung Menschen unabhängig von einem ›Etikett‹ wie z.?B. ›geistig beeinträchtigt‹ einbezogen. Komplexe Beeinträchtigungen ergeben sich nach unserem Verständnis, wenn – unabhängig von der Frage des Vorliegens einer oder mehrerer ›Schädigungen‹ – nicht nur eine funktionale Einschränkung z.?B. der Bewegung vorliegt, sondern weitere Bereiche wie z.?B. das emotionale Erleben oder die Wahrnehmung betroffen sind, ohne dass diese zwangsläufig mit der ›Schädigung‹ in Verbindung stehen oder aus ihr hervorgehen müssen. Entsprechend können Menschen mit komplexen Beeinträchtigungen von individuell höchst unterschiedlichen und vor allem unterschiedlich zusammenwirkenden Einschränkungen betroffen sein, die immer Folge eines multifaktoriellen Wechselspiels und entsprechend sozial mit bedingt sind. Komplexe Beeinträchtigungen können zu Behinderung im Sinn erschwerter Teilhabe führen. Die Gefahr besonders hoher Exklusionsrisiken und Einschränkungen gleichberechtigter Lebensführung besteht vor allem dann, so unsere These, wenn die Diskrepanz zwischen der psycho-physischen Disposition und situativen Anforderungen in basalen Bereichen der Lebensführung erheblich ist und dies zu objektiven und subjektiv erlebten Belastungen sowie hoher sozialer Abhängigkeit führt (Beck & Franz 2019, S. 147). Personenzentrierung und Personenorientierung
Der Begriff Personenorientierung wird in Anlehnung an Walter Thimm verwendet, der in den 1980er Jahren sein Modell einer gemeindenahen Behindertenhilfe mit dem Ziel entwickelte, gleichberechtigte Kommunikations- und Interaktionsstrukturen und eine individuelle Lebensführung zu ermöglichen anstatt die Lebensführung den Mitteln und Zielen der Organisationen unterzuordnen und anzupassen. Dazu gehören die umfassende Erhebung und Umsetzung des individuellen Assistenzbedarfs, die Stützung und Förderung sozialer Beziehungen und der Partizipation sowie die Veränderung der Angebotsstrukturen. Das ist der Kern des unseres Wissens nach von ihm erstmals so bezeichneten Wandels von der institutionellen zur personalen, an der alltäglichen Lebensführung ausgerichteten Orientierung (Thimm 1989). Der Begriff Personenzentrierung stammt aus der Psychiatrie und setzt am gleichen Problem an, der institutionellen ›Unterbringung‹ von Menschen ohne Berücksichtigung normaler Lebensvollzüge, bezieht sich aber vor allem auf die Erhebung und Umsetzung des individuellen Assistenzbedarfs. Mittlerweile findet er sich im BTHG und bezieht sich hier in erster Linie auf die Ausrichtung der Leistungen an der Lebenslage der Adressat:innen sowie eine bedarfsdeckende, einheitliche Leistungsgewährung. Überall, wo die fachliche Bedeutung gemeint ist, wird Personenorientierung verwendet und Personenzentrierung nur dann, wenn es explizit um das Geschehen der gesetzlichen Leistungssteuerung nach dem BTHG geht. Teilhabe-, Gesamtplanung des Trägers und individuelle Assistenzplanung des Anbieters
Teilhabe- und Gesamtplanung beschreibt die Prozesse der Erhebung und Planung individueller Teilhabeleistungen nach dem BTHG auf administrativ-leistungsrechtlicher Ebene der Leistungsträger. Assistenzplanung und Teilhabemanagement sind auf der Ebene der Leistungserbringer angesiedelt und beschreiben den Prozess der Implementation des Gesamtplans in konkrete Assistenzleistungen anhand von Verfahren und Instrumenten (auch: individuelle Teilhabeplanung, Teilhabemanagement, Assistenzplanung, persönliche Zukunftsplanung etc.). Unterstützte/Alternative Kommunikation
Unterstützte Kommunikation umfasst laut Kristen alle pädagogischen und therapeutischen Angebote und Maßnahmen, um Menschen mit sehr unterschiedlich ausgeprägten Einschränkungen im Erwerb kommunikativer und sprachlicher Kompetenzen sowie erheblich eingeschränkten oder fehlenden Fähigkeiten zur lautsprachlichen Äußerung eine Erweiterung resp. Verbesserung kommunikativer Möglichkeiten anzubieten (vgl. Kristen 2002, S. 15). Der deutschsprachige Begriff knüpft an die im internationalen Fachdiskurs gängige Bezeichnung Augmentative and Alternative Communication (AAC) an. Der Terminus AAC meint den systematischen und planvollen Einsatz von Kommunikationsformen in Ergänzung oder als Ersatz zur Lautsprache. Untersuchungsstandort
Die IMPAK-Untersuchung fand an zehn Untersuchungsstandorten statt, gelegen in fünf Bundesländern. Alle Untersuchungsstandorte sind Wohnhäuser, von denen es zwei Typen gibt: a) einzig für die untersuchten Adressat:innen. In dem Fall ist der Untersuchungsstandort = Haus = Untersuchungseinheit. b) Es leben noch weitere Adressat:innen in einer oder mehreren Gruppen im Haus. Untersuchungseinheit ist in dem Fall eine Wohngruppe im Haus. Angaben zur Infrastruktur, Lage, Organisationsstrukturen, Konzepten usw. beziehen sich immer auf das Haus als Ganzes. Angaben zu den Adressat:innen beziehen sich immer auf die Untersuchungseinheit. Literatur
Beck, I. & Franz, D. (2019): Personorientierung bei komplexer Beeinträchtigung. Herausforderungen für Handlungsspielräume und bedarfsgerechte Unterstützungssettings. In: Teilhabe, 58 (4), Marburg: Lebenshilfe-Verlag Teilhabe, S. 146?–?152. Bradl, C. (2018): IMPAK-Workshop »Herausforderndes Verhalten«. 19.?12.?2018, Universität Hamburg. Unveröffentlichtes Arbeitspapier. Dieckmann, F., Haas, G. & Bruck, B. (2007): Herausforderndes Verhalten bei geistig behinderten Menschen – zum Stand der Fachdiskussion. In: F. Dieckmann & G. Haas (Hg.): Beratende und therapeutische Dienste bei geistiger Behinderung und herausforderndem Verhalten (S. 15?–?419. Stuttgart: Kohlhammer. Emerson, E. (1995): Challenging Behaviour: Analysis and Intervention in People with Intellectual...