Baldauf | Vietnam | E-Book | sack.de
E-Book

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

Reihe: Länderporträts

Baldauf Vietnam

Ein Länderporträt
1. Auflage 2016
ISBN: 978-3-86284-366-4
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark

Ein Länderporträt

E-Book, Deutsch, 232 Seiten

Reihe: Länderporträts

ISBN: 978-3-86284-366-4
Verlag: Links, Christoph, Verlag
Format: EPUB
Kopierschutz: 6 - ePub Watermark



Als Volk der Drachen und Feen bezeichnen sich die Vietnamesen in ihrer Mythologie. Heike Baldauf nimmt ihren Leser mit in den Alltag dieses Vielvölkerstaates, in ein Land im Aufbruch im Schatten Chinas. Nach drei Kriegen machte sich Vietnam auf den Weg von einem reinen Agrarstaat hin zu einer modernen Industrienation. Die Autorin berichtet von einer bildungshungrigen Jugend, die nach westlichen Werten strebt, geht Korruption und Umweltproblemen auf den Grund. Sie reist mit dem Leser ins Moped überschwemmte, alle Sinne betörende Hanoi, schreibt über das stille Dorfleben und die Glaubenswelt dieses Volkes, das sich seiner jahrhundertealten Traditionen bewusst ist. So entsteht ein eindrückliches Porträt dieses Küstenstaates in Südostasien.

Journalistin in Leipzig. Seit sie 1979 zum ersten Mal Vietnam besuchte, lassen sie das südostasiatische Land und seine Menschen nicht mehr los. Die pulsierende Hauptstadt Hanoi ist für sie zu einer zweiten Heimat geworden. Sie schreibt für verschiedene Medien wie die Berliner Zeitung, die VDI Nachrichten, Spiegel online, das Handelsblatt und das Neue Deutschland und leitet auch Studienreisen nach Vietnam.

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Auf ex – der Krieg als Cocktail


Leben mit der Vergangenheit


Meine Freundin Minh wohnt mit ihrem Mann in der Lý-Nam-Ð?-Straße in Hanoi. Die Straße grenzt mit ihren Mehrfamilienhäusern in Plattenbauweise, Verwaltungsgebäuden, mehrstöckigen Einfamilienhäusern und einer großen, lang gestreckten Kaserne direkt an das historische 36-Gassen-Viertel. Die Lý Nam Ð?, benannt nach dem ersten Kaiser von Vietnam und Gründer der frühen Lý-Dynastie, ist gerade wie ein Lineal. Sie gehört zu den vielen Einbahnstraßen in der Innenstadt. Kleine Geschäfte und familiäre Werkstätten liegen hier, dazu einige Cafés, in die sich selten Touristen verirren. Das Blätterdach von alten Baumriesen spendet den Menschen unter ihnen Schatten. Hanoier wissen: Hier wohnen die, die in der Armee gedient haben.

Mit 58 Jahren kann Minh den Ruhestand genießen und sich um die drei Kinder ihrer zwei Töchter kümmern. Das Rentenalter in Vietnam liegt für Frauen bei 55 Jahren, Männer müssen bis 60 arbeiten. Minh genießt ihre bezahlte Freizeit. Sie lacht gern, lässt ihr glattes Haar beim Friseur in Locken verwandeln und geht einmal in der Woche zum Yoga. Ihre Wohnung hat sie erst von der Armee mieten und dann kaufen können. Viele Jahrzehnte arbeitete sie in einem Druckbetrieb, der zur Armeezeitung gehört. Anfangs bestand ihre hauptsächliche Aufgabe darin, belichtete Negative passgenau so zusammenzufügen, dass Bilder und Texte in einer hohen Druckqualität die Leser erreichten. Das Handwerk der Montage erlernte sie als junge Frau in Leipzig, der Stadt, in der wir uns 1976 zum ersten Mal begegnet waren. Sie gehörte zu den Tausenden Vertragsarbeitern, die von 1975 an – dem Kriegsende in Vietnam – bis in die 1980er Jahre hinein ausgebildet und beschäftigt wurden. Wir waren damals Kolleginnen im Graphischen Großbetrieb Interdruck.

Minhs in meinen Augen seltsam aufgeteilte Wohnung ist für Europäer wie mich eine Zumutung. Der Plattenbau besteht hauptsächlich aus vielen Einraumwohnungen, die durch eine eingezogene, halbierte Zwischendecke, erreichbar über eine Holzstiege, aufgeteilt sind. So können die Menschen unten essen, fernsehen und Besuch empfangen, während sie oben schlafen. Aufrecht stehen unter der Decke kann dort nur ein Kleinkind. Ein Holzgitter schützt es vor dem Herunterfallen. Zur Wohnung gehören Toilette und Dusche. Der fensterlose Raum dafür ist nicht größer als ein Badehandtuch. Hinter einer dünnen Wand liegt Minhs Lieblingsarbeitsplatz – eine schmale Küche mit einem vergitterten Fenster zum nächsten Haus. Kühlschrank, ein in Deutschland produzierter Induktionsherd, Spüle, eine lange Arbeitsplatte und einige Schränke mit Kochgeschirr machen Minh zu einer glücklichen Hausfrau. Mittags und abends, wenn ihr Mann, ein Lehrer, nach Hause kommt, verwöhnt sie ihn gern mit frisch zubereiteten Speisen.

Tageslicht fällt nur wenig durch das einzige, auch vergitterte Fenster im Wohnzimmer. So bleibt die Deckenbeleuchtung aus Neonröhren oft eingeschaltet und die Wohnungstür in den nicht zu kalten und nicht zu heißen Monaten einen Spalt breit offen. Doch auch diese Tür, vor der sich ein etwa 20 Meter langer Gemeinschaftsbalkon zur Straße hin erstreckt, wird wie üblich in Vietnams moderneren, mehrstöckigen Bauten durch ein separates Gitter vor Einbrüchen geschützt. Auf dem Balkon kann die Familie Wäsche trocknen, Blumen in Töpfen ziehen und einigen, wenig wertvollen Hausrat abstellen, der in der Wohnung selbst keinen Platz findet. Wie überall, so stehen auch hier vor dem Eingang die ausgezogenen Schuhe der Bewohner und Gäste. Niemand im Land, außer ein unwissender Tourist oder Geschäftsmann, betritt in Straßenschuhen einen Wohnraum oder gar eine Pagode. Denn auf dem Boden wird gesessen und gegessen, wenn der Platz für Stühle nicht ausreicht. Das gilt für die Stadt.

Minh erlebte den Vietnamkrieg (1964–1975) als Kind und junges Mädchen in Hanoi. Zur Weihnachtszeit 1972, kurz vor dem Pariser Abkommen vom 27. Januar 1973, überzog die U.S. Air Force auf Befehl von Präsident Richard Nixon die Hauptstadt mit einem Flächenbombardement. Anders als in Deutschland haben die Wohnhäuser in Vietnam keine Keller, in denen die Bevölkerung hätte Zuflucht suchen können. In den Erdboden der Fußwege eingelassene Betonrohre, in die sich gerade ein Mensch flüchten konnte, schützten mit ihrem über den Kopf zu ziehenden Betondeckeln nur vor Splittern, aber nicht vor der Zerstörungskraft aus den Langstreckenbombern B 52. Binnen weniger Tage verwandelten sie ganze Straßenzüge der Innenstadt in ein Trümmerfeld. Das B?ch-Mai-Krankenhaus, eine der größten Kliniken der Hauptstadt, wurde gezielt und schwer getroffen, ebenso Wohnviertel, Märkte, Fabriken, Schulen, Kindergärten, Universitäten. Die Zerstörungswut der US-Armee kannte keine Grenzen.

»Wir werden Vietnam in die Steinzeit zurückbomben«, hatte der amerikanische Luftwaffengeneral Curtis LeMay angekündigt. Bereits in den ersten drei Kriegsjahren fielen 2,5 Millionen Tonnen Bomben auf das Land, und noch einmal so viel bis 1975, mehr als im gesamten Zweiten Weltkrieg. Auch Napalm, das selbst im Wasser weiterbrennt, wurde flächendeckend eingesetzt.

Als ich 1979 das erste Mal nach Vietnam kam, sah ich vom Flugzeug aus tatsächlich eine Mondlandschaft. Krater an Krater, manche bis zu 30 Metern Durchmesser, gefüllt mit Grundwasser. Im Schein der Morgensonne hatte diese Szenerie aus glitzernden Tümpeln und Teichen dennoch etwas Friedvolles an sich. Der Frieden war noch jung, wie der Reis, der auf den Feldern zwischen und um die Krater herum wuchs.

Heute sind diese Narben des Krieges kaum mehr offensichtlich. Aus den nicht zugeschütteten Bombentrichtern haben die findigen Bauern Teiche für die Entenzucht angelegt. Oder sie nutzen sie zum Anpflanzen von Lotos, der so vielfältig in der Verwendung ist wie Bambus, von dem es über 1000 Arten gibt. Grün in allen Varianten ist die dominante Farbe in Vietnam. Die üppige Natur der Subtropen im Norden und der Tropen im Süden überwucherte schnell die Spuren des Krieges. Dabei fordert er heute noch, in der vierten Generation, viele Opfer, vor allem Kinder.

Der 17. Breitengrad ist der Ort in Vietnam, an dem am härtesten gekämpft wurde. Gleichzeitig trägt dieser Landstrich den Namen Demilitarisierte Zone (DMZ) – eine irreführende Bezeichnung. Es ist ein schmaler Gürtel von der Grenze zu Laos bis zum Südchinesischen Meer, der den Norden vom Süden Vietnams abtrennte. Bei Kriegsende 1975 existierten in dem Landstrich südlich des Sông B?n H?i, des Ben-Hai-Flusses, der als natürliche Grenze zwischen Nord- und Südvietnam diente, von ehemals 1000 Dörfern nur noch drei.

1954 hatte die Kolonialmacht Frankreich mit der Niederlage in Ði?n Biên Ph? kapituliert. Die darauf nach der Genfer Indochina-Konferenz in Paris als Provisorium eingerichtete Grenze am 17. Breitengrad sollte das Land eigentlich nur bis zu den Wahlen 1956 teilen. Da aber weder Südvietnam noch die USA das Abkommen unterzeichneten, blieb es dabei, 21 lange Jahre.

Im Juli 2008 ereignete sich hier eine Tragödie – eine von Tausenden, die sich seit dem Kriegsende von vor 40 Jahren an vielen Orten Vietnams sowie den damals in die Kampfhandlungen involvierten Nachbarländern Laos und Kambodscha fast unbemerkt vor der Weltöffentlichkeit immer wieder abspielen.

Ich war mit einem deutschen Kameramann und dem Frontsänger der Musikgruppe Die Prinzen, Sebastian Krumbiegel, unterwegs zu einem Minenräumteam. Dessen lebensgefährliche Arbeit wurde mit Geldern aus Deutschland finanziert. SODI, Solidaritätsdienst International, ein Berliner Verein, hervorgegangen aus dem Solidaritätskomitee der DDR, managte seit 1998 die Arbeit vor Ort gemeinsam mit vietnamesischen Fachleuten. Sebastian engagiert sich seit Langem gegen die Produktion, Verbreitung und den Einsatz von Streumunition. Es war das Jahr, indem in Oslo eine Konvention gegen das Verbot von Streumunition auf dem Tisch lag. Mehr als 100 Staaten beabsichtigten, sie zu unterzeichnen, auch Deutschland.

Wir wollten mit eigenen Augen sehen, wie Kampfmittelberäumung funktioniert. Ob das Geld auch dort ankommt, wo es gebraucht wird, für Schulungen beispielsweise. Darauf vertrauend, dass unsere Gastgeber auf unser Wohl bedacht sind, nahmen wir an, dass wir in ein entmintes Gebiet gebracht werden. An einen Ort, an dem wir von weitem zusehen können, wie Menschen in Schutzanzügen mit Detektoren scharfe Munition aufspüren. Kaum waren wir angekommen, an einem mit Totenkopf-Schildern und Plastikbändern abgesperrten, unscheinbaren Gelände, bewachsen mit hohem Gras, erhielt unser vietnamesischer Begleiter einen Anruf. In einem Dorf ganz in unserer Nähe waren drei Jungen zerfetzt worden. Die Jungen waren beim Büffelhüten im nahen Wald auf mehrere Metallkugeln gestoßen, groß wie Tennisbälle. Sie mussten damit gespielt haben. Es waren Streubomben.

So kam an einem Sommermorgen der Krieg zurück ins Dorf Câu Nhi, ohne Vorwarnung, ohne Sirenengeheul. Drei Jungen im Alter von 12, 13 und 14 Jahren starben durch Munition eines Krieges, der weit vor ihrer Geburt lag. Sie wohnten in einem Dorf wie aus dem Bilderbuch, mit tiefgrünen Reisfeldern, exotischen Blumen und Teesträuchern vor geordneten Gehöften. Mit Scharen schnatternder Enten am plätschernden Bach, und Bäumen, deren Äste sich biegen unter der Last reifer Mangos. Ein friedlicher Ort. Ein Dorf, aus dem lautes Wehklagen zu hören war, bei der Beerdigung der...


Journalistin in Leipzig. Seit sie 1979 zum ersten Mal Vietnam besuchte, lassen sie das südostasiatische Land und seine Menschen nicht mehr los. Die pulsierende Hauptstadt Hanoi ist für sie zu einer zweiten Heimat geworden. Sie schreibt für verschiedene Medien wie die Berliner Zeitung, die VDI Nachrichten, Spiegel online, das Handelsblatt und das Neue Deutschland und leitet auch Studienreisen nach Vietnam.



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