E-Book, Deutsch, 399 Seiten
Bangs / Marcus Psychotische Reaktionen und heiße Luft
1. Auflage 2011
ISBN: 978-3-86287-002-8
Verlag: Fuego
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Rock'n'Roll als Literatur und Literatur als Rock'n'Roll - Ausgewählte Essays
E-Book, Deutsch, 399 Seiten
ISBN: 978-3-86287-002-8
Verlag: Fuego
Format: EPUB
Kopierschutz: 0 - No protection
Lester Bangs ist 'die' große Rock-Kritiker-Legende in Amerika. Geboren 1948, arbeitete er ab 1971 fünf Jahre lang beim Rockmagazin Creem und beeinflusste mit seinem neuen subjektiven Stil eine ganze Generation junger Autoren. Bangs ging 1976 als freier Journalist nach New York, schrieb u.a. für den Rolling Stone und gründete die Rockgruppe 'Lester Bangs and the Delinquents'. In seinen Reportagen, Kritiken, Glossen und Fragmenten entdeckt er in 'Wild Thing' von den Troggs eine Art unkontrolliertes Lebensmanifest für die Zukunft. Er bewundert Richard Hell, analysiert den Mythos von Elvis, reektiert sein schwieriges Verhältnis zu Lou Reed, begleitet die Clash auf Tour, schreibt über Iggy Pop and the Stooges, David Bowie, Kraftwerk, PIL u.a. Mit seinen gnadenlos subjektiven Urteilen und vehementen Verurteilungen, Beleidigungen und großen Lobeshymnen war er der Gonzo-Autor des Rock-Journalismus, der wie kein anderer um die Faszination und Anziehungskraft der neuen Musik wusste. Lester Bangs starb am 30. April 1982 an einer Tablettenunverträglichkeit.
Autoren/Hrsg.
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Psychotische Reaktionen und heiße Luft Eine Geschichte unserer Zeit »Kommt her, meine flachsköpfigen Enkelkinder, und lasst euch von mir altem Knaben auf den Knien wiegen. Solange ihr mich noch erkennt, ihr kleinen Verrückten. Ihr wisst, die Glocke hat geschlagen, es ist an der Zeit. So verfällt mein altes Hirn ins Grübeln, ah, welche erbauliche Geschichte aus vergangenen Zeiten soll ich heute erzählen?« »Was sollte eigentlich die ganze Aufregung um die Yardbirds?« »Ah, die Yardbirds. Genau. In der Tat, das waren Zeiten. 1965, ich war ein ungestümer junger Draufgänger, gerade zum ersten Mal verliebt, und sie schob fortwährend meine Hand weg und rümpfte die Nase: ›Ich würde gerne, aber ich bin doch kein Flittchen.‹ Die Mädchen waren tatsächlich so zu meiner Zeit ...« »Ach, hör mit dem senilen Gewäsch auf und mach mit deiner Scheiß Altertumsforschung weiter oder wir hüpfen dir vom Knie und machen Action! Alter!« »Schon gut, Kinder, schon gut, bleibt nur bei mir, kein Grund zur Aufregung ... also, wie ich schon sagte, wir schrieben das glorreiche Jahr 1965 und ich verzehrte mich nach Klängen, die mein Gehirn ein wenig verzerren würden. Versteht ihr, es passierte nicht viel außer vielleicht ›I’m Henry VIII, I am‹ – nein, ich will das nicht ausführen, ich weiß, es klingt gut, aber glaubt mir ... wir steckten mitten in einer musikalischen Rezession, die damals, als es noch keine Pauschalreisen zwischen den Sonnensystemen gab, von Zeit zu Zeit einfach auftrat ... ich kann mich noch an einen weiteren äußerst traurigen Durchhänger erinnern, der bis weit in die Anfänge der Siebziger anhielt ... außer, dass dieser so lange dauerte, dass wir verdammt kurz davor waren, völlig auszutrocknen und Platten komplett zu boykottieren, bis Barky Dildo and the Bozo Huns auftauchten, um unsere Seelen zu retten ...« »Oh Mann, wie konntest du nur auf die Typen abfahren? Das war der reaktionärste, verkackteste Trend der ganzen Geschichte. Was ist denn so toll daran, Geige wie eine Kreissäge zu spielen und den Katzendarm hektisch kläffen zu lassen? Jammen ist klasse, aber diese Typen haben sogar im Viervierteltakt gespielt und Tonarten gewechselt! Deswegen fragen wir dich, Opa, was für eine Scheiße ist das denn?« »Schon gut, schon gut, ich weiß, ich schweife schon wieder ab. Ab jetzt halte ich mich ausschließlich an die nackten Tatsachen, und wenn einer von euch neunmalklugen Zwergen mich noch einmal unterbricht, klebe ich einem von euch den Mund zu.« »Wem denn?« »Zufallsprinzip, ihr Sprösse meiner Lenden, zufällig wie alles andere auch in dieser Scheiß Irrenanstalt von Welt, die ihr Typen da habt, und von der ich mich bald in Dankbarkeit verabschieden werde.« »Na gut, dann schramm dir doch die Fingerknöchel auf, damit du sie wieder in warmes Bier tauchen kannst, aber sag nicht, wir hätten dich nicht gewarnt. Du solltest wissen, dass du der einzige alte Sack hier bist, dessen Schrott sich Skewey, Ruey und Blooie überhaupt anhören ... und was soll diese Verabschiedungsscheiße überhaupt? Wer ist denn schon dankbar dafür, tot zu sein?« »Nun, tatsächlich gab es mal eine Zeit, wo eine Menge Betrogener das waren, aber das ist eine andere Geschichte. Ich beschränke mich jetzt auf die Yardbirds-Saga, anderenfalls schweifen wir noch in die Ozonschicht ab. Also hört jetzt zu und hört gut zu und wartet mit euren Fragen bis ich fertig bin. Wie ich bereits sagte, waren die Yardbirds einfach unglaublich. Sie kamen angestürmt und schmissen alle und jeden ganz entspannt aus der Spur. Sie waren einfach so verdammt gut, dass die Leute sie noch ein Jahrzehnt später imitierten und, wie ich hinzufügen möchte, reich dabei wurden, weil die Originalbesetzung der Genies nicht so lange zusammen geblieben war. Natürlich war keines ihrer Stiefkinder auch nur halb so genial, und im Laufe der Zeit wurden sie immer gekünstelter und gestelzter, bis 1973 eine Horde von abgemagerten Fatzkes namens Led Zeppelin ihr Abschlusskonzert gab und der Leadgitarrist von einem wütenden Strychninfreak aus dem Publikum mit einer selbst gebastelten Waffe ermordet wurde, und das in der achtundfünfzigsten Minute seines virtuosen, weltberühmten zweieinhalbstündigen Solos auf einem Basston. Dann haben sie sich den Leadsänger gegriffen, der so dermaßen auf Stechapfel war, dass er praktisch nichts mehr tun konnte, außer »Gleep gleep gug jargaroona fizzlefuck«-artige Texte zu keuchen, und ihm die Haare abgeschnitten, seine Mundharmonika zertreten, ihm bürgerliche Kleidung verpasst (ich glaube, es handelte sich um ein Paar übergroße lebenslängliche Ganzkörperkettenjeans) und ihn als Frachtgut aus der Stadt geschafft. Das letzte, was man von ihm gehört hat, war, dass er versuchte vor ein paar sentimentalen alten Kiffern »Whole Lotta Love« in irgendeinem Klub in Posemuckel zu singen. Zum Umfallen rührselig. Aber wisst ihr, obwohl die Yardbirds alles auf den Kopf stellten, haben sie nur ein paar Jahre existiert. Und einige der Trittbrettfahrer, die sie hatten! Mann, es hat mich schon geekelt, die Platten nur anzusehen! Als sie beispielsweise ›I’m a Man‹ rausgebracht und die Top Ten gestürmt haben, mit einer Mischung aus Bo Diddley (ah, das war der alte fette Kater, der mit diesem berühmten Shuffle Beat groß rauskam ... Ich glaube, der war schon wieder passé, bevor ihr geboren wurdet. Tja, als also das Konzept eines regelmäßigen Bassrhythmus komplett verschrottet wurde, wart ihr immer noch zu jung, um euch an den kulturellen Bürgerkrieg zu erinnern, der dann losbrach, als Jagger auf offener Straße Zagnose in einen Hinterhalt lockte und Beefheart in die Berge von Costa Rica abzischte, um sich dort zu verstecken, bis sich die Stimmung etwas abgekühlt hatte ...) und Feedback, sind allen die Wattebäusche aus den Ohren geflogen, bevor sie tot umfielen, weil dieses ganze verzerrte Elektrozeug, das euch in den Schlaf geschaukelt hat, als ihr noch in der Wiege gelegen habt, damals noch nicht gehört wurde, ein echtes Gehirnbeben. Manche Leute fanden das leicht anstößig, wie der blanke Nerv in einem Draht, der sie wie verrückt anblinkt, aber wir steilen Senkrechtstarter sind von Anfang an tierisch auf diese kulturelle Veränderung abgegangen. Wir haben nur auf jemanden gewartet, der vorbeikommt und die Weicheier platt macht, kick out the jams ... ach, diese Phrase! Tja, das ist auch so eine Geschichte. Hat einen netten messerwetzenden Klang. Ihr werdet bestimmt wieder lachen, aber wir hatten einen ziemlich kritischen Sprachstil, als ich noch ein Zwerg war, harte Riffe wie ›Right on!‹ und ›Peace, brother!‹, nicht diese einfältige telegrafische Scheiße, die bei euch banalen Bälgern heutzutage als Kommunikation durchgeht. Ich kann mich erinnern, als ich auf der High School war (ach, hab ich euch doch schon erzählt: das war das, wo sie dich hinschickten, wenn sie nicht wussten, was sie mit dir machen sollten, also wenn man schon zu groß für den Kinderbunker war, aber noch zu jung, um so zu tun, als würde man in die Männerwelt eintreten, was bedeutete, jeden Tag zur gleichen Zeit zu einem komischen Gebäude zu gehen, um dort stundenlang irgendwelche sinnlose Scheiße zu machen, damit man sich Brot kaufen konnte und alle einen respektierten), also, als ich zur High School ging, hatten wir ein paar ziemlich heftige Sprüche drauf. Wenn beispielsweise einer etwas echt Dämliches machte, hieß es immer ›Hast du Scheiße im Hirn?‹ Auch gut war, wenn man echt angepisst von jemandem war, sagte man ›Du mieser Haufen Scheiße‹. Ein paar von uns, eine Bande von Tagedieben genau wie ihr, fuhren immer zum Spirituosenladen, um Cola und Kartoffelchips zu kaufen, und später stöhnte der Beifahrer immer, ›Knutsch es runter, knutsch es runter!‹, was sich natürlich auf das Essen bezog. Einige Jahre später fingen ein paar phantasiebegabte Individuen damit an, Essen ›Mampfi‹ zu nennen, aber glücklicherweise hat sich dieser schwachsinnige Begriff nicht lange gehalten. Wir hatten übrigens bereits Jahre vorher schon eine sehr rätselhafte Zauberformel: ›Ich mache nicht solchen Schrott wie du, ich zünde ihn an!‹ Wenn man das sagte, waren die Leute ziemlich irritiert. Wenigstens die Kinder, aber ich habe vergessen, was der Satz bedeutete, ich glaube, er war so eine Art Zen. Wenn man also eine Auseinandersetzung mit jemandem hatte, konnte man einfach diesen Spruch raushauen und je nachdem, wie er von dem Anderen aufgenommen wurde, stiftete er entweder Frieden oder das Ganze endete mit einem Faustkampf. Aber ich schweife schon wieder ab. Scheiße, Kinder ihr habt Recht, ich werde zu einem alten Ziegenbock mit glasigen Augen. Mit Scheiße im Hirn. Sobald wir mit unserer Anekdotenstunde hier fertig sind, nehme ich mein Morphin und beruhige meinen fiebrigen Verstand für ein, zwei Stündchen. Ich habe heute Abend eine Verabredung mit Delilah Kooch und muss ausgeruht sein, wenn ich beim ersten Hahnenschrei immer noch bumsen will, Orgelöl hin oder her ... mit neunzig sollte man sich in Mäßigung üben. Aber wie ich bereits ausgeführt habe, bevor ich den Kuschelweg einschlug, blieben die Yardbirds nicht sehr viele Monde zusammen, und als sie sich mit ›I’m a Man‹ verabschiedeten, wurden sie schon von allen Seiten von kleinen Teeniebands geplündert (eines Tages erzähle ich euch mal ein bisschen was über Paul Revere and the Raiders, ha, das glaubt selbst ihr nicht...), die sofort schlechte Imitationen von ›I’m a Man‹ aufnahmen, um ihre Debütplatten voll zu kriegen, Bands wie die Royal Guardsmen, die zwei Nummer-Eins-Hits hatten mit irgendwelchen Späßchen über...