E-Book, Deutsch, 187 Seiten
Reihe: Reden reicht nicht!?
Belastungen verarbeiten – Selbstheilungskräfte unterstützen mit Kindern, Jugendlichen und jüngeren inneren Anteilen
E-Book, Deutsch, 187 Seiten
Reihe: Reden reicht nicht!?
ISBN: 978-3-8497-8459-1
Verlag: Carl-Auer Verlag GmbH
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark
In der Behandlung ermöglicht Brainspotting eine verbesserte Selbstregulation – Blockaden werden gelöst, Symptome können integriert, Emotionen und Erinnerungen besser be- und verarbeitet werden. Eingebettet in die persönliche Beziehung zwischen Behandler:in und Klient:in, machen Gehirn und Körper die Lernerfahrung: Wenn ich dies oder jenes im Hier und Jetzt (noch einmal) erlebe oder spüre, passiert mir nichts.
Die erfahrene Psychologin und Psychotherapeutin Monika Baumann erklärt anschaulich und klar die Grundlagen des Brainspotting und fokussiert darauf, wie die Technik unter Einbezug des Körpergefühls und der visuellen Orientierung in jegliche Art von Behandlung eingebettet werden kann. Den praktischen Kern des Buches bildet die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie die Teilearbeit mit Erwachsenen.
Autoren/Hrsg.
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2 Vom Beginnen bis zum Beenden einer Brainspotting-Sitzung: Ablauf, Instrumente und Prozess
In den nachfolgenden Abschnitten 2.1 bis 2.4 werden wichtige theoretische Grundlagen des Brainspotting und die verwendeten Hilfsmittel beispielhaft anhand einer Brainspotting-Sitzung erläutert. Es wird dabei postuliert, dass es sich um erwachsene, eigenständige Klient:innen handelt. Die Inhalte beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf die Literatur und Seminare von David Grand (vgl. z. B. Grand 2013, 2009a, 2009b). Die visuelle Darstellung in Abschnitt 2.5 bringt den Ablauf des Brainspotting-Prozesses noch einmal auf den Punkt. Ein Abschnitt mit häufig gestellten Fragen und Antworten (FAQs) schließt dieses Kapitel ab (Abschn. 2.6). 2.1 Der Beginn
2.1.1 Erklärungen zur Auflösung von Traumasymptomen
Wo und wie auch immer wir unsere Klient:innen treffen, geschieht dies, weil sie eine Belastung spüren oder ein Symptom zeigen. Brainspotting kann ihnen helfen, von der Dysbalance wieder in Balance zu kommen. Wenn wir in sehr vereinfachter Form versuchen den Klient:innen zu erklären, wie das Gehirn ein traumatisches Ereignis verarbeitet und wie Traumasymptome entstehen, können die bestehenden Symptomatiken mit einbezogen werden. Wenn jemand z. B. Schlafstörungen hat, wie das bei Herrn B. der Fall war, spricht man zuerst über die Symptomatik und erläutert dann, wie das limbische System mit seinen Reaktionen von Flucht, Kampf oder Erstarrung auf verletzende Ereignisse antwortet: »Im Moment des traumatischen Erlebens waren die unbewussten Reaktionen (in diesem Fall das Wachbleiben) gut und wichtig. Manchmal bleiben Menschen aber in diesen Reaktionsmustern hängen. So ist Schlaflosigkeit oft der Versuch, hoch aufmerksam zu bleiben. Diese sogenannte Hypervigilanz soll dann dafür sorgen, dass einem nichts passiert.« Indem diese Zusammenhänge hergestellt werden, bekommen Klient:innen die Information, dass ihr Gehirn sie weiterhin schützen will, es aber zu intensiv und zu lange in diesem Modus verharrt. Mit dieser Erklärung, dass das Symptom eigentlich eine natürliche und an sich gute Reaktion des Gehirns darstellt, wird bereits an der Akzeptanz gearbeitet, die eine gute Grundlage dafür ist, Motivation für die Behandlung zu erlangen. Denn oft wissen die Klient:innen gar nicht, was der Auslöser ihres Belastungssymptoms war. Wenn sie die Erklärung annehmen können, dass das Gehirn einfach nur in dieser Verhaltensschleife hängen geblieben ist, also blockiert, weil es das Gefühl, das so belastend war, nicht ins Gefühlszentrum integrieren möchte, ist ein wichtiger Schritt getan. Wir helfen den Klient:innen weiter, indem wir ihnen vorschlagen, noch einmal genauer hinter das Symptom zu schauen: »Ich schau gern mit Ihnen noch einmal dort hin. Lassen Sie uns einen Blick auf die vorliegende Symptomatik werfen – schauen wir gemeinsam, was dahintersteckt.« Wenn unsere Klient:innen (noch mal) hinschauen und nichts passiert, kann Integration stattfinden, und wie Aristoteles so schön schreibt: »Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel richtig setzen.« 2.1.2 Vorschläge zur Erklärung von Brainspotting
Wir können heute der Hypothese vertrauen, dass das visuelle System und das Orientierungssystem eine entscheidende Rolle bei der Integration von Traumafolgestörungen darstellen. Schon Hildegard von Bingen hat vor 1.000 Jahren den Satz geprägt: »Wo du hinschaust, beeinflusst, wie du dich fühlst!« Um Ihnen ein Gefühl dafür zu geben, schlage ich Ihnen eine kleine Übung vor. Körper-Übung Ermuntern Sie Ihre Klient:innen anfangs zu einer Übung – auch Sie dürfen diese gleich ausprobieren: »Denken Sie bitte an eine Körperstelle, an der Sie sich wohlfühlen (Körperressource). Sobald Sie so eine Körperstelle für sich gefunden haben, drehen Sie Ihren Kopf nach links und verweilen dort 30 Sekunden. Dies wiederholen Sie mit weiteren Kopfhaltungen: erst mittig nach vorne und dann nach rechts. Versuchen Sie dabei jedes Mal, das gute Körpergefühl zu spüren. Wo haben Sie es am angenehmsten wahrgenommen?« Ein Großteil der Menschen empfindet eine spezielle Orientierungsrichtung als besonders angenehm. In der Neurobiologie gibt es neben zunehmend mehr Erkenntnissen und neuem Wissen immer auch noch viele Hypothesen. Wir wissen, dass unsere Augen Lichtsignale empfangen, die mittels unzähliger Verbindungen durch das Gehirn ins Sehzentrum im Hinterkopf transportiert werden, wo schließlich Bilder entstehen. Beim Brainspotting macht man sich diese Verbindungen zunutze. Durch das Hinschauen, sowohl physiologisch als auch emotional, werden Erinnerungen aktiviert. Oft waren diese bislang nicht bewusst, sondern rein physiologische Abspeicherungen. Es wird angenommen, dass das Betrachten eines Punktes dieses Gefühl wieder aktivieren kann. Erneutes Hinschauen in einem sicheren Rahmen stellt somit eine Lernerfahrung dar, die wahrscheinlich das Lösen von Blockaden und deren Integration erlaubt. Den Klient:innen gegenüber können Erklärungen eher kurz gehalten werden. Eine zu rationale Herangehensweise kann meiner Erfahrung nach der Heilung im Wege stehen. Es empfiehlt sich, die Klient:innen mit der eingangs beschriebenen Körper-Übung ohne Umschweife ins Spüren zu bringen. So können sie unmittelbar wahrnehmen, dass Körper und Emotionen eine Einheit darstellen. Jüngere Forschungsergebnisse und Erfahrungsberichte gehen immer mehr in die Richtung, dass alles, was wir emotional erleben, im Körper abgespeichert wird, und alles, was wir körperlich erfahren, emotional erlebt werden darf. Nachzulesen ist dies etwa bei Levine (2007), Siegel (2010) oder B. van der Kolk (2015). Aus diesem Wissen und den Erfahrungen wird Folgendes postuliert: »Brainspotting ist ein körperorientiertes Behandlungsverfahren mit emotionalen Auswirkungen.« 2.1.3 Den passenden »haltenden Rahmen« setzen
Im Brainspotting spricht man davon, »um den Behandlungsprozess einen haltenden Rahmen zu spannen«. Ähnlich wie manche Gemälde breit und andere schmal eingefasst sind, passen wir den Behandlungsrahmen dem emotionalen Zustand unserer Klient:innen an. Als Behandler:in setzt man diesen Rahmen weiter oder enger, je nachdem, wie das Gegenüber erlebt wird. Ein Beispiel: Man kann bei einem weiteren Rahmen direkt in die Belastung gehen, wenn die Klient:in stabil genug eingeschätzt wird, oder aber mit einem engeren Rahmen erst an den Ressourcen arbeiten und so den Verarbeitungsprozess gut halten. Ein weiterer Rahmen bedeutet, dass Sie als Therapeut:in Vertrauen in die Stabilität Ihrer Klient:in haben. Es kann direkt zum Symptom und den damit einhergehenden Belastungen »geschaut« werden (vgl. Aktivierungszugang, Abschn. 2.2.5). Ein enger Rahmen wird hingegen gewählt bei Klient:innen, die aktuell schwer belastet erscheinen oder die von ihren Emotionen leicht überwältigt werden. Dies kann z. B. bedeuten, dass wir nur einen kleinen Teil an Belastung wählen oder eine Stabilisierungs- bzw. Ressourcenaktivierung miteinbeziehen. Es kann auch mal nur über die Ressource gearbeitet werden. In jedem Fall werden Stabilisierung und Ressourcenaktivierung miteinbezogen, um der Klient:in ein größtmögliches Gefühl von Sicherheit zu erhalten (vgl. Ressourcenzugang, Abschn. 2.2.5). Der Rahmen kann auch während einer Sitzung enger oder weiter gemacht werden. Dies wiederum bedeutet, dass man zum Beispiel von der Arbeit an einer Ressource hin zur Belastung schauen kann. Es werden zwei »Arten der Rahmung« unterschieden: Im Brainspotting wird den Klient:innen sowohl auf der Ebene der Klienten-Therapeuten-Beziehung als auch auf neurobiologischer Ebene ein haltender Rahmen zur Verfügung gestellt. Wir sprechen hier auch vom »Setzen des doppelten Rahmens« (Grand 2013, S. 59 ff.). Mit der neurobiologischen Rahmung bezieht sich die Therapeut:in auf das Gegenüber in seinem jeweiligen Zustand. Bei Klient:innen, die beispielsweise verkrampft sind, den Kopf hängen lassen und die Schultern nach vorne ziehen, kann man vermuten, dass eine schwerer wiegende Symptomatik vorliegt. Wenn eine Klient:in hingegen strahlend, offen und mit aufrechtem Gang hereinkommt, gehen wir intuitiv davon aus, dass diese Person stabil ist. So hat der Körper vermutlich bereits Auskunft darüber gegeben, wie mit dieser Person gearbeitet werden kann. Das hohe Vertrauen der Behandler:innen in die Neuroplastizität des Gehirns ihrer Patient:innen bedeutet auch, dass Veränderung möglich ist und somit Traumaintegration machbar. Der beziehungsorientierte Rahmen: Dieser Rahmen spannt sich um die Beziehung von Klient:in und Therapeut:in. Eine gute Verbindung ist wesentliche Voraussetzung dafür, »hinschauen« zu dürfen. Wenn die Beziehung so gestaltet...